Menden, 12. März 2001

Stellungnahme der Vollversammlung der Neuen

Richtervereinigng vom gestrigen Sonntag zum sog. Atomkonsens.

 

Die rechtlich bedeutsamen Ausgangstatsachen:

Der Bundeskanzler hat mit Vertretern der Energieunternehmen, welche AKWe betreiben, über die Nutzung der Atomenergie verhandelt und am 14.6.00 den sogenannten Atomkonsens paraphiert. Es soll ein dementsprechender Vertrag zwischen Bundesregierung (Bundestag?) und Energieunternehmen geschlossen werden, sobald das Atomgesetz wie im "Konsens" vorgesehen geändert und dadurch der Weiterbetrieb der AKWé gesichert ist.

Bundestagsdebatten über ein neues Atomgesetz (Ausstiegsgesetz) haben bisher nicht stattgefunden. Bisher liegt eine "summarische Darstellung" der geplanten Änderungen des AtomG als Anlage 5 des Ausstiegsvertrages vor. Das förmliche Gesetzgebungsverfahren ist bisher nicht begonnen worden. Ein ausgearbeiteter Gesetzesvorschlag liegt nicht vor.

( Paraphierter Ausstiegsvertrag siehe www.bundesregierung.de Suchwort Atomausstieg)

 

Stellungnahme:

1. Die Festlegung des Gesetzgebers durch einen in Aussicht stehenden "Konsens" mit den Energieunternehmen ist verfassungsrechtlich nicht akzeptabel. Die Bundesregierung verhält sich wie durch den "Konsens" gebunden. Sie hat sich durch die Androhung weitgehend unbegründeter Engschädigungsforderungen bei raschem Ausstieg ohne Not unter Druck setzen lassen und sich der Mitwirkung der kritischen Öffentlichkeit an den Vorbereitungen des neuen Atomgesetzes entzogen. Sie mutet dem Parlament zu, eine politische bedeutsame Entscheidung nur nachzuvollziehen, welche abseits demokratischer Abläufe durch den "Vertrag" vom 14.6.00 längst vorentschieden ist.

 

2. Durch den Vertragsentwurf vom 14.6.00 erreichen die AKW-Betreiber eine ungleich stärkere rechtliche Position zum Weiterbetrieb der AKWs als nach der bisherigen Gesetzeslage. Im einzelnen:

 

  • Der bisherige Vorbehalt der Entsorgungsvorsorge in § 9a AtomG entfällt. Die dezentrale Zwischenlagerung wird stattdessen als alleinige Entsorgungsvorsorge anerkannt. Das physikalisch &endash; medizinisches Problem der fortbestehenden Strahlenbelastung durch die radioaktiven Abfälle wird durch einen Gesetzgebungsakt nur scheinhaft gelöst. Spätestens durch das Moratorium für das Endlager in Gorleben müßten die Betriebsgenehmigungen nach bisheriger Rechtslage ohne Entschädigung widerrufen werden (vgl. Bekanntmachung der Grundsätze der Entsorgungsvorsorge für Kernkraftwerke vom 19.3.1980).

 

  • Der derzeitige Sicherheitsstandard und die derzeitige Sicherheitsphilosophie wird für eine Restlaufzeit von 30 Jahren festgeschrieben. Der Umfang der Sicherheitsüberprüfungen wird vertraglich begrenzt.

 

  • Die Bundesregierung verpflichtet sich, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einschließlich Steuerrecht und Deckungsvorsorge für Kernkraftunfälle für die Betreiber nicht nachteilig zu verändern. Das beinhaltet, dass nach der vereinbarten Erhöhung der Deckungsvorsorge auf 5 Mrd. DM entgegen der Regelung gem. § 13 Abs.1 Satz2 AtomG die Festsetzung einer dem Gefährdungspotential angemessenen Deckungsvorsorge für 30 Jahre verboten wird. Bei einem Atomunfall ist damit ein Schadensersatz für die Bevölkerung weiterhin ausgeschlossen.

 

3. Die beabsichtigte Garantie des Weiterbetriebes der AKWe steht im Widerspruch zum gesetzlichen Gebot der schadlosen Verwertung oder direkten Endlagerung in § 9a des geltenden Atomgesetzes. Sie verletzt den durch § 1 gebotenen Schutz von Leben, Gesundheit und Sachgütern vor den Gefahren der Kernenergie heute und in Zukunft. Die Atommüllmengen werden sich noch einmal verdoppeln, die in England und Frankreich fortgesetzte Wiederaufbereitung verdirbt dort die Umwelt. Sämtliches künftige immer weiter vermehrtes radioaktive Inventar wird, in den nächsten Tagen beginnend, wieder nach Deutschland zurückgebracht.

 

4. Ein Kongress der Gemeinden und Regionen Europas aus Ländern, die dem Europarat angehören, verlangte 1998 Schritte des Europarates zur Herbeiführung von Mitbestimmungsrechten der Bevölkerung in den betroffenen Regionen über Atomanlagen und -transporte. Dieser rechtspolitischen Forderung schließen wir uns an. In einer Demokratie kann an dieser Mitbestimmung kein Weg vorbeiführen, solange die wirtschaftliche Macht Weniger nicht auf andere Grenzen der Bürger stößt, die nichts als ihre Wählerstimme und ihr Demonstrationsrecht haben. Wo Regierungen einseitig Bündnisse mit Trägern der wirtschaftlichen Macht schließen, wird in einer Demokratie die Ohnmacht des Bürgers zum Verfassungs- und Rechtsproblem.

 

5. Die Funktionen der Justiz sind berührt, wenn die Regierungen in Bund und Ländern bei den aus dem "Konsens" entspringenden Konflikten ihre Politik bis an die Grenzen des Rechtsstaates oder darüber hinaus durchsetzen. Die Justiz kann sich dem nicht willfährig unterordnen, sie muß den Beteiligten - auch und vielleicht oft gerade den Staatsorganen - Grenzen zeigen. Wir befürchten, daß diese Aufgabe schwer zu erfüllen ist, weil politischer Druck auch die Justiz zu beeinflussen pflegt. In dieser Sorge wird diese Stellungnahme abgegeben.

-Sprecher des Arbeitskreises "Richter diskutieren Gorleben" in der NRV ; M. Biermann

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