Adieu à l'atome: Wie Frankreich auf leisen Sohlen aussteigt
11.12.1999
Europas größter Atomstaat rudert zurück -
Kernkraft-Lobby verliert an Einfluss - Endlagerung geplant
Paris - Der geplante Ausstieg der Deutschen aus der Atomenergie löst auch in
Frankreich Nachdenken aus.
Von unserem Korrespondenten
HARALD SCHULTZ, Paris
Auf höchster Regierungsebene schallte den Deutschen ein Nein! entgegen.
Premier Lionel Jospin tönte: ¸¸Wenn ein Regierungswechsel internationale
Verträge umstößt, dann bewegen wir uns nicht mehr auf festem Boden. Es
muss Schadenersatz geleistet werden.'' So sprach der Sozialist Anfang des
Jahres, weil er nicht die deutschen Aufträge zur Wiederaufarbeitung verlieren
will. Neun Mrd. DM stehen auf dem Spiel.
Alles klar also im Atomstreit zwischen Deutschland und Frankreich? Nicht ganz.
Hinter der scheinbar so fest gefügten Fassade bröckelt es. ¸¸Der Ausstieg der
Deutschen löst bei uns ein Nachdenken aus'', sagt Géraud Guibert, für die
Energiepolitik verantwortliches Vorstandsmitglied der französischen Sozialisten.
Die Atom euphorie ist verflogen. Frankreich steigt aus, wenn auch auf leisen
Sohlen.
Sicherlich, das Land ist noch immer ein Atomstaat: 54 Reaktoren produzieren
80Prozent des Stroms. Doch die einst so mächtige Atomlobby hat heutzutage
kein Oberwasser mehr. Neue Projekte werden nicht mehr begonnen, alte nur
noch abgewickelt. Die Electricité de France (EdF) stoppte ihr Atomprogramm,
weil sie Überkapazitäten hat. Seit 1990 wurden fünf Reaktoren stillgelegt.
Theam Politik: Seit 1997 sind die Grünen erstmals in der Nationalversammlung
und in der Regierung vertreten. Sie stellen mit Dominique Voynet die
Umweltministerin. Prompt legte die neue Regierung unter Lionel Jospin den
Schnellen Brüter in Creys-Malville endgültig still, an dem Deutschland beteiligt
ist. Auf Regierungsebene hat sich die Stimmung gegenüber der Atomkraft
deutlich verschlechtert. Die Mehrheit von 60 Prozent bei den Sozialisten ist für
einen Kurs, der auch andere Energiequellen nutzt. ¸¸Wir müssen die
Nukleardebatte aus der Sphäre des Religiösen herausnehmen'', sagt Guibert.
Erstmals wurde daher eine unabhängige Kontrollkommission für die
Atombranche eingerichtet. Jospins Beschluss, den Schnellen Brüter stillzulegen,
stellt längerfristig auch die Wiederaufarbeitungsanlage La Hague in Frage. Denn
warum sollte man für viel Geld die Brennstäbe zersägen und in Säure tunken,
wenn das so gewonnene Plutonium nicht mehr für Atombomben gebraucht und
auch nicht mehr im Schnellen Brüter verfeuert werden kann?
Bedrohlich für La Hague könnte daher werden, dass Jospin nun das staatliche
Commissariat Général au Plan, eine Wirtschaftsplanungsbehörde, erstmals
beauftragt hat, die Gesamtkosten der Wiederaufarbeitung auszurechnen;
innerhalb des Staatsapparates ist dies eine süße Rache der Betriebswirte an den
Atomingenieuren. Damit nicht genug: Jospin will auch erforschen, ob
Frankreich den Atommüll nicht endlagern kann, ohne ihn vorher wieder
aufzuarbeiten.
© 1999 Sindelfinger Zeitung, Germany
Erster Castor ins Zwischenlager Nord
Greifswald (AP) - Ein erster Castorbehälter mit Brennelementen des
Atomkraftwerkes Greifswald-Lubmin ist ins Zwischenlager Nord transportiert
worden. Die Aktion sei störungsfrei verlaufen, teilte der Betreiber Energiewerke
Nord mit. Die Greifswalder Bürgerinitiative Kernenergie erklärte, der Transport
hätte wegen gravierender Sicherheitsrisiken der Castoren und des
Zwischenlagers verhindert werden müssen. Das Schweriner
Umweltministerium hatte den Transport am Donnerstag genehmigt.
© 1999 Sindelfinger Zeitung, Germany 11.12.99
Sindelfinger Zeitung 10.12.99
>*SPD und Grüne fordern lückenlose Aufklärung*
*EnBW-Chef Goll zu geheimen Nebenabsprachen*
*mit der Electricité de France: "Haarsträubender Unsinn"*
Stuttgart - Die SPD und die Grünen haben die Landesregierung zu
einer lückenlosen Aufklärung über geheime Nebenabsprachen mit der
Electricité de France (EdF) aufgefordert.
VON GEORGE STAVRAKIS
"Ministerpräsident Teufel muss klar sagen, welche Geschäfte sich
hinter dem Kaufpreis verbergen", fordert SPD-Fraktionschef Ulrich
Maurer. Nach Informationen unserer Zeitung will die EdF nur dann
die 4,7 Mrd. DM für die Landesanteile an der Energie Baden-
Württemberg (EnBW) bezahlen, wenn die EnBW vorher bei den
Neckarwerken Stuttgart (NWS) - gegen den Konkurrenten RWE - den
Zuschlag bekommt. Sollte es derartige Nebenabsprachen geben, wäre
das eine grobe Missachtung des Parlaments, ist sich Fritz Kuhn,
Fraktionsvorsitzender der Landtags-Grünen, mit Maurer einig.
Die Landesregierung hat indessen die Vorwürfe zurückgewiesen.
Auch Stuttgarts Oberbürgermeister und NWS-
Aufsichtsratsvorsitzender Wolfgang Schuster verwahrt sich: "Von
solchen Absprachen ist mir nichts bekannt." Es sei vielmehr so
gewesen, dass die EnBW-Geschäftsleitung bei der EdF um Zustimmung
für den NWS-Anteilekauf gebeten habe. Von der EdF ist keine
Stellungnahme zu bekommen.
EnBW-Chef Gerhard Goll bezeichnet Geheimabsprachen als
"haarsträubenden Unsinn". Es handele sich um die Erfindung eines
"kranken Gehirns", das Sand in die angestrebte Kooperation von
EnBW und NWS streuen und der EnBW schaden wolle. Er sei sich
"ganz sicher", dass das EdF-Angebot nicht im Zusammenhang mit den
Neckarwerken stehe.
Branchenkenner jedoch mutmaßen, dass sich das französische
Staatsunternehmen über den Verbund mit der EnBW und den NWS
langfristig einen umfangreichen Zugang zum Atommülllager Gorleben
sichern möchte. "Würden die Franzosen tatsächlich auf einen
Zugang nach Gorleben spekulieren, wäre dieser schon über EnBW
möglich", so Goll. Damit bestätigte er indirekt einen möglichen
Zusammenhang zwischen dem Einstieg in den deutschen Strommarkt
und den Zugang nach Gorleben.
"Mich würden Geheimabsprachen nicht überraschen", sagt dagegen
ÖTV-Kreischef und NWS-Aufsichtsratsmitglied Werner
Vorderwülbecke. Sollten die Franzosen jedoch glauben, Atommüll in
Deutschland lagern zu können, würden sie die hiesige politische
Situation verkennen. Allerdings: "Wenn es überhaupt Absprachen
gäbe, könnte das Interesse der Franzosen nur das mögliche
Endlager Gorleben betreffen", so der Sprecher des Kernkraftwerks
Neckarwestheim gegenüber der Deutschen Presseagentur. Gorleben
ist europaweit das am besten erforschte Atomzwischenlager.
Außerdem gilt es in Gorleben am ehesten als möglich, einmal
Atommüll endgültig einzulagern.
© 1999 Sindelfinger Zeitung, Germany 10.12.99