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 taz 28.02.2008

Atomkraftwerk Biblis A

Gericht lehnt längere Laufzeit ab

Ein Gericht hat die Laufzeit-Verlängerung des AKW Biblis A abgelehnt - just am Tag, an dem RWE-Chef Großmann in einer Boulevardzeitung von Stromausfällen fantasierte. VON BERNWARD JANZING

Florida erlebte am späten Dienstag einen Blackout. Rund drei Millionen Menschen hatten keinen Strom. Durch Ampelausfall wurde ein Verkehrschaos ausgelöst, in Krankenhäusern mussten Notstromaggregate einspringen. Ein Brand in einem Umspannwerk hatte zuvor eine Kettenreaktion ausgelöst, in deren Verlauf acht Kraftwerke vom Netz gingen.

Unterdessen konstruierte RWE-Chef Jürgen Großmann am Mittwoch in der Bild-Zeitung auch für Europa dramatische Szenarien eines Strommangels: "Mittlerweile reicht bereits das Zusammentreffen eines trockenen, heißen Sommers mit wartungsbedingten Ausfällen weiterer Kraftwerke, um die Versorgungssicherheit zu gefährden", sagte er. "Panikmache in eigener Sache", konterte sofort Bärbel Höhn von den Grünen. Denn es gebe im Gegenteil "riesige Überkapazitäten". Und Martin Pehnt vom Institut für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg sagte, es sei "gerade ein Zeichen dafür, dass Atomkraftwerke einen fragwürdigen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten", wenn man wegen Kühlwassermangels Atomkraftwerke herunterschalten müsse.

Der Vorstoß des RWE-Chefs fiel nur zufällig mit dem Stromausfall in Florida zusammen. Ein Zusammenhang bestand aber mit einem anderen Ereignis: Der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel verhandelte am Mittwoch über eine Verlängerung der Laufzeit für das Atomkraftwerk Biblis A - und entschied am Nachmittag gegen den Betreiber RWE. Das Unternehmen hatte gegen das Bundesumweltministerium (BMU) geklagt, weil es ein zusätzliches Kontingent von 30 Milliarden Kilowattstunden Strom in dem Reaktor erzeugen will, womit der Meiler noch bis 2011 laufen dürfte. RWE beruft sich dabei auf das Atomausstiegsgesetz, das jedem Atomkraftwerk nur noch die Erzeugung einer bestimmten Strommenge zugesteht, Mengenübertragungen von einem Meiler auf den anderen aber unter bestimmten Bedingungen zulässt. RWE wollte nun von den nicht genutzten Kontingenten des nie ans Netz gegangenen Kraftwerks Mülheim-Kärlich einen Teil auf Biblis A übertragen. Aus Sicht des BMU ist das aber nicht möglich, weil im Atomgesetz jene Meiler explizit benannt werden, für die das zulässig ist - und der Uraltmeiler Biblis A, der 1974 in Betrieb ging, ist nicht darunter. Dem schloss sich das Gericht an. Dass die beiden Biblis-Meiler verzichtbar sind, hatte sich letztes Jahr übrigens recht deutlich gezeigt: Der Reaktor Biblis A erzeugte wegen Revisionsarbeiten nicht eine einzige Kilowattstunde Strom. Biblis B lief nur einen Monat - ohne dass es zu Stromengpässen kam.

FREIBURG taz Florida erlebte am späten Dienstag einen Blackout. Rund drei Millionen Menschen hatten keinen Strom. Durch Ampelausfall wurde ein Verkehrschaos ausgelöst, in Krankenhäusern mussten Notstromaggregate einspringen. Ein Brand in einem Umspannwerk hatte zuvor eine Kettenreaktion ausgelöst, in deren Verlauf acht Kraftwerke vom Netz gingen.

Unterdessen konstruierte RWE-Chef Jürgen Großmann am Mittwoch in der Bild-Zeitung auch für Europa dramatische Szenarien eines Strommangels: "Mittlerweile reicht bereits das Zusammentreffen eines trockenen, heißen Sommers mit wartungsbedingten Ausfällen weiterer Kraftwerke, um die Versorgungssicherheit zu gefährden", sagte er. "Panikmache in eigener Sache", konterte sofort Bärbel Höhn von den Grünen. Denn es gebe im Gegenteil "riesige Überkapazitäten". Und Martin Pehnt vom Institut für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg sagte, es sei "gerade ein Zeichen dafür, dass Atomkraftwerke einen fragwürdigen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten", wenn man wegen Kühlwassermangels Atomkraftwerke herunterschalten müsse.

Der Vorstoß des RWE-Chefs fiel nur zufällig mit dem Stromausfall in Florida zusammen. Ein Zusammenhang bestand aber mit einem anderen Ereignis: Der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel verhandelte am Mittwoch über eine Verlängerung der Laufzeit für das Atomkraftwerk Biblis A - und entschied am Nachmittag gegen den Betreiber RWE. Das Unternehmen hatte gegen das Bundesumweltministerium (BMU) geklagt, weil es ein zusätzliches Kontingent von 30 Milliarden Kilowattstunden Strom in dem Reaktor erzeugen will, womit der Meiler noch bis 2011 laufen dürfte. RWE beruft sich dabei auf das Atomausstiegsgesetz, das jedem Atomkraftwerk nur noch die Erzeugung einer bestimmten Strommenge zugesteht, Mengenübertragungen von einem Meiler auf den anderen aber unter bestimmten Bedingungen zulässt. RWE wollte nun von den nicht genutzten Kontingenten des nie ans Netz gegangenen Kraftwerks Mülheim-Kärlich einen Teil auf Biblis A übertragen. Aus Sicht des BMU ist das aber nicht möglich, weil im Atomgesetz jene Meiler explizit benannt werden, für die das zulässig ist - und der Uraltmeiler Biblis A, der 1974 in Betrieb ging, ist nicht darunter. Dem schloss sich das Gericht an. Dass die beiden Biblis-Meiler verzichtbar sind, hatte sich letzte Jahr übrigens recht deutlich gezeigt: Der Reaktor Biblis A erzeugte wegen Revisionsarbeiten nicht eine einzige Kilowattstunde Strom. Biblis B lief nur einen Monat - ohne dass es zu Stromengpässen kam.

BERNWARD JANZING

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Spiegel Online 27.02.2008 17 Uhr

DAS NRW-VERFASSUNGSSCHUTZGESETZ UND DIE ONLINE-DURCHSUCHUNG

Mit dem Verfassungsschutzgesetz von Nordrhein-Westfalen hatte der Gesetzgeber erstmals in Deutschland einer Behörde ausdrücklich die umstrittene Online-Durchsuchung per Gesetz erlaubt. Die Regelung wurde 2006 von der schwarz-gelben Koalition in Düsseldorf eingeführt und galt seit dem vergangenen Jahr.

In dem Gesetz wurden zwar keine Details genannt. Denkbar war aber der einmalige Zugriff der Verfassungsschützer auf die Festplatte, eine kontinuierliche Überwachung der Daten oder gar die Mitverfolgung von Tastatureingaben oder Internet-Telefonaten. Nach Angaben des Landesinnenministeriums hat der Verfassungsschutz aber noch nicht Gebrauch davon gemacht.

Nach Auffassung der Beschwerdeführer verletzt die in Nordrhein-Westfalen mögliche Online-Durchsuchung das Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung, das im Grundgesetz garantiert ist. Das Gesetz verstoße auch gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Fernmeldegeheimnis und sei unverhältnismäßig.

Das Bundesverfassungsgericht erklärte das Gesetz wegen zahlreicher Fehler nun für nichtig. Das Urteil ist auch für die Bundesebene von großer Bedeutung, weil Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hier eine ähnliche Regelung plant. Der CDU-Politiker hält die Online-Durchsuchung für zwingend erforderlich im Kampf gegen den Terrorismus.

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Spiegel Online 27.02.2008 17 Uhr

Schäubles Spähpläne - ausgehebelt und zurechtgestutzt

Von Thomas Darnstädt

Ein kleines Ja - und ein riesiges Nein: Die Verfassungsrichter haben Innenminister Schäuble enge Grenzen für die Online-Durchsuchung von Computern gesetzt. Damit hat sein geplantes Gesetz nur noch begrenzt Sinn.

Hamburg - "Steine statt Brot" - so bezeichnen Richter intern die Strategie des Bundesverfassungsgerichts im zähen Ringen mit der Politik um die Grenzen des Rechtsstaats. Die immer neuen und weiterreichenden Ermittlungsinstrumente, die Wolfgang Schäuble in seinem Krieg gegen den Terror verlangt, werden in Karlsruhe nicht rundweg verworfen - aber an so strenge Voraussetzungen geknüpft, dass ihre Erfinder daran nicht viel Freude haben werden. So war es beim Großen Lauschangriff, so war es bei der Rasterfahndung - und so ist es nun bei der heiß umstrittenen Online-Durchsuchung.

Enge Grenzen: Die Karlsruher Richter machen es Wolfgang Schäuble mit seinen Plänen nicht leicht.

Dürfen Ermittler mittels Trojanern die Festplatten der Bürger ausspionieren? Das Ja, das heute Vormittag vom Karlsruher 1. Senat verkündet wurde, ist sehr, sehr steinig.

Formal ging es um die Frage, was Verfassungsschützer in Nordrhein-Westfalen in fremden Computern zu suchen haben. Doch die Antwort der Richter richtet sich in Wahrheit an den Bundesinnenminister, der die Online-Schnüffelei für unentbehrlich hält.

Auf den ersten Blick bekam Schäuble sogar Recht. Wegen "überragender Gemeinschaftsgüter" - also wenn andernfalls der Bestand des Staates oder gar eines Teiles der Menschheit in Frage steht - kann ein Zugriff auf mutmaßliche Terroristen-Festplatten gerechtfertigt sein. Und das ist es ja, was den Innenminister umtreibt: Den Staat und seine Bürger vor einem möglicherweise vernichtenden Terrorschlag zu schützen.

Doch Horror-Szenarien zur Rechtfertigung von polizeilichen Übergriffen sind Gedröhne, so lange nicht feststeht, wie ernsthaft wir mit ihnen rechnen müssen. Solange es der rhetorischen Begabung eines Innenpolitikers und der professionellen Phantasie eines BKA-Chefs anheimgestellt ist, Furcht vor einem "jederzeit möglichen" Terrorangriff zu erregen, lässt sich jeder Eingriff immer rechtfertigen - denn seit dem 11. September 2001 wissen wir, dass alles jederzeit "möglich" ist.

Das Bundesverfassungsgericht bindet die Befugnis zur Computer-Spionage selbst im Worst Case an das Vorliegen einer "konkreten Gefahr" - ein Angriff auf Leib und Leben, und zwar auf bestimmbare Personen, auf die Grundfesten des Staates, und zwar auf genau benennbare, muss konkret wahrscheinlich sein. Und wer zum Objekt staatlicher Ausspähung werden soll, muss ebenso konkret in Verdacht stehen, verantwortlich für die Katastrophe zu sein, die sich da anbahnt.

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Url: http://www.focus.de/digital/computer/tid-9062/chaos-computer-club_aid_263011.html

focus-online 27.02.08, 15:16

Chaos Computer Club

„Technik ist nie neutral“

Der Chaos Computer Club ist einer der härtesten Gegner der Online-Durchsuchung. Im Interview beurteilt Club-Sprecherin Constanze Kurz das Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

Von FOCUS-Online-Autor Torsten Kleinz

Umstritten: Heimliche Online-Durchsuchung von Computern

FOCUS Online: Frau Kurz, ist die Entscheidung zur Online-Dursuchung ein Erfolg für Sie?

Constanze Kurz: Die Vertreter der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen haben eine schallende Ohrfeige erhalten, denn das Bundesverfassungsgericht hat die entscheidenden Regelungen zur Online-Durchsuchung für nichtig erklärt. Wichtiger ist jedoch: Das Gericht hat die Grundrechte der Bürger im digitalen Zeitalter gestärkt. Der neue Schutz der „Vertraulichkeit und Integrität von informationstechnischen Systemen“ wurde vom Gericht auf das Niveau eines Grundrechts gestellt.

FOCUS Online: Welche Auswirkungen hat das?

Constanze Kurz: Wichtig ist auf jeden Fall, dass die Richter den Kernbereich privater Lebensgestaltung hervorgehoben haben. Viele Leute haben heute private Daten auf Rechnern gespeichert, das Gericht hat das sehr betont. Dabei geht es nicht nur um Heim-PCs, sondern auch um Arbeitsrechner, Handys oder PDAs. Die Grundrechte der Bürger wurden auf jeden Fall gestärkt. Natürlich sind für die Behörden einige Möglichkeiten offen geblieben, die Online-Durchsuchung präventiv einzusetzen.

FOCUS Online: Die Ablehnung des Gesetzes aus Nordrhein-Westfalen war nicht überraschend. Das Urteil wird aber doch auch Auswirkungen auf das neue BKA-Gesetz haben, das die Arbeit des Bundeskriminalamtes regelt?

Constanze Kurz: Die Richter haben betont, dass die Grundsätze des heutigen Urteils auch für die polizeilichen Ermittlungsbehörden gelten. Da das BKA-Gesetz schon in wenigen Wochen in das Kabinett gehen soll, muss die Regierung es wohl noch einmal umschreiben. Wir müssen nun abwarten, wie die Vorgaben aus Karlsruhe umgesetzt werden.

FOCUS Online: Welche Probleme gibt es dabei?

Constanze Kurz: Wir sehen vor allem technische Probleme. Etwa soll bei „Gefahr in Verzug“ der Einsatz eines Bundestrojaners möglich sein. Da fragen wir uns natürlich, wie das gehen soll. Der Einsatz eines solchen Trojaners braucht eine Menge Zeit. Daneben gibt es auch verfahrenstechnische Probleme. Wir sehen wenige Möglichkeiten, den vom Gericht geforderten Schutz des Kernbereichs umzusetzen.

FOCUS Online: Neben der Online-Durchsuchung erwähnte das Gericht auch sogenannte „Tempest“-Attacken, bei denen Ermittler die elektromagnetische Strahlung von Computern abfangen und so mitbekommen, was auf dem PC geschieht. Eine gangbare Alternative für die Polizei?

Constanze Kurz: Ich denke nein. Das Gericht hat erklärt, dass solche Lauschaktionen wie die Online-Durchsuchung ein wesentlicher Eingriff in die Rechte der Bürger sind.

FOCUS Online: Hacker haben von einem „Bundestrojaner“ relativ wenig zu befürchten, da sie sich gegen solche Lauschangriffe am ehesten verteidigen können. Warum engagiert sich der Chaos Computer Club so dagegen?

Constanze Kurz: Heute gehen nicht nur Menschen mit Computern um, die sich damit auskennen und sich selbst schützen können. Wir haben eine besondere Sicht auf die Dinge: Wir sehen, wie leichtfertig und naiv die Leute mit ihren Rechnern umgehen und wie wenig sie von Computersicherheit wissen. Unser Anliegen ist, gerade die unbedarften Bürger zu schützen.

Interview, Teil 2: Vorratsdatenspeicherung auf dem Prüfstand

FOCUS Online: Hat der Chaos Computer Club zur Entscheidung in Karlsruhe beigetragen?

Constanze Kurz: Eines unser Mitglieder, Andreas Bogk, wurde vom Bundesverfassungsgericht als technischer Sachverständiger herangezogen. Vieles von dem, was in dem Gutachten steht, wurde auch bei der Urteilsverkündung berücksichtigt – die technischen Sachverständigen waren sich weitgehend einig. Wir haben in den letzten Monaten auch massiv Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Wir haben die zum Teil hanebüchenen Behauptungen, die von Politikern gemacht wurden, als Unsinn entlarvt. Wir haben versucht, den Leuten die Wahrheit zu sagen, wie es um die Infiltration von Computern steht. Vieles von dem was zum Beispiel Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und BKA-Präsident Jörg Ziercke erklärt haben, war technisch unmöglich.

FOCUS Online: Zur Öffentlichkeitsarbeit gehören neuerdings auch Straßendemonstrationen – früher war das in Hackerkreisen kaum denkbar. Ist Ihre Vereinigung politischer geworden?

Constanze Kurz: Ich denke schon. Technik ist nie neutral, das war sie noch nie. Auf der anderen Seite ist die Politik auch technischer geworden. So gab es von beiden Seiten eine Annäherung.

FOCUS Online: Welche Rückmeldung bekommen Sie aus der Bevölkerung?

Constanze Kurz: Im vergangenen Jahr haben wir viele neue Mitglieder dazugewonnen, die wenig mit der klassischen Hackerszene zu tun haben. Das sind Leute die sehen, dass man die Folgen neuer Techniken einschätzen muss. Viele Gruppen wie Rechtsanwälte oder Ärzte wollen mit uns reden, weil wir dieselben Ziele haben. Oft brauchen sie auch technische Beratung – die können wir liefern.

FOCUS Online: Die Online-Durchsuchung ist ja nicht die einzige politische Baustelle für den Chaos Computer Club. Was sind die nächsten Herausforderungen?

Constanze Kurz: Wir werden natürlich versuchen zu beobachten, welche Gesetzesvorlagen von der EU aus Brüssel kommen. Auch die Vorratsdatenspeicherung steht auf unserer Liste. Heute hat sich aber gezeigt, dass die Richter in Karlsruhe diese weitgehende Speicherung von Daten wohl nicht als verfassungsgemäß beurteilen werden.

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DIE ZEIT 27.02.2008

Online-Durchsuchung: Wie viel schnüffeln darf der Staat?

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über die Rechtmäßigkeit von Online-Durchsuchungen. In Nordrhein-Westfalen ist diese Maßnahme zur Terror-Abwehr längst Gesetz. Dagegen wehren sich gleich mehrere Personen mittels Verfassungsbeschwerde.

Wie tief darf der Staat seine Nase in meinen Computer stecken? Das soll das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Mittwoch klären. Dort entscheidet sich, ob das Verfassungsschutzgesetz von Nordrhein-Westfalen, das als erstes und einziges Bundesland einen "heimlichen Zugriff auf informationstechnische Systeme" erlaubt, legitim ist. Praktisch greift der NRW-Verfassungsschutz mit Hilfe einer ähnlichen Technik wie der heiß diskutierte Bundestrojaner auf den Computer zu. Auch das Installieren einer Computerwanze ist vorstellbar, dafür müssen die Fahnder allerdings in die Wohnung des Verdächtigen eindringen.

Streitpunkt vor dem Bundesverfassungsgericht ist nun, ob es überhaupt möglich ist, einen Computer auszuspionieren und sich dabei nur auf die Internet-Kommunikation zu beschränken. Oder ob es bei einer Online-Durchsuchung unvermeidlich ist, auf die gesamte Festplatte zuzugreifen und dabei zwangsläufig für die Ermittlungen nicht relevante Daten ebenfalls von den Fahndern gesehen werden. Erhebliche Kritikpunkte und Erklärungsbedarf gibt es auch bei der Formulierung des Verfassungsschutzgesetzes von Nordrhein-Westfalen. Zum Beispiel klärt die Umschreibung "Zugriff auf informationstechnische Systeme" nicht eindeutig, ob auf die gesamte Festplatte zugegriffen werden darf. Es wird aber erwartet, dass die Online-Durchsuchung unter strengen Auflagen und in wenigen Fällen erlaubt wird.

Streitpunkt in der großen Koalition

Auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts blickt auch die große Koalition mit Spannung. Die Online-Durchsuchung ist ein heißer Zankapfel besonders zwischen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD). Sie verwiesen zwar beide darauf, dass die Richter in den roten Roben nur über ein Landesgesetz urteilen, aber Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier kündigte schon bei der Anhörung im Oktober eine Grundsatzentscheidung an, die weit über die Landesgrenzen von NRW hinausgehen soll.

Den Stein ins Rollen brachte im vergangenen Jahr Innenminister Schäuble. Er will zur verbesserten Terror-Abwehr das Gesetz über das Bundeskriminalamt (BKA-Gesetz) reformieren. Das BKA soll demnach auch Online-Durchsuchungen durchführen dürfen - am besten sogar ohne Richterbeschluss, wünscht sich Schäuble. Schützenhilfe bekommt er bei seinen Plänen von seiner Partei-Kollegin und Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Koalition strebt schnelle Einigung an

Die Entscheidung in Karlsruhe zur umstrittenen Überwachung von "Terror-Computern", wie Schäuble es ausdrückt, wollte er nicht abwarten, sondern gleich zur Tat schreiten. Er legte 2007 prompt einen eigenen Gesetzentwurf vor und setzte sich damit über die eigens einberufene Arbeitsgruppe der Bundesregierung und den Koalitionspartner SPD hinweg.

Die SPD ist ihrerseits zwar ebenfalls für den Einsatz von Online-Durchsuchungen im Kampf gegen den Terrorismus, wollte aber lieber das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten. Eine zu starke Unterwanderung der Bürgerrechte, wie Online-Durchsuchungen ohne Richterbeschluss, lehnt sie im Gegensatz zur CDU ab. Nun wollen sich die Spitzen der Koalitionsfraktionen auf der Grundlage des Richterspruchs in einer Klausurtagung in Bonn am 27. Februar auf einen gemeinsamen Nenner einigen, um das BKA-Gesetz schnellstens über die Bühne bringen zu können.

Verfassungsbeschwerden gegen Eingriff in die Grundrechte

Gegen das Verfassungsgesetz von Nordrhein-Westfalen hatten gleich mehrere Personen Verfassungsbeschwerde eingelegt. Zu den Beschwerdeführern gehören der ehemalige Bundesinnenminister und Rechtsanwalt Gerhart Baum (FDP), die Telepolis-Autorin Bettina Winsemann, ein Mitglied der Linkspartei vom Landesverband NRW sowie zwei weitere Anwälte. Sie sehen durch das NRW-Verfassungsschutzgesetz einen Eingriff in ihr Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung. Da viele private Daten, die früher als Gegenstände unter den Schutzbereich der Wohnung fielen, heute auf dem heimischen Rechner gespeichert werden.

Das Bundesland Nordrhein-Westfalen war bei dem Knackpunkt Online-Durchsuchung nach vorne geprescht und beschloss mit seiner Novellierung des Landesverfassungsschutzgesetzes vom 30. Dezember 2006, auf private Rechner der Bürger zuzugreifen. Ziel der Online-Durchsuchung ist danach die Gewährleistung der Staatssicherheit und vor den aktuellen politischen Geschehen der Schutz vor Terrorismus. Das Gesetz erlaubt es der Verfassungsschutzbehörde zum einen die Internet-Kommunikation von Personen, wie zum Beispiel E-Mails, Newsgroups, Chats, Webseiten heimlich auszuspionieren. Zum anderen wird der Zugriff auf informationstechnische Systeme gestattet, auch mit Hilfe technischer Mittel.

Da die Maßnahmen einen Eingriff in das Brief-, Post und Fernmeldegeheimnis bedeuten, muss nach dem G-10-Gesetz eine so genannte G-10-Kommission entscheiden, ob der Zugriff auf den jeweiligen Computer legitim ist. Der Kommission muss ein zum Richteramt befähigter vorsitzen. Ein Richterbeschluss muss somit nicht vorliegen. Drei Beisitzer und der Vorsitzende stimmen darüber ab und bei Stimmengleichheit, entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. Vier weitere stellvertretende Mitglieder haben lediglich Rede- und Fragerecht.

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über die Rechtmäßigkeit von Online-Durchsuchungen. In Nordrhein-Westfalen ist diese Maßnahme zur Terror-Abwehr längst Gesetz. Dagegen wehren sich gleich mehrere Personen mittels Verfassungsbeschwerde.

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Münstersche Zeitung am 22.02.2008

STEINFURT War bei der "Rettungsaktion" der französischen Atomkraftgegnerin und Kletter-Aktivistin Cécile Lecomte am 16. Januar die GSG 9 im Einsatz, oder nicht? Das Aktionsbündnis "Münsterland gegen Atomanlagen" hatte eine Beteiligung der Anti-Terror-Einheit am Mittwoch scharf kritisiert (wir berichteten). Als Quelle nennt das Bündnis die Schadensanzeige, die die Bahn Cécile Lecomte zugestellt hatte.

Bahn-Pressesprecher Peter Grundmann bestätigt, dass die DB Netz in der Anzeige mit Datum vom 29. Januar auch Angaben zur GSG 9 gemacht hat: "Das haben unsere Kräfte auch so vor Ort erfahren."

Schleierhaft

Peter Kerßen, Sprecher der Bundespolizei in Münster, dagegen bestreitet, dass an der Aktion in Steinfurt auch die Elite-Einheit der Bundespolizei beteiligt war. Ihm sei schleierhaft, wie die Bahn zu dieser Annahme komme. Kerßen: "Das war der TED, der Technische Einsatz-Dienst Höhenrettung der Bundespolizei aus St. Augustin." Dass auch die GSG 9 dort ihren Sitz hat, ist für Kerßen kein Widerspruch. (Anmerkung der Redaktion: Die GSG 9 tritt prinzipiell nur vermummt öffentlich auf. Das aber war in Steinfurt in der Nacht des 16./17. Januar nicht der Fall.)

Akte geschlossen

Wie Kerßen weiter mitteilt, wurde die Ermittlungsakte Lecomte geschlossen und der Staatsanwaltschaft zugeleitet. Nach seiner Einschätzung müsse Cécile Lecomte mit einer Forderung der Bahn in Höhe über mindestens 20 000 rechnen. "Wir haben noch keinen Betrag ermittelt", sagt Bahn-Sprecher Grundmann. Insgesamt seien durch die Ereignisse seinerzeit drei Bereiche betroffen:

1. die DB Netz, die für die Infrastruktur verantwortlich ist und ihre Forderungen angemeldet hat.

2. die DB Regio NRW, die Zugausfälle durch einen Busnotverkehr organisieren musste. Von dort gibt es noch keine Schadensmeldung.

3. Ein Güterzug, der im Auftrag einer privaten Firma auf den Schienen unterwegs war.

Derweil hat Cécile Lecomte gegen die Bundespolizei Anzeige erstattet. In einer E-Mail an uns bezieht sie Stellung. Auf eine zivil- und strafrechtliche Auseinandersetzung vor Gericht sei sie vorbereitet: "Das habe ich in die Planung meiner Aktion miteinbezogen. Das gehört zum Konzept des zivilen Ungehorsams, ist Teil der gesellschaftlich-politischen Auseinandersetzung um Atomkraft. Denn es geht um politische Gerichtsverfahren, die entsprechend geführt werden sollen." Sie geht aber davon aus, dass die zu ihren Gunsten ausgehen, und begründet ihren Optimismus damit, dass sie noch nie strafrechtlich belangt worden sei. "Es wird viel angedroht. Was vor Gericht raus kommt, ist eine andere Sache. Ich bin länger politisch aktiv und musste noch nie solche Kosten bezahlen." Und: "Ich könnte fünf Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft Lüneburg als Beispiel angeben. Solche Kletteraktionen stellen keine Störung öffentlicher Betriebe dar, der Zug hätte nämlich rein theoretisch unten durch fahren können, die Seilkonstruktion war viel höher als übliche Brücken."

"Ein Erfolg"

Ihr Resümee: "Für mich war die Aktion ein Erfolg. Ich wollte auf die Atompolitik und auf die Verschiebung nach Russland aufmerksam machen."

Cécile Lecomte ist nach eigenen Angaben bei "Robin Wood", aber auch unorganisiert auf den Feldern Atomkraft/Energiepolitik, Gentechnik, Konsumkritik und der Friedensbewegung aktiv.

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Münstersche Zeitung (Steinfurt) 21. Februar 2008

GSG 9 in Steinfurt eingesetzt: Französin klagt

STEINFURT Am 16. Januar hing die französische Atomkraftgegenerin Ccile Lecomte mehrere Stunden über den Bahngleisen in der Nähe des Kieferngrundsees. Jetzt wird ihr Einsatz zum Fall für die Gerichte. Mit im Spiel: Die Anti-Terror-Einheit GSG 9.

Der Aufsehen erregende Auftritt der Aktivistin ein doppeltes Nachspiel: Die Bahntochter DB Netz hat Anzeige erstattet und der Kletter-Aktivistin die Kosten für den Einsatz in Rechnung gestellt - darunter auch die für die GSG9. Die Spezialeinheit war offenbar an der "Rettungsaktion" der Französin beteiligt. Die reichte jetzt ihrerseits beim Verwaltungsgericht in Münster Klage gegen die Bundespolizei ein, die sie in Gewahrsam genommen hatte.

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taz 22.02.2008

Neue Panne in Brunsbüttel

"N" wie normal

Die Elektronikkarte eines Transformators legte die Notstromversorgung des AKW lahm. Der Ausfall wurde als meldepflichtiger Störfall der Kategorie "N" für normal eingestuft.

VON JÜRGEN VOGES

HANNOVER taz Die Pannenserie im dem seit dem Sommer abgeschalteten AKW Brunsbüttel reißt nicht ab. Betroffen war in dem 30 Jahre alten Reaktor diesmal das Notstromsystem, das ohnehin seit langem als veraltet kritisiert wird. Wie der AKW-Betreiber Vattenfall selbst mitteilte, gab es am Mittwoch einen Defekt an einer Elektronikkarte eines Transformators, der normalerweise Strom in die Notversorgung einspeist.

Wegen des Defekts habe sich eine Notstromschiene automatisch abgeschaltet, erklärte Vattenfall. Die Schiene versorge normalerweise Hilfs- und Nebeneinrichtungen des Reaktorsicherheitssystems mit Strom. Insgesamt gebe es sechs dieser speziellen Notstromschienen.

Der Ausfall der Notstromschiene habe keine Auswirkungen auf den Reaktorbetrieb gehabt, hieß es vorsorglich. Die Elektronikkarte habe man umgehend ausgetauscht. Die Panne wurde als meldepflichtiger Störfall der Kategorie "N" für normal eingestuft.

Die Notstromversorgung des AKW Brunsbüttel gilt seit langem als veraltet und als ein Sicherheitsrisiko. Anders als bei moderneren Reaktoren gibt es in Brunsbüttel statt vier nur drei Notstrom-Dieselaggregate und statt vier nur zwei unabhängige Hochspannungsstromschienen, über die Notstromdiesel das Kraftwerk im Notfall mit Strom versorgen kann. Dieser Mangel wurde unter anderem auch Ende 2006 in einem Gutachten der Atomaufsicht des Landes Schleswig-Holstein kritisiert. Die zuständige Ministerin, Gitta Trauernicht (SPD), scheut sich allerdings bislang, die in dem Gutachten geforderten Konsequenzen zu ziehen: dem Betreiber Vattenfall einen grundlegenden Umbau der Notstromversorgung zu verordnen.

Die Deutsche Umwelthilfe hatte erst vor drei Wochen vergeblich vom Kieler Sozialministeriums gefordert, Vattenfall eine entsprechende Nachrüstung des AKWs zur Auflage zu machen.

Im schwedischen Vattelfall-Atomkraftwerk Forsmark 1 hatten Störungen in der Notstromversorgung im Sommer 2006 zu einem Beinahe-GAU geführt. Nach Angaben des Betreibers legte der defekte Trafo am Mittwoch allerdings keine der Hauptverbindungen zu den Notstromdieseln, sondern eine von sechs untergeordneten Stromschienen lahm.

http://www.taz.de/nc/1/zukunft/umwelt/artikel/1/n-wie-normal&src=PR

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SOFA.de Deutschland, 2008-02-20

Urantransport: Anti-Terror-GSG9 im Einsatz - Atomkraftgegnerin klagt gegen Polizei

Wie erst jetzt bekannt wurde, war beim letzten Uranmülltransport von Gronau nach Russland auch die Anti-Terror-Spezialeinheit der GSG 9 im Einsatz. Dies geht aus einer Anzeige hervor, welche die Bahntochter DB Netz der französischen Atomkraftgegnerin C. L. zustellte, die sich am 16. Januar mehrere Stunden bei Burgsteinfurt vor dem Uranmülltransport abgeseilt hatte.

In dem Schreiben heißt es lapidar, die Französin solle auch für den Einsatz der GSG9 aufkommen. Gemeint ist offensichtlich das "Höhenrettungsteam" der Bundespolizei, das aus St. Augustin bei Bonn eingeflogen wurde. Vor Ort hatte die Bundespolizei die Identität der GSG9 nicht offengelegt.

"Hier wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Warum wird die Elite-Anti-Terror-Einheit der Bundesrepublik Deutschland gerufen, um eine einzelne Aktivistin abzuseilen? Wodurch war der äußerst ungewöhnliche Einsatz der GSG9 gerechtfertigt und wer hat ihn angeordnet? War das Bundesinnenministerium eingeschaltet, dem die GSG9 untersteht? Wir sind schockiert über den Aufwand, der seitens der Bundespolizei betrieben wurde, um den Uranmülltransport weiterfahren zu lassen," so Willi Hesters vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen.

"Wenn es so ist, dass die Uranmülltransporte von Gronau nach Russland nur noch mit Hilfe der GSG9 durchgesetzt werden können, sollten Bundesregierung und der verantwortliche Urananreicherer Urenco die Konsequenzen ziehen, und die Uranmüllexporte sofort einstellen", forderte Matthias Eickhoff von der Gruppe SOFA (Sofortiger Atomausstieg) Münster.

Unterdessen reichte die französische Aktivistin beim Verwaltungsgericht Münster Klage gegen die Ingewahrsamnahme durch die Bundespolizei ein. "Die Polizeimaßnahme war zur Gefahrenabwehr völlig überflüssig und unrechtmäßig," so L. Angesichts von Gerichtsurteilen aus Niedersachsen, welche die Straffreiheit derartiger Abseilaktionen festgestellt haben, sind sowohl die Ingewahrsamnahme wie auch die Beschlagnahme der persönlichen Habe völlig unverhältnismäßig. Auch die Schadensersatzforderungen der Deutschen Bahn AG und der Bundespolizei entbehren jeder Grundlage. "Ich lasse mich hiervon nicht einschüchtern," so die 26-jährige Kletteraktivistin.

Neuer Uranmülltransport nach Russland in Vorbereitung !!

Nach Informationen der Anti-Atomkraft-Initiativen im Münsterland bereitet die Urenco in Gronau erneut einen Uranmülltransport nach Russland vor. Derzeit werden auf dem Gelände der Urananreicherungsanlage die Waggons mit ca. 1000 t abgereichertem Uranmüll beladen. Die Initiativen rufen für den Transporttag zu Protesten auf. Ziel ist es, diesen unverantwortlichen Atommüllexport komplett zu stoppen und die Urananreicherungsanlage in Gronau stillzulegen!

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Junge Welt 19.02.2008

»Eigene Anträge selbst genehmigen«

Von Reimar Paul

Der Bund, mehrere Bundesländer und die atomfreundliche Gewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IGBCE) sind seit kurzem Mitbesitzer des Atommüllzwischenlagers Ahaus. Über das Unternehmen Evonik mit Sitz in Essen halten der Staat und die IGBCE derzeit 45 Prozent an der Betreiberfirma der Deponie, der Brennelemente Zwischenlager Ahaus GmbH (BZA). 55 Prozent der BZA sind weiter in Besitz der Gesellschaft für Nuklearservice (GNS), die wiederum ein Tochterunternehmen der vier großen deutschen Strom- und Atomkonzerne ist. Atomkraftgegner fürchten, daß die neue Anteilseignerstruktur Genehmigungen zur Einlagerung von Atommüll im nordrheinwestfälischen Ahaus erleichtern könnte.

Hintergrund der neuen Besitzverhältnisse sind die vergangenes Jahr erfolgten Umstrukturierungen bei der RAG (vormals Ruhrkohle AG). So ist jetzt die RAG-Stiftung hundertprozentiger Anteilseigner von Evonik. Die Stiftung wird von einem Kuratorium geleitet, dem die Bundesregierung (fünf Sitze), die Länder Nordrhein-Westfalen (vier Sitze) und Saarland (ein Sitz) sowie die IGBCE (drei Sitze) angehören. Persönlich sind in dem Gremium u.a. der Bundesfinanzminister und der Bundeswirtschaftsminister, die Ministerpräsidenten der beiden Länder sowie der IGBCE-Chef vertreten. Vorsitzender des Kuratoriums ist Ulrich Hartmann, der gleichzeitig dem Aufsichtsrat des Atomkonzerns E.on vorsteht.

»Das stellt uns in Ahaus vor eine völlig neue Situation, zum ersten Mal befinden sich fast die Hälfte der Zwischenlager-Anteile indirekt in öffentlichem Besitz«, sagt Felix Ruwe, Sprecher der Bürgerinitiative »Kein Atommüll in Ahaus«. Die Atomgegner fragen sich, wie sich die neue Struktur auf die Genehmigungsanträge für weitere Atommüll-Einlagerungen auswirken. Schließlich, so Ruwe, seien die Genehmigungsbehörden beim Bundesamt für Strahlenschutz und der Bezirksregierung Münster nun direkt den neuen Miteigentümern unterstellt. »Das Zwischenlager kann sich seine Einlagerungsanträge für Atommüll nun quasi selbst genehmigen.«

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Ärztezeitung, 11.2.08

NRW soll Krebsrisiken untersuchen

KÖLN (iss). Die Stadt Hamm hat die nordrhein-westfälische Landesregierung aufgefordert, das Krebsrisiko für Kinder in der Nähe der Atomanlagen des Landes untersuchen zu lassen.

Der Rat der Stadt war einstimmig einem entsprechenden Antrag der Fraktion der Grünen gefolgt. Die Grünen hatten kritisiert, dass in der kürzlich veröffentlichten epidemiologischen Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken der stillgelegte Thorium-Hochtemperatur-Reaktor in Hamm-Uentrop nicht einbezogen worden war. Die Studie des Bundesamtes für Strahlenschutz hatte festgestellt, dass Kinder im Alter bis zu vier Jahren ein umso höheres Leukämie-Risiko haben, je näher sie an einem Kernkraftwerk wohnen.

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NGO-online, 11.2.08

Kinderkrebs um Atomkraftwerke

Ärzte kritisieren Dosisargument der Bundesregierung als nicht haltbar

[ngo] Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW widerspricht der aktuellen Einschätzung der Bundesregierung zur so genannten KiKK-Studie, nach der die Kinderkrebsrate mit zunehmender Nähe zu Atomkraftwerken steigt. Laut Bundesregierung existiert kein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem Anstieg von Krankheiten in der Nähe von Atomkraftwerken und der Strahlenbelastung durch ein Atomkraftwerk. Die Strahlenbelastung der Bevölkerung durch den Betrieb der Kraftwerke müsse um mindestens das 1000-fache höher sein, um den beobachteten Anstieg des Krebsrisikos erklären zu können, so die Bundesregierung. Die IPPNW-Vorsitzende Angelika Claußen kritisiert diese "stereotyp vorgetragene Argumentation" der Bundesregierung als wissenschaftlich nicht haltbar.

Die Strahlenbelastung der Bevölkerung in der Umgebung der Atomkraftwerke werde anhand von Modellrechnungen aus den Emissionsmessungen der Atomkraftwerksbetreiber simuliert, so Claußen. "In die Berechnung fließen unter anderem Annahmen über die Windrichtung genauso mit ein wie Modellvorstellungen zur Verstoffwechselung radioaktiver Partikel im Körper. Die Unsicherheiten der Dosisbestimmung können damit mehrere Zehnerpotenzen betragen."

Jüngste Forschungen deuten zudem daraufhin, dass die Wirkung inkorporierter Radionuklide bei ungeborenen Kindern gegenüber Erwachsenen viel ausgeprägter sei, als bisher angenommen. "In jedem Fall lassen sich Annahmen über die Strahlenempfindlichkeit von Erwachsenen nicht einfach auf Schwangere und Kleinkinder übertragen", so die Ärztin.

Nach Darstellung der IPPNW gibt es darüber hinaus auch keine lückenlose Kontrolle der Betreiberangaben zu den Emissionen der Atomkraftwerke durch die Behörden. Beispielsweise werde in einem von der Landesregierung Schleswig-Holstein in Auftrag gegebenem strahlenbiologischen Gutachten von 2001 festgestellt, dass sich Kontaminationen im Umkreis des Atomkraftwerks Krümmel durch die angegebenen Emissionsmessungen der Betreiber nicht erklären ließen. Auch bei anderen deutschen Atomkraftwerken habe es in früheren Jahren "offensichtlich immer wieder unkontrollierte Freisetzungen gegeben", behauptet die IPPNW. Die bisher praktizierte Mess- und Kontrollpraxis der Betreiber und der Behörden gehört nach Auffassung der Ärzteorganisation "auf den Prüfstand".

"Auch die Selbstverständlichkeit, mit der die Bundesregierung mit Annahmen zum Strahlenrisiko argumentiert, ist unseriös", kritisiert Claußen. Besonders vor dem Hintergrund, dass die Geschichte der Strahlenschutzgrenzwerte eine Geschichte von Nachbesserungen sei. In der Vergangenheit hätten Behörden das tatsächliche Strahlenrisiko immer wieder unterschätzt. Jetzt versuche die Bundesregierung, den inzwischen signifikant nachgewiesenen Zusammenhang von Krebserkrankungsrisiko zur Atomkraftwerks-Nähe he herunter zu spielen und zu verschleiern.

Man müsse auch berücksichtigen, dass die Ergebnisse der neuen deutschen Kinderkrebs/Atomkraftwerks-Studie durch eine amerikanischen Studie gestützt werde. In der ebenfalls 2007 veröffentlichten Baker-Studie werteten amerikanische Biostatistiker in Form einer Meta-Analyse insgesamt 17 internationale Studien zum Thema Krebsrisiko rund um Atomkraftwerke aus. Auch hier wurde laut IPPNW ein Zusammenhang zwischen dem Erkrankungsrisiko und der Nähe zu den Atomanlagen festgestellt.

Die IPPNW fordert deshalb angesichts der zunehmenden Indizien für einen Zusammenhang zwischen Atomkraft, Strahlung und Krebsentstehung "endlich eine ergebnisoffene und öffentliche Fachdiskussion unter Einbeziehung aller vorliegender Befunde und mit Beteiligung auch der kritischen Wissenschaftler".

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 linkszeitung 07.02.2008

Proteste gegen "Kirchentag der Atomlobby"

Clement (SPD) referiert über «sichere Energieversorgung»

Wolfgang Clement (SPD) huldigt vor dem "Deutschen Atom-forum" der Kernkraft. Foto: BfW Berlin. (LiZ /klr).

"Gestern, heute und morgen – Kernenergie hat Zukunft", heißt das Motto der Wintertagung des Deutschen Atomforums (DAtF), die aktuell im "Hotel Maritim pro arte" in Berlin stattfindet. Starredner der Lobby-Tagung ist Wolfgang Clement (SPD), früher Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen und zuletzt "Superminister" im Bundeskabinett des heutigen Energielobbyisten Gerhard Schröder.

Laut Tagungsprogramm wird Ex-Wirtschaftsminister Clement nun als Aufsichtsratsmitglied des Atomstrom-Konzerns RWE darüber referieren, dass eine sichere Energieversorgung ohne Atomstrom und Kohle nicht möglich sei. Atomkraftgegner habe bereits Proteste gegen den "Kirchentag der Atomlobby" angekündigt. Der SPD-Ortsverein Bochum-Hamme will am 21. Februar entscheiden, ob Clement aus der Partei geworfen wird.

Vor dem Berliner Maritim-Hotel wollen auch die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges IPPNW die Brisanz der kürzlich veröffentlichten KIKK-Studie (Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken) des Bundesamtes für Strahlenschutz zur Sprache bringen.

Clement dagegen spricht zum Thema "Eine sichere Energieversorgung - ohne Kernenergie und Kohle?". Erwartet wird, dass er der kritischen Fachwelt zum Trotz die angeblichen Vorteile der Atomenergie herausstellt und dabei die gigantischen volkswirtschaftlichen Kosten und Gesundheitsrisiken ausblendet.

Nachdem der ehemalige Vize-SPD-Chef Clement im hessischen Wahlkampf dazu aufgefordert hatte, die SPD unter anderem wegen der atomkritischen Haltung ihrer Spitzenkandidatin Ypsilanti nicht zu wählen, will Clements SPD-Ortsverein Bochum-Hamme das prominente Mitglied aus der Partei ausschließen. Der SPD-Ortsvorsitzende Rudolf Malzahn schrieb Clement am Donnerstag einen Brief und warf dem Lobbyisten vor, sein Engagement für den Verband der Zeitarbeits-Unternehmen und für RWE hätten ihm doch etwas "die sozialdemokratische Sicht der Dinge vernebelt“.

Zu den Förderern des Atomforums dürfen offenbar auch die deutschen Steuerbehörden gezählt werden. Das Deutsche Atomforum (DAtF) verpulvert nach Angaben seiner Kritiker jährlich rund 50 Millionen Euro ausschließlich für Propagandazwecke - zu Lasten von Steuerzahlern und Stromkunden: Die "Werbeagentur der Atomwirtschaft" ist als gemeinnützig anerkannt. Lobby-kritische Organisationen wie Friends of the Earth Europe, LobbyControl und SpinWatch haben der Öffentlichkeitsarbeit des Atomforums den Sonderpreis "Worst EU Greenwash" (Schlimmste Grün-Wäscherei Europas) verliehen.

Das steuerbegünstigte Deutsche Atomforum hatte eine Anzeigenkampagne gestartet, die unter der Überschrift "Deutschlands ungeliebte Klimaschützer" Bilder von Atommeilern zeigte. "Das Deutsche Atomforum hat die Sorgen der Öffentlichkeit um den Klimawandel ausgenutzt, um für Atomenergie Werbung zu machen", rügt Ulrich Müller von LobbyControl. "Die einseitigen Anzeigen haben idyllische Bilder ausgenutzt, um öffentliche Zustimmung für längere Laufzeiten zu erheischen, ohne auf die damit verbundenen Risiken hinzuweisen." Die öffentliche Preisvergabe wurde von CEO, Friends of the Earth Europe, LobbyControl und SpinWatch organisiert.

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Die Zeit 03/2008

Der erfundene Boom

Die Renaissance der Atomkraft ist eine Mär, sagt der Umweltexperte Lutz Mez. Sie ist teuer, umweltschädlich und schwerfällig. Ein Gespräch. hier

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FAZ 4.02.2008

Atomstrom ist grün

Von Andreas Mihm

Kein Argument scheint zu absurd, um die Kernenergie zu diskreditieren

04. Februar 2008 Wer in Deutschland Strom durch Kernspaltung erzeugt, braucht ein breites Kreuz und ein starkes Rückgrat. Es gab Zeiten, da wollte eine Mehrheit den Atomausstieg, und das möglichst sofort. Doch die Zeiten haben sich geändert. Der Sturm ist abgeflaut. Statt Gegenwind zeichnet sich ein leichter Rückenwind für die verfemte Atombranche ab.

Dass der ausgerechnet von den Höhen der Klimagipfel weht und damit ein umweltpolitisches Argument für die Kernspaltung wirbt, mag wie eine energiepolitische Teufelei erscheinen. Doch dass bei der Erzeugung von Atomstrom kein Kohlendioxid freigesetzt wird, hat sich inzwischen bis zum Vorsitzenden der Sozialdemokraten herumgesprochen. Würden die deutschen Kernkraftwerke durch herkömmliche Stromerzeugung ersetzt, fiele der hiesige Kohlendioxid-Ausstoß um ein Fünftel höher aus. Das schmerzt all die, denen ihr Nein zur Kernenergie die Keimzelle aller Umweltpolitik war. Ihre Reaktionen belegen damit auch, wie sehr das Klimaargument für die Kernenergie spricht.

Alte Studien aufgewärmt

Mit allerlei gedanklichen Pirouetten sucht etwa der Chef des Bundesumweltamtes nachzuweisen, dass längere Laufzeiten der Atomanlagen der Klimapolitik schaden. Denn damit werde es den erneuerbaren Energien schwerer gemacht, sich am Markt zu behaupten. Deshalb müssten diese stärker gefördert werden, was wiederum dazu führe, dass erneuerbare Energien indirekt den Atomstrom subventionierten. Mit der gleichen Logik müssten Mediziner auf die heutigen Mittel zur Krebsbekämpfung verzichten, weil künftig vermutlich bessere Therapien auf den Markt kommen.

Dass kein Argument zu absurd, keine Anklage zu abgegriffen ist, Kernenergie zu diskreditieren, zeigte die kleine Anti-Atom-Kampagne im Dezember. Da wurden alte Studien aufgewärmt, nach denen in der Nähe von Kernkraftwerken Kinder häufiger an Blutkrebs erkranken als im Bundesdurchschnitt. Der insinuierte Zusammenhang: hier Atom, da Krebs, konnte nicht bewiesen werden. Es war wohl kein Zufall, dass die Debatte aufkam, als der Klimagipfel in Bali und damit die Frage nach Möglichkeiten zur Reduzierung des Kohlendioxids die Öffentlichkeit beschäftigte.

Die Bürger haben ihre lange verbreitete Skepsis gegen die Atomenergie gleichwohl zum Teil abgelegt. Selbst die Kampagne um die - letztlich harmlosen - Zwischenfälle in den Meilern Krümmel und Brunsbüttel hat das nicht grundlegend geändert. Auf die Frage, ob die Laufzeiten der Kernkraftwerke über 2021 hinaus verlängert werden sollten, antworteten im Herbst immer noch mehr Menschen mit Ja als mit Nein.

Laufzeiten verlängern

Die so oft geprügelte Branche nimmt das als Ermutigung. Unter dem Slogan "Deutschlands ungeliebte Klimaschützer" plakatiert sie Schafe und Kühe in grüner Landschaft vor Kernkraftwerk. Zu Recht: Hätte Atomstrom eine Farbe, er wäre grün. Der Chef des Atomforums, Eon-Energie-Vorstand Walter Hohlefelder, geht einen Schritt weiter. Er, der den Ausstieg mit Rot-Grün mit ausgehandelt hat, beginnt Vorträge heute mit der provokanten Vorhersage: „Warum Deutschland nicht aussteigen wird.“

Gründe dafür gibt es genug. An erster Stelle steht die Sicherheit in der Energieversorgung für ein Land, das heute schon mehr als drei Viertel seines Energiebedarfs einführt. Uran gibt es an vielen Orten der Welt, und es reicht viele Jahrzehnte. Angesichts der die Preise treibenden weltweiten Energienachfrage können Kernkraftwerke trotz hoher Baukosten wirtschaftlich betrieben werden. Der Klimaschutz, der das Verbrennen von Kohlenstoffen finanziell bestraft, wird den Effekt noch beschleunigen. So wundert nicht, dass die Kernenergie auf allen Kontinenten, auch in früheren "Ausstiegsländern", wieder auf dem Vormarsch ist. Die EU-Kommission, die G-8-Staaten, die Internationale Energiebehörde sehen in ihr eine Chance für eine saubere und - im doppelten Sinne - sichere Energieerzeugung.

Deutschland muss dem nicht folgen. Man darf sich nur hinterher nicht beklagen, dass die Stromkosten zu hoch, die Netzsicherheit zu gering und die Versorgungsstruktur zu unausgeglichen ist oder dass man auf die Sicherheit der ringsherum entstehenden Atomanlagen keinen Einfluss hat. Eine Regierung, die zu wenig für Forschung und Entwicklung tut, darf sich nicht beschweren, wenn die verbliebene industrielle Kompetenz der einstigen Siemens-Atomsparte begierig von Frankreich aufgesogen wird. Dort baut Präsident Nicolas Sarkozy, dessen Atomverkaufsaktivitäten in Ländern wie Libyen und Ägypten man nicht gutheißen muss, einen integrierten Atomkonzern.

„Atomkraft - ja bitte“

Wer die Scheuklappen ablegt, der wird schnell zu einem „Atomkraft - ja bitte“ kommen. Eine Regierung, die ihre Verantwortung ernst nimmt, wird deshalb als ersten Schritt längere Laufzeiten für bestehende Atomkraftwerke ins Auge fassen. Die von der zu Recht rigiden Atomaufsicht verfügten Modernisierungsarbeiten in einigen Kraftwerken könnten dabei zu einem weiteren Vorteil geraten: Denn der Stillstand in Anlagen wie Biblis und Brunsbüttel verschiebt das für diese Wahlperiode geplante Abschaltdatum in die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl.

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Fudder.de 02.02.2008

Schönau: 10 Jahre Solar-Rebellion

Seit die Schönauer Stromrebellen vor zehn Jahren ihr Stromnetz übernommen haben, ist aus den Elektrizitätswerken Schönau ein profitables Ökostromunternehmen geworden. In der Stadt mit der höchsten Photovoltaikdichte Deutschlands schmückt selbst das Kirchendach eine Solaranlage und von seiner Gewinnbeteiligung konnte sich der Pfarrer ein Pflanzenölauto leisten. Ein Besuch in der inoffiziellen Solarhauptstadt Deutschlands.

Wie ein Märchen klingt es, wenn Ursula Sladek, Geschäftsführerin der Elektrizitätswerke Schönau (EWS), darauf zurückblickt, wie sie mit ihrem Mann und einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter vor 10 Jahren das örtliche Stromnetz übernommen hat.

Der Weg dahin war lang und steinig - und niemand hätte anfangs damit gerechnet, dass aus der nach Tschernobyl ins Leben gerufene Bürgerinitiative einmal ein profitables, mittelständisches Unternehmen werden würde, das mittlerweile 68 000 Privat- und Unternehmenskunden mit sauberem Strom versorgt.

Die Idee der Bürgerinitiative war so simpel wie vermessen: Man wollte das örtliche Stromnetz von den Kraftübertragungswerken Rheinfelden übernehmen, um in Zukunft selbst bestimmen zu können, welcher Strom Zuhause aus der Steckdose kommt - nicht der "Dreckstrom" aus den Atomkraftwerken, sondern der "gute Strom" aus Wasser-, Wind- und Sonnenenergie.

Als Besitzer des örtlichen Stromnetzes beziehen die Elektrizitätswerke Schönau ihren Strom zu 95 % aus erneuerbaren Energien und zu 5 % aus Kraft-Wärme-Kopplung. Das macht sie unabhängig von Atom- und Kohlekraftwerken. Neben der im Schwarzwald traditionellen Wasserkraft und den allerorts präsenten Solaranlagen auf den Dächern - Schönau hat die höchste Photovoltaikleistung pro Kopf in Deutschland - sorgen kleine Blockheizkraftwerke in den Kellern für eine energiesparende Versorgung zahlreicher Schönauer Haushalte mit Wärme und Strom.

Mittlerweile haben die Schönauer Stromrebellen die seltene Leistung vollbracht, ökologischen Anspruch auch mit ökonomischen Gesichtspunkten zu verbinden und sich die Schreckgespenster der Liberalisierung und Globalisierung zu Nutze gemacht. "Zu Anfang war die Öffnung des Strommarktes 1998 natürlich ein Schock für uns. Wir hatten gerade das Stromnetz übernommen und fürchteten, dass uns die Kunden scharenweise davonlaufen könnten" erzählt Sladek. Doch wie so oft nutzten die Schönauer die Gefahr als Chance: Seit 1999 handeln die EWS selbst bundesweit mit grünem Strom.

Größter Kunde ist der Hersteller der Ritter Sport Schokolade. Einen entscheidenden Antrieb für den Ausbau des Stromhandels lieferte das Erneuerbare-Energien-Gesetz von 2000, in dem Stromnetzbetreiber verpflichtet werden, Strom aus erneuerbaren Energien vorrangig abzunehmen und dafür einen festgelegten Preis zu zahlen.

30 Mitarbeiter zählt das Unternehmen heute, das als ehrenamtliches Engagement von Ursula Sladek, der früheren Hausfrau und Mutter von fünf Kindern, begann. Und das Abenteuer geht weiter. Ein erhöhtes Umweltbewusstsein in der Bevölkerung nach den Zwischenfällen in den AKWs Krümmel und Brunsbüttel im Sommer 2007, aber auch die Stromwechselpartys, zu denen treue Fans nach dem Prinzip der Tupperpartys einladen, sorgen bei den EWS für eine Flut von neuen Kunden.

Ein profitables Geschäft, doch damit ist es nicht getan. Um eine Umleitung der Geldströme weg von den großen Atommonopolisten geht es den Stromrebellen, hin zu dezentraler Energieversorgung mit "sauberem Strom".

Ihren Anfangsprinzipien sind die Schönauer Stromrebellen trotz gewaltigem Unternehmenswachstum bis heute treu geblieben: Kein Strom von Produzenten mit Kapitalbeteiligungen an AKW-Betreibern oder deren Tochterunternehmen.

So kommt es zu der auf den ersten Blick widersprüchlich anmutenden Situation, dass 70 Prozent des EWS-Stroms aus Norwegen kommt. In den dortigen Wasserkraftwerken sehen die Schönauer die größten Entwicklungspotenziale für Strom aus erneuerbaren Energien - und das ohne jegliche Verflechtung mit der Atomindustrie. Sollten die EWS wie beabsichtigt die Thüga-Anteile der Badenova im geschätzten Wert von 400 Millionen Euro übernehmen, würde sie dem Atomriesen EON einen jährlichen Gewinn von 30 Millionen Euro im Südbadener Raum vorenthalten.

Ein großes Vorhaben, das kleine Schritte nicht in den Schatten stellen soll. "Das Besondere am EWS-Strom", so erklärt es die Pressesprecherin Eva Stegen, "ist die finanzielle Unterstützung von privaten Neuanlagen durch den Sonnencent, der im Preis einer jeden Kilowattstunde Schönauer Ökostrom enthalten ist." Jeder Kunde der EWS unterstützt auf diese Weise den Aufbau von Neuanlagen in Bürgerhand - 1050 sind es bis heute.

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Neues Deutschland, 1.2.08

Der Atomkraftgegner als »Gefährder«

Nicht nur die Castorbehälter, auch ihre Gegner werden bestens überwacht

Von Reimar Paul

Die Polizei speichert massenhaft die Daten von Atomkraftgegnern. Auf die »Gefährderdateien« haben Behörden mittlerweile europaweit Zugriff.

Martin Donat will nicht, dass seine persönlichen Daten von der Polizei gespeichert werden. Der Atomkraftgegner und Kreistagsabgeordnete aus Lüchow-Dannenberg erhob jetzt Klage vor dem Verwaltungsgericht: Er will erreichen, dass die Feststellung seiner Personalien während eines umstrittenen Polizeikessels beim Castortransport nach Gorleben im November 2006 vom Gericht für rechtswidrig erklärt und die Daten gelöscht werden. Die Polizei hatte die Maßnahme mit der Einleitung von Ermittlungsverfahren wegen Nötigung durch eine Treckerblockade begründet.

Nach Ansicht der Hamburger Rechtsanwältin Ulrike Donat, die seit Jahren Atomkraftgegner aus dem Wendland in Gerichtsverfahren vertritt, hat die Polizei im Nachhinein den Zweck der Datenspeicherung verändert. In mehreren polizeilichen Dateien - im Auskunftssystem der Polizei Niedersachsen NIVADIS und in der Staatschutzdatei APIS - werde Martin Donat inzwischen als sogenannter »Gefährder« geführt. Beide Dateien sind mit allen Polizeistellen des Bundes und der Länder vernetzt. BKA, Landeskriminalämter und weitere Polizeibehörden können diese Daten abrufen.

Seit dem 1. Januar werden Daten von »Gefährdern« außerdem europaweit übermittelt. »Niemand kann dann mehr kontrollieren, wer welche zu Recht oder zu Unrecht über ihn gespeicherten Daten verarbeitet«, beschreibt Ulrike Donat das Ausmaß der Datensammlung.

Dass die Polizei massenhaft Daten von Atomkraftgegnern speichert, ist nicht neu. Bereits Mitte 1985 wurde bekannt, dass mehr als 2000 Einwohner aus dem Landkreis Lüchow-Dannenberg in einem Spurendokumentationssystem (SPUDOK) des Niedersächsischen Landeskriminalamtes erfasst waren.

Beim Datensammeln gehen die Beamten teilweise auch ungewöhnliche Wege. Nach einer Anti-Castor-Demo im Wendland vor zweieinhalb Jahren klaubten Polizisten Zigarettenkippen der Kundgebungsteilnehmer auf. Der Republikanische Anwälteverein sah darin eine neue Stufe rechtswidrigen Polizeihandelns gegen Castor-Gegner. Ziel sei offenbar der Aufbau einer »illegalen Gendatei«.

Gespitzelt wurde und wird indes nicht nur im Wendland. Vor vier Jahren verfolgten Beamte des niedersächsischen Landeskriminalamtes den Göttinger Atomgegner Daniel H. über Wochen auf Schritt und Tritt. Am Auto eines Bekannten brachten sie einen Peilsender an. Die Polizisten hörten mehr als 80 Telefonate ab, filmten, überwachten Kneipen- und private Kontakte und verfolgten H. sogar bis auf das Uni-Klo.

Zur Begründung hieß es seitens der Polizei, H. habe als Mitglied des Göttinger Antiatomplenums zu Blockaden gegen den Atommülltransport aufgerufen. Die Gestaltung eines Plakates, das zu einer Protestparty einlud, wurde dem Studenten ebenfalls zugeschrieben. Das Göttinger Verwaltungsgericht wertete die Polizeimaßnahmen vergangenen Herbst als rechtswidrig. Nach einem Erörterungstermin hob die Göttinger Polizeidirektion ihre Anordnung zur Observation des heute 28-Jährigen auf. Gleichzeitig sicherte die Polizei zu, die bei der Überwachung gesammelten Daten »physikalisch zu löschen und zu vernichten«.

Vergangene Woche wandte sich Herbert W. vom Aktionsbündnis Castor-Widerstand Neckarwestheim an die Öffentlichkeit. Er hatte erfahren, dass er bei der Polizeidirektion Ludwigsburg als »Leiter« des Aktionsbündnisses geführt wird und deshalb für die Anmeldung einer Versammlung zu sorgen habe, die vier Tage später stattfinden sollte. W. sieht sich kriminalisiert, weil seine Daten offenbar »in der politischen Straftäterdatei« registriert seien. Das Büro des baden-württembergischen Landesdatenschutzbeauftragten geht davon aus, dass es sich dabei um die »Arbeitsdatei politisch motivierte Kriminalität« handelt. Sie wird vom Staatsschutz beim Landeskriminalamt (LKA) geführt, erfasst die Daten von rund 29 000 Personen und wurde vom Datenschutzbeauftragten Peter Zimmermann mehrfach wegen »grundsätzlicher datenschutzrechtlicher Mängel« kritisiert.

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