DIE ZEIT   31/2002

Atomkraft - tschüs, danke!

Auch der Klimawandel verhilft der Kernenergie nicht zu einer Renaissance

 

Von Stephan Kohler

 

Kürzlich stellte die Enquete-Kommission "Nachhaltige Energieversorgung unter den

Bedingungen der Globalisierung und der Liberalisierung" des Deutschen

Bundestages ihren Abschlussbericht vor - und dabei brach der alte Streit um die

Atomkraft wieder auf: Rot-Grün dagegen, Schwarz-Gelb dafür. Die Befürworter

halten den weiteren Betrieb und den Ausbau der Atomenergie für notwendig. Vor

allem wegen des Klimaschutzes, außerdem sei die Kernenergie wirtschaftlicher und

diene der Versorgungssicherheit.

 

Aber stimmt das auch? Was steckt wirklich hinter der positiven Bewertung der

Atomenergie?

 

Fakt ist, dass die Energieversorgungsunternehmen (EVU) mit der rot-grünen

Bundesregierung freiwillig einen Konsens über die Abschaltung der heute in Betrieb

befindlichen Atomkraftwerke (AKW) in Deutschland vereinbart haben. Fakt ist auch,

dass es heute in Deutschland kein EVU gibt, das den Neubau eines AKW plant -

insbesondere wegen der fehlenden Wirtschaftlichkeit von neuen Kernkraftwerken.

Die hohen Investitionskosten und die damit verbundene langfristige Kapitalbindung

machen die Atomenergie gegenüber Kohle- und Gaskraftwerken unwirtschaftlich.

 

Die Atomenergie hat aber auch deshalb keine Zukunft, weil es derzeit kein für den

Neubau genehmigungsfähiges AKW-Konzept gibt. Dafür ist übrigens nicht die

derzeitige Bundesregierung verantwortlich. Vielmehr hat die ehemalige

Bundesumweltministerin Angela Merkel mit ihrer Atomgesetznovelle die

Sicherheitskriterien so festgelegt, dass bei keinem denkbaren Unfall in einem AKW

Evakuierungsmaßnahmen in der Umgebung notwendig werden dürfen, um die

Grenzwerte für die Strahlenbelastung der Bevölkerung einhalten zu können.

 

Dies bedeutet faktisch den inhärent sicheren Reaktor - den es aber auf der ganzen

Welt nicht gibt. Ob diese Sicherheitskriterien von dem derzeit in Entwicklung

befindlichen Europäischen Druckwasserreaktor eingehalten werden, ist eher

zweifelhaft. Klar ist indes: je mehr Sicherheit, desto schlechter die Wirtschaftlichkeit

der Anlagen.

 

Auch angesichts der Terroranschläge vom 11. September muss die Sicherheit von

Kernkraftanlagen neu bewertet werden. Atomkraftwerke, aber auch

Wiederaufbereitungsanlagen oder Zwischenlager, stellen ein hohes

Gefährdungspotenzial dar. Es geht hier nicht um die Entwicklung von

Katastrophenszenarios, sondern um die nüchterne Betrachtung der Fakten. So ist

beispielsweise das vormals in Risikostudien unterstellte Täterprofil von Terroristen

mittlerweile obsolet: Es ging davon aus, das der Täter in die Anlage eindringt, den

Anschlag verübt - und überlebt. Selbstmordattentäter waren nicht vorgesehen!

 

Doch lassen wir die Gefahr von Terroranschlägen außer Acht: Soll die Atomenergie

 

einen wirksamen Beitrag für den weltweiten Klimaschutz leisten, so muss sie auch

weltweit einsetzbar und verfügbar sein.

 

Dies bedeutet, dass neben den heutigen Leichtwasserreaktoren auch Schnelle

Brüter zum Einsatz kommen müssen, was wiederum den massiven Ausbau von

Wiederaufbereitungsanlagen voraussetzt, da auch das Uran nur in begrenztem

Umfang zur Verfügung steht. Einigkeit besteht aber über Folgendes: Um die Risiken

der Atomenergie zu minimieren, ist eine hoch entwickelte Sicherheitskultur

erforderlich, sowohl bezüglich der technischen Rahmenbedingungen als auch

bezüglich der politischen, organisatorischen und gesellschaftlichen Umstände. Und

zwar über für Menschen nicht kalkulierbare Zeiträume. Der Zerfall der Sowjetunion

zeigt, wie schnell und mit welch fatalen Auswirkungen für die nukleare Sicherheit

sich die Rahmenbedingungen ändern können.

 

Bei nüchterner Betrachtung spricht allzu viel gegen den weiteren Einsatz von

Atomkraftwerken. Dies insbesondere deshalb, weil es Alternativen gibt, die in allen

Regionen der Welt mit vertretbarem Risiko eingesetzt werden können. Dass diese

Alternativen auf absehbare Zeit nicht nur auf regenerativen Energiequellen beruhen

werden, ist übrigens auch ein Fakt. Die Nutzung von fossilen Energieträgern in hoch

effizienten Anlagen und Kraftwerken wird noch auf lange Zeit erforderlich sein und

die Basis unserer Energiesysteme bilden, weshalb die kleinkarierte nationale

Diskussion über die Subventionen zwischen den Vertretern der Kohle und denen der

regenerativen Energieträger völlig kontraproduktiv und schädlich ist.

 

In den nächsten 20 Jahren muss in Deutschland rund ein Drittel der

Kraftwerksleistung erneuert werden. Dieser immense Investitionsblock bietet die

Chance, das Energieversorgungssystem wirklich intelligent umzubauen. Darüber

lohnt es viel mehr nachzudenken als über die Wiederbelebung der Atomenergie.

 

Stephan Kohler ist der Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur

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