Müssen wir erst krank werden, damit etwas passiert?

Oberbürgermeister Wolff spricht mit Bürgern über Plutoniums-Affäre -

Auf viele Fragen gibt es noch keine Antwort. Alle Anwohner der Raimund-Huber-Straße müssen medizinisch untersucht, die ganze Umgebung muss nach weiteren verseuchten Gegenständen durchkämmt werden. Das waren die Forderungen, die die etwa 150 Anwohner gestern an Oberbürgermeister Dr. Christof Wolff und Bürgermeister Hans-Dieter Schlimmer richteten, die ihnen in einer Bürgerversammlung zu der Plutonium-Affäre Rede und Antwort standen.

Die Sonne scheint, ein paar Kinder toben unbeschwert über die Wiese vor der Hausnummer 10, in der sich die verseuchte Wohnung befindet. Doch trotz der scheinbaren Normalität halten einige Mütter ihre Kinder eng an sich gedrückt: "Was sollen wir machen, sollen wir die Kinder rennen lassen", fragt eine von ihnen und bringt damit die größte Sorge der Anwohner auf den Punkt: Wie groß ist das Risiko, dass ihre Nachbarin, die Lebensgefährtin des mutmaßlichen Plutonium-Diebs, nicht doch irgendwo in der näheren Umgebung etwas von dem gefährlichen Diebesgut abgelegt hat?

Können irgendwo noch der Kulturbeutel und der Kleidersack herumliegen, nach denen Wolff auch gestern Nachmittag noch fragte. Gleichzeitig verbreitet jedoch schon die Struktur- und Genehmigungsdirektion in Neustadt, die Caesium-Quelle sei gefunden und die Suche sei beendet (siehe Südwest).

Wolff nimmt die Forderungen der Bewohner auf, versucht zu erklären, was er erklären kann, liest die wohlformulierten Erklärungen vor, die ihm das Umweltministerium geschickt hat. Darin heißt es, es gehe keine Gefahr mehr von der Wohnung aus, alle Risse seien abgeklebt, strahlen könne die Wohnung nicht. Auch der Junge, der die Nachbarin öfters in deren Wohnung besucht hat, sei untersucht worden. Ergebnis negativ, der Junge hat nichts abbekommen. Das Umfeld zeige keine Kontamination, alles "nach derzeitigem Kenntnisstand". Doch die Anwohner haben konkrete Forderungen an Wolff: "Wir sind nicht untersucht worden, unsere Kinder auch nicht", klagen sie.

Die ganze Umgebung müsse abgesucht werden, die Anwohner auch, natürlich kostenlos: "Wenn die von der Wiederaufbereitungsanlage geschlampt haben, dann müssen sie dafür auch zahlen." Der Mann, der sogar in dem Mietwagen seiner Nachbarin gesessen hat, um ihr die Gangschaltung zu erklären, nimmt es sogar mit Galgenhumor, obwohl in dem Wagen inzwischen Rückstände gefunden wurden: "Wenn ich anfange zu leuchten, gehe ich ins Krankenhaus", sagt er. "Aber verstehen kann ich das nicht: Einerseits sagt man uns, dass die Verstrahlung nicht auf der Körperoberfläche gemessen werden kann, andererseits haben die aber nur außen gemessen."

Eine Blut- oder Urinprobe sei auch bei dem kleinen Jungen nicht gemacht worden. Vor allem aber, so die Anwohner, müssten verschwundene Gegenstände gefunden werden. "Wer sagt uns, dass die Frau die Sachen nicht einfach in den Hausmüll gesteckt oder hinter den nächsten Busch geworfen hat?" An der Lazarettstraße, also in der Nähe, ständen noch zwei Altkleider- und ein Schuh-Container, die nicht untersucht worden seien.

"Warum kann die Polizei nicht einfach mit einer Hundertschaft das Gelände durchkämmen? Für den Schutz von Castor-Transporten steht doch auch immer genug Polizei zur Verfügung!"

Als die Frage auf die Gefährdung durch Strahlen, die Unterschiede zwischen Alpha- und Gamma-Strahlen, muss Wolff passen: "Kennt sich hier zufällig jemand damit aus", fragt er in die Menge. "Ja wo sind denn die Leute, die sich auskennen?", fragen die Menschen zurück.

Was gefährlich ist und was nicht, darüber herrscht alles andere als Klarheit. Was zum Beispiel ist, wenn man persönlich Kontakt zu der verstrahlten Nachbarin hatte? "Müssen wir denn erst krank werden, damit etwas passiert?", fragt eine der anwesenden Frauen.

Auch er, wiederholt Wolff, bekomme von den entsprechenden Stellen keine Antwort. "Glauben Sie nicht, dass der Bürgermeister einer mittelgroßen Stadt wie Landau so einen Einfluss hat, dass alles passiert, was er fordert!" Auch er höre nur Beschwichtigungen, werde aufgefordert, die Sache nicht zu dramatisieren.

Was aus der verseuchten Wohnung werde, ob der Abtransport der belasteten Möbel für die Anwohner gefährlich und für wann er geplant sei, darauf habe man ihm keine Antwort gegeben. Nachdem der vom Forschungszentrums Karlsruhe nach einer Untersuchung zugesagte Unbedenklichkeits-Bescheid für die Rechtsanwaltskanzlei ausblieb, in der die Tochter arbeitet, sind die Büroräume gestern nochmals von rheinland-pfälzischen Behörden untersucht worden.

Zum zweiten Mal untersucht wurde gestern auch das Gelände am Ebenberg, wo das Material gefunden worden war. In beiden Fällen gaben die Behörden Entwarnung.

Von unserem Redaktionsmitglied : Corinna Trips RON - RHEINPFALZ ONLINE, Donnerstag, 19. Jul , 03:45 Uhr

 

Kommentar:

Überheblich

Von Kerstin Witte-Petit -

Landauer, die in der Raimund-Huber-Straße und in den angrenzenden Straßen wohnen, wollen wissen, ob sie oder ihre Kinder gefährdet sind. Das wollen auch die Eschbacher wissen und alle, die oft auf dem Ebenberg spazieren gehen. Aber man lässt sie allein. Gestern Nachmittag hat sich Oberbürgermeister Dr. Christof Wolff redlich bemüht, Landauer Bürgern solche Fragen zu beantworten. Aber er konnte es nicht. Wolff selbst hängt am dünnen Faden der Informationen, die Karlsruhe geruht, von sich zu geben.

Er war gestern am richtigen Ort - aber der falsche Mann. Bei den meisten Fragen musste er passen und konnte nicht viel mehr tun als versprechen, er gebe die Forderungen weiter. Leider stand ihm für fachliche Fragen der Bürger auch kein Experte des rheinland-pfälzischen Umweltministeriums zur Seite.

Nur: Die, die am ehesten Auskunft geben könnten, hielten es nicht für nötig, vor Ort nach Landau oder nach Eschbach zu kommen und die bangen Fragen zu beantworten. Zum Beispiel Vertreter der baden-württembergischen Aufsicht einer Atomanlage, aus der man unbehelligt Plutonium heraustragen kann, und die nicht einmal ganz sicher ausschließen kann, dass noch mehr hinausgeschmuggelt wurde.

Können Kinder gefahrlos im Gebüsch spielen und ihre Baumhäuser bauen, oder liegt dort noch etwas herum? Welche Art von Kontakt mit den jetzt Inhaftierten selbst oder mit ihren Besitztümern barg Gefahr? Können stöbernde Hunde beim Spaziergang über den Ebenberg in Berührung mit gefährlichen Substanzen gekommen sein? RON - RHEINPFALZ ONLINE, Donnerstag, 19. Jul , 03:45 Uhr

Kostenlose Strahlen-Untersuchung für Bürger Besorgte Eschbacher und Landauer können sich melden - Kulturbeutel gefunden - OB Wolff schreibt an Umweltministerin.

Landauer und Eschbacher, die Angst haben, dass sie im Zusammenhang mit der Plutonium-Affäre schädliche Strahlen abbekommen haben, können sich im Mainzer Klinikum am Ganzkörperzähler kostenlos untersuchen lassen. Das hat gestern die Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd (SGD) in Neustadt zugesichert. Über diese schnelle Reaktion auf die Bürgerversammlung von vorgestern zeigte sich Oberbürgermeister Dr. Christof Wolff sehr erfreut. Die Bürger müssen sich dazu im Landauer Rathaus (Telefon 13-120 oder 13-121) oder in der Verbandsgemeinde Landau-Land (Telefon 14 30) anmelden. Die Fahrtkosten müssen sie selbst tragen.

Aus fachlicher Sicht gebe es keine Veranlassung, davon auszugehen, dass weitere Bürger Radioaktivität in ihren Körper aufgenommen hätten, meint die SGD. Die Erkenntnislage sei inzwischen so abgesichert, dass man folgendes sagen könne: Alle Gegenstände, nach denen gesucht wurde, seien gefunden und sichergestellt, auch der vermisste Kleidersack mit dem bisher fehlenden Kulturbeutel.

Es bestehe keine Gefahr für die Mitbewohner der Häuser Landeckweg 22 in Eschbach und Raimund-Huber-Straße 10 in Landau, für die Nachbarschaft und die Bevölkerung. Aus den beiden betroffenen Wohnungen könne keine Radioaktivität nach außen dringen. Zur Sicherheit komme das Landesamt für Umweltschutz und Gewerbeaufsicht wöchentlich zu Kontrollmessungen in die Treppenhäuser.

Bisher gemessen wurden die Grünflächen um die Häuser 10 und 12 in der Raimund-Huber-Straße, der nahe gelegen Abenteuerspielplatz (mit Bodenproben) sowie weitere Wohnungen und Kellerräume - alles ohne Strahlenbefund. Bei Messungen in Wohnungen, in denen sich einer der Betroffenen häufiger aufgehalten hat, sei nur in zwei Fällen geringfügig Kontamination festgestellt und beseitigt worden.

Alle Gärten, Weinberge, Bäume, alles Obst und das Trinkwasser in Eschbach und Landau seien unbelastet. Kinder könnten im Freien spielen, Bürger spazieren gehen.

Oberbürgermeister Wolff fordert nun in einem Schreiben an die rheinland-pfälzische Umweltministerin Klaudia Martini weitere Informationen. Die Bürger verlangten umfangreichere Strahlenmessungen, und zwar im gesamten Wohngebiet. Wolff schlägt der Ministerin vor, ein Informationsschreiben über den aktuellen Sachstand an die Haushalte zu verteilen: "Unsere Bürger haben ein Recht darauf zu erfahren, was in ihrer unmittelbaren Nähe geschieht und welche Gefahren vorhanden sind." Weiter möchte Wolff wissen, ob auch die Altkleider- und Schuhcontainer, die noch in dem Wohngebiet stehen, untersucht werden. Und er fragt, wie und wann die in der kontaminierten Wohnung vorhandenen Möbel und Gegenstände entsorgt werden.

Es sei vor Ort schwer vorstellbar, wie man ohne Kontakt über die Außenluft die verstrahlten Substanzen aus der Wohnung bringen könne. Der Sprecher der SGD sagte gestern, die beiden versiegelten Wohnungen in Landau und Eschbach würden dekontaminiert, sobald die Staatsanwaltschaft dies zulasse. Der Leiter des Ministerbüros im Mainzer Umweltministerium, Werner Theis, erklärte, das Ministerium stelle auch Fachleute für Bürgerversammlungen zur Verfügung, wenn diese angefordert würden. Er habe eine Stunde vor der Versammlung noch mit dem Oberbürgermeister telefoniert, einen solchen Wunsch aber nicht vernommen. Wolff dazu: "Da wartet man nicht, bis man gefragt wird."

Ungehalten über die gestrige Berichterstattung der "Bild-Zeitung" zeigte sich im Gespräch mit der RHEINPFALZ der stellvertretende Ortsbürgermeister von Eschbach, Gebhard Dausch. Unter der Schlagzeile "Das Dorf der Angst" hatte das Blatt berichtet, die Polizei habe am Tag nach Bekanntwerden des Skandals das ganze Dorf abgeriegelt. "Alle Bewohner von Eschbach besorgt: Wer dem Plutonium-Schmuggler, ihren Nachbarn, die Hand geschüttelt hat, könnte verstrahlt sein", heißt es dort auch. SGD-Sprecher Miehe sagte dazu, die Strahlung sei durch Händeschütteln nicht zu übertragen.

Dausch nennt eine solche Art von Berichterstattung "negativ für unser Dorf", greift aber gleichzeitig die "Geheimniskrämerei" der Behörden scharf an. Man könne auch mit Bildern manipulieren, kommentiert er das in "Bild" erschienene Foto von Eschbach mit einem "Radioaktiv"-Siegel in einer Bildecke. Der PDS-Kreisverband Südpfalz nennt die Informationspolitik der zuständigen Behörden in einer Stellungnahme "skandalös". Er fordert die Offenlegung sämtlicher Messwerte, auch für das Umfeld aller Fundstellen. (kwi)

Noch die nächste Woche ist die SGD-Bürger-Hotline geschaltet: Tel. 0 63 21 / 93 11 54, werktags 9-12 und 14-16, freitags 9-13 Uhr. RON - RHEINPFALZ ONLINE, Donnerstag, 19. Jul , 19:10 Uhr

... und so sieht´s im Münsterland aus: Fragen der SagA an die "zuständigen" Behörden ...

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