Frankfurter Rundschau 26.09.01

Achtung, Atomstaat

Nuklearanlagen wären Kamikaze-Anschlägen schutzlos ausgeliefert -

ein Problem, das Sicherheitsexperten in eine Zwickmühle bringt

 

Von Joachim Wille

 

Die bittere Wahrheit ist: Atomkraftwerke und andere Nuklearanlagen können gegen

Kamikaze-Attacken wie in New York nicht geschützt werden. Die Betonkuppeln der

deutschen AKW würden dem gezielten Aufschlag eines vollbetankten Passagierjets nicht

standhalten. Ein solches Szenario erschien den Konstrukteuren bei der Auslegung der

Anlagen in den 70er und 80er Jahren undenkbar - und eine Antiterror-Aufrüstung hätte

die Nuklearzentralen vielleicht auch so verteuert, dass das strahlende Image vom billigen

Atomstrom dahin gewesen wäre.

 

Dies bringt heute die für die Sicherheit der Bevölkerung verantwortlichen Politiker in eine

Zwickmühle. Das Atomgesetz ermöglicht ein Stilllegen der Kernkraftwerke nur bei einer

konkreten Gefährdung, wenn also etwa Geheimdienste oder das Innenministerium

Hinweise auf geplante Attacken haben. Furcht vor einem solchen Szenario reicht nicht

aus. Eine Nachrüstung der Kraftwerke für den Fall der Fälle wiederum wird von Fachleuten

nicht für machbar gehalten. Bleibt, so lange der Sofortausstieg politisch nicht

durchsetzbar ist, nur der von Experten geforderte und nun auch vom Chef der

Reaktorsicherheitskommission in Erwägung gezogene Schutz der AKW durch eine

militärische Flugabwehr. Wahrlich: Ein Stück von Robert Jungks Atomstaat würde

sichtbar.

 

Es wäre fahrlässig, die Bürger unbegründet zu verängstigen. Bisher ging es den

Terroristen nicht darum, möglichst viele Menschen zu töten, sondern darum, die Symbole

des Westens zu treffen. Doch angesichts möglicher Eskalationen muss das Undenkbare

gedacht werden.

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WDR-Magazin "markt": 23.09.01

Vor Anschlaegen sichere Atomkraftwerke nicht finanzierbar

 

Koeln (ots) - Die meisten deutschen Atomkraftwerke sind auch nachtraeglich gegen Terroranschlaege faktisch nicht abzusichern. Dies erklaerte der Leiter der von Bundesumweltminister Trittin eingesetzten Reaktor-Sicherheitskommission, Lothar Hahn, gegenueber dem Westdeutschen Rundfunk. Hahn schloss entsprechende Baumassnahmen fuer aeltere Atommeiler schon aus statischen Gruenden aus, bei allen Kraftwerken scheitere eine Nachruestung ohnehin an der Kostenfrage. "Ich halte es fuer illusorisch, Kernkraftwerke so sicher machen zu koennen, dass Terrorangriffe nicht moeglich sind", so der Leiter der Reaktor-Kommission woertlich. Ueber die immensen Kosten einer Nachruestung von Atomkraftwerken berichtet das WDR-Fernsehen am Montag in seinem Wirtschaftsmagazin "markt".

Die Reaktor-Sicherheitskommission soll Umweltminister Trittin bis Mitte Oktober zu der neuen Bedrohung einen Bericht vorlegen. Gegenueber dem WDR erklaerte ihr Leiter Hahn vorab, die 19 deutschen Atommeiler seien nicht nur durch Angriffe aus der Luft gefaehrdet. Ein Anschlag mit schwereren tragbaren Waffen auf zum Teil oberirdisch verlegte Kuehlleitungen koennte genuegen, um den Reaktorkern zum Ueberhitzen zu bringen. Die Folge waere eine aus der Katastrophe von Tschernobyl bekannte Kernschmelze. Die Kosten einer umfassenden Absicherung eines einzigen Kraftwerks bezifferte Hahn auf rund zwei Milliarden Mark. Setze man diesen Betrag in Relation zu den normalen Baukosten fuer ein Kraftwerk von fuenf Milliarden Mark, koenne "man sich vorstellen, dass sich das nicht mehr lohnt."

Zur Frage, ob diese Erkenntnisse einen schnellstmoeglichen Ausstieg aus der Atomenergie erfordern, wollte sich Bundesumweltminister Trittin gegenueber dem WDR nicht aeussern. Aus dem renommierten Wuppertal-Institut fuer Klima, Umwelt, Energie hiess es, Ueberkapazitaeten bei der Stromproduktion sowie leicht umsetzbare Energiesparmassnahmen wuerden es erlauben, die Haelfte aller Kraftwerke sofort vom Netz zu nehmen. Der frueher bei Siemens mit Entwicklung und Bau von Kernkraftwerken beauftragte Nuklear-Experte Klaus Traube verwies auf die Moeglichkeit, aeltere Kohle- und Gaskraftwerke zu reaktivieren: "Wenn man es will, kann man die Kernkraftwerke innerhalb von wenigen Wochen abschalten."

Um die Klima-Belastung wieder zu reduzieren, muessten dann laut Traube, der heute u.a. den Bund Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) beraet, innerhalb von fuenf Jahren an Stelle der alten Kraftwerke solche auf Basis von Kraft-Waerme-Kopplung sowie regenerative Energiequellen treten. Der Strompreis wuerde sich dadurch um einen Pfennig pro Kilowattstunde erhoehen.

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17. Sep 16:48 Netzeitung

Atomkraftwerke sind nicht terrorsicher

Auch Atomkraftwerke sind durch terroristische Flugzeugattacken verwundbar. Das bestätigten Experten auf einer internationalen Konferenz in Wien.

Terroristen besitzen zur Zeit keine Atomwaffen, könnten aber durch den gezielten Absturz eines Passagierflugzeugs auf ein Atomkraftwerk (AKW) eine nukleare Katastrophe auslösen. Zu diesem Ergebnis kommt die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) in Wien.

Kein Schutz gegen Großjets

Auf der Generalkonferenz der Behörde am Montag in Wien äußerten Experten ihre Besorgnis über die Sicherheit von Atomkraftwerken gegen terroristische Luftschläge. Zwar seien die meisten Kraftwerke darauf ausgerichtet, Flugzeugabstürze zu überstehen. Ältere AKW böten jedoch nur gegen die relativ kleinen Passagiermaschinen früherer Jahre Schutz.

«Wenn Sie sich einen modernen Jumbo-Jet mit vollen Tanks vorstellen, müssen Sie davon ausgehen, dass die älteren Bauwerke nicht ausgelegt sind, einem solchen Einschlag zu widerstehen», erklärte der Sprecher der UN-Atombehörde, David Kyd. Er betonte jedoch zugleich, dass Atomanlagen wesentlich schwerer aus der Luft zu treffen seien als Hochhäuser wie das World Trade Center in New York.

Appelle der US-Regierung

Die IAEO-Konferenz war begleitet von Appellen der US-Regierung an die Behörde, die Verbreitung von Nuklearmaterial zu unterbinden. So forderte Präsident George Bush nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa die IAEO auf, die Weiterverbreitung von Nuklearstoffen zu verhindern und Terroristen von jedem Nuklearmaterial fern zu halten. Und US-Energieminister Spencer Abraham, in Wien selbst vor Ort, ergänzte: «Wir wissen, dass unsere Sicherheit und die Sicherheit der Völker dieser Welt weitgehend davon abhängt, dass diese Organisation die Weitergabe und den Missbrauch von Nuklearmaterialien verhindert.»

Für das Web ediert von Thomas Trösch

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19.09.2001 Frankfurter Rundschau

Militärschutz für Atomfabriken in La Hague und Sellafield

Fachmann warnt vor möglichen Terror-Angriffen mit verheerenden Folgen / Anlagen gegen Flugzeugabsturz nicht gesichert

Von Joachim Wille

Die Wiederaufarbeitungsanlagen (WAA) im französischen La Hague und in Sellafield (Großbritannien) müssen nach Ansicht des Pariser Energie-Experten Mycle Schneider mit militärischen Mitteln gegen Terror-Attacken gesichert werden. Ein gezielter Flugzeugabsturz auf eine WAA hätte einer Studie zufolge weitaus schlimmere Folgen als der Tschernobyl-Super-Gau.

FRANKFURT A. M., 18. September. Die noch unveröffentlichte Untersuchung behandelt die Folgen möglicher schwerer Unfälle in den beiden Anlagen. Dort werden Atombrennstoffe aus mehreren europäischen Ländern, darunter Deutschland, und aus Japan wiederaufgearbeitet. Erstellt wurde die Studie von dem Energie-Informationsdienst "Wise" in Paris, Auftraggeber ist die Generaldirektion Forschung des Europäischen Parlaments.

Die Studie geht im Fall La Hague von einer Explosion oder einem Brand in einem der "Nasslager" aus, in denen die Wärme entwickelnden abgebrannten Brennstäbe vor ihrer Weiterverarbeitung gekühlt "abklingen" müssen. Eine Flugzeug-Attacke sei ein "noch schwerwiegenderes Szenario", sagte Wise-Leiter Schneider der FR. Würde nur das Cäsium-137-Inventar des kleinsten Abklingbeckens freigesetzt, entspräche dies der Studie zufolge mit 1,67 Tonnen der 67fachen Menge, die davon 1986 in Tschernobyl aus dem explodierten Reaktor entwich. Allein hierdurch würden, so Schneider, bis zu 1,5 Millionen Menschen an Krebs erkranken.

In La Hague befinden sich nach Wise-Angaben zurzeit etwa 7500 Tonnen abgebrannter Brennstäbe, ein Vielfaches des in Atomkraftwerken gelagerten Materials. Hinzu kämen 80 Tonnen des hochgiftigen Plutoniums, das bei der Wiederaufarbeitung anfällt. Auch die am besten geschützten Gebäude - darunter der Plutoniumbunker - würden nach Wise-Angaben nur den Absturz von kleineren Flugzeugen unbeschadet überstehen. Eine gezielte Attacke mit einem voll getankten Verkehrsflugzeug könne zu einer Katastrophe führen.

Der Sprecher der La-Hague-Betreibergesellschaft Cogema, Thomas Roser, bestätigte auf FR-Anfrage, dass in Frankreich die Möglichkeit von Flugzeugabstürzen bei der Auslegung von Atomanlagen bisher generell nicht berücksichtigt werde. "Dies gilt als so unwahrscheinlich, dass hierfür keine speziellen Vorkehrungen getroffen werden", sagte Roser. Gegen Terror-Anschläge sei "kein Kraut gewachsen".

Schneider hält eine bessere Abschirmung der Brennstab- und Plutonium-Lager in La Hague und Sellafield durch bauliche Maßnahmen nicht für machbar. Kurzfristig müssten die WAA mit Flugabwehrgeschützen geschützt werden. Mittelfristig sollten die Nasslager in La Hague aufgelöst und die abgebrannten Brennstäbe dezentral und gut gesichert an den AKW-Standorten untergebracht werden, empfiehlt er. Auch dies gebe keine völlige Sicherheit, räumt Schneider ein, zumal die AKW selbst nicht gegen Abstürze ausgelegt wurden. Immerhin sei dann aber das radioaktive Inventar am jeweiligen Standort kleiner als in La Hague.

Stuttgart sagt Atomtransporte ab

STUTTGART/BERLIN (rtr/afp). Die Landesregierung Baden-Württembergs hat nach den Terroranschlägen die für dieses Jahr angekündigten Atommülltransporte abgesagt. Das niedersächsische Innenministerium hingegen teilte mit, dort gehe die Planung für einen Transport ins Zwischenlager Gorleben weiter. Bundesumweltminister Jürgen Trittin will am heutigen Mittwoch dem Kabinett über die Sicherheit der Atomkraftwerke berichten.

Alle Beiträge von heute im FR Top-Thema, alle FR-Beiträge mit Videos, Flash-Animation und Foto-Chronologie der Ereignisse im FR-Spezial Terror in den USA, laufend aktualisierte Meldungen im dpa-Thema des Tages und in den

 

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