TAZ 10.06.2000

Enttäuschte Bewegung

 

Die AKW-Gegner wollen sich über das Konsenspapier gar nicht freuen. Sie

sehen sogar eine Renaissance der Atomenergie heraufziehen

 

HANNOVER taz Die Reaktionen im Wendland sind nicht einmal gespalten,

sondern einhellig: "Da versucht uns Rot-Grün den Bestandsschutz für die

Atomkraftwerke als Ausstieg zu verkaufen", kritisiert der Sprecher der

Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg Wolfgang Ehmke den halbwegs festgezurrten

Atomkonsens. Der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad, Peter

Dickel, sieht durch die Einigung zwischen Bundesregierung und Betreibern

sogar eine "Renaissance der Atomenergie" heraufziehen. "Nach dem, was da

ausgehandelt wurde, stehen wir allenfalls im Zenit der Atomkraftnutzung",

meint Dickel. Schließlich sei die Atomstromproduktion vor dreißig Jahren

aufgenommen worden und es sollen jetzt noch mindestens weitere 30 Jahre

folgen. "Das ist kein Ausstieg", stellt der altgediente AKW-Gegner schlicht

fest. Und in den Augen von Wolfgang Ehmke sind die vorgesehenen

Restlaufzeiten wortwörtlich "zum Weglaufen".

 

"Die Sprache verschlagen" hat Ehmke der Entsorgungsteil des Konsenspapieres.

Das für das Endlager Gorleben dort vorgesehene Moratorium von drei bis zehn

Jahren hält er nur "für ein kleines Zwischenspiel". Dass die Rechtsgrundlage

für das Endlagerbergwerk, der Rahmenbetriebsplan, um zehn Jahre verlängert

werden solle, deute auf einen weiteren Ausbau des Endlagers hin.

 

Empörend nannte Ehmke, dass die Vereinbarung die Wiederaufarbeitung von

Brennelementen im Ausland bis zum Jahr 2005 und darüber hinaus erlauben

will. Weil die Wiederaufarbeitung erlaubt bleibe, würden die wendländischen

AKW-Gegner in jedem Fall auch Rücktransporte von WAA-Müll aus Frankreich

nach Gorleben blockieren.

 

Beim Endlager Schacht Konrad wollen die Grünen nach den Worten von Peter

Dickel "genau das alte CDU-Konzept umsetzen". Schon Umweltministerin Angela

Merkel habe das Endlager in Salzgitter genehmigen wollen, ohne die

Einlagerungserlaubnis für sofort vollziehbar zu erklären. Auch das

Konsenspapier folge dabei den Interessen der Atomwirtschaft:

JÜRGEN VOGES

Rubrik: Politik

 

Tagesspiegel 10.06.2000

 

Wiederaufbereitung endet im Jahre 2005 -

Erste Einigung zwischen Atom-Industrie und Regierung

 

Im Streit um den Atomkonsens sind die wesentlichen Punkte nach wie vor

offen. Einigkeit zwischen Regierung und Konzernen besteht allerdings nach

einem von der "Berliner Zeitung" verbreiteten Vereinbarungsentwurf darin,

dass Atommüll spätestens ab dem 1. Juli 2005 direkt endgelagert und nicht

mehr zur Wiederaufarbeitung nach Frankreich oder Großbritannien

transportiert werden soll. Bei dem angestrebten Spitzengespräch von

Bundeskanzler Gerhard Schröder mit der Atombranche am Mittwoch müssen nach

Angaben beider Seiten vor allem noch die politisch brisanten Fragen wie die

Restlaufzeiten oder ein Enddatum für den Betrieb von AKWs in Deutschland

beantwortet werden. Über Einzelpunkte wird auch über Pfingsten noch auf

verschiedenen Ebenen verhandelt. Die Erkundung des Endlagers Gorleben soll

für mindestens drei, höchstens aber zehn Jahre ausgesetzt werden, um in

dieser Zeit nach Alternativstandorten zu suchen. Die Wirtschaft verzichtet

auf Entschädigungsforderungen, die Regierung auf Maßnahmen, die den

AKW-Betrieb stören würden.

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