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ddp 30.08.2008,

Öffentlichkeit und Anwohner getäuscht?

Hamburg (ddp-nrd). Öffentlichkeit und Anwohner sind einem Medienbericht zufolge offensichtlich vor Jahrzehnten über den Zweck des Atommülllagers Asse getäuscht worden. Das 1965 offiziell zu Forschungszwecken eingerichtete Atommülllager im niedersächsischen Salzbergwerk Asse sei von Anfang an faktisch als Endlager genutzt worden, berichtete das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» am Samstag vorab. Aus Unterlagen gehe hervor, dass die Projektgruppe «Endlagerung radioaktiver Abfälle» 1964 nach der Begehung des Standorts notiert habe, es könnten «bereits ab 1965 sämtliche Einlagerungswünsche» erfüllt werden.

Das Blatt zitierte aus einem Brief der Asse-Betreiber aus dem Jahr 1971 an die Physikalisch-Technische Bundesanstalt, in dem es heißt: «Wie Ihnen bekannt ist, handelt es sich bei der Einlagerung von Kernbrennstoffen und von radioaktiven Stoffen um die endgültige Beseitigung dieser Stoffe. Die Einlagerungsmethoden erlauben es nicht, diese Stoffe wieder auszulagern.» Nach Aussagen früherer Asse-Mitarbeiter wurden dem Bericht zufolge «in den ersten Jahren Fässer angeliefert, die zum Teil bereits durchkorrodiert waren und Flüssigkeiten verloren». Fässer seien «im Verlauf der Stapelung auch zerdrückt» worden.

Die Risiken des Mülldepots waren laut «Spiegel» früh bekannt: Bereits 1967 hätten die Betreiber gewusst, «dass für die Asse als möglicher maximaler Unfall nur das Ersaufen der Grube in Betracht kommt».

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und die Landesregierung Niedersachsens haben dem Bericht zufolge den Schacht, in dem bis 1979 Atommüll verbracht wurde, untersuchen lassen. In der kommenden Woche wollten sie einen Statusbericht vorlegen, hieß es.

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NDR 30.08.2008

Atomkraft

Neue Vorwürfe gegen Atommülllager Asse

Gegen das umstrittene Atommülllager Asse II bei Wolfenbüttel gibt es neue Vorwürfe. Der "Spiegel" berichtete am Sonnabend vorab, Öffentlichkeit und Anwohner seien offensichtlich in den 70er-Jahren über den Zweck der Anlage getäuscht worden.

Das 1965 offiziell zu Forschungszwecken in dem Salzbergwerk eingerichtete Lager sei von Beginn an faktisch als Endlager genutzt worden. Ein Rückholen der Abfälle sei nicht vorgesehen gewesen. So habe die Projektgruppe "Endlagerung radioaktiver Abfälle" 1964 nach der Begehung des Standortes notiert, es könnten "bereits ab 1965 sämtliche Einlagerungswünsche" erfüllt werden. In einem Brief der Asse-Betreiber aus dem Jahr 1971 an die Physikalisch-Technische Bundesanstalt heiße es: "Wie Ihnen bekannt ist, handelt es sich bei der Einlagerung von Kernbrennstoffen und von radioaktiven Stoffen um die endgültige Beseitigung dieser Stoffe. Die Einlagerungsmethoden erlauben es nicht, diese Stoffe wieder auszulagern".

Risiken von Beginn an bekannt?

Zudem hatten die Betreiber die gegenwärtigen Probleme mit dem Auslaufen radioaktiv verseuchter Lauge angeblich von Beginn an im Blick. Die Risiken des Mülldepots bei Wolfenbüttel seien früh bekannt gewesen, bereits 1967 hätten die Betreiber gewusst, "dass für die Asse als möglicher maximaler Unfall nur das Ersaufen der Grube in Betracht kommt", so der "Spiegel". Seit Jahren sammelt sich in der Asse radioaktiv belastete Salzlauge. Die Verseuchung stammt nach einer neuen Untersuchung aus den Atommüllfässern in einer Lagerkammer. Aussagen früherer Asse-Mitarbeiter zufolge wurden "in den ersten Jahren Fässer angeliefert, die zum Teil bereits durchkorrodiert waren und Flüssigkeiten verloren", wie der "Spiegel" schrieb. Fässer seien "im Verlauf der Stapelung auch zerdrückt" worden.

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und die Landesregierung haben die Asse, in die bis 1979 Atommüll eingebracht wurde, untersuchen lassen. Sie wollen dem Bericht zufolge in der kommenden Woche einen Bericht vorlegen.

Grüne fordern Sonderkommission

Der Chef der Grünen-Fraktion im Niedersächsischen Landtag, Stefan Wenzel, verlangte unterdessen eine Sonderkommission aus Bundes- und Landtagsabgeordneten, die die Vorgängen in dem Lager klären sollten. Der Bund, der Besitzer der Schachtanlage sei, dürfe sich nicht aus der Verantwortung stehlen, sagte Wenzel der "Braunschweiger Zeitung". Nur der Bund könne die Finanzierung milliardenschwerer Maßnahmen in der Asse sicherstellen. Wenzel warf den zuständigen Landesbehörden vor, die Probleme in dem Atommülllager verharmlost, ignoriert oder geduldet zu haben. Grüne und Linkspartei im Landtag hatten bereits einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu Klärung der Vorgänge in der Asse gefordert.

Das frühere Salzbergwerk Asse ist das weltweit erste unterirdische Lager für Atommüll. Im Frühsommer war bekannt geworden, dass der Betreiber radioaktiv belastete Salzlauge ohne Genehmigung und offenbar ohne Wissen des zuständigen Umweltministeriums in einen unbelasteten Stollen des Salzstocks geleitet hatte.

Stand: 30.08.2008 13:31

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derStandart.at 29.08.2008

Gefahrloses Nuklearfeuer

Alarme erfolgen Stunden bis Tage später - Wenn es in veralteten Anlagen schon vorher Probleme gegeben hat, kümmert das kaum -

Von Michael Möseneder

Das Feine ist, dass Atomenergie völlig ungefährlich ist. Gleichgültig, welche radioaktiven Stoffe wo in die Umwelt gelangen: "Es besteht keine Gefahr", bescheinigen die Behörden stets. Sicher - baden sollte man vielleicht besser nicht in Flüssen, in die Uran gelangt ist. Wie in Frankreich. Und die rund um ein Labor, aus dem Jod ausgetreten ist, wachsenden Früchte bleiben besser unberührt. Wie in Belgien. Aber sonst - keine Gefahr.

In Zeiten des Kampfes gegen das Kohlendioxid wird die Spaltung von Atomkernen derzeit wieder interessant. Aus Umweltschutzgründen. Und in Zeiten steigender Ölpreise wird das freundliche Atomkraftwerk in der Nachbarschaft wieder interessant, weil es günstige Energie verspricht. Für die Atomindustrie sind das Glücksfälle, die sie auf weitere Bautätigkeit hoffen lassen. 439 Kernkraftwerke sind derzeit weltweit in Betrieb, weitere 35 sind in Bau.

Was zu denken geben sollte, ist nicht nur die ungelöste Frage, wo die strahlenden Reste des nuklearen Feuers für die nächsten 5000 Generationen untergebracht werden können. Seit Jahrzehnten wird die Lösung des Endlager-Problems versprochen. Die Welt wartet noch. Dass es nicht schwerer ist, einen Jet in einen Reaktor statt in Hochhäuser zu steuern, sollte auch nicht ganz übersehen werden.

Wirklich bedenklich ist jedoch auch die Nonchalance, mit der Konzerne und Forschungsstätten mit Zwischenfälle umgehen. Alarme erfolgen Stunden bis Tage später. Wenn es in veralteten Anlagen schon vorher Probleme gegeben hat, kümmert das kaum. Aber es spielt ja keine Rolle. Ist ja völlig ungefährlich. (Michael Möseneder, Der Standard Print-Ausgabe, 30./31.08.2008)

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derStandart.at 29.08.2008

Belgien: Atom-Störfall der Stufe drei

In einem Atom-Labor in der Nähe von Brüssel ereignete sich am Montag ein Unfall. Die belgische Behörde für Nuklearkontrolle spricht vom bisher schlimmsten Zwischenfall in Belgien - Das Institut gibt Entwarnung

Brüssel/Wien - Vier Tage nach einem Zwischenfall in dem Atomforschungslabor "Institut des Radioéléments" (IRE) im belgischen Ort Fleurus, etwa zwanzig Kilometer von Brüssel entfernt, zeigt sich die Bevölkerung besorgt.

Beim Umfüllen eines Tankes wurden am Montag geringe Mengen von Jod über das Abluftsystem des Labors freigesetzt. Doch erst am Donnerstag wurde eine erhöhte Radioaktivität in der Umgebung festgestellt. Und die Proben haben ergeben, dass der Anteil an radioaktiver Strahlung doch weit höher war als zunächst angenommen. Der Ausstoß von radioaktivem Material war zwar sehr gering, doch da er sich über den Zeitraum von einigen Tagen erstreckte, stiegen die Werte stetig an.

"Es besteht dennoch keine Gefahr für die Bevölkerung", versichert Karina de Beule, Pressesprecherin der belgischen Behörde für Nuklearkontrolle (AFCN) dem Standard. Man lege den Anrainern im Umkreis von fünf Kilometer zwar nahe, in den nächsten Tagen auf frische lokal produzierte Lebensmittel zu verzichten, ein akutes Kontaminationsrisiko bestehe jedoch nicht. Obwohl der radioaktive Ausstoß beendet wurde, bleibt das Institut in Fleurus weiterhin geschlossen, bis es wieder voll funktionsfähig ist und keinerlei Gefahr für die Bevölkerung besteht, so de Beule. Drei weitere Proben wurden mittlerweile entnommen, die AFCN erwartet aber keine erhöhten Werte mehr.

Dennoch bewertet die AFCN die Freisetzung des Jods am Montag als den schlimmsten radioaktiven Zwischenfall in der belgischen Geschichte und bewertete ihn auf der siebenstelligen Richterskala der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) als ernsten Störfall der Stufe drei.

"Bei dem ausgestrahlten Jod handelt es sich um ein sehr kurzlebiges radioaktives Material", entwarnt Ayan Evrensel, Sprecher der IAEO in Wien. In freier Umgebung könne es höchstens acht Tage gefährlich sein, erklärt Evrensel dem Standard. Am Mittwoch benachrichtigten die belgischen Behörden die IAEO über den Vorfall, obwohl für Kernsicherheit und Strahlenschutz, wie Evrensel betont, grundsätzlich die Mitgliedstaaten zuständig sind. Die Internationale Atomenergiebehörde habe deshalb nicht das Mandat, Informationen zu verlangen, außer es droht eine grenzüberschreitende Gefahr. "Das war hier aber nicht der Fall", so Evrensel. (Valérie Michiels, Der Standard Print-Ausgabe, 30./31.08.2008)

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Der Newsticker / ddp, 22.8.08

Asse-II: Streit um hoch radioaktiven Müll aus HTR Jülich

Im niedersächsischen Atommülllager Asse bei Wolfenbüttel lagern offenbar auch rund 100 Fässer mit kugelförmigen Brennelementen aus einem Versuchsreaktor im Kernforschungszentrum Jülich. Aus Dokumenten, die der Nachrichtenagentur ddp vorliegen, geht hervor, dass die aus Graphit bestehenden bestrahlten Kugeln zwischen 1973 und 1976 in das Bergwerk Asse gebracht wurden.

Der Betreiber des Atommülllagers, das Helmholtz-Zentrum München, bestätigte zwar die Lieferung, dementierte jedoch unter Berufung auf ein neues TÜV-Gutachten, dass es sich dabei um hoch radioaktive Abfälle handelt.

Der Sprecher des Helmholtz-Zentrums, Heinz-Jörg Haury, sagte am Freitag, dass in früheren Jahren bestrahlte Graphitkugeln aus einem Versuchsreaktor in Jülich in die Asse gebracht worden seien. «Dabei handelte es sich jedoch um mittel radioaktive Abfälle», betonte Haury. Er berief sich dabei auf das neue TÜV-Gutachten, nach dem es in der Asse keine hoch radioaktiven Abfälle gibt. Das niedersächsische Umweltministerium bestätigte ebenfalls unter Berufung auf das Gutachten Haurys Angaben.

Michael Fuder vom Asse-II-Koordinationskreis bezweifelte indes die Aussagefähigkeit des TÜV-Gutachtens. Die Aussage, dass sich in den Fässern kein hoch radioaktives Material befinde, gründe sich alleine auf der Analyse von Akten. Was wirklich in den Fässern sei, wisse man nicht, sagte Fuder. Auch bei schwach radioaktivem Müll seien bislang nur Stichproben gemacht worden.

Die zwischen 1973 und 1976 aus Jülich angelieferten kugelförmigen Brennelemente seien im Wesentlichen zur Materialprüfung verwendet worden und strahlten deshalb nicht stark, sagte Helmholtz-Sprecher Haury weiter. Seines Wissens habe es sich um insgesamt acht Fässer mit Graphitkugeln gehandelt.

ddp vorliegende Dokumente belegen aber, dass in dem fraglichen Zeitraum mindestens 94 Fässer mit Graphitkugeln aus Jülich in die Asse gebracht wurden. Die Linke im niedersächsischen Landtag sprach sogar von «mehr als 300 Fässern mit hoch radioaktivem Atommüll».

Der Göttinger Chemieprofessor Rolf Bertram bezeichnete den Atommüll aus Jülich als «eindeutig hoch radioaktiv». Er wies zudem darauf hin, dass sich in der Asse rund ein Kilogramm des hoch radioaktiven Stoffes Americium-241 befinde. «Americium ist ein Zerfallsprodukt von Plutonium und der stärkste Alpha-Strahler, den es überhaupt gibt», sagte Bertram.

Die Grünen im niedersächsischen Landtag forderten das Umweltministerium auf, eine exakte Definition von mittel und hoch radioaktivem Müll vorzulegen. Die Akten zeigten, dass diese Definition schon damals strittig war, sagte der Fraktionsvorsitzende Stefan Wenzel. So sei in den Akten unter anderem die Rede von «mittelaktivem Müll der oberen Kategorie» gewesen.

Die SPD forderte, dem Betreiber die Verantwortung für die Asse zu entziehen. Dass der Betreiber erst jetzt einräume, dass sich schon seit Beginn der Atommülleinlagerung Lauge in dem Bergwerk befinde, sei unverschämt und gedankenlos, sagte der SPD-Landtagsabgeordnete Marcus Bosse.

Die Graphitkugeln aus dem Versuchsreaktor enthalten den Begleitpapieren aus Jülich zufolge unter anderem die radioaktiven Stoffe Cäsium-134, Scandium-46, Europium-154, Ruthenium-155, Antimon-124 sowie das radioaktive Kohlenstoff-Isotop C-14. Vor ihrer Einlagerung in das Bergwerk wurden die Kugeln in flüssigen Beton eingegossen und in Fässer gepackt.

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 verivox 22.08.2008

Atommüll in Deutschland

Radioaktiver Abfall fällt bei der Nutzung der Atomenergie zur Stromerzeugung, bei der Forschung, in der Industrie und in der Medizin an.

Mehr als 90 Prozent des Atommülls in Deutschland ist schwach- oder mittelradioaktiv, nach Angaben des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) etwa 120 000 Kubikmeter. Hinzu kommen rund 2000 Kubikmeter hochradioaktive Abfälle, was etwa 12 500 Tonnen abgebrannten Brennelementen entspricht. Bleibt es dabei, dass die 17 noch laufenden Atommeiler bis etwa 2020 schrittweise vom Netz gehen, würde sich die Menge auf 17 100 Tonnen erhöhen.

Knapp 47 000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktiver Atommüll lagern in der niedersächsischen Schachtanlage Asse bei Wolfenbüttel. Das ehemalige Eisenerzbergwerk Schacht Konrad bei Salzgitter (ebenfalls Niedersachsen) soll bis 2013 als Endlager für solchen Atommüll in Betrieb gehen und bis zu 270 000 Kubikmeter aufnehmen. In einem Salzstock in Morsleben (Sachsen-Anhalt) liegen weitere knapp 37 000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktiver Abfall, der vor 1998 eingelagert wurde.

Nach dem Atomgesetz ist der Bund zudem verpflichtet, ein Endlager für hochradioaktive Abfälle zu schaffen, das bis 2030 betriebsbereit sein soll. Wo dieses Lager sein wird, ist noch nicht entschieden.

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Stuttgarter Zeitung 22.08.2008

Atomkraftwerke sind kaum gegen Flugzeugabstürze geschützt

Prallt ein großes Verkehrsflugzeug gegen den Reaktor Biblis A, kann es nach Expertenmeinung zur Kernschmelze kommen. Weit entfernte Großstädte müssten evakuiert werden; das zeigt eine Studie des Öko-Instituts. Der Betreiber RWE will aber die Laufzeit von Biblis A verlängern.

Die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA alarmierten die deutschen Behörden. Sie ließen mehrfach untersuchen, ob die deutschen Kernkraftwerke einem Angriff mit einem voll getankten großen Verkehrsflugzeug gewachsen wären. Das Öko-Institut hat die Ergebnisse zusammengefasst und überdies abgewogen, welche Auswirkungen ein solcher Anschlag auf die Umgebung eines Meilers hätte. Das Szenario ist beängstigend: Würden Terroristen ein Flugzeug gegen den hessischen Reaktor Biblis A lenken, der über keinerlei Schutz gegen Abstürze verfügt, so ließe sich eine großflächige Zerstörung des Reaktorgebäudes nicht ausschließen. Trümmer des Gebäudes, Teile des Flugzeugwracks sowie das brennende Kerosin würden dann die Anlage und ihre Notsysteme so stark beschädigen, dass die Reaktormannschaft sie nicht mehr steuern könnte.

Die Folge wäre eine Kernschmelze, ein nicht mehr beherrschbarer Unfall, der Super-GAU. Große Mengen an Radioaktivität würden aus dem Meiler entweichen, mit fatalen Folgen für die Umgebung: Im näheren Umkreis liegen die Städte Frankfurt, Mannheim, Darmstadt und Ludwigshafen. Je nach Windstärke und Windrichtung würde die Radioaktivität viele hundert Kilometer weit verteilt. Bei Wind aus Südwest müsste ein bis zu 50 Kilometer breiter und bis zu 600 Kilometer langer Streifen evakuiert werden, der über Berlin hinaus reicht. Aus einem Landstrich, der bis zu 60 Kilometer breit ist und erst bei Dessau endet, müsste die Bevölkerung auf Dauer umgesiedelt werden.

Zehn Reaktoren bieten ausreichend Schutz

Vier der 17 deutschen Kernkraftwerke, die noch am Netz sind, haben keinen Schutz gegen Flugzeugabstürze. Das sind neben dem Reaktor Biblis A der Meiler Brunsbüttel bei Hamburg, Isar 1 bei Landshut sowie Philippsburg 1 im Landkreis Karlsruhe. Die übrigen 13 Meiler sind zumindest Kampfflugzeugen gewachsen, drei davon allerdings nur dem kleineren Starfighter, dessen zahlreiche Abstürze legendär sind, den die Bundeswehr jedoch schon längst nicht mehr im Arsenal hat. Bleiben zehn Reaktoren, deren Betonhülle so stark ausgeführt ist, dass diese vom neuen und schwereren Kampfflugzeug Phantom nicht durchschlagen werden kann.

Die Auslegung gegen schnell fliegende Militärjets bringt es mit sich, dass die 13 Anlagen mit verstärkter Reaktorhülle auch einen hohen Schutz gegen große Verkehrsflugzeuge haben, heißt es in der Studie des Öko-Instituts. Allerdings lasse sich nicht für alle Flugzeugklassen nachweisen, dass ein Aufprall beherrschbar wäre. Dasselbe gelte für die verschiedenen Geschwindigkeiten eines Aufpralls. Ungewiss sei, welche Schäden die Erschütterungen im Inneren des Reaktors anrichten würden.

Biblis A in Südhessen ist seit 1974 am Stromnetz und mit 34 Jahren das älteste deutsche Kernkraftwerk. Das Öko-Institut hat seine Untersuchung deshalb anhand dieses Reaktors angestellt. Eine Rolle dürfte auch spielen, dass der RWE-Konzern die Anlage länger am Netz halten möchte, als im Atomkompromiss vorgesehen ist. Vor Gericht ist RWE mit dem Versuch gescheitert, anderen Reaktoren fest zugeteilte Strommengen auf Biblis A zu übertragen, und zwar von dem deutlich jüngeren Kernkraftwerk Emsland sowie vom Meiler Mühlheim-Kärlich, der nie in Betrieb gegangen war.

Spiel auf Zeit

Vor kurzem hat RWE angekündigt, Biblis A im kommenden Jahr von Mai bis September für eine Revision abzuschalten, so dass die dem Meiler zugeteilten Strommengen ausreichen würden, ihn bis über die Bundestagswahl im Herbst 2009 hinaus in Betrieb zu lassen. RWE setzt darauf, dass der Altreaktor noch länger laufen kann. Sollte die Union die Wahl gewinnen, würde der Atomausstieg wahrscheinlich gekippt. Der Vorstandschef des RWE-Konzerns hat bereits offen zugegeben, im Fall Biblis A auf Zeit zu spielen.

Zwei der vier Schweizer Atomkraftwerke stehen direkt an der deutschen Grenze. Der Reaktor Leibstadt ist gegen den Absturz einer Boeing 707-320 ausgelegt. Das Kraftwerk liegt in der Einflugschneise des Flughafens Zürich, was auch für den Reaktor Beznau gilt, der über keinen Schutz gegen Abstürze verfügt. Die Schweizer Atommeiler sind jedoch allesamt mit Notkühlsystemen ausgerüstet, die in Bunkern untergebracht sind.

Die Kühlung ist zentraler Bestandteil eines Reaktors: Auch wenn ein Atomkraftwerk abgeschaltet wird, entstehen im Reaktorkern zunächst weiter riesige Wärmemengen, die abgeführt werden müssen. Ist die Kühlung nicht ausreichend, droht die Kernschmelze.

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Süddeutsche, 17.8.08

Was du heute kannst besorgen verschiebe ruhig auf morgen

Text: anna_fernweh

Das Aufleben kontroverser Diskussionen über die Atomkraft findet schon seit Anbeginn ihrer Entstehung statt. Es ist immer wieder eine neue Generation von Jugendlichen betroffen. Jugendliche, die bisher noch keine Lösung des ganzen Debakels erkennen können. Viel zu wirr scheinen die Verflechtung aus wirtschaftlichen Interessen und die Abhängigkeit der Politik von ihren Legislaturperioden zu sein. Geplant wird für heute. Eventuell auch für Morgen. Aber Übermorgen?

Tatsache ist aber die Halbwertszeit von 235-Uran, das hauptsächlich für die Gewinnung von Strom in Atomkraftwerken verwendet wird. Sie beträgt 703,8 Millionen Jahre. 82800 Generationen, die vor dem Atommüll, der unter die Erde wandert, gewarnt werden müssen. Und das in einer Zeit, in der die Information man oftmals nicht einmal mehr den Namen seines Nachbarn kennt.

Deutschland ist noch relativ gut dran. Während der letzte Stromausfall in Deutschland eher Anlass zu einer gemütlichen Runde am Tisch bei Kerzenlicht gab, so fragen sich andere Länder, die gar nicht so fernab von Europa liegen immer öfters wann überhaupt Strom verfügbar ist. Wir haben die Grenzen der Energieversorgung vorerst erreicht, in Europa spürbar durch die hohen Energiepreise, anderenorts durch das schlichte ausdrückliche Fehlen. Die nächsten Wahlen stehen an, die Politik geht drunter und drüber. Husch, husch, schnell, schnell geht die Flickenschusterei voran. Energiepolitisch traut man sich nicht viel - man bewegt sich auf bekanntem Terrain. Wir haben zu lange zu viel versäumt. Aber trotzdem wäre eine Handlung aus dem Affekt sinnlos. Wird heute wieder auf billige, schneller und leicht verfügbare Energie, sprich Atomkraft, gesetzt ist absehbar, dass die Wähler von Übermorgen selbst auf dem Atommüll sitzen.

Im Zusammenhang mit den Vorfällen im französischen Tricastin und in Brunsbüttel ist Kritik angebracht. Denn wer die Atomenergie völlig unkritisch betrachtet darf sich zu der Gattung zählen, die Herbert Grönemeyer in seinem Lied "Mensch" besingt: "Der Mensch ist Mensch, weil er vergisst, weil er verdrängt."

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volksfreund.de 13.08.2008

Gefährliche Fracht: Atomtransport hinter der Grenze gestoppt

Von unserem Redakteur Bernd Wientjes

Ein Zug mit einem völlig mit radioaktivem Uran überladenen Waggon ist vor einer Woche hinter der deutsch-französischen Grenze in Apach gestoppt worden. Er fuhr höchstwahrscheinlich durch die Region.

Apach. Apach - der Name des französischen Grenzortes an der Mosel steht seit 1997 für eine Beinahe-Katastrophe. Vor elf Jahren entgleiste dort, kurz hinter Perl, ein Castor-Transport. Der Zug hatte mehrere Behälter mit Atommüll geladen. Nur durch die Aufmerksamkeit französischer Zöllner konnte nun womöglich ein ähnlicher Unfall vermieden werden. Vor einer Woche wurde, wie erst jetzt bekannt geworden ist, ein Uran-Transport aus Hamburg in Apach gestoppt, weil er völlig überladen war. Statt des höchstzulässigen Gewichts von 61 Tonnen wog der Waggon, in dem radioaktives Material aus Australien lagerte, 68 Tonnen. Der Waggon war auf dem Weg in eine Aufbereitungsanlage im französischen Narbonne. Beim geplanten Halt in Apach, bei dem an den aus Deutschland stammenden Zug eine Lokomotive der französischen Staatsbahn SNCF angekoppelt werden sollte, fiel die Überladung auf. Der französische Zoll veranlasste, dass die gefährliche Fracht umgeladen wurde. Bis Montag stand der Waggon auf einem Abstellgleis in Apach. So lange dauerte es nach einem Bericht der französischen Tageszeitung Republicain Lorrain, bis das zu viel geladene Uran in einen zweiten Waggon umgeladen war. Französischen Behörden zufolge bestand keine Gefahr für die Umwelt. Allerdings hätte der Transport, der höchstwahrscheinlich über Trier und Konz Richtung Frankreich ging, gar nicht erst im Hamburger Hafen starten dürfen; dort hätte die Überladung auffallen müssen, sagen französische Experten. Bereits 2007 berichteten Umweltschützer, dass mindestens alle zwei Wochen ein Zug mit radioaktivem Material durch die Region fahre - und zwar entlang der Obermosel.

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Spiegel-Online 08.08.2008

ZWISCHENFÄLLE IN FRANKREICHS AKW

Der Atomkraft-Weltmeister wankt

Von Holger Dambeck

Arc de Triomphe, Armagnac, Atomstrom - Frankreich ist stolz auf seine Eigenheiten. Doch die Serie von Zwischenfällen im Kraftwerk Tricastin kratzt am Selbstbewusstsein des Atomkraft-Weltmeisters. Setzt jetzt ein Umdenken der Öffentlichkeit ein, wie französische AKW-Gegner hoffen?

Die Winzer haben bereits reagiert: Sie wollen ihren Wein künftig nicht mehr Côteaux du Tricastin nennen. Sie fürchten, dass die jüngsten Zwischenfälle in der gleichnamigen Atomanlage nahe Avignon dem Absatz ihres Weines schaden. "Kernkraft und Lebensmittel gehen in den Köpfen der Verbraucher nicht sehr gut zusammen", sagte der Vorsitzende des örtlichen Gütesiegelverbands AOC, Henri Bour, Ende Juli. Möglicherweise werde der Wein künftig die Herkunftsbezeichnung Grignan tragen - nach dem Ort, in dem der Verband seinen Sitz hat.

Inzwischen hat sich die Situation nicht verbessert - im Gegenteil: Erneut ist in Tricastin radioaktives Material ausgetreten. Bei der Entsorgung von nuklearem Müll gelangte Kohlenstoff-14 in die Atmosphäre - ein radioaktives Isotop. Der Vorfall liegt bereits einen Monat zurück, wurde aber erst jetzt bekannt. Die zulässige Jahresfreisetzungsmenge sei dadurch bereits um fünf Prozent überschritten worden, teilte die Atomaufsicht ASN mit. Die Strahlenbelastung betrage jedoch nur "mehrere Tausendstel" der zulässigen Grenzwerte.

Die französische Anti-Atomkraft-Initiative "Sortir du nucléaire" hat die Pannenserie von Tricastin dokumentiert. Es hat demnach bereits drei weitere Zwischenfälle seit Anfang Juli gegeben:

In der Nacht vom 7. zum 8. Juli traten 75 Kilogramm Uran aus und gelangten in die umliegenden Flüsse und Seen. Die Bevölkerung wurde erst Stunden später darüber informiert.

Wegen eines Lecks in einem abgeschalteten Reaktor kamen am 23. Juli 100 Personen in Kontakt mit radioaktivem Kobalt-58. Die Strahlenbelastung der Betroffenen habe um den Faktor 40 unterhalb des zulässigen Grenzwertes gelegen, erklärte die Behörde ASN. Der Vorfall wurde als Störfall der Stufe 0 klassifiziert.

Am 29. Juli wurde nach einem Alarm des Reaktors Nummer vier von Tricastin das Personal in Sicherheit gebracht. Mediziner untersuchten die Mitarbeiter, haben jedoch nach Angaben des Betreibers keine erhöhte Strahlenbelastung gemessen. Sortir du nucléaire berichtet hingegen, dass bei zwei von 45 Personen leichte Spuren von Radioaktivität gefunden wurden.

Frankreich und die Atomkraft - das war seit Jahrzehnten eine innige Beziehung. Kein anderes Land setzt mit derartiger Konsequenz auf die Stromerzeugung durch Kernspaltung. Die 58 Reaktoren produzieren rund 80 Prozent der Elektrizität des Landes, die Nation ist deshalb nur noch gut zur Hälfte von Energieimporten abhängig. Zweifel an der Technologie wie in Deutschland gibt es in Frankreich kaum. Was zählt, sind stabile Strompreise, Tausende sichere Arbeitsplätze und gute Geschäfte mit dem Export von Kraftwerkstechnologie.

"Das Medienecho fällt unterschiedlich aus"

Ist das nach den Ereignissen von Tricastin auch noch so? Stéphane Lhomme, Sprecher von Sortir du nucléaire, bezweifelt das. "Die Pannenserie wird ihre Spuren im öffentlichen Bewusstsein hinterlassen", glaubt er. "Das beeinflusst die Meinung der Leute über die Atomkraft."

Der Umgang mit Störfällen ist in Frankreich anders als in Deutschland. Während hierzulande beinahe jede abgebrochene Schraube eine neue Debatte über die Zukunft der Kernkraft auslöst, gibt man sich in Frankreich geradezu lässig. In Deutschland veröffentlicht das Bundesamt für Strahlenschutz regelmäßig eine umfangreiche Liste über sämtliche Störfälle in deutschen AKW - 2007 waren es beispielsweise 104 der Kategorie null und zwei der Kategorie 1.

So viel Transparenz ist im zentralistischen Frankreich unüblich. Die Atomaufsicht ASN publiziert nur die Summe der Störfälle (2007: 708 in der Kategorie null und 56 in der Kategorie 1). Informationen zu einzelnen Störfällen werden erst ab Kategorie 1 auf der ASN-Webseite veröffentlicht. Bei Kategorie-null-Zwischenfällen liegt es im Ermessen der Behörde, ob sie darüber informiert oder nicht. Im Jahr 2007 war das genau viermal der Fall - wohlgemerkt bei insgesamt 708 Störfällen der Stufe null.

Glaubwürdigkeit eines Gebrauchtwarenhändlers

So wie die Atomaufsicht ASN berichtet in der Regel auch die französische Presse über diese Ereignisse: zurückhaltend bis gar nicht. Bei der Pannenserie von Tricastin war das freilich anders, die Nachrichten landeten auf den Titelseiten. "Bei den jüngsten Ereignissen war das Medienecho groß - verständlicherweise, denn es ist ja auch zu Freisetzungen von Radioaktivität gekommen", sagt Helmut Hirsch, Nuklearexperte aus Hannover, der nach eigenen Angaben das Umweltministerium in Wien und Greenpeace berät. Nach Hirschs Aussage informiert die ASN die Fachwelt umfangreich über Zwischenfälle. "Es wird relativ viel bekannt, aber das Medienecho fällt unterschiedlich aus", sagt er im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.

Bei Sortir du nucléaire sieht man das anders: "Von Dingen, die wirklich Probleme machen, erfahren wir nichts. Sie werden versteckt", meint Sprecher Lhomme. Bei den jüngsten Zwischenfällen in Tricastin sei die Gefahr zu groß gewesen, dass irgendjemand etwas mitbekommt. Deshalb hätten sie publikgemacht werden müssen. Die erste Reaktion der Kraftwerksbetreiber bei Zwischenfällen sei üblicherweise: nichts sagen. Wenn sie doch darüber berichteten, dann heiße es einfach, alles sei gar nicht so schlimm.

Lhomme verweist auf den Dezember 1999, als nach einem Orkan das Atomkraftwerk Blayais bei Bordeaux überschwemmt wurde. Zwei Reaktoren mussten heruntergefahren werden. Erst Tage später erfuhr die Öffentlichkeit von dem nach Einschätzung von Sortir du nucléaire "schweren Zwischenfall". Die Atomaufsicht ordnete ihn auf der Stufe 2 ein.

Das Verhaltensmuster des Verschweigens und Verharmlosens kennt man auch von deutschen AKW-Betreibern. Vattenfall hatte nach den Störfällen im Juni 2007 der Hintergründe nur häppchenweise publik gemacht und seine Glaubwürdigkeit ramponiert. Der Chef der Atomsparte, der Vattenfall-Europe-Vorstandschef und der zuständige Pressesprecher mussten ihre Hüte nehmen. In der Öffentlichkeit blieb der Eindruck zurück, dass die Aussagen von Atommanagern etwa so viel wert sind wie die von Gebrauchtwagenhändlern.

Sortir du nucléaire hat nach Bekanntwerden des jüngsten Zwischenfalls in Tricastin erneut die Schließung der Firma Socatri gefordert, einer Filiale des Atomkonzerns Areva. Sie bereitet auf dem Gelände des AKW radioaktive Abfälle auf und ist für zwei der vier Störfälle verantwortlich.

Lhomme kennt die Meinung der Franzosen über die Nuklearindustrie genau. "Bislang denken die meisten: Die Kraftwerke sind sicher und sauber, Frankreich ist der Atomkraftweltmeister." Doch das, so glaubt er, wird sich ändern.

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ddp 1.08.2008

Cottbus/Berlin (ddp). In der Debatte um die Endlagerung von hoch radioaktivem Atommüll kann sich die FDP eine Lösung in Russland vorstellen. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel schlug in einem Gespräch mit der in Cottbus erscheinenden «Lausitzer Rundschau» (Online-Ausgabe) vor, über zentrale Endlagerstätten nachzudenken, die von allen Ländern genutzt werden könnten. «Ich denke da an Gebiete in Russland», wird der FDP-Generalsekretär zitiert.

Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck kommentierte den Vorstoß mit den Worten: «Das war wohl ein Wodka zu viel, Herr Niebel!». Russland sei politisch nicht stabil. «Politische Instabilität und Atomkraft vertragen sich nicht. Das gilt auch für Fragen der Endlagerung», betonte Beck.

Für hoch radioaktive Abfälle gibt es weltweit noch kein Endlager. In Deutschland wird hoch radioaktiver Atommüll an zentralen Zwischenlagern Ahaus, Gorleben und Lubmin sowie dezentralen Zwischenlagern an Standorten der Kernkraftwerke aufbewahrt.

(ddp)

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