junge Welt Inland 21.02.2000

Atomgegner setzen »Probeblockade« durch

Großaufgebot der Polizei in Philippsburg. Beamte schritten nicht ein

 

Ungeachtet eines behördlichen Verbotes haben Atomkraftgegner am Sonnabend eine »Probeblockade« vor dem

baden-württembergischen AKW Philippsburg veranstaltet. Über 150 Aktivistinnen und Aktivisten von Initiativen aus dem gesamten

Bundesgebiet beteiligten sich an der genehmigten Demonstration und an dem untersagten Räumungsrollenspiel. Die Polizei war mit

mehreren Hundertschaften präsent, schritt aber nicht ein.

 

Zu dem Rollenspiel hatten sich die Atomgegner in 13 »Bezugsgruppen« aufgeteilt. Einige übernahmen die Rolle der Polizei und trugen

die »Blockierer« von der Straße. Die »echten« Beamten und Journalisten sahen dabei zu. »Letztlich war es er Polizei dann doch zu

unangenehm, hier einzugreifen und damit eine Reihe von kuriosen Gerichtsprozessen zu produzieren«, so Wiebke Herding vom

Aktionsbündnis »X- tausendmal quer«.

 

Herding wertete es als »großen Erfolg, daß sich die Leute trotz Verbot in so großer Zahl an der Probeblockade beteiligt haben«. Sie

hätten sich durch die Androhung von Bußgeldern nicht einschüchtern lassen, sondern »hier den zivilen Ungehorsam geübt. Wenn dann

aus Philippsburg wirklich ein Castor-Transport rollt, rechnen wir mit mehreren tausend Blockierern«, sagte Herding.

 

Das Landratsamt Karlsruhe hatte das Rollenspiel im Vorfeld verboten, weil damit »polizeiwidriges Verhalten« geprobt würde. Einen

Eilantrag der Atomkraftgegner auf aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen die Verbotsverfügung hatten das

Verwaltungsgericht Karlsruhe und - noch am Sonnabend - der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof in Mannheim

abgelehnt. Die inhaltliche Entscheidung über den Widerspruch erfolgt erst im Hauptsacheverfahren in einigen Monaten.

 

Im Atomkraftwerk Neckarwestheim, das ebenfalls in Baden-Württemberg liegt, beginnen Spezialisten einem Bericht der »Heilbronner

Stimme« zufolge in dieser Woche mit der Beladung von sechs Castor-Behältern mit abgebrannten Brennelementen.

 

Reimar Paul

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Frankfurter Rundschau 2000 22.02.00

Atomtransporte in Frage gestellt

 

Umweltminister nennt Fälschungen in Sellafield beispiellos

 

Das Bundesumweltministerium hat die künftige Wiederaufarbeitung deutschen

Atommülls in der englischen Anlage Sellafield in Frage gestellt. Dort waren

Brennelemente mit gefälschten Sicherheitspapieren an die Auftraggeber

zurückgeschickt worden.

 

BERLIN, 21. Februar (ap/afp/jw/tm). Unter den Lieferungen mit gefälschten Papieren war den

Angaben aus Berlin zufolge auch eine Lieferung von vier Mischoxid-Brennelementen (MOX)

an die deutsche Preussenelektra 1996, die im AKW Unterweser eingesetzt wurden.

 

Der Sprecher des Umweltministeriums, Michael Schroeren, rügte, es handele sich um eine

"systematische Vernachlässigung von Sicherheitsstandards". Deshalb schlössen sein

Ministerium und das Bundesamt für Strahlenschutz nicht aus, dass dies Auswirkungen auf den

Transport von abgebrannten Brennelementen aus deutschen Atommeilern nach Sellafield hat.

Schroeren sagte der FR, die Vorkommnisse seien "beispiellos". Die Zuverlässigkeit von

Sellafield als Empfänger der abgebrannten Brennstoffe stehe in Frage. Ein Sprecher des

Bundesamtes für Strahlenschutz sagte der FR auf Anfrage, das Amt prüfe derzeit, ob

Sellafield "weiterhin rechtlich in der Lage ist, Brennstäbe aufzunehmen". Es sei denkbar, dass

die Londoner Atomaufsicht den Betrieb zeitweise stilllege. Dann mache es natürlich keinen

Sinn, Transporte dorthin zu genehmigen. Insgesamt haben zehn deutsche AKW

Entsorgungsverträge mit Sellafield. Der Energieversorger Preussenelektra teilte mit, im Herbst

habe er von Dokumentenfälschungen bei der Wiederaufarbeitungsgesellschaft British Nuclear

Fuels (BNFL) in Sellafield gehört. Dabei sei es aber um MOX-Brennelemente für Japan

gegangen. Daraufhin seien die Sicherheitsdokumente für die vier gelieferten

MOX-Brennelemente überprüft worden. Es habe sich gezeigt, dass die Dokumentation

"Defizite" aufwies. Dabei handele es sich "nicht um ein Prüfungs-, sondern um ein

Dokumentationsdefizit", was den sicheren Betrieb nicht beeinträchtige.

 

Niedersachsens Umweltminister Wolfgang Jüttner (SPD) rügte die Informationspolitik von

Preussenelektra. Zugleich wies er Meldungen der Firma zurück, wonach sein Ministerium

bereits seit Herbst 1999 von der fehlerhaften Dokumentationen gewusst habe. Preussenelektra

hatte behauptet, man habe trotz Kenntnis mangelhafter Dokumentationen im Einvernehmen mit

Jüttners Aufsichtsbehörde gehandelt. Ein Gespräch der niedersächsischen Atomaufsicht mit

Vertretern von Preussenelektra hatte am Dienstag keine Klarheit gebracht, ob die Prüfungen im

AKW Unterweser ordnungsgemäß durchgeführt wurden. Presserklärungen Preussenelektras,

wonach die Brennstäbe "spezifikationsgerecht gefertigt und kontrolliert" worden seien,

bestätigte Jüttner nicht. Kommentar auf Seite 3

 

Copyright © Frankfurter Rundschau 2000

Dokument erstellt am 21.02.2000 um 20.45 Uhr

Erscheinungsdatum 22.02.2000

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junge Welt Inland 21.02.2000

Ungetestete Brennstäbe

Britische Atomfirma umging vorsätzlich Sicherheitstests

 

Der Skandal um gefälschte Papiere von atomaren Brennelementen hat sich nun auch auf Deutschland ausgeweitet. Wie die

Greenpeace am Sonntag mitteilte, sind derzeit im niedersächsischen AKW Unterweser Plutonium- Brennelemente im Einsatz, deren

Sicherheitsdaten vom Hersteller British Nuclear Fuels (BNFL) gefälscht wurden. Das gehe aus dem am Freitag in London

veröffentlichten Bericht der britischen Atomaufsichtsbehörde hervor. Entgegen diesem Bericht hatte das niedersächsische

Umweltministerium noch vor wenigen Tagen versichert, daß es bei den Daten der vier BNFL- Brennelemente für das AKW

Unterweser keine Auffälligkeiten gäbe.

 

»Wenn im AKW Unterweser Brennelemente im Einsatz sind, bei deren Sicherheitschecks getrickst und gefälscht wurde, dann

müssen sie sofort aus dem Reaktorkern raus«, hieß es in einer ersten Reaktion der Hamburger Greenpeace- Zentrale. Jedes Auto,

das nicht der vorgeschriebenen TÜV- Kontrolle unterzogen wird, würde sofort aus dem Verkehr gezogen. Für unkontrollierte

Plutonium-Brennelemente müsse das erst recht gelten.

 

Der Pressesprecher von Greenpeace, Stefan Schurig, kommentierte den Skandal am Sonntag gegenüber jW mit den Worten: »Die

entsprechenden Tests wurden einfach nicht ausgeführt, Unterlagen blind ausgefüllt.« Auch hier zeige sich der Grundsatz

»Wirtschaftlichkeit vor Sicherheit«. So provoziere man Unfälle wie in Japan, wo vor wenigen Monaten nach einem Zwischenfall

400 Menschen verstrahlt worden waren. Diese Sicherheitspolitik führe zur »größten anzunehmende Gefahr« für die Bevölkerung.

 

(jW)

 

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Stuttgarter Nachrichten 21.02.00

Grüne rechtfertigt Castor-Transporte

 

Wyhl (lsw) - Die Parlamentarische Staatssekretärin im

Bundesumweltministerium, Gila Altmann, hat die anstehenden

Atommüll-Transporte gerechtfertigt. Anlässlich der Enthüllung eines

Gedenksteins für den erfolgreichen Widerstand gegen das geplante

Atomkraftwerk Wyhl vor 25 Jahren sagte die Grünen-Politikerin am Sonntag,

die Bundesregierung müsse angesichts der Rechtslage auch die

Castor-Transporte durchsetzen. Die Regierung hatte vor Wochen den

Transportstopp für Atommüll nach eineinhalb Jahren teilweise aufgehoben. Das

Bundesamt für Strahlenschutz in Salzgitter genehmigte fünf innerdeutsche

Transporte ins westfälische Zwischenlager Ahaus. Allerdings können die ersten

Transporte frühestens in sechs Monaten rollen.

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