Presseinformation der IPPNW v. 06.05.2002 ------------ Presseinformation der IPPNW v. 06.05.2002

Plutonium in Wohngebieten von Hanau und Elbmarsch/Grüne Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung ignorieren seit Jahren die Fakten

Hanau und Geesthacht/Elbe: Der jahrelang vertuschte Atomskandal

Berlin, den 6.5.02: Wissenschaftler der Arbeitsgemeinschaft Physikalische Analytik und Messtechnik (ARGE PhAM) haben in einer heute veröffentlichten Studie im Auftrag von IPPNW das Vorkommen von sogenannten PAC-Kernbrennstoff-Kügelchen im Nahbereich der Geesthachter Atomanlagen (Elbmarsch und -geest) erneut bestätigt. Die Gutachter befassen sich mit der Kernbrennstoffproblematik um die Geesthachter Atomanlagen. Heute abend berichtet REPORT/Mainz hierüber und über den Nachweis von vergleichbaren Kernbrennstoffkügelchen in einem Hanauer Wohngebiet. Die zuständigen Staatsanwaltschaften ermitteln.

Jetzt vorgenommene Messungen der Universität Giessen (Massenspektrometrie) belegen die Kontamination des Bodens im Nahbereich der Geesthachter Atomanlagen mit PAC-Kernbrennstoffpartikeln. In den Partikeln wurden Plutoniumisotope (Transurane) nachgewiesen. Die in Giessen untersuchten Partikel wurden von Privatdozent Dr. Stevenson aus eigenhändig gewonnenen Bodenproben separiert. Stevenson ist habilitierter Strahlenbiologe und wissenschaftlicher Geschäftsführer der schleswig-holsteinischen Leukämiekommission. PAC steht für die radioaktiven Nuklide Plutonium, Americium und Curium. Die in der Literatur auch sphere-pac genannten runden, bis ein Millimeter großen Partikel wurden für den Einsatz in bestimmten Reaktoren entwickelt und in Hanau großtechnisch in den 80er Jahren hergestellt. In Geesthacht wird in unmittelbarer Nachbarschaft des Atomkraftwerkes Krümmel eine nukleare Forschungseinrichtung (GKSS) betrieben, die mit Hanau kooperiert hat. Laserbeschuss setzt in den PAC-Teilchen über Mikroexplosionen Neutronen frei, was wiederum zur Erbrütung hochreiner Spaltstoffe führt.

Die Indizien für einen Atomunfall bei Geesthacht am 12.9.86 haben sich verdichtet. Am 12.9.86 war innerhalb und außerhalb des Atomkraftwerks eine radioaktive Kontamination aufgetreten. Es wurden Kontrolleure mit Strahlenschutzanzügen beobachtet. Die Erklärung der Atomaufsicht, es habe sich um einen Aufstau von natürlicher Radioaktivität durch Radon gehandelt, dass von außen in das Gebäude angesaugt worden sei, ist erkennbar unsinnig. Hierzu Gutachter Gabriel: "Die Behauptung der Behörden ist Volksverdummung. Selbst wenn die gesamt Geest aus Uran bestünde, könnte sich keine entsprechende Aktivität aufbauen."

Die Wissenschaftler Prof. Brandt, Prof. Scharmann und Diplom-Ingenieur Gabriel stellten bereits im Juli 2001 fest: "Die Erzeugung der Radioaktivität ist mit hoher Wahrscheinlichkeit in Folge der Bestrahlung von Thorium und Uran mit schnellen Neutronen entstanden. Daraus ergibt sich ein Modell, welches die Radioaktivitätswolke aus der Geest am 12.9.86 erklären kann." Im aktuellen Gutachten heißt es hierzu:

"Die großflächige Verbreitung (von pac-Kernbrennstoff) in Elbmarsch und -geest kann ihre Ursache ausschließlich in einem unfallbedingten Ereignis haben - sei es ein Großbrand, eine Verpuffung, eine Explosion oder ähnliches. Eine andere Erklärung ist abwegig. Am 12.9.86 wurde eine deutlich erhöhte Betaaktivität bei regelmäßigen Messungen der GKSS in Obermarschacht festgestellt. Am gleichen Tag wurden im Kernkraftwerk Krümmel erhöhte Aktivitäten in der Zuluft gemessen. Bei einer Untersuchung von Elbsediment am 15.9.86 beim GKSS-Einlaufbauwerk an der Elbe durch die LUFA/Kiel wird u.a. eine ungewöhnlich hohe Cäsium 137 Aktivität gemessen (etwa 100 Bq/kg). Das Verhältnis von Cäsium 137 zu Cäsium 134 belegt, dass die Aktivitäten weder von Tschernobyl noch von Waffenfallout stammen können. Gleichzeitig wird dort eine Neptunium 239 Konzentration von <3300 Bq/kg bestimmt. Neptunium 239 ist das kurzlebige Tochterprodukt des langlebigen Transplutonium-Nuklids Americium 243, das auch die ARGEPhAM mit mehr als 35 Bq/kg gemessen hat."

Für IPPNW betont der Umweltmediziner Dr. Hayo Dieckmann, daß der extreme Leukämieeffekt bei Kindern im Nahbereich der Geesthachter Atomanlagen weltweit einzigartig sei. "Nirgendwo sonst ist weltweit in der Fachliteratur eine vergleichbare Häufung kindlicher Leukämien beschrieben. Allein in der kleinen Gemeinde Tespe unmittelbar gegenüber den Atomanlagen sind innerhalb kurzer Zeit sechs Kinder an Leukämie erkrankt. Nur alle 58 Jahre wäre dort ein kindlicher Leukämiefall statistisch zu erwarten." Auch im vergangenen Jahr ist wieder ein Kleinkind auf der niedersächsischen Elbseite erkrankt. Es muß also davon ausgegangen werden, dass die Leukämieserie weiter anhält. Über einen Zeitraum von inzwischen zehn Jahren haben zwei wissenschaftliche Kommissionen der Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein alle erdenklichen nicht-atomaren Leukämieursachen ausschließen können. Was bleibt, ist allein radioaktive Strahlung.

Bereits im Juli 2001 hatten Untersuchungen an den Universitäten Giessen und Marburg in der Region Geesthacht den Nachweis von angereichertem (nicht natürlich vorkommendem) Uran erbringen können - in 15 von 16 Bodenproben wurde angereichertes Uran gefunden. Einträge durch Bombenfallout oder Tschernobyl konnten zweifelsfrei ausgeschlossen werden. Zusätzlich hat eine von der ARGE PhAM vorgenommene, nachträgliche Analyse von Messungen, die im Auftrag der Landesregierungen von Schleswig-Holstein und Niedersachsen durchgeführt wurden, ebenfalls angereichertes Uran nachgewiesen. Eine Untersuchung des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie (NLÖ) von Februar und März 2001 und eine Untersuchung der Universität Göttingen von 1996 bestätigen, dass der Urangehalt des Bodens nicht-natürlicher Herkunft ist. Auch eine ältere Untersuchung des heutigen Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie von 1991 (vormals NLIS) belegt Nuklidanreicherungen, die eindeutig nicht-natürlichen Ursprungs sind (z.B. Protactinium 69,8 Bq/kg).

Bereits 1998 hatte die Bremer Professorin Schmitz-Feuerhake in Hausstaubproben in der Elbmarsch erhöhte Konzentrationen von Plutonium-Isotopen nachgewiesen, die später in Folgeuntersuchungen u.a. an der Universität Krakau bestätigt wurden. Der zuständige grüne Staatssekretär in Kiel hatte sich daraufhin zum Vorreiter einer beispiellosen Diffamierungskampagne gegen die Professorin gemacht.

Das Bemühen des wissenschaftlichen Geschäftsführers der schleswig-holsteinischen Leukämiekommission Privatdozent Dr. Stevenson, wegen der besorgniserregenden eigenen neuen Befunde jetzt eine Sitzung der Leukämiekommissionen einzuberufen, wird von der Kieler Landesregierung (Energie- und Umweltministerium) und vom niedersächsischen Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales blockiert.

Dr. Sebastian Pflugbeil Dr. Hayo Dieckmann

Kontaktadressen: Dr. Hayo Dieckmann 04131 61319, Fax 04131 681237 Henrik Paulitz 06221 758877 odert 01715388822, Fax 06221 759967

Die Zusammenfassung des Gutachtens kann angefordert werden: Dr. Sebastian Pflugbeil Tel. 030 4493736, Fax 030 44342834

siehe auch: Sebastian Pflugbeil: Mini-Atombomben aus dem Kugelschreiber

 

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FAZ 06.05.02

Wohngebiete bei Hanau und Geesthacht radioaktiv belastet

6. Mai 2002 Wohngebiete rund um Atomanlagen in Schleswig- Holstein und Hessen sind nachUntersuchungen von Strahlenexperten großräumig radioaktiv belastet. Die zum Teil bereits bekannten Befunde in der Umgebung der Atomanlagen in Geesthacht bei Hamburg und der ehemaligen Hanauer Nuklearbetriebe sind nun nach Angaben der Wissenschaftler eindeutig nachgewiesen. Das schleswig-holsteinische Energieministerium sprach am Montag von „alten Hüten". Es gebe in der Diskussion keine neuen Erkenntnisse, sagte ein Sprecher. Die Hanauer Staatsanwaltschaft, die seit einem Jahr ermittelt, geht nicht von einer akuten Gefährdung der Bevölkerung aus.

Die Ergebnisse der Untersuchungen im Auftrag der atomkritischen Ärztevereinigung IPPNW wurden am Montag in Berlin vorgestellt. Die Gutachter der Arbeitsgemeinschaft Physikalische Analytik und Messtechnik (ARGE PhAM) aus Gießen bezeichneten sich selbst als Kernenergie-Befürworter. Ihren Angaben zufolge konnten sie in beiden betroffenen Gebieten Teile von plutoniumhaltigem Kernbrennstoff nachweisen.

Die Teile in Form von Kügelchen strahlen den Angaben zufolge nicht nach außen ab, da die Radioaktivität nicht durch die Hülle dringt. Bei Inhalieren oder Verschlucken können aber laut IPPNW-Ärztin Helga Dieckmann unter bestimmten Umständen schwere Gesundheitsschäden ausgelöst werden.

Das niedersächsische Umweltministerium wies darauf hin, dass die ARGE PhAM den Vorwurf der radioaktiven Verseuchung rund um die Geesthachter Atomanlagen schon vor mehr als einem Jahr erhoben habe. Damals habe das Landesamt für Ökologie eigene Bodenproben analysiert. Die Vorwürfe hätten sich seinerzeit nicht bestätigt, sagte eine Ministeriumssprecherin in Hannover. Die Untersuchungen hätten keine Hinweise auf radioaktive Belastungen ergeben.

Hessische Atomaufsicht geht Hinweisen nach

In Hanau ist nach Angaben von Oberstaatsanwalt Jost-Dietrich Ort nicht geklärt, wer die Belastung des Bodens verursacht hat. Auch wann der Boden belastet wurde, sei nicht bekannt. Die hessische Atomaufsicht geht den Hinweisen auf Bodenbelastung seit etwa einem Jahr nach. Zusätzlich zu den routinemäßigen Untersuchungen seien neue Bodenproben angeordnet worden, sagte die Sprecherin des hessischen Umweltministeriums, Birgitt Wagner. Dabei seien jedoch keine Auffälligkeiten gefunden worden.

Bei den Teilchen handelt es sich den ARGE-PhAM-Angaben zufolge um bis zu ein Millimeter große Kügelchen von so genanntem PAC- Kernbrennstoff (Plutonium, Americium und Curium), der für den Einsatz in bestimmten Reaktoren entwickelt wurde. Die Kügelchen seien in Bodentiefen zwischen 5 und 15 Zentimetern gefunden worden. Die Gutachter führen die radioaktiven Funde auf Unfälle in den Anlagen in den 80er Jahren zurück.

Die ungewöhnlich hohe Leukämierate bei Kindern in der Umgebung von Geesthacht ist seit Jahren Anlass für Streit zwischen Experten. Atomkraftgegner führen die Fälle von Blutkrebs auf Strahlung durch die dortigen Nuklearanlagen zurück. In Geesthacht wird in unmittelbarer Nachbarschaft des Atomkraftwerks Krümmel eine nukleare Forschungseinrichtung betrieben, die nach Angaben der Experten mit Hanau kooperierte.

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