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Frankfurter Rundschau im Juli 2008

Serie: Unsere Atomkraftwerke

Neckarwestheim I und II

Isar I und II

Philippsburg 1 und 2

Gundremmingen B und C

Biblis A und B

Brokdorf

Brunsbüttel

Emsland

Grafenrheinfeld

Grohnde

Krümmel

Unterweser

Die stillgelegten Anlagen

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ddp - Donnerstag, 17. Juli, 18:38 Uhr

Dortmund (ddp). Das Bundesamt für Strahlenschutz hat angesichts der neuen Atomdebatte vor ungeklärten Risiken der Kernkraft gewarnt. Die Endlagerung des hochgefährlichen Materials sei entgegen Aussagen von Atomkraft-Befürwortern noch nicht einmal technisch gelöst, sagte Behördenchef Wolfram König der «Westfälischen Rundschau» (Freitagausgabe). «Weltweit gibt es bis jetzt kein einziges Endlager für hoch radioaktive Abfälle.» Auch daher sollte am vereinbarten Atomausstieg festgehalten werden.

In Deutschland wird Atommüll bisher an zentralen Zwischenlagern Ahaus, Gorleben und Lubmin sowie dezentralen Zwischenlagern an Standorten der Kernkraftwerke aufbewahrt. Als mögliche Endlagerstätte für radioaktive Abfälle wird seit 1979 nur der Salzstock Gorleben in Niedersachsen geprüft. «Es gibt bisher keinen Sicherheitsnachweis für Gorleben als unterirdisches Endlager hoch radioaktiven Atommülls», mahnte König. Dafür seien noch mindestens 15 Jahre nötig.

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ZDF 07.2008

Die Sicherung des Endlagers Morsleben wird teuer für die Steuerzahler.

Nebenkosten exklusive

Die Lüge vom billigen Atomstrom

von Steffen Judzikowksi und Christian Rohde

Atomstrom sei billig, behaupten die Befürworter von Atomstrom - und lassen dabei milliardenschwere Nebenkosten unberücksichtigt. Die werden auf die Allgemeinheit abgewälzt. Zum Beispiel beim Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben (ERAM) in Sachsen-Anhalt. Die Kosten für den Gesamtverschluss des ehemaligen Salzbergwerks betragen nach Angaben des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) mindestens 2,2 Milliarden Euro. Diese Ausgaben übernimmt der Staat.

Die Energieversorger selbst hätten im Vergleich dazu nur einen sehr geringen Beitrag für die Entsorgung ihres Atommülls gezahlt, stellt der Präsident des BfS, Wolfram König, gegenüber Frontal21 fest. Von 1994 bis 1998 seien insgesamt 138 Millionen Euro Gebühren eingenommen worden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wiegelt ab, antwortet auf Nachfrage von Frontal21, man müsse die geschichtliche Entwicklung des Endlagers betrachten. Schließlich liege es im Osten, im Gebiet der Neuen Bundesländer. "Das ist ja nicht alles von der westdeutschen Energiewirtschaft verursacht", sagt Merkel.

Atommüll aus Westdeutschland

Dabei genügt schon ein Blick auf die "geschichtliche Entwicklung des Endlagers", um zu einem ganz anderen Ergebnis als die Bundeskanzlerin zu kommen. Denn von Beginn der Einlagerung 1971 - zu DDR-Zeiten - bis 1991 wurden in dem Lager rund 14.400 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktive Abfälle entsorgt. Dagegen wurden nach der Wiedervereinigung in einer zweiten Einlagerungsphase von 1994 bis 1998 rund 22.300 Kubikmeter Abfälle eingelagert, unter anderem Atommüll aus westdeutschen Kernkraftwerken.

INFOBOX Hintergrund:

Das Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle in Morsleben war bei der Wiedervereinigung übernommen und auf der Grundlage des DDR-Rechtes von der Bundesrepublik weiter betrieben worden. In dem ehemaligen Salzbergwerk an der alten Zonengrenze bei Helmstedt waren seit 1971 radioaktive Abfälle aus dem VEB Kernkraftwerk Greifswald gelagert worden - geheim und unter Aufsicht der Staatssicherheit. Seit 1998 ist die Einlagerung gestoppt. Die endgültige Sicherung des bereits still gelegten Lagers wird nach Angaben von König noch mindestens 15 Jahre dauern.

Das Endlager ist heute ein Sicherheitsrisiko. Im schlimmsten Fall könne Wasser eindringen und radioaktive Stoffe lösen, warnt Wolfram König. Damit könne auch das Grundwasser verseucht werden.

Göppel: Kernenergie keine Lösung

Bislang gibt es weltweit kein funktionierendes Endlager für hochradioaktiven Müll. Dennoch setzt Kanzlerin Merkel weiter auf Atomstrom. "Da glaube ich, dass die Kernenergie aus deutscher Sicht eine Energiequelle ist, bei der wir nicht angesichts des technischen Zustands unserer Kraftwerke sagen sollten, in zwölf Jahren sind wir aus diesem Bereich völlig ausgestiegen", sagt sie.

Josef Göppel warnt vor Risiken der Kernenergie.

Doch jetzt wird auch in der Union erstmals Kritik laut am Atomkurs der Kanzlerin. "Die Kernenergie kann nicht die Energieprobleme der Zukunft lösen. Vor allen Dingen beschränkt sie sich nur auf einen Teilbereich, nämlich die Stromerzeugung, das ist der erste Punkt", sagt der Umweltobmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Josef Göppel gegenüber Frontal21. "Der zweite Punkt ist, dass die Endlagerung in keinem Land der Erde gelöst ist. Und der dritte Punkt ist das große Risiko, das mit dieser Technologie verbunden ist."

Atomindustrie: angemessen gezahlt

Die Vertreter der Atomindustrie behaupten unterdessen weiter Umwelt- und Kostenvorteile. Atomenergie sei zwar kein Heilsbringer, meint der Präsident des Deutschen Atomforums, Walter Hohlefelder, aber sie könne angesichts steigender Energiekosten und Klimaschäden einen Beitrag leisten.

Gegenüber Frontal21 weist er den Vorwurf zurück, die Atomindustrie habe sich auf Kosten der Steuerzahler ihrer Abfälle entledigt. Der Preis, den die Industrie für die Einlagerung gezahlt habe, sei angemessen gewesen und habe anteilig auch die Kosten der Stilllegung beinhaltet. Hohlefelder hatte nach der Wende mit dafür gesorgt, dass Morsleben der westdeutschen Atomwirtschaft offenstand. Allerdings damals noch auf der Seite der Politik, denn unter CDU-Kanzler Helmut Kohl war er Abteilungsleiter Endlagersicherheit und blieb es bis 1994. Heute ist er Cheflobbyist der deutschen Atomwirtschaft.

Sicherheitsbedenken ignoriert

Nach der Wende kam den Energieversorgern die Endlagerung in Morsleben gerade recht, meint Peter Dickel von der Bürgerinitiative Morsleben-Netzwerk. "Faktisch ist es so gewesen, dass in den 90er Jahren die Atomkraftwerke voll standen mit Betriebsabfällen, die von der Bildfläche verschwinden sollten", sagt Dickel. "Es war nicht in Sicht ein Endlager, was im Westen genehmigt werden könnte, und da waren die Kraftwerksbetreiber heilfroh, ihren Müll hier los zu werden, für wenig Geld."

In unterirdischen Hohlräumen sind in Morsleben Atommüll-Fässer gelagert.

Sicherheitsbedenken und Proteste der Anwohner habe es damals bereits gegeben, stellt Dickel fest. "Wir haben kritisiert, dass die Anlage einfach nicht geeignet ist", sagt der Atomkraftgegner. Seit mehr als 30 Jahren kämpft er gegen die Endlagerung in der Region - auch die Anlage in Morsleben. "Sie ist zu groß, falsch gebaut, es ist ein Wirtschaftsbergwerk und kein Endlagerbergwerk: Da sind Wasser führende Schichten, es bröckelt auseinander, da kann man nicht einlagern und vor allem keine Langzeitsicherheit garantieren."

Merkel setzt Nutzung durch

Auch das Umweltministerium Sachsen-Anhalt hatte Mitte der 90er Jahre Bedenken gegen die Ausweitung und Art der Entsorgung im ERAM. Unter anderem sah das Ministerium die Standsicherheit des ehemaligen Bergwerks gefährdet, wenn Abfallfässer mit mehr als 400 Kilogramm Gewicht in Hohlräume fallen. Bei der so genannten Abkipptechnik werden die Fässer von oben in den Hohlraum geworfen und nicht unterirdisch gestapelt.

Doch die damalige Bundesumweltministerin Angela Merkel schob die Bedenken der Landesregierung Sachsen-Anhalt beiseite und gab 1997 die Weisung, "den zur Optimierung des laufenden Einlagerungsbetriebes geplanten Versturz von Abfallfässern bis 1.100 Kilogramm in dem Endlager [...] nicht weiter zu blockieren."

"Atomenergie konkurrenzlos teuer"

So wurde trotz aller Bedenken weiter radioaktiver Müll in die Hohlräume des Bergwerks gefüllt - eine gefährliche Hinterlassenschaft für Gegenwart und Zukunft. Die Kosten für die Absicherung der Atomrisiken tragen vor allem die Bürger. "Faktisch ist Atomenergie konkurrenzlos teuer", kritisiert deshalb Peter Dickel. "Insbesondere wenn man das sieht, was in Deutschland nicht die Konzerne zahlen - die damit Profite machen - sondern was die Steuerzahler zahlen." Unter anderem koste auch die Stilllegung des ehemaligen Salzbergwerks Asse II und die Sicherung alter Atomforschungseinrichtungen mehrere Milliarden Euro. "Das sind alles Kosten, die nicht eingerechnet werden in den Strompreis, die wir aber alle bezahlen müssen."

Mit Material von ZDF © ZDF 2008

Videomaterial :Frontal-Beitrag ZDF

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Tagesspiegel, 09.07.2008

Kommentar

Atomkraft? Nein danke!

Die Energiekrise ist kein Argument für ein nukleares Comeback. Dabei wird das eigentliche Problem wieder einmal unter den Teppich gekehrt, bis zum nächsten Tschernobyl. Es ist immer wieder erstaunlich, wie wandlungsfähig Politiker sind. In den 70er Jahren kämpften die Grünen und große Teile der SPD für eine ökologische Wende, gegen den erbitterten Widerstand der Union. Heute beschuldigen ausgerechnet die Vorsitzenden der christlich- konservativen Parteien ihre ökologisch gesinnten Gegner, nicht genug gegen den Klimawandel zu tun, jedenfalls nicht das Richtige.

Richtig wäre, davon sind Angela Merkel und Erwin Huber überzeugt, den von Rot-Grün beschlossenen und im Koalitionsvertrag verankerten Atomausstieg rückgängig zu machen. Damit das nicht wie Vertragsbruch aussieht, werden regelmäßig "unerwartete Entwicklungen“ ausgemacht, die den Beschluss von damals in neuem Licht erscheinen lassen – Verträge können ja auch im normalen Leben gekündigt werden, wenn die Geschäftsgrundlage wegfällt.

Die SPD ist kurz vor dem Einknicken

Der alarmierende Bericht des Klimarates der Vereinten Nationen (IPCC) 2007 war für industriefreundliche Politiker so ein unerwartetes Ereignis. Jedenfalls forderten sie daraufhin vehement eine Rückkehr zur Kernenergie, der Umwelt zuliebe. Ein halbes Jahr später warnte die Internationale Energieagentur (IEA) vor Abhängigkeit von russischem Erdgas – sofort forderten konservative Politiker und Strommanager längere Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke (Akw).

Jetzt sind auch noch die Öl- und Gaspreise explodiert: Der Schrei nach einem Ausstieg aus dem Atomausstieg wird ohrenbetäubend, die SPD ist kurz vor dem Einknicken – schließlich stehen Wahlen vor der Tür und in Umfragen ist mittlerweile fast die Hälfte der Bevölkerung für längere Laufzeiten.

Längere Laufzeiten sind lebensgefährlich

Trotz berechtigter Angst vor schwindendem Wohlstand, politischer Destabilisierung und Treibhauseffekt darf jedoch nicht einfach verdrängt werden, weswegen der Atomausstieg seinerzeit beschlossen wurde: Die Kernenergie birgt das konkrete Risiko, Hunderttausende Menschen zu töten und erhebliche Teile der Erdoberfläche unbewohnbar zu machen.

Die Gefahr ist nicht geringer, sondern sogar noch höher als vor zehn Jahren. Zwar ist die neueste Reaktorgeneration deutlich besser gegen Kernschmelze und austretende Radioaktivität geschützt. Doch die gestiegene Gefährdung durch Terroranschläge macht den technischen Sicherheitsfortschritt mehr als zunichte.

Zudem sind neue Kernkraftwerke astronomisch teuer und die Hersteller auf Jahrzehnte ausgebucht. Deshalb bewirkt die zunehmende Akzeptanz der Nukleartechnik vor allem, dass veraltete Akw länger laufen dürfen, insbesondere in Ländern mit schlechten Sicherheitsstandards und mangelndem Schutz vor Anschlägen.

Kollektiver Wahnsinn

Schließlich ist das Kardinalproblem der Kernenergie weltweit nach wie vor ungelöst: Rund 300.000 Tonnen hoch radioaktiver Abfall, darunter 2000 Tonnen des giftigen Bombenstoffes Plutonium, strahlen mangels Endlager in überirdischen, improvisierten Hallen vor sich hin. Dass in dieser Situation zu den rund 450 existierenden AKW demnächst rund 100 neue hinzukommen sollen, die meisten in Entwicklungs- und Schwellenländern, grenzt an kollektivem Wahnsinn.

Übrigens wurden die angeblich „neuen“ Argumente für die Kernenergie – Verknappung fossiler Energieträger, Klimawandel und Abhängigkeit vom Öl- und Gasimport – bereits vor zwanzig Jahren diskutiert. Deshalb war der Atomausstieg mit dem Vorsatz verbunden, nachhaltige Energien schnell weiterzuentwickeln.

Bequemlichkeit hilft nicht weiter

Doch die Windradhersteller sahnten lieber Subventionen für nutzlose Generatoren an Land ab, statt in die teure Offshoretechnik zu investieren. Biosprit wird – ernährungsökonomisch unsinnig – aus Getreide, Zuckerrohr und Pflanzenölen gewonnen, statt Verfahren für die Verwertung von Zelluloseabfällen zu entwickeln. Die Solarenergie kommt noch schleppender voran, von den Irrwegen bei der Wasserkraft – etwa in China – ganz zu schweigen.

Bei der Energieversorgung geht es der Menschheit deshalb wie beim Klimaschutz: Weil sie jahrzehntelang bequem weitermachte wie bisher, ist die Krise jetzt nicht mehr abzuwenden – das Gebot der Stunde heißt "Anpassung“. Also müssen, mangels Alternativen, die Restlaufzeiten der Kernkraftwerke notgedrungen verlängert werden.

Das löst das Energieproblem aber genauso wenig wie ein höherer Deich das Erdklima rettet. Und es birgt die Gefahr, dass sich alle wieder für ein paar Jahrzehnte zurücklehnen – weil es bequem ist und der Strom ja sowieso aus der Steckdose kommt. Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle

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fr-online.de 10.07.2007

Atommüll

Strahlender Sumpf

VON PETER MLODOCH

Herbert Meyer beruhigt. "Die Detektoren schlagen nur auf Ihre Körperaktivität an", sagt er, natürliches Kalium 40. Und sonst? "Wir sind hier unterdosiert." Hier, das ist in 490 Meter Tiefe das Auslaug-Versuchsfeld des Atommüll-Endlagers Asse II, hier herrscht nur ein Zehntel der normalen Strahlung an der Erdoberfläche. Meyer ist der Strahlenschutzbeauftragte des Betriebes bei Remlingen im Landkreis Wolfenbüttel.

Zwölf gelbe Fässer stehen akkurat aufgereiht hinter einer gelb-schwarzen Kette, davor Warnschilder "Kontrollbereich - Radioaktivität". Zwölf Fässer, fünf mit Uran, fünf mit Cäsium 137, zwei mit Neptunium. Das Forschungszentrum Karlsruhe untersucht hier, wie schnell strahlende Isotope aus einem Zementblock ausgespült werden, der in einer Salzlösung steht. Nein, nichts Illegales, nichts Geheimes, Meyer widerspricht wüsten Spekulationen der Asse-Gegner.

Knapp 300 Meter tiefer im ehemaligen Salzbergwerk redet auch Heinz-Jörg Haury über natürliche Strahlung. "Da kriegen Sie im Schwarzwald mehr ab", sagt er und in seiner Stimme scheint ein leicht verächtlicher Unterton mitzuschwingen. Haury spricht für das Münchner Helmholtz-Zentrum, das im Auftrag des Bundesforschungsministeriums die Asse als sogenanntes Versuchsendlager betreibt.

Lecks im Salzstock

Eine Besuchergruppe um den niedersächsischen Umweltstaatssekretär Stefan Birkner (FDP) steht vor der Abbau-Kammer 12. "Vorsicht Kontamination" warnt ein Blechschild. Dahinter stehen vier Plastikbottiche mit schwarz-gelben Radioaktivitätsaufklebern, ein paar Schläuche führen in eine dunkle Ecke. Dort ist der Sumpf, der plötzlich die Aufmerksamkeit auf die fast schon vergessene Asse richtete. Salzbrühe läuft in den Sumpf, verseucht mit Cäsium 137. Der zulässige Grenzwert wurde zeitweise um das Elffache überschritten.

Als die verstrahlte Suppe 2005 bei Sicherungsarbeiten in den maroden Salzkammern entdeckt wurde, entschlossen sich die Helmholtz-Leute, die Lauge einfach tiefer auf die 950-Meter-Sohle zu pumpen - ohne Genehmigung, ein Anruf beim Landesbergamt sollte genügen. Das Umweltministerium in Hannover wurde nach eigenen Angaben nicht über die Strahlenbelastung unterrichtet.

"Wir mussten doch unsere Arbeiter vor der Strahlung schützen", sagt Asse-Betriebsleiter Günther Kappei am Tatort zu der Aktion. Man habe geglaubt, das Verklappen in die Tiefe sei von den Betriebsplänen gedeckt. Staatssekretär Birkner, der in Absprache mit Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und dessen Forschungskollegin Annette Schavan (CDU) als Art Sonderermittler fungiert, hört sich die Erklärungen mit ungerührter Miene an. "Bei der Asse darf es keine Betriebsgeheimnisse geben", gibt er dann als beschwörende Parole aus. Kappei und seine Kollegen nicken stumm.

Das illegale Abpumpen wurde vor einigen Wochen gestoppt, die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt, der Referatsleiter im Bergamt wurde versetzt. 30 Liter täglich, berichtet der Betriebsleiter, fließen immer noch in den Sumpf, dafür betrage die Strahlenbelastung nur noch das Dreifache.

Eine plausible Erklärung für die erhöhte Dosis gibt es nicht. Als Ursache kommt ein Unfall beim Rangieren mit Atommüllfässern im Jahre 1973 ebenso in Betracht wie ein Kontakt eindringender Salzlauge mit den Strahlenabfällen. "Wir müssen erst die alten Unterlagen sichten", blockt Kappei weitere Fragen ab.

Für die Betreiber ist der verstrahlte Sumpf sowieso nicht das Hauptproblem, das liegt in der Südflanke auf 737 Meter zwischen den ehemaligen Abbaukammern 2 und 3. Riesige Risse durchfurchen den Salzpfeiler, von der Decke bröckelt Gestein ab. Um sechs Meter hat sich der Salzstock in den vergangenen 20 Jahren verschoben, berichtet Kappei. "Spätestens 2016 ist die Tragfähigkeit der Pfeiler erschöpft. Dann halten sie dem Druck nicht mehr stand."

Zum Einsturzszenario kommt die Absaufgefahr der Asse. Auf 658 Meter Tiefe steht eine große Stahlwanne, die ein Rinnsal aus einem Rohr auffängt. Das Plätschern trügt. 10 000 Liter Salzlauge täglich fließen hier rein, lockern das poröse Salz weiter auf. An anderer Stelle sind es noch mal 2000 Liter. Einziger Trost: Beide Lecks befinden sich oberhalb der Lagerkammern mit Atommüll. "Zum Glück ist diese Lauge nicht kontaminiert", sagt Kappei.

Panne färbt auf Konrad ab

Die Besichtigungstour zu den Problemstellen nutzen die Helmholtz-Leute, um für ihr umstrittenes Schließungskonzept zu werben. Danach bleiben die 126 000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen in der Asse, das Bergwerk wird im unteren Bereich mit 600 000 Kubikmetern Spezialbeton, in der maroden Südflanke mit 1,2 Millionen Kubikmetern Magnesiumchloridlösung verfüllt. Das Wort "Flutung" will Projektleiter Gerd Hensel nicht hören. Mit dem "Schutzfluid" würden lediglich die Poren zwischen dem bereits aufgeschütteten Salz geschlossen.

Kappei und Hensel schließen aus, den Strahlenmüll wieder aus der Asse zu holen. "Da müssten Sie ja mit der Hand buddeln", sagt Hensel und deutet hinter ein Absperrband. Im Kunstlicht der Kammer 7 tauchen die Reste von einigen gelben Fässern auf, verkrustet, verschmutzt, verrostet. Wie auf einer wilden Müllhalde hingeschüttet und notdürftig mit Salz und Beton überdeckt. Wie es darunter aussieht, vermag sich niemand auszumalen. "Abkipptechnik" nennt ein offizielles Helmholtz-Plakat die Methode, den Atommüll per Schaufellader hierher zu verfrachten. Stapeln wäre damals zu gefährlich für die Mitarbeiter gewesen, erläutert Strahlenschützer Meyer . "Verheerend" entfährt es Birkner. Dem Staatssekretär schwant, dass die Gammel-Fässer ihre ewige Ruhestätte gefunden haben dürften.

Die paar Demonstranten vor dem Stahltor haben ebenso wenig wie Umweltschützer für die Altlast ein Rezept parat. Sie tragen ein gelbes Holz-A mit der Aufschrift "aufpASSEn" und ein Spruchband "Gorleben und Konrad - so sicher wie die einstürzenden und absaufenden Endlager Asse und Morsleben". Für sie sind die Vorfälle in der Asse, die lange Jahre als Pilotanlage für den Salzstock Gorleben galt, symptomatisch für die ungelöste Endlagerfrage.

20 Kilometer weiter westlich in Salzgitter werden die Bergleute im Schacht Konrad wütend, wenn das Wort Asse fällt. In dem ehemaligen Eisenerzbergwerk laufen seit langem längst die Vorbereitungsarbeiten für die Einlagerung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen. Rund 300 000 Kubikmeter Strahlenmüll aus Forschungsreaktoren und dem Abriss von Atomkraftwerken sollen ab 2013 hierher verfrachtet werden. Derzeit wird der Einlagerungsschacht saniert. Riesige Schneidemaschinen fräsen die unterirdischen Zufahrtswege zu den späteren Lagerkammern auf einen transporttauglichen Querschnitt.

Mit einer offensiven Informationspolitik versucht der hiesige Betreiber, das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), die Skeptiker zu überzeugen. Nur glauben mag keiner mehr den Worten über die Sicherheit. "Das erzählt man uns doch bei der Asse auch seit Jahrzehnten", empört sich Anti-Konrad-Aktivist Peter Dickel. Von einem Super-Info-GAU spricht BfS-Präsident Wolfram König. Die Asse habe der Glaubwürdigkeit seiner Behörde einen großen Schaden zugefügt, stöhnt er. Die Lage sei ausgesprochen ernst.

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Spiegel.de 10. 07. 2008

ALTES ATOMKRAFTWERK

RWE will Biblis A bis 2010 am Netz halten

RWE will Deutschlands ältestes Atomkraftwerk für eine Revision vorübergehend stilllegen und damit den Zeitpunkt hinauszögern, zu dem Biblis A vom Netz genommen werden muss. So kann das Kraftwerk bis nach der Bundestagswahl in Kraft bleiben - wenn möglicherweise eine atomfreundlichere Regierung im Amt ist.

Hamburg - 125 Tage lang soll Biblis A modernisiert und nachgerüstet werden - das kündigte Kraftwerkssprecher Frank Staude am Donnerstag im hessischen Biblis an. Er bestätigte damit einen entsprechenden Bericht der Zeitung "Mannheimer Morgen".

Für die Arbeiten müsse der Reaktor von Mai bis September 2009 abgeschaltet werden, sagte der Leiter der Anlagentechnik des Kraftwerks, Jürgen Haag, der Zeitung. Aufgrund der im Atomgesetz zugestandenen Strommenge würde sich die Laufzeit verlängern - Block A dürfte dann noch bis ins Jahr 2010 in Betrieb bleiben.

Nach den im Atomkonsens vereinbarten Restlaufzeiten hätte Biblis A eigentlich bereits vom Netz gehen müssen. Wegen fehlerhaft eingebauter Dübel wurde der Reaktor jedoch von Herbst 2006 bis Frühjahr 2008 abgeschaltet. So verlängerte sich die Laufzeit bis Herbst 2009, dem Termin für die nächste Bundestagswahl.

Mit dem Aufschub, der durch die Revision gewonnen wird, wäre Biblis A noch in Betrieb, wenn eine neue, möglicherweise atomfreundlichere Bundesregierung gebildet wird.

"Eine Revision von mehreren Monaten ist nichts Außergewöhnliches. Dass wir damit hinten Laufzeit gewinnen, ist aber auch klar", sagte Kraftwerkssprecher Staude. Der Konzern könne es sich nicht leisten, bei einem Kernkraftwerk nur wegen dem nach Atomgesetz nahenden Ende der Laufzeit auf Nachrüstungen und Prüfungen zu verzichten. Die Hoffnung von RWE auf einen Wechsel in der Atompolitik nach der Bundestagswahl verhehlte Staude nicht: "Dahinter steht natürlich auch, dass wir Block A auf einem technischen Stand halten, der es uns erlaubt, ihn weiterzubetreiben, wenn die Politik uns das ermöglicht."

RWE hatte bei Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) vergeblich beantragt, mit der Übertragung von Reststrommengen aus Mülheim-Kärlich die Laufzeit für Block A um drei Jahre zu verlängern, um mit Block B gleichzuziehen. Dieser muss dem Atomkonsens zufolge 2013 vom Netz. Auch Block B wird von Ende Januar bis Ende Mai 2009 wegen einer geplanten Revision abgeschaltet.

ase/dpa-AFX

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Stuttgarter Nachrichten 09.07.2008

Radioaktive Lösung ausgetreten

Uran-Unfall in Südfrankreich

Aus der südfranzösischen Atomanlage Tricastin ist radioaktive "Uranlösung" ausgetreten

Paris - Einen Tag nach einem Uranunfall in der französischen Atomanlage Tricastin bei Avignon ist ein Streit um das Ausmaß der Gefahr entbrannt. Die zuständige Präfektur verlängerte zunächst die Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung.

In drei Gemeinden blieben das Baden und das Fischen in den Flüssen sowie die Wasserentnahme für Bürger und Bauern verboten. Bei dem Unfall waren 360 Kilogramm abgereichertes Uran in die Umwelt gelangt. Die Atomaufsicht stufte das Risiko als "gering" ein. Unabhängige Experten warnten dagegen vor der Giftigkeit des Urans und dem Krebsrisiko durch die Strahlung.

Der Unfall hatte sich am Dienstagmorgen bei Reinigungsarbeiten in einem Werk der Firma Socatri ereignet, die Atommüll behandelt und Material aus der Urananreicherungsanlage Eurodif aufbereitet. Dabei waren 30 Kubikmeter Flüssigkeit mit 360 Kilogramm abgereicherten Uran aus einem undichten Kessel entwichen. Ein Teil blieb auf dem Firmengelände, ein anderer Teil lief in nahe Gewässer. Socatri erklärte, nur 75 Kilogramm Uran seien tatsächlich in die Umwelt gelangt. Die Bevölkerung wurde erst Stunden später informiert.

Tricastin ist nach der Wiederaufbereitungsanlage La Hague die größte französische Atomanlage. Neben vier Kernreaktoren umfasst das Gelände geheime Militäranlagen, das Werk der Eurodif-Tochter Socatri und ein Lager für militärische Atomabfälle.

Die Atomaufsicht ASN stufte den Unfall in der Skala von null bis sieben auf eins. Die Uranbelastung der Rhône-Zuflüsse Gaffière und Auzon sei zwar 1000 mal so hoch gewesen wie normal, nehme aber wegen der Verdünnung schnell ab. Ein Teil des Urans sei mit dem verseuchten Boden aufgenommen und entfernt worden.

Socatri erklärte zunächst, der von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlene Höchstwert für die Trinkwasserbelastung sei kurzzeitig um das den Faktor 1000 überschritten worden. Am Mittwoch erklärte Socatri, Wasserproben hätten keine Belastung ergeben. Die Präfektur versicherte, für die Bevölkerung bestehe keine nennenswerte Gefahr. Die Bade- und Fischverbote seien eine Vorsichtsmaßnahme. Das Ausmaß der Strahlenbelastung werde in den kommenden Wochen systematisch gemessen werden. Das Grundwasser sei nicht betroffen.

Die Umweltschutzbewegung Sortir du Nucléaire nannte es dagegen "unmöglich", dass die Bevölkerung nicht gefährdet sei. Wer die Uranpartikel einatme oder mit dem Wasser aufnehme, setze sich einer erheblichen Krebsgefahr aus. Die Kommission für Unabhängige Forschung und Information über Radioaktivität (CRIIRAD )erklärte, man könne davon ausgehen, dass die für das Gesamtjahr zulässige Obergrenze um das Hundertfache überschritten worden sei. Der errechnete Wert liege bei dem 128-Fachen. Das unmittelbare Gesundheitsrisiko sei zwar nicht sehr hoch, doch der Vorfall belege die Unsicherheit der Anlage.

Abgereichertes Uran gibt etwa 60 Prozent der Strahlung von Natururan ab und ist hochgiftig. CRIIRAD forderte die Behörden auf, unverzüglich die gemessenen Strahlenwerte und die Analyse der Radionukleide mitzuteilen, um die Gefährdung der Anwohner beurteilen zu können. Das Institut für Strahlenschutz IRSN erklärte dagegen, derzeit bestehe "keine Gefahr, denn die Leute können kein Wasser mehr aus diesen Flussläufen pumpen". Außerdem würden Stichproben entnommen. "Jetzt geht es um die längerfristige Überwachung des Grundwassers."

AP

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Spiegel-Online.de 08. Juli 2008

ATOM-RENAISSANCE

Wahlkampfknaller mit Restrisiko

Von Severin Weiland

Längere Laufzeiten, neue Kraftwerke, Atomstrom als angebliche Ökoenergie: Die Debatte könnte für die Union 2009 ein ergiebiges Wahlkampfthema werden - wenn sie nur eine gemeinsame Linie finden würde. Denn in Wahrheit geht es derzeit wie in der SPD durcheinander.

Berlin - Forsa-Chef Manfred Güllner hat die Deutschen in den vergangenen Jahren regelmäßig nach ihrer Meinung zur Atomkraft fragen lassen. Es gab ein Ereignis, das die Debatte seit mehr als zwei Jahrzehnten bestimmte: den verheerenden Unfall im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl 1986.

Danach war die Technik in weiten Teilen der Bevölkerung abgeschrieben. "Wir hatten eine stabile Meinungsstruktur gegen Kernkraft - aber das bricht jetzt gerade auf", sagt Güllner zu SPIEGEL ONLINE. Stärker noch als die Sorge vor einem Atomunfall sei mittlerweile die Angst vor steigenden Energiekosten und davor, eines Tages "im Kalten und Dunkeln zu sitzen".

Und so glaubt der Meinungsforscher, dass CDU und CSU mit ihrem Plädoyer für längere Laufzeiten bestehender Kernkraftwerke auf dem richtigen Kurs sind, zumindest für ihre Klientel. Sollte das Thema im Wahljahr 2009 kontrovers diskutiert werden, dann könne die Union davon eher profitieren als die SPD. Güllner: "CDU und CSU greifen ein Thema auf, das viele Menschen bewegt. Die SPD dagegen ist einmal mehr in Gefahr, zerrieben zu werden und außerdem noch die eigene Anhängerschaft zu spalten."

Mit Atomkraft also im Herbst 2009 punkten? So weit würde Güllner nicht gehen, aber eine "Entdämonisierung" der Atomenergie sei eindeutig auszumachen. Die Forderung der Union nach längeren Laufzeiten werde auch in einem Teil der SPD-Anhängerschaft für "modern und pragmatisch" gehalten.

Pofalla entdeckt die Atom-"Öko-Energie"

2005 hatten sich SPD und Union im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, den Atomkonsens der rot-grünen Ära nicht anzutasten. Es blieb also vorerst beim Ausstieg aus der Kernenergie. Weitaus interessanter ist da schon die Frage, ob im kommenden Bundestagswahlkampf CDU und CSU mit der Kernenergie wirklich punkten können. Schon 2005 hatte Angela Merkel das Thema in ihren Reden zwar nicht gemieden - groß herausgestellt wurde es aber auch nicht.

Derzeit ist das Thema durch eine Reihe von Interviewäußerungen von Unionspolitikern fast täglich in den Medien. Erst kürzlich hatte das CDU-Präsidium für die Atomkraft in ihrem Klimapapier festgehalten: "Auf absehbare Zeit kann auf den Beitrag der Kernenergie zur Stromerzeugung in Deutschland nicht verzichtet werden." Anschließend sagte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla, für seine Partei sei die Kernkraft "Öko-Energie".

Es war der Versuch, mit einer neuen Begrifflichkeit die unter den Deutschen ungeliebte Atomkraft ein Stück weit salonfähig zu machen.

Pflüger will Atomkraft als "Brückentechnologie"

Doch in den vergangenen Tagen drohte die Auseinandersetzung bei der Union unübersichtlich zu werden - weg von der Laufzeitverlängerung hin zum Neubau von Kernkraftwerken. So räsonierte Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) öffentlich über den Neubau von Anlagen. Zwar nahm sie die Forderung nicht wörtlich in den Mund, sagte nur, es gehe "heute" nicht darum, neue Kernkraftwerke in Deutschland zu bauen. "Aber wer kann sagen, ob das noch in zehn Jahren gilt?", schob die CDU-Vizechefin hinterher. Andere wurden gleich deutlicher. Der Chef der Jungen Union, Philipp Mißfelder, verlangte neben längeren Laufzeiten neue Kernkraftwerke.

Es war Ole von Beust, der in Hamburg die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene führt, der indirekt zum Einhalt mahnte. In der Union sei es "weitgehend Konsens", auf den Neubau von Atomkraftwerken zu verzichten, sagte er.

Ähnlich äußert sich CDU-Präsidiumsmitglied Friedbert Pflüger. "Die Kernkraft kann nur dann ein richtiges Thema sein, wenn deutlich wird, dass sie eine Brückentechnologie ist, mit der wir den Übergang zu regenerativen Energien schaffen, die Explosion bei den Energiepreisen eindämmen und die Abhängigkeiten von internationalen Energieanbietern verringern", sagt er SPIEGEL ONLINE.

Pflüger plädiert deshalb auch für einen "Atomkonsens II" mit der Energiewirtschaft. Um Handlungsfähigkeit nach innen und außen zu zeigen, müsse der Konflikt über die Kernkraft in der Großen Koalition überwunden werden. Es müsse möglich sein, die Laufzeiten sicherer und moderner Kraftwerke zu verlängern. Gleichzeitig müsse "Abstand genommen werden vom Bau neuer Kernkraftwerke".

Es sei auch klar, dass Atomkraftwerke nicht den entscheidenden Anteil im Kampf gegen den Klimawandel und gegen steigende Energiepreise hätten, so der CDU-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus. Deutschland habe bei regenerativen Energien einen technologischen Vorsprung, den es nicht aufgeben dürfe. Daher ist Pflüger auch dafür, dass die Energiewirtschaft einen Teil der Gewinne für abgeschriebene Atommeiler in einen Fonds einspeist, aus dem wiederum regenerative Energie gefördert wird.

Göppel sieht den AKW-Neubau als "Scheinausweg"

Bei der Schwesterpartei CSU, die im September eine Landtagswahl zu bestreiten hat, war das Thema Atomkraft an diesem Dienstag auch auf der Agenda. Parteichef Erwin Huber forderte die Sozialdemokraten auf, wenigstens einer Verlängerung der Laufzeit deutscher Kernkraftwerke zuzustimmen. Die SPD müsse "vom verhängnisvollen Irrtum ihrer Zusammenarbeit mit den Grünen Abschied nehmen".

Der CSU-Bundestagsabgeordnete und Umweltpolitiker Josef Göppel hingegen, der in Energiefragen oft einen anderen Kurs als die Gesamtpartei vertritt, will zwar über konkrete Verlängerungen bei einzelnen Kernkraftwerken reden - allerdings "gegen klare Zusagen über die Verwendung der Einnahmen, wenn die jeweilige Entscheidung ansteht". Denn Göppel befürchtet, dass ein genereller Beschluss zur Verlängerung von Laufzeiten "Einsparbemühungen und Entwicklung der erneuerbaren Energien verschleppen würde". Zur Forderung in Teilen der Union, neue Atomanlagen zu bauen, sagt er SPIEGEL ONLINE: "Mehr Kernkraft ist ein Scheinausweg, weil Wärme- und Treibstoffversorgung nicht gelöst werden."

Die Sorge vor einem Brand

Dass die Debatte über die Kernenergie Risiken birgt, ist in der Unionsspitze klar, vor allem wegen der Bundestagswahl im kommenden Jahr. Die tief verunsicherte SPD sucht nach einem emotionalen Thema, ist man überzeugt.

Erst kürzlich schilderte ein Mitglied aus der CDU-Führungsebene sein ganz persönliches Schreckenszenario: Während die Union über die Verlängerung von Laufzeiten rede, brenne ausgerechnet im Sommer 2009 auf dem Gelände eines Atomkraftwerks in Deutschland ein Holzschuppen. Die Chance zur Profilierung würde sich die SPD mit Sicherheit nicht entgehen lassen.

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bi-luechow-dannenberg.de Pressemitteilung 8. Juli 2008

Atomkraftdebatte: Atommüll - Entsorgung wird ausgeblendet

Knapp zwei Jahre vor den nächsten Bundestagswahlen ist der Streit um die Zukunft der Atomkraft voll entbrannt. Auch wenn es "nur" um die Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Atommeiler und nicht um kostspielige Neubauten geht, werde aus Sicht der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. bei einer Abwägung von Kosten und Risiken der Atomkraft ein gewichtiger Faktor, die ungelöste nukleare Entsorgung, von den Lobbyisten bewusst ausgeblendet. "Die Medienkampagne für die Verlängerung der AKW-Laufzeiten und die Mär vom billigen Atomstrom ist zu durchsichtig angelegt, es geht den Akteuren nicht um gesellschaftliche Verantwortung, sondern um Profite", warnt ein BI-Sprecher. Wer Atommeiler monatelang repariere und dabei auf eine erhoffte Kursänderung in der Atompolitik schiele, mache sich in der Debatte um die Energieträger der Zukunft unglaubwürdig.

Kosten hingegen würden auf die Steuerzahler abgeladen. Die havarierten Atommülldeponien Asse II und das Endlager Morsleben schlügen bei den Müllverursachern mit keinem Cent zu Buche. Eine vergleichende Standortsuche alternativ zu Gorleben, wie sie inzwischen politisch und wissenschaftlich als Mindestvoraussetzung bei der Endlagersuche anerkannt sei, müsse von den Verursachern des Mülls getragen werden. "Wer an der Atomkraft verdient, muss auch dafür zahlen", so die Bürgerinitiative.

Befürchtet wird seitens der Gorleben-Gegner, dass es massive Abstriche in der Sicherheitsphilosophie bei der Endlagerung radioaktiver Abfälle geben wird. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hat für den Herbst zu einem Endlagersymposium in die Hauptstadt eingeladen, auf dem die Sicherheitskriterien für eine Endlagerung erläutert werden sollen. "Aus den Erfahrungen in der Asse II muss unbedingt der Schluss gezogen werden, dass als Sicherheitsbarriere das Deckgebirge unverzichtbar, also eine wasserabweisende durchgehende Tonschicht vorhanden ist", fordert der BI-Sprecher.

Das erste in Deutschland eingerichtete atomare Endlager, der Schacht Asse II, säuft ab, radioaktive Lauge greift die Fässer an. Was in der ehemaligen Kaligrube bei Wolfenbüttel geschehe, dürfe sich in Gorleben nicht wiederholen, warnt die Bürgerinitiative.

In Gorleben gab es Laugennester und ungeklärte Wasserzuflüsse in der Phase des Abteufens der Schächte. Geologen warnten vor den Wasserwegsamkeiten und dem porösen Deckgebirge. Aber die Protagonisten des nuklearen Weiter-So machten auch mobil, um das Moratorium in Gorleben zu kippen, warnt die Initiative.

Am Wochenende hatten Atomkraftgegner im Wendland ihre Strategie hinsichtlich des nächsten Castortransports nach Gorleben beraten. Ihr Ziel ist es, die Themen Energieeffizienz, Einsparmöglichkeiten, atomare Risiken und das Atommülldilemma in ihrer Kampagne zu bündeln. Der nächste Castortransport wird kurz nach dem Endlagersymposium in der ersten Novemberhälfte erwartet.

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Ad-Hoc-News.de - 07.07.2008

Atomkraftgegner lehnen längere Laufzeiten für Kraftwerke ab

Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) hat den Vorschlag des SPD-Politikers Erhard Eppler für längere Laufzeiten bestehender Atomkraftwerke abgelehnt. «Täglich kann sich ein schwerwiegender Störfall ereignen. Dieses Risiko kann nur durch den Sofortausstieg verringert werden», sagte BBU-Vorstand Udo Buchholz am Montag in Bonn. Der bereits jetzt vorhandene Atommüll könne weder in Deutschland noch in einem anderen Land sicher beherrscht werden. Das Atommüllproblem werde immer drängender.

Bonn (ddp-nrw). Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) hat den Vorschlag des SPD-Politikers Erhard Eppler für längere Laufzeiten bestehender Atomkraftwerke abgelehnt. «Täglich kann sich ein schwerwiegender Störfall ereignen. Dieses Risiko kann nur durch den Sofortausstieg verringert werden», sagte BBU-Vorstand Udo Buchholz am Montag in Bonn. Der bereits jetzt vorhandene Atommüll könne weder in Deutschland noch in einem anderen Land sicher beherrscht werden. Das Atommüllproblem werde immer drängender.

«An den Standorten der Atomanlagen wird immer deutlicher, dass die Atomindustrie mit ihren strahlenden Hinterlassenschaften nicht klar kommt», sagte Buchholz. Dies zeige sich beispielsweise bei den Uranmülltransporten von der Gronauer Urananreicherungsanlage nach Russland. Es würden «Scheinlösungen oder Atommüll-Verschiebungen» als «Entsorgung» deklariert.

Eppler hatte im «Spiegel» vorgeschlagen: «Wenn es der Union nur darum geht, den Übergang zu Erneuerbaren Energien abzusichern, dann könnte sie der SPD ja ein Angebot machen: Wenn die SPD bereit ist, einige Meiler länger laufen zu lassen, dann schreiben wir gemeinsam in die Verfassung, Atomkraftwerke werden nicht mehr gebaut.» Epplers Äußerung war bei Politikern von SPD und Grünen auf Kritik gestoßen, die Union hatte den Vorstoß als Einlenken interpretiert.

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taz 07.07.2008

Atomkraft in Spanien

Acht AKW, vier Störfälle

Die Betreiber der spanischen AKW sparen: die Anlagen sind alt, die Arbeiter nur ausgeliehen. Nun macht eins nach dem anderen Probleme. VON REINER WANDLER

MADRID taz In nur 72 Stunden kam es in vier der acht spanischen Atomkraftwerke zu Störfällen: Den Auftakt machte Ende letzten Monats der Reaktor Ascó I in der katalanischen Provinz Tarragona. Er sollte nach Reinigungsarbeiten wieder angefahren werden. Ein Ventil des Kühlkreislaufes machte den Betreibern einen Strich durch die Rechnung. Es schloss nicht mehr. Jetzt wird der Reaktor von Technikern der spanischen Aufsichtsbehörde, des Nuklearen Sicherheitsrats (CSN), untersucht. Wann er wieder in Betrieb gehen kann, steht nicht fest. Pro Tag verlieren die Betreiber 1 Million Euro.

Ascó I war am 10. Juni für die Reinigungsarbeiten abgeschaltet worden. Denn im November vorigen Jahres war radioaktiver Staub aus dem Reaktorgebäude entwichen - was die Betreiber fünf Monate lang verschwiegen hatten. Erst als Umweltschutzorganisationen von Arbeitern informiert wurden, kam der Störfall an die Öffentlichkeit.

Der zweite Störfall war im Nachbarreaktor Ascó II: Dieser lief ain der vergangenen Woche acht Stunden lang nur mit 70 Prozent seiner Leistung. Schuld war eine Pumpe, die weniger Wasser als vorgesehen in die Turbinen schaffte. Kurz darauf vermeldete das ebenfalls in Tarragona gelegene Atomkraftwerk Vandellòs einen Feueralarm. Er war ausgelöst worden, nachdem aus einer Pumpe Öl entwichen war.

Im benachbarten Valencia schließlich lief das AKW Cofrentes den ganzen Dienstag über mit nur 56 Prozent seiner Leistung. Auch hier ging die Durchflussmenge des Primärkreislaufes zurück. Warum, ist noch nicht geklärt.

Bei keinem der Unfälle entwich Radioaktivität. Menschen wurden keine verletzt. Während der Nukleare Sicherheitsrat von einer "unglücklichen Häufung" von Zwischenfällen spricht, beschweren sich die Umweltschützer über den schlechten Zustand der spanischen Reaktoren. Alle vier betroffenen AKWs gehören mit unterschiedlichen Beteiligungen den beiden größten spanischen Stromerzeugern Endesa und Iberdrola.

"Die Philosophie der Betreiber lautet: Weiterlaufen lassen um jeden Preis", beschwert sich Greenpeace-Sprecherin Sarah Bizzinato. Die Strafen bei Verstößen gegen Sicherheitsauflagen seien so gering, dass die Unternehmen diese gerne in Kauf nehmen, um weiter Strom zu erzeugen, meint Bizzinato. Um die Gewinne zu maximieren, wurden außerdem immer wieder Stellen abgebaut. Altgediente Arbeiter gingen in den Frühruhestand und wurden durch Leiharbeiter ersetzt. Mittlerweile gehören weniger als ein Drittel der Arbeiter zur Stammbelegschaft.

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ZDF, 07.07.2008

SPD-Chef Beck pocht auf Atomkonsens

Atomfrage spaltet Koaltion - USA drängen Berlin auf Ausbau

Die G8-Atomdebatte strahlt bis nach Berlin. Neue Kernkraftwerke bauen, Laufzeiten verlängern, die AKW ausschalten? In der Koalition ist eine hitzige Diskussion über die Atomkraft entbrannt - die SPD pocht auf den Konsens und warnt die Union vor einem Atom-Wahlkampf.

apIm Streit über die Zukunft der Atomkraft hat SPD-Chef Kurt Beck die Linie von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel verteidigt. "Wenn die Energieversorger jüngere Atomkraftwerke länger laufenlassen wollen, müssen ältere Meiler schneller vom Netz. Das steht so im Atomkonsens", sagte Beck der in Bielefeld erscheinenden "Neuen Westfälischen". Längere Laufzeiten bedeuteten unter diesen Bedingungen aber keine Abkehr vom Atomausstieg, den die Große Koalition einvernehmlich für 2021 beschlossen habe.

Union fordert neue Kernkraftwerke

Der SPD-Chef betonte, Atomstrom bedeute nicht automatisch billigere Energie, vor allem nicht angesichts der ungeklärten Endlagerung des Atommülls. Die SPD setze auf Energiesparen, auf die Nutzung erneuerbarer Rohstoffe sowie auf moderne Kohle- und Gaskraftwerke, die schadstoffärmer und durch Kraft-Wärme-Kopplung deutlich effizienter seien.

Aus der Union kamen am Montag Forderungen nach dem Bau neuer Kernkraftwerke und nicht mehr nur nach längeren Laufzeiten bestehender Anlagen. Die SPD-Spitze forderte dagegen, solche Neubauten per Grundgesetz-Änderung zu verbieten. Der SPD-Politiker Erhard Eppler hatte am Wochenende ein solches Bauverbot gefordert und im Gegenzug dafür längere Restlaufzeiten für bestehende Atommeiler vorgeschlagen.

Atomfrage: USA drängen Berlin auf Ausbau

Merkel: Atomausstieg ist Wahlkampfthema

SPD-Generalsekretär Hubertus Heil forderte die Union zu einem "klaren Bekenntnis" auf, ob sie eine solche Verankerung in der Verfassung mittragen werde. Indessen warnte Hamburgs Erster Oberbürgermeister Ole von Beust (CDU) seine Partei davor, an nukleare Neuanlagen zu denken.

Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel hatte erst kürzlich deutlich gemacht, dass ihre Partei den von SPD und Grünen im Jahr 2000 vereinbarten - und von Union und FDP bekämpften - Atomausstieg zum Wahlkampfthema machen werde. Seitdem treten die Differenzen zwischen den Koalitionspartnern immer deutlicher hervor.

G8: Deutschland isoliert

Beim G8-Gipfel im japanischen Toyako machte Merkel jedoch deutlich, dass sie die Kernenergie-Nutzung für keinen entscheidenden Faktor im Kampf gegen den Klimwawandel hält, womit sie sich im Kreis der Industrieländer um die USA und Frankreich in dieser Frage isolierte. Die Große Koalition setzt vor allem auf den Ausbau erneuerbarer Energien und Möglichkeiten der Energie-Einsparung. Diese müssten aber stärker genutzt werden als geplant, forderten Umweltstaatssekretär Michael Müller (SPD) und Grünen-Chefin Claudia Roth übereinstimmend.

Für Irritation hatte zunächst der Vorschlag von Eppler gesorgt, einige Meiler ein paar Jahre länger laufen zu lassen, wenn die Union im Gegenzug den Bau neuer Atomkraftwerke für die Zukunft ausschließe. Damit könnte man den Übergang zu erneuerbaren Energieträgern absichern, sagte er dem "Spiegel". Heil berichtete, Eppler habe ihn angerufen, weil er selbst unglücklich über die öffentliche Wahrnehmung seiner Äußerungen sei. Er habe versichert, dass er schon wegen der terroristischen Bedrohungen strikter Gegner der Atomkraft sei. Auch Eppler habe die Union zu einer klaren Haltung gegen AKW-Neubauten zwingen wollen.

Diskussion über Atomausstieg?

Merkel habe Epplers Äußerungen "zur Kenntnis genommen", berichtete Vize-Regierungssprecher Thomas Steg. Sie gehe davon aus, dass über die Nutzung der Kernenergie neu entschieden werden könne. Bis zum Ende der jetzigen Wahlperiode im Herbst 2009 gelte aber, dass am Atomausstieg nichts geändert werde.

Umweltministeriums-Sprecher Michael Schroeren hielt der Union und den Stromkonzernen vor, dass sie den angebotenen möglichen Weg einer Laufzeitverlängerung bisher nicht gehen wollten. Dies sei dann möglich, wenn Stromproduktionsmengen von älteren Meilern auf die moderneren Atomanlagen übertragen werden. Diesen Vorschlag von Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD), der ohne staatliche Genehmigungen auskäme, hätten die Konzerne jedoch mehrfach zurückgewiesen. Sie wollten eine Mengenverlagerung von neueren auf ältere Kraftwerke durchsetzen, was Gabriel in Einzelentscheidungen abgelehnt hatte. SPD: Leute nicht zum Narren halten

Heil erklärte, für den vereinbarten Atomausstieg gebe es laut Umfragen weiterhin eine deutliche Mehrheit. Es sei eine "Fabel", dass die Strompreise oder Benzinkosten für die Verbraucher bei längeren Restlaufzeiten sinken würden. Vielmehr versprächen sich die Konzerne nur mehr Profit.

Den Neubau von Kernkraftwerken verlangte der Vorsitzende des CDU- Wirtschaftsrates, Kurt Lauk. Forschung und Entwicklung für eine nächste Generation von Kernkraftwerken dürften kein Tabuthema sein, sagte Lauk der "Bild"-Zeitung. Ähnlich hatte sich für die Zukunft zuvor bereits Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) ausgesprochen. Dagegen erklärte Hamburgs Bürgermeister von Beust: "Es ist weitgehender Konsens in der CDU, dass wir keine neuen Atomkraftwerke bauen wollen. Das ist in Deutschland nicht durchsetzbar", sagte er dem Berliner "Tagesspiegel". Deutschland sei aber klug beraten, die Laufzeiten über 2020 hinaus bis etwa 2028 zu verlängern. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) erneuerte seine Ablehnung des Atomausstieges.

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Tagsspiegel 07.07.2008

Unter dem Teppich

Ein Tümpel, 750 Meter tief in der Erde. Er strahlt - offenbar seit Jahren. Informiert wurden die Bürger darüber nicht, nun droht das Atomlager Asse II einzustürzen. Seine Geschichte ist eine Parabel vom Umgang mit Deutschlands nuklearem Erbe.

Die Luft ist trocken und 30 Grad heiß. Ein steter Wind treibt beißenden, salzigen Staub durch die Gänge. Die Fahrt in die Tiefe des alten Salzbergwerks führt geradewegs in ein Wüstenklima. Wo der Förderkorb die Besucher aus dem Schacht entlässt, beginnt ein Labyrinth aus Tunnelstraßen. Über Serpentinen führt der Weg immer tiefer hinunter in das Gestein, dahin, wo die Bergleute schon vor mehr als 100 Jahren mit der Förderung des damals kostbaren Kalidüngersalzes begannen. Und dort, ganz am Ende eines schmalen Stollens, 750 Meter tief unter der Erde, findet sich jener ein Meter tiefe Tümpel, den es eigentlich gar nicht geben dürfte. * *„Vorsicht! Kontamination“ warnt ein Schild. Das Wasser ist nicht nur mit Salz gesättigt, sondern auch mit radioaktivem Caesium. Die Lauge strahlt mit bis zu 80 000 Becquerel pro Liter. Das heißt: Pro Sekunde und Liter zerfallen 80 000 Atome unter Abgabe von energiereichen Strahlen, acht Mal mehr als gefahrlos zulässig.

Der strahlende Teich birgt, tief begraben unter Millionen Tonnen Gestein, bisher keine Gefahr für Menschen und Umwelt an der Oberfläche. Und doch ist er dort seit drei Wochen Gegenstand aufgeregter Parlamentsdebatten und zorniger Proteste. Denn die Cäsium-Lauge tief unten im Berg ist ein Ausfluss des „Forschungsbergwerks“ Asse II, Landkreis Wolfenbüttel bei Braunschweig, des ersten deutschen Endlagers für radioaktiven Abfall und damit der jüngste Beleg für das Risiko, das die Nutzung der Atomenergie für die Ewigkeit hinterlässt. „Jahrzehntelang haben sie uns gesagt, das Lager sei trocken und es drohe keine Gefahr, und jetzt kommt raus, dass sie die Kontrolle verloren haben, die ganze Anlage droht einzustürzen, und niemand weiß, ob und wann die radioaktive Suppe doch unsere Region verseuchen wird“, sagt die Landwirtin Ursula Kleiber aus dem benachbarten Örtchen Eilum. Sie beschreibt damit auch die Stimmung, die am Samstag an die 700 Bewohner der umliegenden Dörfer und Städte zum Protest vor die Schachtanlage trieb.

Dabei hatte es in Asse doch eigentlich nur um Forschung gehen sollen. Als die bundeseigene Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung, GSF, 1965 im Auftrag des Bonner Forschungsministeriums das stillgelegte Bergwerk für knapp eine Million Mark erwarb, wollten die Forscher lediglich „versuchsweise“ erkunden, ob das Salzgestein für die Endlagerung strahlender Abfälle taugt. Doch bald darauf begann die Hochzeit der deutschen Atomindustrie. Viele Atommeiler gingen in Betrieb und auch die Plutoniumgewinnung wurde erprobt. Damit vervielfachte sich die Menge an radioaktivem Müll, der irgendwo untergebracht werden musste. So wurde binnen weniger Jahre aus dem Versuchsbergwerk ein Lager, in dem der Abfall in den 15 Meter hohen Abbaukammern zunächst gestapelt, später dann nur noch abgekippt wurde – insgesamt mehr als 125 000 Fässer, darin enthalten: 100 Tonnen Uran, 87 Tonnen Thorium und 12 Kilogramm Plutonium. So haben die Betreiber es ermittelt.

Erst 1978 beendete die damalige Bundesregierung mit einer Reform des Atomgesetzes die Entsorgung im Forschungsbergwerk. Seitdem müssen Atomanlagen in einem Verfahren unter Beteiligung der Öffentlichkeitgenehmigt werden. Eine solche Genehmigung wäre für Asse II wohl nie erteilt worden. Schon 1979 warnte Wasserbauingenieur Klaus-Helge Jürgens in einem Gutachten, dass alsbald Grundwasser eindringen und die Anlage „absaufen“ werde. Dafür sprach nicht zuletzt auch die Erfahrung mit dem benachbarten Schacht Asse I, der unter dem Druck des Deckgebirges einbrach und mit Wasser volllief. Ein möglicher „Wassereinbruch

“ in die Schachtanlage sei „höchst unwahrscheinlich“, befand dagegen der Bergbauexperte Klaus Kühn, der 30 Jahre lang bis 1995 als wissenschaftlicher Leiter des Projekts arbeitete. Anstatt frühzeitig die Rückholung des Atommülls zu planen, forschten Kühn und seine Kollegen lieber weiter. Asse II war das Pilotprojekt für das schon damals geplante große Atommüll-Endlager in Gorleben. Da waren wissenschaftliche Meriten zu erwerben.

Fortan legte sich ein Mantel des Schweigens über die Vorgänge im Atommüllbergwerk und die Asse geriet zur traurigen Parabel vom Umgang mit dem strahlenden Erbe des Atomzeitalters. „Verdrängen, verschieben, verschweigen“, nach diesem Prinzip hätten die Betreiber die Öffentlichkeit über Jahrzehnte ruhig gestellt, klagt einer der jetzt mit der Prüfung beauftragten Beamten aus dem Bundesumweltministerium.

Während der Streit um Gorleben hitzig geführt wurde, überließen die Umweltministerien in Bund und Land die Aufsicht über Asse II dem Landesamt für Bergbau – offenbar ein Fehler mit weitreichenden Folgen. Denn schon 1988 begann genau das, was der Warner Jürgens vorhersagt hatte: An der Südflanke des Grubengebäudes und etwa 100 Meter oberhalb der Atommüll-Kammern sickerte Wasser ein. Mit der Zeit stieg der Zufluss auf heute 12 000 Liter am Tag, der nun mit Folien gesammelt, in Container geleitet und regelmäßig abtransportiert wird. Gleichzeitig drückte das Gewicht des Deckgebirges die Südwand des Grubengebäudes ein, bis heute schon mehr als sechs Meter.

Dagegen unternahmen die Forscher der GSF, die heute unter dem Namen Helmholtz-Zentrum firmiert, zunächst nichts. Erst 1995 wurde ihnen klar dass man doch etwas tun müsse. Aber anstatt, wie später im alten DDR-Atommüllsalzstock Morsleben geschehen, die Grube mit Beton stabil auszugießen, verlegten die GSF-Forscher sich auf eine Billigmethode. Mit Güterzügen ließen sie mehr als zwei Millionen Tonnen Abraumsalz aus einem anderen Bergwerk herbeischaffen und füllten damit die verbliebenen 119 leeren Kammern oberhalb der Etage mit den Abfalllagern, die ohnehin längst zugeschüttet waren. Allerdings ohne großen Erfolg. Große Hohlräume blieben ungefüllt, der Druck auf die Grubenwand blieb, auch das Wasser ließ sich so nicht stoppen.

Daraufhin vollzogen die GSF-Wissenschaftler eine radikale Wende. Nachdem sie über Jahre versichert hatten, die „langfristige Standsicherheit“ könne erhalten werden, erklärten sie 2002 plötzlich, das Absaufen des Bergwerks sei unvermeidlich. Allenfalls bis 2014 könne es noch offen bleiben. Um einem Einsturz zuvorzukommen, müsse man die Grube mit Millionen Litern einer Salzlösung aus Magnesiumchlorid füllen. Dieses „Schutzfluid“ könne die Auflösung der umliegenden Kalisalzflöze, und damit den Einsturz des Grubengebäudes verhindern – ein riskanter Plan. Denn während der auf zwei Jahre angelegten Flutung, so räumen die Planer ein, könnte die eingeleitete Lösung die tragenden Säulen aufweichen und so den Einsturz selbst herbeiführen. Käme es dazu, würden sich große Spalten im Deckgebirge öffnen und eine Verbindung zum Grundwasser nahe der Oberfläche schaffen. Als Gegenmaßnahme setzen die Stollenbetreiber auf eine bisher nicht erprobte Technik: Die Ausgänge sollen verschlossen und die Grube unter hohen Luftdruck gesetzt werden. Dieser soll den Berg halten, bis alle Hohlräume gefüllt sind. Ob das funktioniert, vermagallerdings niemand zu garantieren. Unklar ist auch, wie lange der so geschaffene radioaktive Salzbrei abgeschlossen bleibt. Die Helmholtz-Forscher wollen nachweisen, dass selbst in 20 000 Jahren nur unschädliche Mengen an die Oberfläche dringen. Kritiker halten solche Prognosen wegen der komplexen Erdbewegungen für gar nicht berechenbar. „Der Plan ist, dass sich die Suppe an die Strahlenschutzverordnung hält“, spottet Udo Dettmann, Sprecher der Flutungsgegner. Den ersten Antrag der Betreiber wiesen die Behörden denn auch mangels ausreichender Nachweise zurück.

In all den Jahren standen die wenigen Warner in der Region auf verlorenem Posten. Die „Aktion Atommüllfreie Asse“ schrumpfte zeitweilig auf fünf Leute zusammen, erinnert sich die 51 Jahre alte Landwirtin Kleber. Sie zählt zu den Aktivisten der ersten Stunde. Verantwortlich dafür war nicht zuletzt die absurde rechtliche Lage. Bis heute unterliegt der Asse-Betrieb lediglich den Bestimmungen des Bergrechts, das weder den Bürgern noch der Atomaufsicht des Bundes eine Mitwirkung einräumt. Das Bundesamt für Strahlenschutz, eigentlich zuständig für Atomabfall, durfte bis vor kurzem nicht einmal Gutachten bewerten. Doch die Kritiker organisierten „Fachgespräche“ mit unabhängigen Wissenschaftlern über eine mögliche Rückholung des Atommülls und bedrängten Politiker, ein öffentliches Verfahren nach Atomrecht zu fordern. Der Durchbruch kam im Frühjahr 2006. Der drohende Einsturz wurde Thema des Kommunalwahlkampfes und der Kreistag forderte einstimmig einen Vergleich aller möglichen Optionen zum Umgang mit der nuklearen Altlast. Seitdem entstand rund ein Dutzend neuer Initiativen und heute schmückt ein großes gelbes „A“ als Symbol des Widerstands zahlreiche Hauswände und Straßenschilder. „Die Bürger sind sauer, dass sie von ihrem Staat 40 Jahre lang hinters Licht geführt wurden“, sagt Landrat Jörg Röhmann.

Viele Hoffnungen ruhen nun auf der Tischlermeisterin Irmela Wrede. Sie wohnt nahe am Bergwerk und hat eine Klage auf Anwendung des Atomrechts angestrengt, um die öffentliche Erörterung der Flutungspläne zu erzwingen. Ein Erfolg vor Gericht ist vielleicht aber gar nicht mehr nötig. Denn auf Druck des Kreistags haben die Umweltminister aus Bund und Land sowie Forschungsministerin Annette Schavan ein offenes Verfahren begonnen. Es soll alle Möglichkeiten mit unabhängigen Experten prüfen und Bürgern wie Lokalpolitikern Einblick in die Unterlagen verschaffen. Daran hat nicht zuletzt auch Bundesumweltminister Sigmar Gabriel ein Interesse. Denn die Asse liegt in seinem Wahlkreis und er muss das Genehmigungsverfahren für das geplante erste legale Atomlager im Erzbergwerk Konrad durchziehen. Darum gibt es nun eine „Optionenvergleichsgruppe“ mit externen Wissenschaftlern. Eine „Asse-Begleitgruppe“ aus Vertretern von Parteien und Initiativen erhält ebenfalls alle Informationen. Geklärt werden soll, ob die Grubenwände doch durch Baumaßnahmen zu stabilisieren sind. Landrat Röhmann hofft, dadurch Zeit erkaufen zu können, „für eine mögliche Rückholung des Atommülls“. Das allerdings wäre ein Unterfangen, das 40 Jahre dauern und zwei Milliarden Euro kosten könnte, wie GSF-Experten einmal schätzten – eine Summe, die die Flutungsgegner nicht schreckt. „Wenn der Landkreis unbewohnbar würde, wären die Kosten viel höher“, sagt Röhmann. Entscheidend sei, dass „alles auf den Tisch“ komme.

Bei den Verantwortlichen im Bergwerk und ihren Aufsehern im Landesbergamt war diese Botschaft bis vor drei Wochen wohl noch nicht richtig angekommen. Obwohl der Caesium-Tümpel in 750 Metern Tiefe schon vor mehr als vier Jahren entdeckt und dem Bergamt gemeldet wurde, erfuhr die Öffentlichkeit bis dahin nichts davon. Noch Ende April schrieb der Asse-Betriebsleiter an die Kreisverwaltung, die gemessene Strahlung liege „im Bereich der Umweltradioaktivität“.

Heute rechtfertigt ein Helmholtz-Sprecher die Informationspolitik mit dem Hinweis, dass ja „niemand gefährdet“ gewesen sei. Die Geheimnistuerei war aber zumindest auch praktisch: Niemand erfuhr, dass die Forscher bis heute nicht wissen, ob die Caesium-Lauge schon aus einem Wassereinbruch in die Abfallkammern stammt oder aus alten Verunreinigungen bei der Einlagerung. Und es blieb geheim, dass sie bis Anfang des Jahres 80 000 Liter der strahlenden Lauge absaugten und kurzerhand in einen 200 Meter tiefer liegenden „Laugensumpf“ pumpten. Für einen solchen „Umgang mit radioaktiven Stoffen“ sei eine strahlenschutzrechtliche Genehmigung nötig, sagt ein Fachbeamter des Umweltministeriums. Den aber hatten die Asse-Betreiber nicht. Und nur weil die Fachleute des Bundesumweltministeriums hartnäckig nachfragten, gaben die Verantwortlichen am 13. Juni das Geheimnis preis. Nun prüft die Staatsanwaltschaft Braunschweig, ob sie Klage gegen die Verantwortlichen erheben wird.

Künftig könne man wohl sicher sein, „dass sie uns nicht mehr anlügen“, sagt Aktivisten-Sprecher Dettmer. Behält er recht, könnte ausgerechnet die Asse zu einem demokratischen Modellprojekt werden. Das wird dringend gebraucht. Schon jetzt lagern weitere 120 000 Kubikmeter Strahlenmüll in deutschen Sammelstellen und Zwischenlagern. Hinzu kommen mehr als 5000 Tonnen alte Brennelemente aus Atomkraftwerken. Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, sagt: „Wenn wir unsere Glaubwürdigkeit nicht zurückgewinnen, werden wir das Problem niemals auf demokratischem Weg lösen.“ In der Asse zumindest darf nichts mehr schief gehen.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 07.07.2008)

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