Jointventure

Framatome bleibt auf Nuklearkurs

Jointventure Kernenergiegeschäft von Siemens mit dem der Franzosen vereint

 

Die französische Framatome und die deutsche Siemens haben ihr Nukleargeschäft

zusammengefasst. Trotz des deutschen Atomausstiegs planen sie an der zweiten

AKW-Generation.

 

Stefan Brändle, Paris

 

Die neue Gesellschaft mit dem Namen Framatome Advanced Nuclear Power (ANP) existiert offiziell seit gestern

Mittwoch, nachdem die Absicht zur Verschmelzung der mehrjährigen Kooperation schon Ende 1999 bekannt

geworden war. Framatome hält 66 Prozent der Anteile, Siemens 34 Prozent. Entsprechend scheint auch das

Interesse daran verteilt: Die auf den 1. Juli aus der Siemens AG ausgegliederte Nukleartochter musste sich

vertraglich verpflichten, dem Jointventure mindestens zehn Jahre anzugehören.

 

Mit einem Jahresumsatz von rund drei Milliarden Euro wird das Unternehmen zum Weltleader im Nukleargeschäft. Es

soll seine Aktivität noch vor Jahresende aufnehmen, wenn die europäischen Kartellbehörden die Bewilligung erteilt

haben. Die Fusion soll vor allem die Konkurrenzfähigkeit im Geschäft mit Kernkraftwerken, Brennelementen und

dem Kernkraftwerk-Service stärken. Als Hauptmärkte werden Frankreich, Deutschland und die USA genannt.

 

Dass der deutsche Atomausstieg das Framatome-Geschäft beeinträchtigen könnte, stellte Firmensprecherin

Sophie Chergui gestern in Abrede. Sie meinte, die Haltung der Regierung in Berlin sei seit langem bekannt gewesen,

in die Fusionspläne einbezogen worden und werde "ohne Auswirkung" bleiben. Das gelte für den "Europäischen

Druckwasserreaktor" (EPR), an dem Framatome und Siemens seit Jahren tüfteln. Pariser Medien sind skeptischer:

"Gehört der "Reaktor der Zukunft" bereits der Vergangenheit an?", fragte das Wirtschaftsblatt "La Tribune" nach

Bekanntwerden des deutschen Atomausstiegs. Allerdings wächst die Opposition gegen die Kernenergie heute auch

in Frankreich, wo 56 AKW vier Fünftel des nationalen Stroms produzieren. Auf Druck der Grünen in der

Linkskoalition musste Premierminister Lionel Jospin den politischen Entscheid über den Bau des EPR bis nach den

Präsidentschaftswahlen von 2002 aufschieben. Dann muss die Regierung eine neue energetische

Kosten-Nutzen-Rechnung erstellen, wenn Deutschland keine EPR bestellt. Die Befürworter der Kernenergie haben

in Frankreich aber innert Jahresfrist abgenommen. In der jüngsten Meinungsumfrage meinten noch 49 Prozent der

Franzosen, ihr Land müsse nach dem deutschen Atomausstieg an der bisherigen Energiepolitik festhalten.

 

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Abendblatt 06.07.00

--------- Die Unbeugsamen

 

Gorleben nach dem Atomkonsens zwischen Bundesregierung und

Stromversorgungsunternehmen. Enttäuschung, Wut, Verbitterung.

Eines ist klar: Der Widerstand geht weiter. Ein Stimmungsbild von

Bob Geisler.

 

 

 

Jürgen und Gerhard kennt Adi Lambke schon seit Jahrzehnten. Mit

"dem Jürgen" hat er gegen Castor-Transporte demonstriert, und "der

Gerhard" hat den knorrigen Wendländer vor Gericht verteidigt.

Weggefährten im Kampf gegen die Atomindustrie. Doch für den

Kompromiss, den Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und sein

grüner Umweltminister Jürgen Trittin jetzt mit den

Kraftwerksbetreibern vereinbart haben, hat der wehrhafte 69-Jährige

nur einen Satz übrig: "Sie haben das Wendland zur Verseuchung

freigegeben."

   Die Verbitterung ist groß rund um Gorleben. Die Hoffnung vieler

Umweltschützer, der Atomkompromiss werde zu einem schnellen

Ausstieg aus der Kernenergie und zur Aufgabe von Zwischen- und

Endlager im Wendland führen, hat sich zerschlagen. "Die Grünen

haben immer Zweifel daran gehabt, dass der Salzstock von Gorleben

als Endlager geeignet ist", sagt Adi Lambke. "Jetzt plötzlich soll das

nicht mehr gelten" - obwohl das Deckgebirge "zu dünn und voller

Risse" sei.

   Bei den Grünen ist Lambke im Frühjahr ausgetreten. Nicht erst seit

dem Atomkompromiss befindet der Kreisverband

Lüchow-Dannenberg sich im Zustand der Selbstauflösung. Die

Vorsitzende Marianne Tritz (36) erlebt bereits die dritte Austrittswelle.

Die ersten gingen wegen der deutschen Beteiligung am

Kosovo-Krieg, die Kreistagsfraktion verabschiedete sich fast

geschlossen nach dem Karlsruher Parteitag im März.

   Von den etwa 100 Mitgliedern vor der ersten Austrittswelle ist

mittlerweile nur noch die Hälfte übrig. "Es sind die Aktiven, die

gehen", sagt Marianne Tritz. "Übrig bleiben fast nur Karteileichen."

Der Frau im grauen Kostüm fällt es schwer, etwas Positives am

Atomkonsens zu finden. "Alles, was als Erfolg verkauft wurde, ist ja

so leicht widerlegbar", sagt sie.

   Zum Beispiel die Vereinbarung über dezentrale Zwischenlager

direkt an den Atomkraftwerken, die theoretisch die

Castor-Transporte und das zentrale Zwischenlager Gorleben

überflüssig machen. "Das ist ja eine uralte Forderung der

Umweltbewegung", sagt die Kreisvorsitzende. Doch Transporte nach

Gorleben wird es weiter geben. Der Atommüll kommt zwar nicht mehr

direkt aus den deutschen Kraftwerken, dafür aber aus den

Wiederaufarbeitungsanlagen in Frankreich und England, in die

abgebrannte Brennelemente noch bis 2005 transportiert werden

dürfen.

   Im Zwischenlager ist denn auch von Krisenstimmung nichts zu

spüren. Acht Castor-Behälter stehen zurzeit in einer Ecke der kühlen,

grauen Lagerhalle, die für bis zu 420 Atommüllbehälter ausgelegt

ist. "Noch in diesem Jahr kommen die nächsten aus La Hague", sagt

Sprecher Jürgen Auer überzeugt. Mindestens 140 Behälter müssten

noch zurückgenommen werden. "Wir werden in den kommenden

zehn Jahren deutlich mehr zu tun haben als in den vergangenen

zehn."

   Die umstrittene Pilotkonditionierungsanlage (PKA) auf dem

Gelände, in der Atommüll für eine mögliche Endlagerung verpackt

werden kann, soll noch in diesem Jahr in Betrieb gehen. Auch das ist

Bestandteil der Vereinbarung von Regierung und Atomindustrie.

Allerdings soll die Anlage zunächst nur zur Reparatur defekter

Castor-Behälter dienen.

   Für Hans-Werner Zachow von der Bäuerlichen Notgemeinschaft ist

diese Beschränkung ein schwacher Trost. "Das ist der erste Schritt zur

völligen Genehmigung", sagt der Milchbauer, dessen Kühe

30 Kilometer von der PKA entfernt in der Gemeinde Fließau weiden.

Durch den Schornstein der Anlage würden radioaktive Edelgase wie

Krypton entweichen. Unterhalb der zulässigen Grenzwerte, aber "jede

zusätzliche Radioaktivität schadet". Das bloße Gerücht, Produkte aus

dem Wendland seien belastet, genüge, um den Ruf zu ruinieren.

   Marianne Fritzen (76) spricht vom Atomkonsens als "gigantischer

Mogelpackung". Die unbeugsame alte Dame aus Kolborn, die seit

23 Jahren gegen das Zwischenlager kämpft, hatte schon im Februar

die Konsequenz aus der "zu weichen" Haltung der Grünen gezogen

und war aus der Partei ausgetreten. "Was mich besonders nervt, ist

dieses Gerede vom unumkehrbaren Ausstieg aus der Atomenergie",

sagt sie. "Die haben Reststrommengen für eine Laufzeit von

32 Jahren vereinbart. Da muss nur eine andere Regierung kommen,

und dann ist gar nichts mehr unumkehrbar."

   Grünen-Kreisvorsitzende Tritz glaubt erst an das Ende der

Kernenergie, "wenn das erste Kraftwerk vom Netz geht". Sie will sich

Castor-Transporten weiter entgegenstellen - auch gegen einen

Umweltminister Jürgen Trittin. "Das wird sehr bitter", sagt sie.

 

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handelsblatt 05.07.00

 

Aufschwung der Gaswirtschaft

 

Atomkonsens bereitet der Energiebranche keine Probleme

 

Der zwischen Bundesregierung und Atomwirtschaft gefundene

Atomkonsens löst aus Sicht der Branche einige Probleme. Die an den

Gesprächen beteiligten Unternehmen begrüßten vor allem die

Planungssicherheit, die ihnen der gefundene Kompromiss bietet.

Erleichterung herrscht auch über die Lösung der Frage des Atommülls.

 

Reuters DÜSSELDORF. RWE-Chef Dietmar

Kuhnt hatte wiederholt vor einem

Entsorgungsinfarkt gewarnt und von einer

"Zeitbombe" in dieser Frage gesprochen. Der

Konsens legt für die 19 deutschen

Atomkraftwerke die Menge Atomstrom fest, die

noch produziert werden darf, erlaubt die freie

Verteilung der Kontingente auf die Kraftwerke

und regelt die Entsorgungsfrage.

 

Direkten wirtschaftlichen Schaden fügt der

Atomkonsens den deutschen Energieversorgern

offenbar erst einmal nicht zu. Über einen

Zeitraum von 32 Jahren - der sich aus der

Umrechnung der Strommengen auf die

Betriebsdauer der Anlagen ergibt - könne es in

der Energiewirtschaft viele, heute nicht

vorhersehbare Entwicklungen geben, heißt es in

den Konzernen. So sei beispielsweise der

Aufschwung, den gegenwärtig die Gaswirtschaft

nehme, auch nicht in diesem Ausmaß

vorhergesehen worden. Mit jedem vom Netz genommenen Kernkraftwerk

entsteht den Besitzern insofern aber ein Schaden, als die Anlagen dann meist

schon Jahre lange abgeschrieben sein dürften, Strom daher sehr kostengünstig

produziert werden kann.

 

RWE stellt nach Angaben eines Sprechers bereits "Probeplanungen" auf,

welche Menge Atomstrom von welchem Kraftwerk bis wann erzeugt werden soll.

Konkretes wollte er aber noch nicht sagen. Der künftige Fusionspartner VEW

war da schon deutlicher. Sein Kraftwerk Emsland in Lingen dürfte das letzte

sein, das vom Netz geht, hieß es in Dortmund. Die Lingen zugeteilte

Strommenge bedeute noch eine Laufzeit von 22 Jahren. RWE plane aber,

einen Teil des für den Verzicht auf die Wiederinbetriebnahme des Kraftwerks

Mülheim-Kärlich ausgehandelten Stromkontingents auf Lingen zu übertragen.

Damit dürfte sich die Laufzeit von 22 Jahren noch verlängern.

RWE-Energie-Vorstand Gerd Jäger kündigte in Mülheim-Kärlich an, in Kürze

einen Antrag auf Stilllegung des Kraftwerks zu stellen.

 

RWE betreibt noch je zwei Reaktorblöcke in Biblis und in Gundremmingen. Nach

den nunmehr für jedes Kraftwerk festgelegten Strommengen würden Biblis A im

Jahr 2008 und Biblis B zwei Jahre später vom Netz gehen. Gundremmingen

müsste, wenn die Kontingenten nicht anders verteilt werden, 2017 und 2018

abgeschaltet werden. Der Kernenergieanteil am Gesamtstromaufkommen des

größten deutschen Energieversorgers beträgt gut 20 % und ist damit von den

großen Atomstromerzeugern der geringste.

 

Bei der Düsseldorfer Veba will man noch nicht sagen, inwieweit bereits

Verteilungs-Szenarien entwickelt werden. Es wird aber darauf verwiesen, dass

sich in den Konsensgesprächen schon seit längerem eine Lösung über

Mengenkontingente abzeichnete und man daher schon hin- und her gerechnet

habe. Veba kommt bei ihrer Energie-Tochter PreussenElektra derzeit auf einen

Kernenergieanteil an der gesamten Stromproduktion von rund 46 %. Bei der

Viag-Tochter Bayernwerk liegt dieser Anteil bei rund 60 %. Viag und Veba

werden in Kürze fusionieren.

 

Den größten Kernenergieanteil hat die Hamburger HEW AG mit rund 76 %. Ein

Ausstieg aus der Kernenergie trifft dieses Unternehmen mithin schwerer als

solche mit vergleichsweise geringem Atomenergie-Anteil. Die HEW war nicht zu

den Konsensgesprächen eingeladen gewesen. Das hatte von Anfang an zu

einer Mißstimmung innerhalb der Atomwirtschaft geführt. An den eineinhalb

Jahre laufenden Konsensgesprächen beim Bundeskanzler waren die Chefs der

vier größten deutschen Energieunternehmen, RWE, Veba, Viag und EnBW

Energie Baden-Württemberg beteiligt gewesen. HEW begrüßte daher die

Einigung zwar grundsätzlich, weil sie Planungssicherheit gebe. Man behalte sich

aber eine eigenständige Entscheidung noch vor, hieß es.

 

Allen Unternehmen gemeinsam ist die Erleichterung über die Lösung der Frage

des Atommülls sein. Im Herbst sollen die Transporte wieder aufgenommen

werden, die monatelang verboten waren. Beschlossen wurde auch, bis

spätestens 2005 auf Atommülltransporte in Wiederaufbereitungsanlagen zu

verzichten. Stattdessen soll zügig mit dem Aufbau von Zwischenlagern an den

Kraftwerken begonnen werden.

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Abendblatt 04.07.00

Geld für Tschernobyl - Schwere Entscheidung

Von STEFAN C. DICKMANN

 

Die Atomkatastrophe im vierten Reaktor von Tschernobyl vor mehr

als 14 Jahren war für die Grünen eines der schlagkräftigsten

Argumente gegen die weitere Nutzung der Kernenergie in

Deutschland. Tschernobyl symbolisiert bis heute die immensen

Risiken des entfesselten Atoms.Nun wird der brüchige Betonmantel

über dem Unglücksreaktor mit internationaler Hilfe saniert. Das ist

gut so, weil die Ukraine als Gegenleistung das gesamte

Atomkraftwerk Tschernobyl bis Jahresende stilllegt. Aber auch wenn

dort kein Strom mehr produziert wird, bleibt Tschernobyl ein Symbol

- für die weitere Nutzung der Kernenergie in der Ukraine. Die

Regierung will dort zwei neue Atomkraftwerke ans Netz bringen, um

unabhängig den Energiebedarf in ihrem Land abdecken zu können.

   Dass Rot-Grün nach dem vereinbarten Atomausstieg in

Deutschland für die Errichtung konventioneller Kraftwerke in der

Ukraine kämpft, ist konsequent, und ein Erfolg wäre schön. Aber

kein souveräner Staat lässt sich vorschreiben, wie er seinen

Energiebedarf abzudecken hat.

   Da Deutschland mit seiner Haltung international isoliert ist, steht

die rot-grüne Regierung vor der schweren Entscheidung, ob

Atomkraftwerke in industriellen Schwellenländern, die sich nicht

verhindern lassen, dank deutscher Hilfe so sicher wie möglich

gemacht werden. Die Alternative könnte ein neues Tschernobyl sein.

Und das will niemand.

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Kölnische Rundschau 06.07.00

Kommentar

Hilfe für Tschernobyl-Reaktor: Undogmatisch

Von Markus Grabitz

Der ukrainische Ortsname Tschernobyl steht für das Horrorszenario eines

atomaren Unfalls. Schätzungsweise 15.000 Menschen starben, als der

Reaktor am 26. April 1986 explodierte und die Radioaktivität von der

500-fachen Stärke der Hiroshima-Bombe freisetzte.

 

14 Jahre, nachdem auch bei uns Kinder wegen der atomaren Wolke

nicht auf Spielplätze durften, tickt die Zeitbombe immer heftiger.

Gefährlich bröckelt der Beton-Sarkophag, den Arbeiter nach dem Gau in

aller Eile um den Reaktorkern gießen mussten. Experten warnen seit

langem vor einer neuen Katastrophe. Da ist es wichtig, dass die

Konferenz gestern so schnell den Weg für den Bau einer besseren

Reaktorhülle frei gemacht hat.

 

Ein Geschenk an die Menschheit, wie der Präsident der Europäischen

Bank für Wiederaufbau und Entwicklung die Einigung nannte, ist dies

aber noch lange nicht. Zu Recht kann man einwenden, dass die

internationale Gemeinschaft der Ukraine für die milliardenschwere

Finanzspritze den kompletten Ausstieg aus der Kernkraft hätte abringen

müssen.

 

Tatsächlich erscheint es widersinnig: Da wird einem Land, in dem

Sicherheitsstandards angesichts von Wirtschaftschaos und

Mafiastrukturen nicht viel gelten, mühsam abgerungen, dass es den

Tschernobyl-Reaktor abschaltet. Andererseits darf die Ukraine

Milliarden-Kredite aus dem Westen dafür verwenden, zwei brach liegende

Reaktoren aus Sowjetzeiten weiter zu bauen.

 

Doch die Delegationen waren gut beraten, nicht zu dogmatisch zu sein.

Die Dringlichkeit, eine neue Betonhülle zu bauen, duldet keinen

Aufschub. Zudem gibt es Hoffnung auf einen Wechsel in der

Energiepolitik in der Ukraine. Das Land leidet jetzt unter akutem

Energiemangel, an den beiden Sowjetreaktoren muss aber noch Jahre,

wenn nicht Jahrzehnte gebaut werden.

 

Wenn der Westen nun auf die Bitte der Ukraine eingeht und sich am

zügigen Bau von Gas- und Kohlekraftwerken beteiligt, könnten die

Atomreaktoren bald auch in der Ukraine als das angesehen werden, was

sie sind: Hochriskante Technologie von gestern.

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NWN 06.07.00

„Alte Reaktoren gehören sofort abgeschaltet"

 

Jürgen Hinrichs

 

Trittins Chef-Experte übt Kritik an Atomkonsens/Warnung vor AKW

Esenshamm/Betreiber empört

 

Rodenkirchen. Überraschend hat der Chef der deutschen Reaktorsicherheitskommission (RSK),

Lothar Hahn, scharfe Kritik an der Atompolitik von Rot-Grün formuliert. Vor Atomkraftgegnern

forderte Hahn am Dienstag abend in Rodenkirchen, alte Meiler sofort abzuschalten.

 

Zu Kraftwerken mit veralteter Technik zählt Hahn all jene, die vor 1980 in Betrieb genommen

wurden, also auch das Kernkraftwerk (KKW) Unterweser in Esenshamm. Sie genügten trotz der

Nachrüstungen vergangener Jahre noch am wenigsten den Sicherheitsanforderungen. Eine

eventuelle Kernschmelze in Esenshamm käme einer Katastrophe gleich. "Ganz Bremen müsste

evakuiert werden."

 

Der Atomkonsens gesteht den Betreibern eine durchschnittliche Laufzeit ihrer Reaktoren von 32

Jahren zu. Danach könnte Esenshamm, seit 1979 am Netz, noch bis 2011 laufen.

Gleichzeitig wurde ein Gesamtvolumen der Atomstrommenge festgelegt: Die Betreiber

können alte Anlagen schließen und deren Stromkontingent neueren Reaktoren übertragen,

also deren Laufzeit verlängern. Ganz, wie Hahn es fordert, nur dass er darauf nicht Jahre warten

will.

 

Das KKW Esenshamm weise "teilweise erhebliche Mängel" auf. Vor allem die Vorfälle im Juni

1998, als es in Esenshamm zum schwersten Störfall der deutschen Reaktorgeschichte kam,

hätten gravierende Fehler im Bereich Organisation und Sicherheitskultur offenbart. Entweder sei

massiv gegen Betriebsvorschriften verstoßen worden oder die Regelungen selbst seien

unzulänglich gewesen. "Wir untersuchen das noch, mit offenen Konsequenzen", sagte Hahn.

 

Für das Umweltministerium in Hannover kommen Hahns Äußerungen "völlig überraschend".

Erst im Februar habe die Behörde zusammen mit Betreiber PreussenElektra über

Verbesserungen im KKW Unterweser informiert, erklärte Ministeriumssprecherin Kremer-Heye.

Grundsätzlich gebe es auch nach dem Atomkonsens keine Abstriche an Sicherheitsstandards.

Empörung bei PreussenElektra: "Ein unglaublicher Vorgang", sagte Konzernsprecherin

Uhlmann. Hahns Aussagen seien völlig fehl am Platze. "Sie gehören in die Zeit der

Grabenkämpfe, als es den Konsens noch nicht gab."

 

Ein Konsens, mit dem der von Umweltminister Trittin eingesetzte Kommissionschef offenbar nicht

so recht leben kann. Ihn stören die aus seiner Sicht nur sehr vagen Verabredungen. Eine

Arbeitsgruppe von Industrie und Bundesregierung solle sie jetzt festzurren, "aber nach welchen

Kriterien?", fragt Hahn. "Und warum sind nicht auch die Umweltverbände beteiligt?" Es werde

deshalb wesentlich darauf ankommen, dass der Widerstand der Atomkraftgegner nichtnachlasse,

"das wäre eine Katastrophe".

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