Ahaus, den 20.3.00

Pressemitteilung:

Einen sofortigen und dauerhaften Stopp aller weiteren Castor-Transporte nach Ahaus fordert die Bürgerinitiative "Kein Atommüll in Ahaus". In einem Brief an Bundesumweltminister Trittin anläßlich des zweiten Jahrestages des letzten Castor-Transports weist die BI auf die zahlreichen technischen Probleme hin, die sich im Zusammenhang mit der Lagerung von Castor-Behältern in den letzten beiden Jahren ergeben hätten. Außerem bezieht sie sich auf das in der Vorwoche veröffentlichte Gutachten "Umwelt 2000" des Umweltsachverständigenrates. In diesem wird erstmals von einem offiziellen Beratergremium der Bundesregierung eingestanden, dass es für die Endlagerung des Atommülls nicht nur bisher weltweit keine Lösung gebe, sondern dass dieses Problem auch in der Zukunft wohl nicht lösbar sei. Damit seien aber Lager wie die in Ahaus, Gorleben oder Greifswald nicht mehr als "Zwischenlager" zu bezeichnen, sondern als Endloslager, für die es keine Genehmigung gebe.

Heftige Kritik übte die Bürgerinitiative auch an der "juristischen Aufarbeitung" des Tages X: Während die Staatsanwaltschaft Aktionen gewaltfreien Widerstands in vielen Fällen zur Anklage gebracht hebe, sei in keinem einzigen Fall ein Verfahren gegen Polizeibeamten eröffnet worden. Teilweise sei hier schlampig ermittelt worden, teilweise werde trotz eindeutiger Erkenntnisse keine Anklage erhoben. "Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass hier die politische Direktive ausgegeben worden ist, alle Verfahren gegen Polizeibeamte niederzuschlagen", so der Sprecher der Bürgerinitiative auf einer Pressekonferenz am heutigen Tage.

 

i.A.. Hartmut Liebermann, Pressesprecher

Anlagen:

1. Offener Brief der BI Ahaus an den

Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herrn Trittin

2. Auszüge:

Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen Umweltgutachten 2000: Schritte ins nächste Jahrtausend

(unten)

Bahnhofstr. 51 48683 Ahaus Postfach 1165 48661 Ahaus

Vorwahl: 02561 Tel.: 961791 FAX: 961792 INFOLINE: 961799

Homepage: www.bi-ahaus.de oder www.x-ahaus.de E-mail: mail@bi-ahaus.de

 

 

 

An den

Bundesminister für Umwelt,

Naturschutz und Reaktorsicherheit

11055 Berlin

e-mail: oea-1000@bmu.de

 

Ahaus, den 20.3.00

 

 

Sehr geehrter Herr Trittin,

 

am 2. Jahrestag des Castor-Transportes nach Ahaus wenden wir uns an Sie, um Ihnen unsere Besorgnisse vorzutragen. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat bekanntlich am 26.1. diesen Jahres die Genehmigung für 5 neue Transporte nach Ahaus erteilt (je 2 aus Biblis und Neckarwestheim, einen aus Philippsburg). Dies geschah, obwohl seit dem letzten Transport zahlreiche Mängel bei Lagerung oder Handhabung von Castor-Behältern offenkundig geworden sind:

 

  • Unzulässige Kontaminationen auch an 3 der nach Ahaus gebrachten Behälter (Typ "Castor V/52" aus Gundremmingen),

 

 

  • aufgrund von fehlerhaften Berechnungen bzw. Messungen mit einem zu großem Durchmesser angefertigte Moderatorstäbe zur Neutronenabschirmung in den Behälterwänden der 3 Behälter vom Typ "Castor V/19", die aus Neckarwestheim nach Ahaus gebracht worden sind,

 

  • aufgrund zu hoher Luftfeuchtigkeit in der Lagerhalle sowie vor allem aufgrund unzureichender Lackbeschichtung Korrosion an den Behältern des Typs "Castor THTR/AVR", die vor 5 &endash; 6 Jahren aus Hamm nach Ahaus gebracht worden sind,

 

  • Restfeuchtigkeit im Dichtungsbereich der unter Wasser beladenen Castor-Behälter, festgestellt im Dezember 1998 in Greifswald &endash; ein Problem, auf das wir schon seit 17 Jahren vergeblich aufmerksam zu machen versuchen.

 

Vor diesem Hintergrund ist die Neuerteilung von Transportgenehmigungen durch das Bundesamt für Strahlenschutz für uns nicht verständlich. Der Verdacht drängt sich auf, dass die Erteilung dieser Genehmigung nicht aufgrund der Lösung aller technischen Probleme erteilt wurde oder gar werden musste, sondern vornehmlich politisch motiviert war: Es sollte nämlich ein Zeichen des "guten Willens" gegenüber den Energieversorgern vor den "Konsensverhandlungen" gesetzt werden. So sahen es ja auch zahlreiche Kommentare in der bundesdeutschen Medienwelt.

Bestätigt wurde diese Auffassung in der Zwischenzeit in eindrucksvoller Weise dadurch, dass bei der Beladung von Castor-Behältern in Neckarwestheim und Biblis neue technische Probleme aufgetreten sind, die bisher offenbar übersehen wurden: nämlich die Existenz von Bor-Rückständen im Dichtungsbereich, die die Dichtigkeit der Behälter langfristig gefährden könnten. Die Beladungsvorgänge verzögern sich dadurch zwar, eine Rücknahme der Genehmigung ist aber bedauerlicherweise bisher nicht erfolgt.

In der letzten Woche nun hat der Umweltsachverständigenrat der Bundesregierung sein "Umweltgutachten 2000" vorgelegt. In bemerkenswert deutlicher Weise unterstützt der Umweltrat unsere seit Jahren vergeblich geführte Kritik an den fehlenden Belastungstests mit Original-Castor-Behältern:

"Hinsichtlich der Gefährdung durch Transportunfälle hält der Umweltrat eine weitere Verbesserung der Materialprüfung anstelle von Baumusterprüfungen an den Behältern selbst sowohl in der Produktion als auch an jedem einzelnen Produkt für notwendig."(Umweltgutachten 2000, Abschnitt 252).

Wir weisen in dem Zusammenhang darauf hin, dass kein einziger der in Ahaus lagernden Behältertypen durch experimentelle Tests geprüft worden ist.

Noch erschreckender ist aber, zu welchem Ergebnis der Umweltrat bei seiner Analyse der Endlagerproblematik kommt:

"Der Umweltrat geht davon aus, dass kein für alle Zeiten sicheres Endlager für stark radioaktive und wärmeentwickelnde Abfälle gefunden werden kann. Starke Radioaktivität, hohe chemische Toxizität und Radiotoxizität, die langanhaltende Wärmeproduktion und die durch Korrosion und mikrobielle Vorgänge hervorgerufene Gasbildung setzen dem Rückhaltevermögen der Barriereelemente enge Grenzen....Der Umweltrat hält aufgrund der Charakteristiken bestrahlter Brennelemente und die (gemeint:'der', BI Ahaus) in weiten Teilen ungelösten Entsorgungsprobleme eine weitere Nutzung der Atomenergie für nicht verantwortbar."(Umweltrat, 1336)

Damit hat erstmals ein offizielles Beratergremium der Bundesregierung das eingestanden, was Bürgerinitiativen und Umweltschutzverbände seit vielen Jahren sagen: dass das Endlagerproblem weltweit nicht nur nicht gelöst, sondern vermutlich unlösbar ist.

Darüber, dass allein daraus schon die Notwendigkeit des Ausstiegs aus der Atomenergienutzung zwingend resultiert, dürften Sie mit uns übereinstimmen. Als Standortbürgerinitiative müssen wir allerdings darüber hinaus auf einen weiteren Aspekt hinweisen. Die sogenannten "Zwischenlager" Ahaus, Gorleben und Greifswald können spätestens ab jetzt nicht mehr ernsthaft als "Zwischenlager" bezeichnet werden. Es ist das eingetreten, was wir seit über 20 Jahren befürchtet haben, was aber alle bisherigen Bundesregierungen (und auch alle nordrhein-westfälischen Landesregierungen) vehement bestritten haben: Ahaus ist (wie auch Gorleben und Greifswald) unter der Hand zu einem "Endlager" geworden. Es erfüllt zwar weder technisch noch juristisch die Voraussetzungen dafür, wird aber angesichts des Fehlens einer echten Endlagerperspektive faktisch zu einem Endloslager, dessen Auflösung über absehbare historische Zeiträume nicht zu erwarten ist. Darüber kann auch nicht hinweg täuschen, dass der Umweltrat im Widerspruch zu seiner oben zitierten Einschätzung an anderer Stelle seines Gutachtens Zeitpläne für die Suche nach einem Endlager zu entwickeln versucht.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung fordern wir Sie dringend auf, als erstes jegliche weiteren Castor-Transporte nach Ahaus zu unterbinden. Gleichzeitig erwarten wir von Ihnen die Entwicklung von Konzepten, wie der Atomausstieg erheblich schneller umzusetzen ist, als es bisher von der Bundesregierung in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Das "Umweltgutachten 2000" müßte Ihnen den notwendigen sachlichen und gegenüber den Kraftwerksbetreibern auch juristisch durchzusetzenden Hintergrund dafür geben.

Wir sehen Ihrer Antwort mit Interesse entgegen und verbleiben

 

mit freundlichen Grüßen,

 

i.A.. Hartmut Liebermann, Pressesprecher

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Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen

Umweltgutachten 2000: Schritte ins nächste Jahrtausend

 

Auszüge aus der Kurzfassung imWORD-Format (www.umweltrat.de/)

 

Umweltbeeinträchtigungen und Risiken bei der Atomenergienutzung

 

251.* Die energetische Nutzung der Atomenergie zur Stromerzeugung ist sowohl mit technischen Risiken aus dem Spaltprozess selbst und seinen vor- und nachgeschalteten Ver- und Entsorgungsprozessen als auch mit Risiken durch Fremdeinwirkungen verbunden. Im wesentlichen handelt es sich dabei um die Möglichkeit der Freisetzung und der Aufnahme von radioaktiven Stoffen, die größtenteils im Spaltprozess in hoher Intensität und Diversität erzeugt werden und die sicher eingeschlossen bleiben müssen. Das sehr heterogene Radioaktivitätsinventar nimmt im laufenden Betrieb zu und kann bei Stör- und Unfällen in unterschiedlicher räumlicher Ausbreitung teilweise oder ganz freigesetzt werden. Die Radioaktivität muss aus Umwelt- und Strahlenschutzgründen sowohl im Normalbetrieb als auch bei Stör- und Unfällen im Kraftwerk, aber auch bei der Zwischen- und Endlagerung, sicher eingeschlossen bleiben. Risiken können aber auch von außen zum Beispiel infolge von Flugzeugabsturz, Sabotage und durch höhere Gewalt (z. B. Erdbeben) entstehen.

252.* Bei einer Freisetzung von Radioaktivität bestehen Risiken für Umwelt und menschliche Gesundheit über verschiedene Belastungspfade, das heißt durch äußere oder innere Exposition. Entscheidende Kriterien zur Einstufung sind Art und Intensität der Strahlung bei möglicher Strahlenbelastung, chemische sowie Radiotoxizität bei Inkorporation, Möglichkeit für das Auftreten einer selbsterhaltenden Kettenreaktion der Spaltung (Kritikalität), Wärmeentwicklung und Gefahr einer Kontamination der Umweltkompartimente.

Bei der Bewertung der Umweltbeeinträchtigungen und Risiken durch die Nutzung der Atomkraft ist zwischen

 

  • Risiken, die beim Betreiben von Atomkraftanlagen sowohl im Normalbetrieb als auch bei Störfällen und Unfällen entstehen,

 

  • Risiken der Entsorgung nuklearer Abfälle bei der Wiederaufarbeitung, der Zwischen- und Endlagerung und

 

  • Risiken beim Transport radioaktiver Stoffe

zu unterscheiden.

 

Bei allen Atomkraftwerken gibt es beim Betrieb Restrisiken wie die Möglichkeit einer Kernschmelze und deren mögliche katastrophale Folgen, für deren sichere Beherrschung die Anlagen nicht ausgelegt sind. Auch ist grundsätzlich damit zu rechnen, dass mit der Länge der Laufzeit der Anlagen durch Korrosion, Versprödung etc. höhere Sicherheits-risiken entstehen. Entsprechend fordert der Umweltrat, dass der zu vermutende Rück-stand gegenüber dem heutigen Stand der Sicherheitstechnik mit entsprechendem Auf-wand unverzüglich verringert wird.

Zudem ist die Entsorgung radioaktiver Abfälle aus der Wiederaufarbeitung und dem Kraftwerksbetrieb weiterhin prinzipiell unbefriedigend geregelt; bei hohem Schadens-potential betrifft sie Zeiträume von mehr als zehntausend Jahren. Eine Abschätzung des Gefährdungspotentials über einen derartig langen Zeitraum hinweg ist nahezu aus-geschlossen.

Untersuchungen, die eine Basis für eine (oder mehrere) geeignete Endlager bilden sollen, sind letztlich nie zu einem naturwissenschaftlich einwandfreien Nachweis eines absolut sicheren Endlagers gelangt. Der Umweltrat ist davon überzeugt, dass es keinen idealen Standort für Endlager für (hoch-)radioaktive Abfälle gibt. Ein Konsens über die Lösung der Risikokontroversen ist nicht in Sicht. Um so wichtiger ist es, möglichst bald Entscheidungen darüber zu treffen, welche Kriterien zum Langzeitsicherheitsnachweis herangezogen werden sollen und wie diese in einem Gesamtkonzept gewichtet werden müssen. Es ist davon auszugehen, dass mit der Endlagerung frühestens in zwanzig bis dreißig Jahren begonnen werden kann, weshalb spätestens bis zum Jahr 2010 eine Ent-scheidung über einen Endlagerstandort gefällt werden sollte.

Bei der Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle bedarf es einer Offenlegung, inwieweit vorhandene Kapazitäten ausreichen, den Zeitraum der Suche nach einem adäquaten Endlager zu überbrücken. Auch sind die Vor- und Nachteile einer zentralen oder dezentralen Zwischenlagerung grundsätzlich gegeneinander abzuwägen. Ein zentrales Zwischenlager bietet Größenvorteile insbesondere bei der Beherrschbarkeit der Risiken, dezentrale Lager gewähren eine bessere Lastenverteilung und ein geringes Transport-risiko.

Alle Stationen des Weges der nuklearen Brennstoffe von der Gewinnung bis zur Endlagerung radioaktiver Abfälle sind mit Transporten verbunden. Das Gefährdungs-potential von versorgungsseitigen Transportvorgängen ist insgesamt geringer ein-zustufen als das Gefährdungspotential von Transportvorgängen bei der Entsorgung, weil das wesentliche Ausmaß der Radioaktivität im Spaltprozess entsteht und von den Spaltprodukten dominiert wird.

Der Umweltrat vertritt die Auffassung, dass Grenzwertüberschreitungen beim Transport radioaktiver Abfälle nicht verharmlost werden sollten. Sie sollten vielmehr nach einem nach Überschreitungs- und Gefährdungsmaß gestaffel-ten System bußgeld- bzw. strafbewehrt werden.

Der Umweltrat begrüßt daher die Pläne der Bundesregierung, die Vorschriften für Gefahrguttransporte diesbezüglich zu harmo-nisieren und zu ergänzen. Er schlägt vor, die Risiken aus dem normalen (unfallfreien) Transportbetrieb nach den international anerkannten Grundsätzen des Strahlenschutzes zu bewerten.

Hinsichtlich der Gefährdung durch Transportunfälle hält der Umweltrat eine weitere Verbesserung der Materialprüfung anstelle von Baumuster-prüfungen an den Behältern selbst sowohl in der Produktion als auch an jedem einzelnen Produkt für notwendig.

253.* Insgesamt steht für den Umweltrat bei der Bewertung der Risiken der Atom-energie die Entsorgungsfrage im Vordergrund.

Zwar gibt es bei allen betriebenen Atomkraftwerken Restrisiken, weshalb der zu vermutende Rückstand gegenüber dem heutigen Stand der Sicherheitstechnik mit entsprechendem Aufwand unverzüglich verringert werden muss. Jedoch erscheint die Entsorgung radioaktiver Abfälle aus dem Kraftwerksbetrieb und aus der Wiederaufarbeitung noch dringlicher.

Diese Frage ist weiterhin nicht gelöst; bei hohem Schadenspotential betrifft sie geologische Zeiträume. Eine Abschätzung des Gefährdungspotentials über einen derartig langen Zeitraum hinweg ist nahezu ausgeschlossen.

Zudem weist der Umweltrat darauf hin, dass durch starke Radioaktivität, durch die langanhaltende Wärmeproduktion und die durch Kor-rosion und mikrobielle Vorgänge hervorgerufene Gasbildung dem Rückhaltevermögen der Barriereelemente enge Grenzen gesetzt sind.

Der Umweltrat hält aufgrund der Charakteristiken bestrahlter Brennelemente und der darin begründeten, in weiten Teilen ungelösten Entsorgungsprobleme eine weitere Nutzung der Atomenergie für nicht verantwortbar.

 

 

3.2.4 Energiepolitische Ziele mit umweltpolitischem Bezug

 

Zur Versorgungssicherheit als speziellem energiepolitischem Ziel

257.* Neben umweltpolitischen Zielen wird weiterhin das Ziel der Versorgungs-sicherheit als Begründung für staatliche Eingriffe in Energiemärkte angeführt. ...

 

Die Funktionsfähigkeit der Strommärkte sollte durch Maßnahmen der Deregulierung und Reregulierung abgestützt werden. Verbraucher erhalten auf einem wettbewerblich organisierten Markt die Möglichkeit, Verträge abzuschließen, die ihren individuellen Sicherheitsbedürfnissen Rechnung tragen. Das Ziel der Versorgungssicherheit kann auf einem liberalisierten EU-Binnen-markt für Strom zudem sehr viel günstiger erreicht werden als bei der Versorgung durch Gebietsmonopole.

258.* Im engeren versorgungspolitischen Sinne wird also die Versorgungssicherheit als klassischer Grund für regulierende Eingriffe in die Primär- und Sekundär-energie-märkte angesehen. Über Jahrzehnte hinweg wurde die Subventionierung der deutschen Steinkohle als unumgängliche Sicherung einer heimischen Primärenergie-quelle zu legi-timieren versucht. Der komparative Nachteil von Steinkohle wie Braunkohle dürfte im Hinblick auf die CO2-Intensität eine der wesentlichen (wenn auch öffentlich nie genann-ten) Ursachen dafür sein, warum die Bundesregierung den Einstieg in die Ökosteuer im wesentlichen über eine Stromsteuer (und nicht &endash; wie u. a. auch vom Umweltrat gefordert &endash; über Emissionsabgaben) genommen hat. Dem steht freilich eine wachsende Evidenz gegenüber, dass die (direkte) Subventionierung der Steinkohle und die (in-direkte) Begünstigung von Steinkohle und Braunkohle über die Stromsteuer bzw. die Mineralölsteuer nicht nur umweltpolitisch kontraproduktiv, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit schon lange nicht mehr zu rechtfertigen ist.

 

263.* Im einzelnen darf man von den erneuerbaren Energien (eine Verdoppelung der Energiepreise vorausgesetzt) einen Deckungsbeitrag von etwa einem Viertel des Endenergiebedarfs innerhalb der nächsten 25 Jahre erwarten.

Als langfristige Option zum Ersatz fossiler Energieträger ist regenerativ erzeugter Wasserstoff von erheblicher Bedeutung. Insofern sollten auch die Forschungs-bemü-hungen zur Lösung der bislang offenen Probleme bei der Lagerung von Wasserstoff und der Schaffung der erforderlichen institutionellen Infrastruktur stärker gefördert werden. Letzteres erfordert eine stabile Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd bei der Reali-sierung einer auf Wasserstoff basierenden Energieversorgung.

Zur Isotopentransmutation

265.* Vor dem Hintergrund des Ausstiegs aus der Nutzung der Atomenergie wird die Isotopentransmutation, das heißt die gezielte Umwandlung von unerwünschten, lang-lebigen radioaktiven Atomkernen (Transuranen, Spaltprodukten), als Zukunftsoption diskutiert, die einerseits bei der Energieumwandlung einer neuen, inhärent sicheren Generation von Atomkraftwerken neue Wege eröffnen soll und andererseits zur Abfall-konversion eingesetzt werden könnte.

Ob es sich bei der Transmutation allerdings um einen Beitrag zur technischen Lösung des nuklearen Abfallproblems, mithin um eine Alternative zur Langzeit-Endlagerung, handelt, kann letztlich erst nach einigen Jahrzehnten intensiver Forschungs- und Entwicklungsarbeit festgestellt werden. Der besondere Nutzen dieser neuen Technologie läge in der Kopplung der Abfallkonversion mit der Nutzung der Thoriumvorräte in einem unterkritischen Brutprozess. Solange allerdings nur Ergebnisse von Labor-experimenten zur Machbarkeit der Transmutation vorliegen und zahlreiche technische Fragen ungelöst sind, muss das theoretische Potential dieser Technik noch mit großer Skepsis betrachtet werden. Forschungsarbeiten wären, wenn überhaupt, nur in einem inter-nationalen Verbund voranzutreiben.

Der durch die Transmutation erzielte Sicherheitsgewinn bei der Endlagerung müsste allerdings nicht nur von Reaktorexperten, sondern auch von der breiten Bevölkerung hö-her eingeschätzt werden als die Risiken von Partition, Transmutation sowie Transpor-ten zusammen. Im Hinblick auf die Erfahrungen der Vergangenheit bei der Nutzung der Atomenergie darf dies getrost bezweifelt werden. Insbesondere der notwendige Ausbau der Wiederaufarbeitung ist eher skeptisch zu sehen.

 

Risikobeurteilungen zur Realisierung der Transmutation müssten alle diese Aktivitäten umfassend berücksichtigen.

3.2.6 Zur Liberalisierung des Strommarktes

266.* Bereits in seinen Gutachten von 1994 und 1996 hatte sich der Umweltrat für eine Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte ausgesprochen und diese als notwendige Voraussetzung für eine nachhaltige Umweltpolitik erachtet, da sie zusätzliche Gestaltungsspielräume für die Umweltpolitik schafft. Eine Liberalisierung des Strom-marktes ist umweltpolitisch in folgender Hinsicht von erheblicher Relevanz: ...

267.* Insgesamt lassen die bisherigen Liberalisierungsschritte sowie das geltende Energiewirtschaftsrecht zufriedenstellende Bemühungen für eine Neuausrichtung des Energiemarktes jedoch noch vermissen....

3.2.7 Zur Beendigung der Atomenergienutzung

269.* Der Umweltrat hält, insbesondere wegen der in weiten Teilen ungelösten Ent-sorgungsprobleme, eine weitere Nutzung der Atomenergie für nicht verantwortbar.

Die Bundesregierung hat in ihrer Koalitionsvereinbarung beschlossen, dass "der Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie innerhalb dieser Legislaturperiode umfas-send und unumkehrbar gesetzlich geregelt", jedoch entschädigungsfrei vollzogen werden soll. Die Bundesregierung versucht dabei in Energiekonsensgesprächen mit den Kraftwerks-betreibern konkret festzuschreibende Restlaufzeiten der Atomkraftwerke auszuhandeln.

Der Umweltrat befürwortet wegen der noch bestehenden rechtlichen Unsicherheiten die Strategie der Bundesregierung, Möglichkeiten einer entschädigungsfreien Beendigung der Nutzung der Atomenergie im Wege einer konsensualen Lösung mit den Betreibern zu suchen. Auf deren Grundlage sollte sodann ein Ausstiegsgesetz verabschiedet wer-den, in dem die Eckpunkte eines Ausstiegs festgelegt werden. Dazu zählt auch eine Einigung über Restlaufzeiten der Atomkraftwerke. Nach Auffassung des Umweltrates dürfte den berechtigten Interessen der Betreiber von Atomkraftwerken im Hinblick auf deren im Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage getätigten Investitionen durch eine Gesamtlaufzeit von etwa 25 bis 30 Kalenderjahren hinreichend Rechnung getragen sein.

270.* Als Maßgabe für das weitere Vorgehen empfiehlt der Umweltrat, sich bei der Festlegung der Restlaufzeiten von den bislang diskutierten schematischen Vorgehens-weisen zu lösen. An deren Stelle sollte eine Einzelbewertung der neunzehn in Betrieb befindlichen Anlagen treten. Diese Einzelfallbetrachtung schließt dabei eine gewisse typisierende Betrachtungsweise der Anlagen anhand von generalisierenden Kategorien nicht aus. Eine solche ist vielmehr bereits aus Praktikabilitätsgründen geboten. Der Umweltrat schlägt insoweit die Bildung von drei unterschiedlichen Kategorien von Kraftwerken, verbunden mit einer Fristenregelung für Kraftwerke innerhalb von Bandbreiten vor. Diese Kategorien sollten vor allem Ausdruck des unterschiedlichen Sicherheitsstandards der einzelnen Anlagen und damit der von jeder einzelnen Anlage ausgehenden höheren oder niedrigeren Risiken sein. Daneben sollten als weitere Kriterien die Größe des Bevölkerungsrisikos, die Zwischenlagerkapazität sowie die wirtschaftliche Zumutbarkeit einer baldigen Stillegung in die Bewertung eingehen. Die Einzelbewertung trüge den zum Teil erheblich divergierenden Sicherheitsstandards der Anlagen besser Rechnung als die bislang diskutierten Ansätze. Die Zuordnung jedes einzelnen der Kraftwerke zu einer der drei Kategorien würde trotz der damit ver-bun-denen Generalisierung eine weitgehende Einzelfallgerechtigkeit gewährleisten und auf diese Weise der Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) eher gerecht als eine rein schematische Vorgehensweise.

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