Stuttgarter Zeitung, 30.10.00

Der Kanzler wartet auf das Fax von Lionel Jospin

Von Atomkonsens keine Spur: Proteste stehen ins Haus, wenn wieder

radioaktiver Müll unter Polizeischutz durch die Republik gekarrt wird. Mehrere

Transporte sind bereits genehmigt.

Die Frage ist nur: Wann kommt der Castor?

Von Christopher Ziedler

Die Atomkraftgegner belagern seit Wochen das Gelände des Meilers in Philippsburg. Sie warten auf den so genannten Tag X, den Tag des Castortransports. Radioaktives Material wartet dort auf die Weiterfahrt zur Wiederaufarbeitung in La Hague im Norden Frankreichs. Die Genehmigung liegt längst vor. Der vorübergehende Transportstopp aus dem Frühjahr 1998, den noch die damalige Umweltministerin Angela Merkel verfügt hatte, ist längst vergessen. Damals waren radioaktive Partikel auf der Außenhaut von Castor-Behältern entdeckt worden. Jetzt gibt es neue Richtlinien, die eine gesundheitliche Gefährdung der den Castor begleitenden Polizeibeamten verhindern.

Deswegen sollte der Tag X eigentlich schon vergangene Woche sein.

Daraus wurde nichts. Der Transport wurde von einer ungewöhnlichen Koalition zwischen Greenpeace und der französischen Regierung gestoppt. Die Umweltorganisation legte vergangene Woche beim Bundesamt für Strahlenschutz Einspruch gegen die Transporte aus den Kraftwerksstandorten Biblis, Stade und eben Philippsburg ein. Laut Greenpeace sind dort kürzlich wieder zwei undichte Nähte am Container festgestellt worden. "Trotz zweieinhalbjähriger Zwangspause haben die Kraftwerksbetreiber ihre alten Probleme nicht in den Griff bekommen'', behauptet Sprecher Veit Bürger. Die Energieunternehmen haben dies dementiert. Die aufschiebende Wirkung des Einspruchs ist nach Angaben von Susanne Ochse, der Atomexpertin von Greenpeace, vom Bundesamt für Strahlenschutz "nach wie vor nicht zurückgewiesen'' worden.

Die Betreiber wiederum haben den so genannten Sofortvollzug beantragt.

Das zuständige Bundesamt kann sich Zeit lassen, über dieses Ansinnen zu richten. Denn als viel gewichtigerer Atomtransportgegner hat sich nun die Regierung in Paris entpuppt. Sie will die Castor-Behälter erst wieder ins Land lassen, wenn die Deutschen ihren Müll aus La Hague zurückholen. Sechs Spezialbehälter mit radioaktivem Material stehen dort abfahrbereit. Eine bis Frühjahr 2001 unbefahrbare Brücke auf der Bahnstrecke nach Gorleben verhindert das. Nur dort kann dieser Müll gelagert werden.

Beim EU-Gipfel in Biarritz gab es in der Frage von Atomtransporten - wie es der Sprecher des Bundesumweltministeriums, Michael Schroeren, umschreibt - "keine unmittelbare Verständigung''. Kanzler Gerhard Schröder hat Frankreichs Premierminister Lionel Jospin deswegen offenbar letzte Woche einen Brief geschrieben, um die Pariser Regierung doch noch zu erweichen. Mit dem Ergebnis, dass eine hochrangige Arbeitsgruppe unter Leitung von Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier Auswege aus dem Dilemma suchen soll. Bis solche Arbeitsgruppen Ergebnisse präsentieren, kann es dauern.

Für die Zugverbindung Philippsburg-La Hague ist deswegen auch nach Angaben des baden-württembergischen Innenministeriums "kein Termin in Sicht'', wie Sprecherin Alice Loyson-Siemering erklärt, "außer Jospin schickt ein Telefax, auf dem steht ,alles klar, mon cher Gerhard'''. Dass es noch dieses Jahr Transporte ab Philippsburg gibt, ist unwahrscheinlich. Auch der Bahnhof von Ahaus, wohin der in Neckarwestheim lagernde Atommüll verfrachtet werden soll, wird erst nächstes Jahr angefahren. Nordrhein-Westfalens Innenminister Fritz Behrens hat die Polizei vor einer Woche mit der Einsatzvorbereitung beauftragt. Sie benötige aber "eine Vorbereitungszeit von etwa sechs Monaten''. Behrens' Angaben zufolge wird der Castor "Anfang 2001'' nach Ahaus rollen, den genauen Termin könne er aber nicht nennen. Das erhöhe das Transportrisiko, "weil Gewalttäter ihre Aktionen besser planen'' könnten.

Aus dem angekündigten heißen Herbst wird dann wohl ein heißes Frühjahr werden.

Zumal Hartmut Liebermann, Sprecher der Bürgerinitiative "Kein Atommüll in

Ahaus'', ankündigt, dass die Atomkraftgegner "diesmal auch verstärkt beim

betroffenen Ausgangskraftwerk mobilisieren'' wollen.

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