IPPNW - Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs Ärzte in sozialer Verantwortung
Hessischer Umweltminister Dietzel täuscht die Bevölkerung und sagt die Unwahrheit. · Kügelchen in Geesthacht und Hanau kein Wurmkot und keine Schlacke. · Angereichertes Uran belegt den Zusammenhang mit den dortigen Atomanlagen. Berlin, den 26.5.02: In der Diskussion um kernbrennstoffhaltige Kügelchen in der Umgebung der Hanauer Atomanlagen wird die Bevölkerung durch den zuständigen Minister getäuscht: Nach einem streng vertraulichen Vermerk der Hanauer Staatsanwaltschaft wurden in Bodenproben nicht nur Kügelchen sondern auch angereichertes Uran gefunden. Dies wird zwar von Minister Dietzel inzwischen bestätigt. Er führt aber die Bevölkerung in die Irre, indem er in seiner Mitteilung vom 16.5.02 hinzufügt, der wichtigste Satz des vertraulichen Vermerks der Staatsanwaltschaft sei, dass keine erhöhte Direktstrahlung (äußere Strahleneinwirkung) bestünde. Dabei war von einer erhöhten Direktstrahlung ausdrücklich nie die Rede. Im Gegenteil - es wurde von allen beteiligten Wissenschaftlern stets betont, dass die Gesundheitsgefahr nicht durch Strahlung von außen sondern allein durch die Aufnahme der Stoffe in den Körper durch Einatmen oder Verschlucken besteht.
In einem Gutachten im Auftrag von IPPNW wurde auch bei einer Messreihe im Zusammenhang mit den Kügelchenfunden in Geesthacht angereichertes Uran gefunden, und zwar in 15 von 16 Bodenproben. In Geesthacht wie in Hanau besteht somit ein eindeutiger Bezug der Kügelchen zur Atomtechnologie. Aktuelle Analysenergebnisse der Kügelchen der Universität Giessen, die IPPNW vorliegen, zeigen außerdem hohe Konzentrationen der Elemente Bor, Beryllium und Lithium. Diese Elemente sind sichere Indikatoren für einen Zusammenhang mit der Atom-Fusionstechnologie. Angereichertes Uran, Bor, Beryllium und Lithium findet man nicht in herkömmlicher Hochofenschlacke. Die diskutierte Herkunft der Kügelchen aus Hochofenschlacke ist somit auch nicht mehr als ein plumpes Ablenkmanöver.
Berichte des hessischen Umweltministeriums, wonach die in der Umgebung der Geesthachter (GKSS) und Hanauer Atomanlagen nachgewiesenen Kügelchen nicht gesundheitsgefährlich seien, entbehren jeglicher Grundlage. Sie haben nur einen Zweck - die Bevölkerung zu beschwichtigen. Neben intakten gibt es offene und zerbrochene Kügelchen. Die in solchen Bruchstücken freiliegenden Radionuklide sind hochgiftig, sie können auf verschiedensten Wegen in die Nahrungskette oder die Atemluft gelangen. Bevor die Atomaufsicht bestreitet, daß die Kügelchen gefährlich sind, sollte sie erklären, wie Kügelchen und Bruchstücke in die Umwelt gelangt sind. Dabei ist der technische Vorgang ebenso interessant wie das Schweigen der Betreiber und der Atomaufsicht über mehrere Legislaturperioden. Der zuständige Minister in Hessen versucht, die Verantwortung auf die dortige Staatsanwaltschaft zu schieben und die Bevölkerung zu täuschen. Staatsanwaltschaften sind für die Verfolgung strafrechtlich relevanter Vorgänge zuständig (wenn diese nicht verjährt sind). Sie sind nicht für den Bevölkerungsschutz bei nuklearen Kontaminationen verantwortlich. IPPNW fordert die für die Atomaufsicht zuständigen Minister in Hessen und Schleswig-Holstein auf, die Vertuschungsstrategie endlich zu beenden und die Bevölkerung wahrheitsgemäß zu informieren. Herr Minister Möller (Kiel) und Herr Minister Dietzel (Wiesbaden) - klären Sie die Bevölkerung rückhaltlos über die Unfälle in Geesthacht und Hanau auf und treffen Sie die erforderlichen Schutzmaßnahmen! Delegieren Sie Ihre Verantwortung nicht länger an Ihre Würmer!
Dr. med. Helga Dieckmann (Arbeitskreis Atomenergie) Tel 04131 61319
Dr. rer. nat. Sebastian Pflugbeil (Berater für Strahlenschutz) Tel: 030 4493736
RHEIN-MAIN TOPTHEMA 08.06.2002
Hanauer Kügelchen: Radioaktiv
oder nicht?
Hanau (dpa) In der Diskussion um rätselhafte Bodenfunde in der Umgebung der ehemaligen Nuklearbetriebe in Hanau gibt es weiter Streit über mögliche Gefahren. Der Wissenschaftler Heinz-Werner Gabriel bekräftigte bei einer Diskussion der atomkritischen Ärzte-Organisation IPPNW am Samstagabend in Hanau, bei den in einem Wald-und Wohngebiet gefundenen Kügelchen handele es sich um radioaktives Material. Dieses enthalte Kernbrennstoff. Der Leiter der Atomaufsicht im hessischen Umweltministerium, Helge Schier, sagte dagegen, an dieser These sei nichts dran. Die Bevölkerung sei nicht gefährdet.
Die CDU-Landtagsfraktion kritisierte Gabriel am Sonntag als
einen «selbst ernannten Experten» und sprach von einem
«Schmierentheater». Hanauer Bürger und Umweltinitiativen
warfen dagegen bei der Diskussion dem Ministerium vor,
nicht genügend aufzuklären. In dem Fall um die rätselhaften
Funde ermittelt seit mehr als einem Jahr die Justiz. Bekannt
geworden waren die Funde aber erst in diesem Mai.
Die Organisation IPPNW (Internationale Ärzte für die
Verhütung des Atomkrieges) nahm am Samstag neue
Proben aus dem Wald- und Wohngebiet, das aus ihrer Sicht
belastet ist. Sie hätten dabei Kügelchen gefunden, die den
bereits untersuchten Proben ähnlich sähen. Ob diese Funde
radioaktiv sind, konnte jedoch nicht gesagt werden. Die
Bodenproben wurden während der Veranstaltung unter
einem Mikroskop gezeigt.
Der Wiesbadener Atom-Experte Schier sagte, bei
Untersuchungen habe es keine Hinweise auf eine
unnatürlich hohe Radioaktivität gegeben. Es handle sich
nicht um Kernbrennstoff. Möglicherweise könnte es Schlacke
aus dem Hochofen eines Kohlekraftwerks sein, meinte
Schier. Der Hanauer Oberstaatsanwalt Jost-Dietrich Ort
sprach bisher von «Merkwürdigkeiten» bei den
Bodenproben aus dem Wald- und Wohngebiet. Ergebnisse
eines Gutachtens dazu sollen Ende Juni vorliegen.
Der Bundesverband der Christlichen Demokraten gegen
Atomkraft (CDAK) äußerte nach der Diskussion Zweifel, dass
die hessische Atomaufsicht den Gesundheitsschutz der
Bevölkerung im Blickfeld habe. Der CDAK-Bundesvorsitzende
Detlef Chrzonsz warf deren Leiter Schier am Sonntag
«taktische Spielereien auf dem Rücken der Bevölkerung und
der Öffentlichkeit» vor. Der umweltpolitische Sprecher der
CDU-Landtagsfraktion, Walter Arnold, sagte dagegen,
«zweifelhafte Wissenschaftler» versuchten erneut, mit
widerlegten Vermutungen Schlagzeilen zu machen. Dies sei
ein «schäbiges Spiel mit den Ängsten der Bevölkerung».
Die Ermittlungen der Hanauer Staatsanwaltschaft hatte der
Diplom-Ingenieur Gabriel aus Weinheim ins Rollen gebracht.
Er ist Mitglied einer wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft
in Gießen, die Bodenproben mit den Kügelchen aus
Hanau-Wolfgang untersucht hatte. Aus ihrer Sicht handelt
es sich um gefährlichen Kernbrennstoff, der aus einem
Unfall in einem ehemaligen Nuklearbetrieb stammen könnte.
Es sei keineswegs nur Wurmkot, betonte Gabriel.