Der Tatbestand:
Beim Forschungszentrum Jülich (FZJ, früher Kernforschungsanlage Jülich, KFA) lagern 152 Behälter vom Typ Castor THTR/AVR, die gefüllt sind mit den ca. 300 000 ausgedienten Brennelement-Kugeln des stillgelegten Versuchsreaktors AVR.
Das Problem:
Die Castoren stehen in einem 1993 für 20 Jahre genehmigten „Billiglager“ (R. Mohrmann), das für 20 Jahre genehmigt war. Diese Genehmigung lief also bereits im Jahr 2013 aus. Es folgte eine einjährige Duldung. Im Juli 2014 wurde aber behördlicherseits eine Räumungsanordnung erteilt, da dieses Lager nicht die erforderliche Erdbebensicherheit gewährleisten konnte (oberhalb von 5m Höhe enthalten die Wände beispielsweise keinen Beton mehr…).
Lösungsansätze („Optionen“):
Seitdem wurden offiziell seitens der Betreiber des Jülicher Lagers (Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen, JEN) drei Lösungsvarianten („Optionen“) für den weiteren Verbleib der Castoren verfolgt:
- Verbringung des Atommülls in die USA
- Neubau eines erdbebensicheren Lagers in Jülich
- Transport des Atommülls in das Zwischenlager Ahaus (TBL-A)
Zu a:
Die Option USA wurde begründet mit der Proliferations-Gefahr, da die Kugel-Brennelemente teilweise hochangereichert sind und somit potenziell waffentauglich sein könnten. Verhandlungen mit den USA gab es seit 2011, im Jahr 2022 wurden diese Pläne aber nach Widerständen in den USA und auch seitens der deutschen Anti-AKW-Bewegung sowie aufgrund erheblicher rechtlicher Probleme endgültig aufgegeben. Daher wird an dieser Stelle nicht mehr näher darauf eingegangen.[1]
Zu b:
Die Option Lagerneubau in Jülich wäre – auch im wörtlichen Sinne – die nahe liegende.
Zum einen, weil damit problematische Transporte vermieden würden. Zum anderen, weil die Kugel-Brennelemente aus dem AVR (wie auch aus dem THTR Hamm-Uentrop) nicht so ohne weiteres endlagerfähig sind: Sie müssten behandelt (vermutlich auch abgereichert) und für die Endlagerung konditioniert werden. In welcher Weise, das ist abhängig von der Struktur des künftigen Endlagers (Salz, Ton oder Granitgestein). Jedenfalls wird das Verfahren dafür kompliziert sein, auch und gerade wegen der Verwendung von Graphit als Moderator-Material. Ein solches Verfahren müsste auch erst entwickelt werden.[2] Verantwortlich dafür sind und bleiben die Wissenschaftler aus Jülich, die diesen Reaktor- und Brennelementtyp erst entwickelt haben, rechtlich verantwortlich ist die JEN.
Hinzu kommt, dass 40 Jahre nach der Genehmigung für das Jülicher Lager im Jahr 1993 ein neuer Dichtigkeitsnachweis für die Castor-Behälter erbracht werden muss[3]; das wäre im Jahr 2033. Ein solcher Dichtigkeitsnachweis erfordert aber, wenn er über die kontinuierliche Dichtigkeits-Überwachung hinausgehen soll, eine Behälteröffnung. Die könnte in Jülich erfolgen, nicht aber in Ahaus.
Seitens FZJ und JEN wird aber der Neubau eines Lagers in Jülich seit mehr als 10 Jahren immer wieder verzögert und hinausgeschoben, man könnte auch sagen sabotiert. Das Hauptmotiv dafür hat bereits im Jahr 2011 der damalige Aufsichtsratsvorsitzende des FZJ, Karl Eugen Huthmacher, in aller Offenheit bekannt gegeben: Als eines der größten europäischen Forschungseinrichtungen müsse das FZJ die Möglichkeit haben, die „besten Köpfe der Welt“ anzuziehen. Um sich für sie als attraktiver Standort darzustellen, müsse es erklärtes Ziel sein, dieses Forschungszentrum „brennstofffrei“ zu machen. Der Aufsichtsrat des FZJ sprach sich daher schon damals gegen den Neubau eines Lagers in Jülich aus.[4]
Seitdem wird die „Option Neubau“ aufgrund des politischen Drucks durch das Land NRW zwar formal weiter verfolgt, im Jahr 2012 wurde auch ein Grundstück für einen möglichen neuen Lagerstandort in Jülich präsentiert. In Wirklichkeit aber wurde die Option mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln hintertrieben. Dazu nachfolgend einige Fakten und Daten (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
- Auf der Sitzung des „Nationalen Begleitgremiums (NBG)“ am 19.02.2019 in Jülich gab der damalige Geschäftsführer von JEN, Rudolf Printz, bekannt, dass das bereits im Jahr 2012 für einen möglichen neuen Zwischenlager-Standort ausgewählte Grundstück am 8.11.2018 vom Forschungszentrum Jülich (FZJ) zurückgezogen worden sei.[5] Als Begründung wurde zunächst angegeben, dass das FZJ das Grundstück für andere Zwecke benötige; in den nachfolgenden Wochen wurde seitens des FZJ mitgeteilt, dass das Grundstück den neueren verstärkten Sicherheits- bzw. Sicherungsvorschriften nicht mehr entspreche. Eine Arbeitsgruppe von FZJ und JEN suche nun nach einem neuen Grundstück – was allerdings bedeuten würde, dass bereits abgeschlossene UVP und seismologische Untersuchungen erneut durchgeführt werden müssen, womit eine weitere mehrjährige Verzögerung verbunden wäre.
- In einer Antwort auf eine schriftliche Anfrage des Bundestagsabgeordneten Hubertus Zdebel (Die Linke) zu diesem Sachverhalt erklärte der Parl. Staatssekretär Dr. Michael Meister am 19.03.19, dass das Grundstück zwar 2012 vom FZJ ausgewählt, aber eine Überlassung an JEN niemals stattgefunden habe; gegenwärtig seien Überlegungen zu einer anderen Nutzung im Gange; man befände sich in einem „Klärungsprozess“. [6]
- Am 24.07.2019 behauptete die Bundesregierung in der Antwort auf eine „Kleine Anfrage“ des Abgeordneten Oliver Krischer (Bündnis90/Die Grünen), dass es nach ihrer Kenntnis keinen Rückzug des Grundstücks gegeben habe (Bundestagsdrucksache 19/11905). Im Gespräch der Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“ mit der damaligen Bundesumweltministerin Svenja Schulze am 24.08.19 wurde von ihrem Unterabteilungsleiter für Nukleare Entsorgung, Haart, gesagt, das besagte Grundstück stehe weiterhin (Svenja Schulze: „wieder“) zur Verfügung.
- In ihrem Koalitionsvertrag hat die neugewählte NRW-Landesregierung im Juni 2022 beschlossen, sich für die Minimierung von Atomtransporten einzusetzen: „Im Fall der in Jülich lagernden Brennelemente bedeutet dies, dass wir die Option eines Neubaus eines Zwischenlagers in Jülich vorantreiben“.
- Auf Anfrage der Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“, wie die Landesregierung diese Zielsetzung umzusetzen gedenke, teilte die Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie (MWIKE), Mona Neubaur, der BI am 14.12.22 mit, dass man im Landeshaushalt 2023 die Bereitstellung eines im Landesbesitz befindlichen Grundstücks für den Neubau einer Lagerhalle in Jülich aufgenommen habe.
- Auf dem „Jülicher Nachbarschaftsdialog“ am 6. März 2023 gab JEN bekannt, dass die Standortauswahl für einen Neubau jetzt abgeschlossen und der Erwerb des entsprechenden Grundstücks „eingeleitet“ worden sei. Gegenwärtig liefen Beratungen mit den zuständigen Behörden zu Natur- und Artenschutz sowie Landschafts- und Regionalplanung. Eine eventuelle Umlagerung der Castoren aus dem alten in das neu zu errichtende Lager sei jedoch „aus heutiger Sicht nicht vor 2032 möglich.“[7]
- Die Neubauoption solle angesichts „der noch verbliebenen offenen Realisierungsfragen der Ahaus-Option“ noch weiterverfolgt werden, sie sei aber „so bald wie möglich – nach der erfolgreichen Durchführung der ersten Transporte“ nach Ahaus - zu beenden – so zitiert JEN in derselben Präsentation die Auffassung der Bundesministerien BMUV, BMBF und BMF.
- Dahinter steht auch der Beschluss des Haushaltsausschusses des Bundestags (auf Antrag der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP!) vom 30. November 2022, demzufolge die „kostengünstigere Ahaus-Option“ verfolgt werden solle, sofern das Land NRW nicht die Mehrkosten eines Neubaus in Jülich tragen wolle.
- In einem Gespräch mit Vertretern von Bürgerinitiativen am 19.01.2024 in Düsseldorf informierte der Leiter des Referats 623 im NRW-MWIKE über den Sachstand des Grunderwerbs für einen Lagerneubau: Es stünden 2 aneinander anschließende Grundstücke aus dem Eigentum des Landes NRW zur Verfügung; eines davon befinde sich noch auf dem Terrain des ehemaligen AVR-Geländes, das andere außerhalb; für einen Neubau würden beide Grundstücke benötigt. Für das erste Grundstück sei am 12.12.23 ein Kaufvertrag mit JEN geschlossen worden, dessen Aufsichtsrat habe zugestimmt; allerdings müsse die „Zuwendungsbehörde“, das ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung, noch zustimmen; dort laufe noch eine „Überprüfung“. Für das zweite Grundstück liege ein Kaufvertrag vor, der aber noch nicht unterzeichnet sei. JEN habe ein „Konzept für den Neubau“, ein Genehmigungsantrag liegt allerdings noch nicht vor.
- In einem Gespräch mit Vertretern der Bürgerinitiative am 12.04.24 bestätigte Wirtschaftsministerin Mona Neubaur, dass die Zustimmung der „Zuwendungsbehörde“ für den Grundstückskauf nach wie vor nicht erteilt sei.
- In einem erneuten Gespräch mit Bürgerinitiativen am 18.01.25 erklärte Frau Neubaur, dass sich an dieser Lage nach wie vor nichts geändert habe.
Zu c:
Der gegenwärtige Sachstand für die Option Ahaus:
- Am 21.07.2016 hat das Bundesamt für Entsorgung im Rahmen einer 8. Änderungsgenehmigung für das „Transportbehälterlager Ahaus (TBL-A)“ die Einlagerung von 152 Castor THTR/AVR-Behältern mit den Kugel-BE aus Jülich genehmigt und den Sofortvollzug angeordnet.
- Dagegen hat die Stadt Ahaus am 17.08.16 Widerspruch eingelegt, dem sich am 12.06.17 ein Bürger der Stadt angeschlossen hat; am 07.11.17 wurde die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs beantragt, worauf das BfE am 19.12.17 den Sofortvollzug zurückgenommen
- Nachdem der Widerspruch gegen die Einlagerungsgenehmigung dann am 29.11. abgelehnt worden war, wurde am 13.12.17 Klage gegen die Genehmigung vor dem OVG Münster erhoben (durch die Stadt Ahaus und einen Bürger). Die Klage hatte zunächst einmal aufschiebende Wirkung. Der Beschluss, gegen die Verbringung der Jülich-BE nach Ahaus zu klagen, wurde im Ahauser Stadtrat einstimmig mit den Stimmen aller 6 Fraktionen gefasst (CDU, SPD, UWG, Bündnis90/Grüne, FDP, Wählergemeinschaft Ahaus-Wüllen).
- Die Klage wurde Anfang 2018 begründet, am 24.01.2019 erfolgte nach mehrfacher Fristverlängerung eine Erwiderung durch die Anwälte des BfE. Danach gab es weitere Schriftsatzwechsel.
- In der Hauptverhandlung entschied das OVG Münster am 03.12.24, dass die Klage der Stadt Ahaus abgewiesen wird und die Einlagerungsgenehmigung für die AVR-BE im TBL Ahaus (8. Änderungsgenehmigung) rechtens sei; die Revision wurde nicht zugelassen. Die Stadt Ahaus prüft gegenwärtig noch, ob gegen die Nichtzulassung Beschwerde eingelegt werden soll.
- Eine Transportgenehmigung für die BE aus Jülich gibt es bisher nicht. Das liegt vor allem an den Problemen, die sich durch verschärfte Anforderungen an die Sicherung von Transporten gegen äußere Einwirkungen (SEWD), sprich Terroranschläge, seit 2016 ergeben: Denen zufolge sind Zugmaschinen für die Transporte nötig, die erheblich stärker als früher gepanzert werden müssen und die ein Gewicht von 130t haben.
- Diese Zugmaschinen sind inzwischen produziert. Drei davon stehen JEN zur Verfügung, ein viertes dem FRM II in Garching bei München.
- In der letzten Juniwoche 2023 (27. – 29.06.) wurden Testfahrten mit einem leeren Transporter von Jülich nach Ahaus durchgeführt. Sie dienten dazu „die Befahrbarkeit möglicher Transportwege sowie die Rangiermöglichkeiten auf dem Zwischenlager-Gelände in Ahaus zu testen“.[8]
- Weitere Testfahrten von Jülich nach Ahaus und zurück, dann mit einem leeren Castor-Behälter, fanden im November 2023 (7.11. und 21./22.11.) statt. Sie wurden von massiven Polizeieinheiten (ca. 300 Personen) begleitet. Nach Medienberichten kam es dabei zu etlichen Problemen, z.B. im Autobahnkreuz Kaiserberg[9].
- Die Testfahrten sind eine Voraussetzung für die Erteilung der Transportgenehmigung. Da bei den Testfahrten kein radioaktives Material transportiert wurde, war die Atomaufsicht (MWIKE) nicht in sie involviert und hat bei dem Gespräch am 19.01.24 keine Informationen über mögliche Vorfälle oder Probleme während der Probetransporte gehabt.
- Bei einem Gespräch am 5.3.24 in Jülich haben wir Ministerin Neubaur deshalb aufgefordert, ihre Funktion als Atomaufsicht wahrzunehmen und die fehlenden Informationen über Vorkommnisse während der Probetransporte von anderen Stellen einzuholen (Innenministerium NRW? Polizeibehörden? Transportgesellschaft Orano NCS GmbH?). Sie wollte diese Anregung „mitnehmen“. Auf Nachfrage in einem weiteren Gespräch am 12.04.24 versicherte sie, dass entsprechende Erkundigungen in Gang, aber noch nicht abgeschlossen seien. Sie wolle uns in Kürze über das Ergebnis informieren.
- Mit Schreiben vom 28.05.24 haben wir die Ministerin erneut an unsere Nachfrage erinnert. Am 05.07.24 erhielten wir dann endlich ein Antwortschreiben, in dem Frau Neubaur einen vom NRW-Innenminister eingeholten Bericht zitiert. Darin heißt es:
„Der in Rede stehende Probetransport am 21./22.11.2023 wurde durch die Transportfirma Orano NCS GmbH durchgeführt. Zudem waren auch Begleitfahrzeuge der Polizei eingebunden. Am 21.11.2023 gegen 23:55 Uhr wurde im Bereich der Baustelle am Autobahnkreuz Kaiserberg auf der Bundesautobahn (BAB) 3 der Schwertransport streckenbedingt auseinandergezogen. Dadurch wurde der Sichtkontakt zwischen den vorweg fahrenden Begleitfahrzeugen des Schwertransportes und dem eigentlichen Schwertransportfahrzeug unterbrochen. Das Schwertransportfahrzeug verblieb deshalb auf der BAB 3 und wechselte nicht planmäßig auf die BAB 40. Da die Streckführung (sic!) zwingend einzuhalten ist, musste das Schwertransportfahrzeug zurücksetzen und auf die BAB 40 geführt werden.
Dieser Umstand führte zu einem Aufstocken des gesamten Schwertransportes, wodurch es kurzzeitig zu einer Staulage hinter dem Schwertransport kam. Der Verkehr hinter dem Schwertransport wurde auf die BAB 40 abgeleitet und anschließend mit der Rückführung des Schwertransportfahrzeuges zur Abfahrt der BAB 40 begonnen. Die Fahrbahn in Fahrtrichtung Richtung Norden der BAB 3 wurde für die Zeit der Ableitung und Rückführung komplett gesperrt (Dauer insgesamt ca. 30 Minuten). Am 22.11.2023 gegen 00:25 Uhr erreichte das Schwertransportfahrzeug die Ausfahrt zur BAB 40 und konnte die Fahrt auf der vorgesehenen Route fortsetzen.
Die kurzfristigen Verkehrslenkungsmaßnahmen wurden durch Kräfte der Polizei abgesichert. Es kam zu keinen Gefahrensituationen.”
Innenminister Reul sah also in den geschilderten Vorfällen kein ernsthaftes Problem und auch Frau Neubaur übernahm diese Darstellung ohne jeden Ansatz eines kritischen Kommentars oder einer kritischen Fragestellung.
- In einem erneuten Schreiben an die Ministerin vom 16.07.24 warf die Bürgerinitiative einige kritische Fragen zu dem Vorfall auf:
„Wie kann es sein, dass in einem eigens zum Schutz des Castor-LKW gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter (SEWD) zusammengestellten Polizei-Konvoi plötzlich der Sichtkontakt verloren geht? Und wenn dies schon passiert: Hatte der Fahrer des Schwertransports keine Kenntnis von der vorgegebenen Transportroute? Hatte er kein eigenes Navigationssystem und kein Funkgerät zur Kontaktaufnahme mit den Begleitfahrzeugen zur Verfügung? Was wäre gewesen, wenn im Ernstfall (also bei einem mit hochradioaktiven Brennelementen beladenen Transportfahrzeug) der Sichtkontakt verloren gegangen wäre? Wäre der Transporter dann inmitten eines unübersichtlichen Autobahnkreuzes ungeschützt von vorausfahrenden Polizeikräften gewesen? Und welche Rolle spielten eigentlich die Begleitfahrzeuge des Transport-Unternehmens Orano NCS GmbH bei der Panne?“
Die BI äußerte auch ihr Erschrecken darüber, dass weder das Innenministerium noch Ministerin Neubaur als Chefin der Atomaufsicht diese Vorfälle ernst nehmen und fordert die Ministerin auf, sich für einen Stopp der Transportpläne einzusetzen und den Zwischenlagerneubau in Jülich zu forcieren.
- Auch das BASE hatte auf Nachfrage der BI mit Schreiben vom 8.3.24 erklärt, in die Probetransporte nicht involviert gewesen zu sein. Und noch im Juli erklärte das BASE gegenüber den Medien, über die Vorfälle keine Kenntnis zu haben (TAZ vom 18.07.24).
- Mit Schreiben vom 26.07.24 wandte sich die BI daher auch an den Präsidenten des BASE. Sie stellte im Zusammenhang mit den Vorfällen um die Probetransporte eine Reihe von Fragen und forderte eine kritische Auswertung der Vorfälle durch das BASE. Die BI warnte vor der Erteilung einer Transportgenehmigung und verwies auf die Alternativen einer Lagerung der AVR-BE in Jülich. In einem Antwortschreiben vom 18.10.24 bekräftigt das BASE, dass es über die Vorfälle bei den Probetransporten außer den Medienberichten dazu keine weiteren Informationen habe. Das liege daran, dass Probetransporte verfahrensrechtlich nicht vorgeschrieben seien, sondern ihre Durchführung allein eine Entscheidung der Transportfirma sei.
- Am 20.08.24 stellte die Organisation „ausgestrahlt.“ ein Gutachten der Physikerin Oda Becker vor, in dem erhebliche Gefahrenpotenziale bei möglichen Castor-Transporten durch NRW von Jülich nach Ahaus aufgezeigt werden. Dabei geht es vor allem um unfall- oder angriffsbedingte Auswirkungen mit Freisetzung von Radioaktivität. Ausgestrahlt fordert den Verzicht auf die Transport-Option.[10]
- JEN rechnete auch im Verlauf des Jahres 2024 mit einer raschen Erteilung der Transportgenehmigung; die ersten Transporte hätten danach auch kurzfristig durchgeführt werden können. Den Aussagen von NRW-Innenminister Reul in einem schriftlichen Bericht an den Innenausschuss des NRW-Landtags vom 12.03.24 zufolge werden allerdings nach der Genehmigung der Transporte mindestens 8 Wochen Vorbereitungszeit für die polizeiliche Begleitung benötigt.[11]
- Im Dezember 2024 veröffentlichte ausgestrahlt. ein Gutachten von Dipl.Phys. Oda Becker und Prof. Dr Jutta Weber über mögliche Auswirkungen von Terrorangriffen auf Zwischenlager für hochradioaktiven Abfall am Beispiel der Zwischenlager in Ahaus und Brokdorf.[12]
- Am 9.12.24 begannen auf Veranlassung von Straßen.NRW Umbauarbeiten an einem Kreisverkehr in Ahaus (Heeker Straße), um dort die Durchfahrt der Castor-Schwertrabsporte zu ermöglichen.
- Am 13.01.25 sollten entsprechende Arbeiten an einem weiteren Kreisverkehr (Tobit-Kreisel, Legdener Straße) beginnen, wurden aber kurzfristig abgesagt. Der Grund: Bei einem Besuch in der Nachbargemeinde Heek wurde NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer einige Tage vorher (9.1.25) von Vertretern der BI angesprochen, wiese diese Arbeiten stattfinden könnten, obwohl noch gar keine Transportgenehmigungen bestünden. Daraufhin wies der Minister Straßen.NRW an, die geplanten Arbeiten nicht durchzuführen.
- In einem Schreiben vom 17.12.24 an Bürgerinitiativen teilt das BMUV durch seinen Staatssekretär Jan-Niclas Gesenhues mit, dass das Genehmigungsverfahren für die Beförderung der AVR-BE beim BASE „fast abgeschlossen“ sei, dass der Abtransport gleichwohl „aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen noch erhebliche Zeit in Anspruch nehmen“ könne. In die noch ausstehenden Prüfungen seien die Atomaufsicht des Landes NRW (also das MWIKE) und das BMUV eingebunden.
- In zwei nichtöffentlichen Sondersitzungen des Landtagsausschusses für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie am 25.02.25 und am 19.03.25 hat das MWIKE (Ministerin Neubaur) über den Stand der Prüfungen durch die Atomaufsicht informiert. Über die Inhalte ist gegenwärtig nichts bekannt. Lediglich die Information, dass das MWIKE seine Stellungnahme zu den Transportgenehmigungsanträgen bis zum 21.03.25 beim BASE einreichen soll, sickerte durch..
- Der BUND NRW bereitet eine Klage gegen die Transportgenehmigung vor.
Was ist mit einer eventuellen Verlängerung der Lagerdauer in dem bestehenden Lager in Jülich?
Seit 2012 gibt es ein Genehmigungsverfahren beim BASE zur weiteren Lagerung der AVR-BE in Jülich. Im Juli 2022 hat das BASE der JEN mitgeteilt, dass die von JEN inzwischen vorgelegten Nachweise „zum Gesamtkomplex der Sicherheit in Bezug zum Bemessungserdbeben“ die Anforderungen der anzuwendenden kerntechnischen Regeln erfüllen. Jedoch stünden „nach wie vor die Einreichung mehrerer wesentlicher Unterlagen durch den Betreiber JEN aus“.[13] Soweit bekannt, handelt es sich bei den fehlenden Nachweisen noch um Aspekte der IT-Sicherheit.
Im WDR-Stadtgespräch am 18.1.2024 sagte die Leiterin der JEN, Beate Kallenbach, das jetzige Zwischenlager in Jülich habe noch "sehr, sehr große Sicherheitsreserven." (WDR5 / 4:40) „Das Auslaufen der Genehmigung ist kein Indiz, dass sich das Lager in einem unsicheren Zustand befindet… Wir sind hier nicht in einem ungeordneten Zustand“. „Wir müssen diese Behälter noch mehrere Jahrzehnte zwischenlagern.“ (WDR5 / 5:30) [14]
Eine Verlängerungsgenehmigung wäre aufgrund der Gesamtstruktur des bestehenden Lagers wohl nur befristet möglich. Unseres Wissens war von 9 Jahren die Rede.
Am 13.08.24 legte „ausgestrahlt“ ein juristisches Gutachten des Rechtsanwalts Wollenteit vor. Demzufolge sei die Aufhebung der Räumungsverfügung durch das MWIKE durchaus möglich und könne durch eine befristete Duldung abgelöst werden: Die Hauptbedenken gegen das Lager (fehlende Erdbebensicherheit) seien mittlerweile ausgeräumt, die fehlenden Nachweise im Bereich der IT-Sicherheit seien geringer einzuschätzen als die mit den Transporten nach Ahaus verbundenen Risiken.[15]
In einer Mail des MWIKE vom 21.08. an „ausgestrahlt“ heißt es dazu, dass ein Widerruf der Räumungsanordnung weiterhin nicht angezeigt sei, solange kein konkreter Zeitplan für die Genehmigungserteilung des BASE vorliege.
Die Position der Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“:
Die Bürgerinitiative spricht sich strikt gegen die Transporte des Jülicher Atommülls nach Ahaus aus und fordert stattdessen, ihn in Jülich zu belassen. Dort sollte so schnell wie möglich eine neue erdbebensichere Lagerhalle errichtet und die Castor-Behälter dann dorthin umgelagert werden.
Die wesentlichen Gründe für unsere Position:
- Atommüll-Transporte sind niemals ohne Risiko und sollten wenn möglich vermieden werden. Der Atommüll sollte daher grundsätzlich an den Orten verbleiben, an denen er entstanden ist – solange es kein genehmigtes Endlager gibt. Dieses Prinzip, das seit über 25 Jahren für die kommerziellen Atomkraftwerke gilt, muss auch für Forschungs- und Versuchsreaktoren gelten.
- Die Zwischenlagerung hochradioaktiven Mülls in Ahaus ist bis zum Jahr 2036 genehmigt. Danach wäre eine Neugenehmigung erforderlich. Ob, wann und unter welchen Konditionen diese zustande kommt, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch offen. Die Genehmigung einer Lagerung der Jülicher Brennelemente in Ahaus wäre daher zunächst einmal auch nur als recht kurzfristige Zwischenlösung möglich.
- Im Fall des AVR Jülich kommt hinzu, dass dessen Kugelbrennelemente in der vorliegenden Struktur vermutlich nicht endlagerfähig sind. Sie müssen behandelt/abgereichert und konditioniert werden. Der Inhalt von 60 der 152 Jülich-CASTOREN ist außerdem nur geschätzt und muss vor einer Endlagerung klar definiert werden! (R. Moormann auf der Atommüllkonferenz in Kassel am 2.9.2017 / vom BfS bestätigt). Das aber erfordert eine Behälteröffnung. Diese ist ohnehin im Jahr 2033 zwecks Dichtigkeitsüberprüfung erforderlich.
- Entwicklung und Durchführung eines Konditionierungskonzepts sowie eine Behälteröffnung können aus technischen wie auch aus rechtlichen Gründen nicht in Ahaus stattfinden. Mit einem Transport der 152 Castor-Behälter nach Ahaus wäre es daher nicht getan: Irgendwann müssten erneut 152 Transporte an einen anderen Standort mit den entsprechenden Einrichtungen stattfinden, zurück nach Jülich oder irgendwo anders hin. Damit wird übrigens auch das Argument des angeblichen „Kostenvorteils“ bei einem Transport nach Ahaus als fragwürdig entlarvt.
- Mindestens zwei weitere Aspekte wurden bei der Behauptung des „Kostenvorteils“ auch nicht berücksichtigt: Zum einen wurden und werden die Kosten für die Polizeieinsätze für die 152 anstehenden Castor-Transporte nicht berücksichtigt; nach Aussagen des MWIKE NRW werden sie auch gar nicht ermittelt! Zum anderen wurde nicht mit berücksichtigt, dass das Zwischenlager in Ahaus vorläufig nur bis zum Jahr 2036 genehmigt ist. Für den Fall einer Verlängerung der Lagerung wäre ein neues Genehmigungsverfahren erforderlich, das mit großer Wahrscheinlichkeit auch den Neubau einer Lagerhalle, mindestens aber erhebliche zusätzliche Baumaßnahmen an der bestehenden Lagerhalle zur Folge hätte.
- Verantwortlich für Entwicklung und Durchführung des Konzepts zu Abreicherung und Konditionierung der Kugel-Brennelemente ist und bleibt die JEN. Das gilt im rechtlichen wie auch moralischen Sinne: Wissenschaft und Forschung handeln nur dann gesellschaftlich verantwortlich, wenn sie sich um die Lösung der von ihr selbst erzeugten Probleme kümmern und diese nicht auf den St. Nimmerleinstag verschieben oder/und auf die Gesellschaft abwälzt!
Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“,
März 2025
[1] Nähere Details dazu etwa bei Rainer Moormann, Das Chaos um die Kugelcastoren – Hintergründe und Lösungsansätze, in: „Strahlentelex“ 748/749, März 2018
[2] Siehe ebenfalls den zitierten Beitrag von R. Moormann
[3] Vgl. dazu die Ausführungen auf der Webseite von JEN, „Fragen und Antworten“, B4:https://www.jen-juelich.de/projekte/avr-brennelemente/fragen-antworten
[4] Vgl. „Münsterlandzeitung“ vom 01.12.2011
[5] (vgl. Präsentation von R. Printz, Kurzvorstellung der JEN GmbH, S.49, http://www.nationales-begleitgremium.de/SharedDocs/Downloads/DE/Downloads_26.Sitzung_19.02.2019/Anlage1_TOP1_JEN-Pr%C3%A4sentation.pdf?__blob=publicationFile&v=3)
[6] (Vgl. Webseite von H. Zdebel, http://www.hubertus-zdebel.de/atommuelllager-juelich-interessenskonflikte-unter-ministerien-statt-sicherheit/)
[7] B. Kallenbach-Herbert/A. Böcking/G. Caspary: Zukünftiger Verbleib der AVR-Brennelemente – aktueller Stand der Optionen, Präsentation auf dem „Jülicher Nachbarschaftsdialog“ am 6. März 2023
[8] Vgl. https://bgz.de/2023/06/26/ahaus-logistikunternehmen-fuehrt-lkw-testfahrten-durch/
[9] Vgl. WAZ vom 23.11.23
[10] Vgl. https://www.ausgestrahlt.de/media/filer_public/ee/33/ee336aac-817e-4dac-b0f0-0da35c883ba3/stellungnahme_transportjuelich_final_rb.pdf
[11] Schriftlicher Bericht für die Sitzung des Innenausschusses am 14.03.24 zum TOP „Wie soll ein reibungsloser Abtransport von Brennelementen des Forschungsreaktors Jülich sichergestellt werden? (Antrag der SPD-Fraktion vom 1.3.24), Landtags-Vorlage 18/2389, Anmerkung: Es handelt sich bei dem AVR in Jülich nicht um einen Forschungs-, sondern um einen Versuchsreaktor! BI Ahaus
[12] https://www.ausgestrahlt.de/media/filer_public/28/79/2879b772-0fdd-4312-bc4d-16c3f52a291f/zwischenlager-ahaus-brokdorf-ausgestrahlt.pdf
[13] Vgl. Webseite des BASE, Stand 16.02.2024, https://www.base.bund.de/DE/themen/ne/zwischenlager/standorte/kkj.html
[14] Nachzuhören im WDR5 Podcast (Zeitangaben im Text) https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/stadtgespraech/castor-behaelter-atommuell-100.html
[15] Vgl. https://www.ausgestrahlt.de/media/filer_public/b9/66/b9669e75-2e98-4400-a2f3-e1579bd7cfb9/kurzgutachten.pdf