Berliner Zeitung, 8. 1. 2000

 

>*Atomindustrie drängt auf Nuklear-Transporte*<

>*Betreiber stellen bei Bundesamt für Strahlenschutz 13 Anträge

Gegner kündigen Massenproteste an*<

 

Hendrik Munsberg

 

BERLIN, 7. Januar. Die deutsche Atomwirtschaft hat in Anträgen an das

Bundesamt für Strahlenschutz erstmals ihre Zeitvorstellungen für

Atomtransporte konkretisiert. Danach soll vom Kernkraftwerk

Neckarwestheim bis zum 24. November dieses Jahres eine Castor-Fuhre ins

nordrhein-westfälische Zwischenlager Ahaus gehen. Einen weiteren

Transport hat Neckarwestheim bis zum 31.12.2000 zur britischen

Wiederaufarbeitungsanlage Sellafield angemeldet.

Zum gleichen Termin und Lieferort möchte auch das Atomkraftwerk Biblis

verbrauchte Brennstäbe verfrachten. Aus Hessen soll bis Ende des Jahres

eine Nuklear-Fuhre ins französische LaHague gehen. Bis Juni 2001 möchten

dorthin auch die Kernkraftwerke Stade und Philippsburg ihren Müll

liefern.

13 Anträge für neue Atomtransporte liegen derzeit beim Bundesamt für

Strahlenschutz in Salzgitter vor. Bei sechs Anträgen ist in den nächsten

Wochen mit einer Entscheidung zu rechnen, sagte der Leiter des

Präsidialbereiches der Behörde, Karl Amannsberger, am Freitag. Offiziell

ist jedoch der Transportstopp für Atommüll noch nicht aufgehoben worden.

Er war 1998 erlassen worden, nachdem radioaktive Verunreinigungen an

Behältern bekannt geworden waren.

"Es wird in den nächsten Wochen Entscheidungen geben, aber nicht

zwingend neue Genehmigungen von Transporten", sagte Amannsberger. Eine

Genehmigung bedeute aber nicht automatisch, dass unmittelbar

anschließend ein Transport erfolge.

Kernkraftgegner kündigten Massenproteste gegen neue Atomtransporte in

Deutschland an. Auch bei Genehmigungen für das Endlager Schacht Konrad

bei Salzgitter oder die Pilotkonditionierungsanlage in Gorleben werde es

erbitterten Widerstand geben, sagte der Sprecher der Bürgerinitiative

Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, Wolfgang Ehmke.

Die Kernkraftgegner wollen dabei auch die Weltausstellung Expo 2000 in

Hannover für Aktionen nutzen. "Wenn Genehmigungen kommen, dann gehören

wir zu den ersten Expo-Besuchern", sagte Ehmke. Er kritisierte, dass in

der Diskussion Sicherheitsaspekte kaum eine Rolle spielten. So gebe es

Bedenken hinsichtlich der Stabilität von Castor-Behältern bei Unfällen.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte vor der Aufnahme weiterer

Transporte einen Konsens der Regierung mit den Atomkraftgegnern. Die

Polizei könne nicht bis zu 30 000 Polizisten als Begleitschutz für

Atommülltransporte aufbieten, sagte GdP-Chef Norbert Spinrath im

Deutschlandfunk. Er bezweifele, dass in diesem Jahr wegen der Expo

Transporte möglich seien. Die Polizei müsse für die Expo täglich 3 000

Beamte aus dem Bundesgebiet einsetzen und könne nicht tausende weitere

Polizisten für Atomtransporte bereitstellen.

Die Umweltorganisation Greenpeace hat neue Zwischenlager für Atommüll

abgelehnt. Zu den neun Anträgen der AKW-Betreiber für den Bau von

Zwischenlagern erklärte Greenpeace, damit könnten die Anlagen

jahrzehntelang weiterlaufen, obwohl über den Ausstieg verhandelt werde.

(mit dpa, Reuters)

 

Artikel vom 8. Januar 2000

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