Münsterland Zeitung (MZ) 26.10.00
Lesebrief zur Teilnahme von Innenminister Behrens (NRW) am "Runden Tisch in Ahaus"
Der Innenminister unseres Landes kommt nach Ahaus und erklärt der Bevölkerung:
Eure Runden Tische sind ja gut und richtig und macht bitte weiter so, aber leider ist das, was Ihr dort beschließt und an Wünschen äußert für unsere Entscheidungen ohne Bedeutung, da diese auf höhere Ebene getroffen werden.
Kenner der Szene haben solches vorausgesagt. SPD-Innenminister Behrens sorgt für klare Verhältnisse: Auf der einen Seite die lästigen Demonstranten, die für alle Missstände während eines Castortransportes verantwortlich gemacht werden, auf der anderen Seite die Atomindustrie, die ihre Castortransporte unbehelligt, am liebsten mit Unterstützung einer jubelnden Volksmenge ins Ahauser Zwischenlager haben möchte. Eine solche Polarisierung führt zu den gleichen chaotischen Verhältnissen, die wir beim letzten Transport erlebt haben. Für den Innenminister sind anscheinend viele Demonstranten von vornherein gewaltbereit, und es gilt, den harmlosen ungefährlichen Castortransport und die Polizisten vor ihnen zu schützen. Das ist eine Beleidigung für die durchweg friedlichen Demonstranten, die beim letzten Transport unter der unkontrollierten Machtausübung eines Teils der Polizei leiden mussten und dies bis heute noch nicht verarbeitet haben.
Mehrfach betont der Innenminister den Schutz des Castortransportes.
Wo bleibt seine Fürsorgepflicht gegenüber dem Teil der Bevölkerung, der sich den Gefahren der Atomenergie schutzlos ausgeliefert sieht und diese als massive Bedrohung empfindet?
Wo bleibt der Schutz des Demonstrationsrechtes?
Beim letzten Castortransport wurden vom damaligen Innenminister und der Polizei zuvor zugesicherte Demonstrationsmöglichkeiten am Tag X rigoros gestrichen bzw. stark eingeschränkt. Die Botschaft des Innenministers heißt: Hört Ihr in Ahaus auf zu demonstrieren, bleibt zu Hause, macht Türen und Fenster zu und die Augen, schaltet vor allem Euer Gewissen ab und lasst den Castor rein, dann braucht Ihr mit keinerlei Beeinträchtigung zu rechnen.
Ich kann nur hoffen, dass nach diesen Aussagen von Herrn Behrens die Bevölkerung endlich begreift, dass ihre Sorgen nach wie vor nicht ernst genommen werden und dass die Interessen von Geschäftsleuten und Gewerbetreibenden in Ahaus weit hinter denen der Atomindustrie zurückgestellt werden.
Das Wendland hat uns vorgemacht, wie Widerstand aussehen sollte. Dort haben sich Landwirte, Gewerbetreibende und die Kirchen mit der restlichen Bevölkerung solidarisiert und treten gemeinsam dieser Übermacht und Ignoranz eines Staates entgegen, der augenscheinlich weitgehend den Interessen der Atomindustrie zu Diensten steht.
Mechthild Jeschar aus Ahaus, den 25.10.2000
AP 23.10.00
Offenbar weiter Probleme bei der Beladung von Transportbehältern
Greenpeace erhebt Vorwürfe gegen Kraftwerk Philippsburg - EnBW spricht
von Panikmache und Vermischung von Grenzwerten
Hamburg/Philippsburg (AP) Aus den Behältern des Kernkraftwerks Philippsburg zum Transport von Atommüll kann nach Darstellung der
Umweltschutzorganisation Greenpeace immer noch radioaktive Strahlung austreten. Dies geht aus einem internen Papier des Eisenbahnbundesamtes
hervor, wie Greenpeace am Montag in Hamburg mitteilte. Demnach sollen vor vier Wochen bei der Vorbereitung zum Beladen eines Transportbehälters
Löcher in einem Schutzüberzug entdeckt worden sein, der radioaktive Verunreinigungen der Außenhaut eigentlich verhindern sollte.
Ein Sprecher des Betreibers der Atomanlage, der Energie Baden-Württemberg Kraftwerke AG, sprach von Panikmache und «einer völlig unseriösen
Darstellung». Laut Greenpeace wurde zugleich festgestellt, dass ein Behälter vom Typ TN 13/2 bei der so genannten Kalterprobung im Abklingbecken
leicht verstrahlt wurde. Trotzdem sei der Behälter mit hoch radioaktiven Brennelementen beladen worden und stehe nun abfahrbereit auf dem
Kraftwerksgelände.
Bei der Kalterprobung werden laut Greenpeace die Atombehälter in die Abklingbecken der Kraftwerke getaucht, ohne dass zunächst Brennelemente
eingefüllt werden. Um zu verhindern, dass dabei radioaktive Partikel aus dem Beckenwasser die Behälterwand verunreinigten, werde dem Behälter ein so
genanntes Kontaminationsschutzhemd übergezogen. In Philippsburg seien dabei den Unterlagen zufolge zwei undichte Nähte anhand aufsteigender
Luftblasen festgestellt worden.
Der Sprecher des Betreibers sagte, es habe in der Kunstofffolie ein Loch von ein bis zwei Millimetern Größe gegeben. Zwischen dem Behälter und der
Folie werde destilliertes Wasser mit einem höheren Druck gepumpt. Wegen des Druckunterschieds könne kein Beckenwasser durch die Folie zu dem
Behälter vordringen.
Außerdem sollen aus bisher ungeklärter Ursache Teile der Tragevorrichtungen des Behälters mit fünf Becquerel pro Quadratzentimeter verstrahlt worden
sein. Der Grenzwert für leicht entfernbare Kontaminationen liege bei vier Becquerel. Nach Angaben der EnBW handelte es sich hierbei aber um
festanhaftende Verunreinigungen, die nicht mit einem Lappen entfernt werden könnten. Dafür gebe es andere Grenzwerte. Der Sprecher der EnBW
Kraftwerke AG betonte, es habe sich um keinen meldepflichtigen Vorfall gehandelt. Trotzdem seien alle Behörden informiert worden.
Greenpeace: Atomtransporte stoppen
«Trotz zweieinhalbjähriger Zwangspause haben die Kraftwerksbetreiber ihre alten Probleme nicht in den Griff bekommen», sagte Veit Bürger,
Energieexperte bei Greenpeace. «Pannen dieser Art werden immer wieder passieren, so lange die Ursachen dafür nicht geklärt werden. Auch aus diesem
Grund sind Atomtransporte gefährlich und müssen gestoppt werden. Wir fordern die Betreiber der Atomanlagen auf, alle Unterlagen, die die Beladung
der Atombehälter dokumentieren, offen zu legen.»
Außenkontaminationen von Atombehältern waren im Frühjahr 1998 der Grund für den von der damaligen Umweltministerin Angela Merkel verhängten
Stopp der Atomtransporte. Noch in diesem Jahr sollten aus den Atomkraftwerken Philippsburg, Stade und Biblis acht Atombehälter mit rund 30 Tonnen
hochaktiven Brennelementen nach La Hague zur Wiederaufarbeitung transportiert werden.
AP: Montag 23. Oktober 2000, 20:03 Uhr
Alter Defekt im Atomkraftwerk Biblis entdeckt
- Erste Zusammenfassung
Schweißnaht am Kühlsystem hat Riss - Neuer Wirbel um Castor-Behälter
Wiesbaden (AP) Bei der turnusmäßigen Überprüfung von Block A des Atomkraftwerks Biblis in Hessen ist eine
schadhafte Stelle am Kühlsystem entdeckt worden. Es handelt sich dabei um einen vermutlich uralten Riss an
der Schweißnaht der Verbindung zwischen dem Kühlkreislauf des Reaktors und dem Not- und
Nachkühlsystem. Es sei jedoch kein Kühlwasser ausgetreten und damit auch keine Radioaktivität freigesetzt
worden, berichtete das hessische Umweltministerium am Montag in Wiesbaden. Minister Wilhelm Dietzel (CDU) erklärte, der Riss habe sich
wahrscheinlich bereits beim Bau der Anlage 1973 gebildet.
Dietzel forderte den Betreiber RWE auf, die Ursachen zu untersuchen und unverzüglich mit der Reparatur zu beginnen. Er informierte
Bundesumweltminister Jürgen Trittin und kündigte an, die Reaktorsicherheitskommission werde den Sachverhalt noch im Oktober erörtern.
Der Block A ist seit dem 19. August abgeschaltet. Dietzel erklärte, falls es erforderlich sein sollte, könne sich die Revision um mehrere Wochen
verlängern. Aufschlüsse solle ein Begutachtungsverfahren bringen, das er veranlasst habe.
Nach Angaben von Ministeriumssprecherin Birgitt Wagner befindet sich der Riss an einer unzugänglichen Stelle. Wie groß der Riss ist, konnte die
Sprecherin nicht sagen. Das Kühlwasser ist radioaktiv belastet, bei einem Auslaufen wäre also radioaktive Strahlung freigesetzt worden.
Die Schweißnaht wird mit Hilfe von Sensoren kontrolliert. Den Angaben zufolge hatte ein Messgerät schon bei einer Überprüfung 1992 einen Mangel
registriert, jedoch glaubte man damals irrtümlich an einen Messfehler.
Eine neue Diskussion gibt es um die Strahlungssicherheit der Castor-Behälter, die zum Transport von abgebranntem und wiederaufgearbeitetem
Kernbrennmaterial verwendet werden. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace berichtete, aus derartigen Behältern des baden-württembergischen
Kernkraftwerks Philippsburg könne radioaktive Strahlung austreten.
Aus einem internen Papier des Eisenbahnbundesamtes gehe hervor, dass bei der Vorbereitung zum Beladen eines Transportbehälters Löcher in einem
Schutzüberzug entdeckt worden seien, erklärten die Umweltschützer. Dennoch sei der Behälter mit hoch radioaktiven Brennelementen beladen worden
und stehe abfahrbereit auf dem Kraftwerksgelände. Die Energie Baden-Württemberg Kraftwerke AG sprach von Panikmache und völlig unseriöser
Darstellung.
Greenpeace-Energieexperte Veit Bürger erklärte, trotz der zweieinhalbjährigen Zwangspause, die das 1998 wegen Strahlungsproblemen erlassene
Transportverbot bewirkte, hätten die Kraftwerksbetreiber ihre alten Probleme nicht in den Griff bekommen. Daher müssten die Transporte weiter
untersagt bleiben.
Noch dieses Jahr sollen aus den Atomkraftwerken Philippsburg, Stade und Biblis acht Behälter mit rund 30 Tonnen hochradioaktiven Brennelementen
nach La Hague in Frankreich zur Wiederaufarbeitung transportiert werden. Atomtransporte ins westfälische Zwischenlager Ahaus soll es dieses Jahr nicht
mehr geben, wie der nordrhein-westfälische Innenminister Fritz Behrens erklärte.
AP: Donnerstag 19. Oktober 2000, 10:36 Uhr
Deutsches Problem in Frankreich zwischengelagert
von: Uwe Gepp
Sechs Castor-Behälter in La Hague nur Vorboten einer Welle von Atommüll-Transporten
Von AP-Korrespondent Uwe Gepp
La Hague (AP) In einer unscheinbaren Fabrikhalle im Nordwesten Frankreichs ist ein brisantes innenpolitisches Problem Deutschlands zwischengelagert.
Seit mehr als zweieinhalb Jahren warten sechs rund 110 Tonnen schwere Castor-Behälter mit Atommüll in der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague auf
ihren Transport nach Gorleben. Der französische Ministerpräsident Lionel Jospin verlangt jetzt von Bundeskanzler Gerhard Schröder Klarheit darüber,
wann die hochradioaktiven Spaltprodukte endlich abgeholt werden - bis dahin bleibt die Anlieferung abgebrannter Brennelemente aus deutschen
Kraftwerken ausgesetzt.
Die sechs weiß lackierten Streitobjekte, deren strahlender Inhalt die roten und blauen Kühlrippen auf Heizungstemperatur erwärmt, sind aber nur die
Vorboten einer Welle von Atommüll-Transporten, die in den nächsten zehn Jahren aus der Normandie ins Wendland rollen soll: Nicht weniger als 163
Castoren füllt der hochradioaktive Nuklearabfall, den die deutsche Atomindustrie nach den geschlossenen Verträgen aus La Hague fortschaffen muss.
Und in den nächsten 20 Jahren sollen gar noch mehr als 300 Castor-Behälter mit mittelradioaktivem Inhalt nach Deutschland zurückgeholt werden.
«Nicht die Menge ist das Problem, sondern dass das System nicht richtig funktioniert», sagt Bernard Lenail. Der Vertriebsdirektor der Cogema, die die
Wiederaufarbeitungsanlage betreibt, ist derzeit gar nicht glücklich über seinen größten ausländischen Kunden: «Es muss doch möglich sein, zwischen
zwei Wahlen in Deutschland zumindestens einen Transport durchzuführen», wundert sich der Franzose, in dessen Land die Atomabfälle bisweilen von
nur einem Polizisten auf dem Motorrad begleitet zum Bahnhof gefahren werden.
Die deutschen Castor-Behälter haben der Cogema inzwischen sogar Ärger mit der französischen Justiz eingebracht: Es läuft ein formelles
Ermittlungsverfahren, denn ein Gesetz verbietet «die Lagerung importierter radioaktiver Abfälle in Frankreich über die durch die Wiederverarbeitung
bedingten technischen Fristen hinaus».
Japanischer Atommüll in Gorleben?
Die deutsche Atomindustrie sitzt derweil gewissermaßen auf heißen Kohlen. Nach der jahrelangen Aussetzung der Nukleartransporte wegen des
Strahlenskandals sind die Lagerkapazitäten in den Kraftwerken weitgehend ausgeschöpft. In La Hague ist alles für die erste Ladung abgebrannter
Brennelemente aus dem badischen Atomkraftwerk Philippsburg vorbereitet, wie Lenail betont. Auch die Betreiber der Meiler im norddeutschen Stade und
dem südhesischen Biblis könnten bald liefern.
Wenn die politischen Schwierigkeiten ausgeräumt sind und sich der deutsche Atommüll im französischen Behälter mit einem großen Polizeiaufgebot
seinen Weg durch die Demonstranten gebahnt hat, wird er in La Hague erst einmal wieder jahrelang gelagert. In großen Wasserbecken klingen die alten
Brennelemente weiter ab, bis die eigentliche Wiederaufarbeitung beginnen kann. Dazu werden sie in zentimetergroße Stücke zersägt und anschließend in
Säure gelöst. Spaltprodukte, das hochgiftige Plutonium und Uran werden chemisch getrennt. Als Abfall fallen nur die Spaltprodukte an, die bei 1.100
Grad verglast und einen Stahlmantel gegossen werden. Diese so genannten Glaskokillen kühlen wiederum jahrelang in La Hague ab.
Vielleicht ist in den Castor-Behältern für Gorleben gar kein deutscher Atommüll, sondern japanischer oder belgischer: Die deutsche Atomwirtschaft hat
sich nämlich zur Rücknahme einer bestimmten Menge verpflichtet, die der der angelieferten Brennelemente entspricht. Auf eine genaue Zuordnung wird
verzichtet. Doch es sind genau 4.564 der noch etwa 2.000 Jahre radioaktiven Glaskokillen, die auf ihren Abtransport nach Deutschland warten.