Presseauswahl ab Oktober 2007

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Stuttgarter Nachrichten 20.10.2007

DEUTSCHLANDTAG DES CDU-NACHWUCHSES

Junge Union plädiert für Nutzung der Atomenergie

Zum Auftakt des Deutschlandtages spricht sich die Junge Union für die Nutzung der Atomenergie aus

Berlin - Der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, hat zum Auftakt des Deutschlandtages der CDU-Nachwuchsorganisation für eine weitere Nutzung der Atomenergie plädiert. "Das ist ein Thema, das in der Jungen Union großen Rückhalt hat", erklärte Mißfelder am Freitag in Berlin. Beim Deutschlandtag, der mit einem Parteitag zu vergleichen ist, wollen 317 Delegierte und zahlreiche Gäste über den Klima- und Umweltschutz diskutieren. Auf der Rednerliste stehen auch Spitzenpolitiker der Union. Neben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) haben sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU), CSU-Chef Erwin Huber und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) angekündigt.

Im Leitantrag des JU- Bundesvorstands zur Klimapolitik fordert die Jugendorganisation von CDU und CSU die Entwicklung Atomkraftwerk in Ohu, Landkreis Landshut.

Junge Union plädiert für Nutzung der Atomenergie von CDU und CSU die Entwicklung eines Nationalen Energieplans, der wirtschaftliches Wachstum und klimapolitische Ziele in Einklang bringen soll.

Die Organisation ist für die Förderung erneuerbarer Energien, fordert aber auch eine Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke. "Ich denke, dass wir einen ausgewogenen Energiemix brauchen", sagte Mißfelder.

Um den Kauf klimaschonender Fahrzeuge zu fördern, schlägt die Junge Union die Abschaffung der Kfz-Steuer zu Gunsten einer CO2-Steuer vor, die sich am Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids eines Fahrzeugs orientiert. Außerdem will die Junge Union bei ihrem Deutschlandtag, der bis Sonntag dauern soll, zu aktuellen politischen Fragen Stellung nehmen.

Mißfelder forderte bereits Nachbesserungen bei der Renten- und Gesundheitsreform. "Eine große Koalition muss auch in der Lage sein, Reformen zu stemmen, die unpopulär sind", sagte Mißfelder.

Die Junge Union hatte zuvor eine vollständige Umstellung der Pflegeversicherung auf eine kapitalgedeckte Finanzierung gefordert. "Wir halten an unserem Ziel, der Generationengerechtigkeit in allen sozialen Sicherungssystemen, fest", erklärte Mißfelder.

"Bei der Rente mit 67 haben wir da schon viel erreicht." Langfristig erwartet der Chef der CDU- Nachwuchsorganisation eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters. "Die junge Generation, die Jahrgänge ab 1975, werden sich auf die Rente mit 70 einstellen müssen", sagte Mißfelder.

In der Debatte um ein längeres Arbeitslosengeld I für Ältere setzt die Junge Union auf eine kostenneutrale Lösung. Jüngere Arbeitslose müssten dafür Verständnis haben, dass Ältere, die länger Beiträge gezahlt haben, auch länger Arbeitslosengeld bekommen, sagte Mißfelder.

"Ein 25-Jähriger hat noch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt, ein 55-Jähriger hat kaum eine Chance." Zur Entlastung der Jüngeren müsse aber gleichzeitig der Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung

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taz, 17.10.07

Ein Jahr ohne Biblis

Marode Kraftwerke sind überflüssig

Seit einem Jahr liegt das Atomkraftwerk Biblis still. Die Grünen rechnen vor: Die Energie alter AKWs wird gar nicht mehr gebraucht.

VON KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

WIESBADEN taz Deutschland kann gut auf seine maroden Atomkraftwerke verzichten. Das rechneten am Dienstag die hessischen Grünen anlässlich der einjährigen Stilllegung des Atomkraftwerks Biblis vor.

"Trotz aller Stillstände exportierte Deutschland im ersten Halbjahr 2007 sogar 9,4 Millionen Megawattstunden (MWh) mehr Strom ins Ausland, als im gleichen Zeitraum eingeführt wurde", sagte in Wiesbaden die energiepolitische Sprecherin der Grünen im Hessischen Landtag, Ursula Hammann. Vor einem Jahr waren die Blöcke A und B in Biblis abgeschaltet worden.

Grund für das Abschalten waren 15.000 bei einer so genannten Sicherheitsnachrüstung 2001 falsch eingebaute Dübel, was allerdings erst im Herbst 2006 entdeckt wurde. "Pfusch am Bau" nannten das die Grünen. Zudem sind die AKWs Stade und Obrigheim aufgrund der Ausstiegsvereinbarungen längst stillgelegt worden. Und nach Störfällen gleich in Serie und massiven Dübelproblemen zusätzlich wurden auch die Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel in diesem Frühsommer abgeschaltet. Dies soll auch bis zum Jahresende so bleiben. Dennoch betteln die nach wie vor ausstiegsunwilligen Betreibergesellschaften überall um Laufzeitverlängerung für ihre Pannenreaktoren.

Dass Deutschland trotz der abgeschalteten oder schon längst stillgelegten Atomkraftwerke mehr Strom exportieren kann, führt Hammann auf den gestiegenen Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch in Deutschland zurück. In den letzten sechs Jahren habe der sich auf 12 Prozent glatt verdoppelt. 2006 seien durch erneuerbare Energien rund 72,6 Millionen MWh Strom erzeugt werden, 9,1 Millionen MWh mehr als noch im Jahr zuvor. Alleine dieser Zuwachs reicht laut Hammann aus, um ein AKW wie Biblis B vollständig zu ersetzen.

Für die schnellstmögliche endgültige Abschaltung der hessischen Reaktoren in Biblis spricht laut den Grünen auch die Pannenstatistik. Mit 28 Störfällen seit 2005 liege Biblis Block B knapp hinter dem AKW Brunsbüttel (33) an zweiter Stelle. Und Biblis Block A mit 20 "Ereignissen" auf Platz 5 nach Krümmel (23) und Brokdorf (21). Ein Weiterbetrieb dieser Reaktoren gefährde das Leben heutiger und zukünftiger Generationen, so Hammann. Auch bei der hessischen SPD sieht man das so: "Ein Jahr Sicherheit durch Stillstand ist zu wenig - Biblis muss endgültig vom Netz." Nach dem Atomausstiegsfahrplan soll der Altmeiler Block A 2009 abgeschaltet werden. RWE drängt die Landesregierung auf Laufzeitverlängerung. Ministerpräsident Roland Koch (CDU) ist dafür. Das letzte Wort hat der Bundesumweltminister.

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Morgenweb.de 2007-10-16

AKW Biblis: Ventil offen, Pumpe defekt

Das Atomkraftwerk Biblis ist seit den 70er Jahren umstritten. Eine Chronologie der Pannen.

Einige der wichtigsten Ereignisse:

 

Juli 1967: Der Energiekonzern RWE beschließt, in Hessen ein Atomkraftwerk zu bauen.

April 1975: Mit 1200 Megawatt Leistung nimmt Biblis A als damals stärkster Einzelreaktor der Welt seinen regulären Betrieb auf. Rund ein Jahr später geht Biblis B mit 1300 Megawatt ans Netz.

Dezember 1987: Bei einem der schwersten Störfälle in Deutschland entweicht durch ein offenes Ventil in Block A 15 stundenlang radioaktiver Dampf. Der Vorfall wird erst nach fast einem Jahr durch eine Veröffentlichung in den USA bekannt.

Oktober 1994: RWE zieht den 1980 gestellten Antrag zum Bau eines dritten Reaktors in Biblis zurück.

September 1995: Block B schaltet sich aus, als nach dem Ausfall einer Hochdruck-Hydraulikölpumpe die Ersatzpumpe nicht anspringt.

Oktober 2000: An einer Schweißnaht im Kühlsystem von Block A werden drei vermutlich seit 27 Jahren vorhandene Risse festgestellt. Erste Hinweise darauf waren 1992 als Messfehler gewertet worden.

April 2003: Biblis A wird vorübergehend stillgelegt, nachdem eine seit Betriebsbeginn zu klein ausgelegte Ansaugfläche im Notkühlsystem bemerkt wird. Der Reaktor geht erst nach neuer Genehmigung nach acht Monaten wieder ans Netz.

September 2006: Bei einer Routine-Revision im abgeschalteten Block Biblis A werden fehlerhaft montierte Dübel festgestellt. Sie waren 2001 eingebaut worden, um unter anderem Rohrleitungen gegen Erdbeben zu sichern. RWE beantragt zudem offiziell eine Verlängerung der Laufzeit für Biblis A und B. Dazu sollen genehmigte Strommengen anderer Kernkraftwerke übertragen werden.

16. Oktober 2006: Block B wird ebenfalls abgestellt, weil auch in ihm fehlerhaft montierte Dübel gefunden werden. Später stellt sich heraus, dass rund 15 000 Dübel in beiden Blöcken nicht korrekt in der Wand sitzen.

9. März 2007: Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) kündigt an, den RWE-Antrag auf eine längere Laufzeit für Biblis A abzulehnen.

18. Mai 2007: Bundesumweltminister Sigmar Gabriel lehnt den RWE-Antrag auf eine längere Laufzeit für Biblis A durch Strommengenübertragung aus dem stillgelegten Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich (Rheinland-Pfalz) endgültig ab. Über einen alternativen Antrag, Strommengen vom Atomkraftwerk Emsland (Lingen) auf Biblis A verlagern zu dürfen, wurde noch nicht entschieden.

4. September 2007: Der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel erklärt sich für zuständig, über die Klage des Energieversorgers RWE Power AG auf Übertragung von Restlaufzeiten zweier Atomkraftwerke auf Biblis A zu entscheiden.

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Junge Welt, 16.10.07

Traktoren gegen Endlager

Tausende bei Demonstration gegen geplante Atommülldeponie in Salzgitter

Von Reimar Paul

Die Samba-Trommler marschieren an der Spitze des kilometerlangen Zuges, ganz am Ende tuckern die Traktoren. »Motoren, Stahl und Rüben gegen Atommüll und Lügen«, steht auf einem Transparent. »Schach(t) matt«, heißt es auf einem anderen. Mehrere tausend Gewerkschafter und Landwirte, Mitglieder von Bürgerinitiativen und kirchlichen Gruppen haben am Sonnabend in Salzgitter gemeinsam gegen das geplante Endlager »Schacht Konrad« demonstriert.

Im April hatte das Bundesverwaltungsgericht den Weg für die Einlagerung von Atommüll freigemacht. Bis zu 303000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktive Abfälle aus Atomkraftwerken, Sammelstellen, Kliniken und Forschungsinstituten sollen in dem früheren Eisenbergwerk aufbewahrt werden. Die Genehmigung gilt auch für mehrere hundert Kilogramm extrem giftiges Plutonium.

Zu der Demonstration sind viele mit Fahrrädern oder auf Rollschuhen aus den Ortsteilen und umliegenden Dörfern gekommen. Eine Gruppe transportiert auf Sackkarren gelbe Fässer mit dem Radioaktivitätszeichen. Ein Bauer führt seinen Esel herum, das Grautier hat ein Schild auf dem Rücken: »Konrad und Asse - das schmunzelt der Amtsesel«. Fahnen von ver.di und der IG Metall werden geschwenkt. Die Metall-Gewerkschafter sind Motoren im Widerstand gegen das Endlager.

Die IG Metall startete eine Spendenkampagne, um die Klagen gegen »Konrad« finanziell abzusichern. Während eines Aktionstages legten Tausende Stahl- und Metallarbeiter aus der Region sogar für Stunden die Arbeit nieder. Vor Betrieben, auch vor dem VW-Werk in Salzgitter, fanden Kundgebungen statt. Mit einer einiges Aufsehen erregenden Aktion in der Innenstadt simulierte die IG Metall erst vor wenigen Wochen einen Atomunfall.

Die Gewerkschafter halten die Inbetriebnahme von Schacht Konrad in der Industrieregion Salzgitter für unverantwortlich. »Ein atomares Endlager in direkter Nähe eines Produktionsbetriebes birgt unserer Ansicht nach auch die Gefahr, daß notwendige Investitionen nicht mehr getätigt werden«, sagte Björn Harmening, Sprecher der IG Metall-Vertrauensleute im VW-Werk Salzgitter.

Am Gebäudekomplex des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) protestieren an diesem Sonnabend Demonstranten mit einer Sitzblockade. In dem komplizierten Genehmigungsverfahren für Schacht Konrad ist die Behörde Antragsteller. Das Land Niedersachsen hat das Endlager genehmigt.

Bei der Kundgebung auf dem Rathausplatz, die bis in den Abend dauert, wechseln sich Musikgruppen und Redner ab. Sie verweisen auf die Situation in den Endlagern Asse und Morsleben. Das Salzbergwerk Asse bei Wolfenbüttel, wo seit 30 Jahren mehr als 125000 Fässer mit Atommüll lagern, drohe abzusaufen. Dann könnten die Fässer rosten und das radioaktive Material ins Grundwasser geschwemmt werden.

Und das frühere DDR-Endlager Morsleben verfüllen Techniker derzeit mit Beton und Salzstaub: Dort waren mehrmals tonnenschwere Salzbrocken von den Zwischendecken gekracht. »Es gibt kein Endlagerkonzept, das Sicherheit für Tausende von Jahren garantiert«, ruft der Chemieprofessor und Kernkraftkritiker Rolf Bertram den Demonstranten zu..

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Nordheide Wochenblatt 2007-10-14

AKW Krümmel: Knapp am Super-Gau vorbei?

Bericht zum Trafo-Brand im Akw Krümmel sorgt für neue Diskussionen

"Anscheinend waren wir in größerer Gefahr als wir dachten", sagt Wilfried Heinrichs (57). Der Wirtschaftsingenieur und freiberufliche Journalist wohnt in der Elbmarsch nur 500 Meter vom Kernkraftwerk Krümmel entfernt und war Augenzeuge des Trafobrands im Akw am 28. Juni. Ihm liegt auch der Pannenbericht des Bundesumweltministeriums vor, in dem die Gründe für den Unfall erläutert werden.

"Was dort steht, ist erschütternd", sagt Heinrichs. Er weiß, wovon er spricht. Seit Jahrzehnten beschäftigt er sich mit dem Thema Atomkraft, vor allem wegen des Meilers vor der eigenen Haustür. "Aus dem Bericht des Umweltministeriums geht eindeutig vor, dass das Personal die Kontrolle verloren hat", so der Wirtschaftsingenieur. So seien beispielsweise aufgrund fehlerhafter Kommunikation die Sicherheitsventile geöffnet worden, um den Druck schnell zu reduzieren. Zudem sei selbst nach der Reaktorschnellabschaltung die Wärmeproduktion riesig gewesen. Etwa 370 Megawatt Restwärme (vorher waren es etwa 3.700 Megawatt) mussten laut Umweltministerium auch nach der Abschaltung sicher abgeführt werden, um eine Überhitzung zu verhindern. "Von Personal, das offensichtlich völlig überfordert war", so Heinrichs.

Auch die so genannten Steuerstäbe, die die Menge der Kernspaltung regulieren, seien augenscheinlich außer Kontrolle gewesen. "Mit der Folge, dass die Akw-Mitarbeiter die Kernspaltung nicht mehr beeinflussen konnten", glaubt der Wirtschaftsingenieur.

Der Bericht lässt für Heinrichs nur eine Schlussfolgerung zu: "Es ist reines Glück, dass die Katastrophe ausgeblieben ist." Er fordert, dass Krümmel erst wieder angefahren wird, wenn gewährleistet sei, dass nichts passiere.

Die Sicherheitsprüfungen in den Atomkraftwerken Krümmel sind immer noch nicht abgeschlossen. Laut Betreiber Vattenfall steht nicht fest, wann die Mei¬ler wieder ans Netz gehen. Das schleswig-holsteinische Sozialministerium teilte mit, dass die Kraftwerke 2007 auf keinen Fall den Betrieb wieder aufnehmen. -

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"die tageszeitung", 12.10.2007

Vattenfall-AKWs bis 2008 aus

HAMBURG ap Die seit Monaten stillstehenden norddeutschen Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel bleiben mindestens bis Ende des Jahres abgeschaltet. Krümmel ist seit dem 28. Juni vom Netz, als es im Transformatorhaus brannte, Brunsbüttel nach einer Pannenserie seit dem18. Juli. "In beiden Reaktoren hat es nach den Störfällen zahlreiche meldepflichtige Ereignisse gegeben, die wir weiter untersuchen", sagtedie schleswig-holsteinische Sozialministerin Gitta Trauernicht (SPD).

Die Probleme seien größer als erwartet. Mit Ergebnissen sei erst Anfang2008 zu rechnen. Der Ausfall kostet Betreiber Vattenfall täglich eineMillion Euro.

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FAZ, 11.10.07

Großbritannien

Der Tag, an dem das Uran glühte

Von Johannes Leithäuser

Nicht viele haben mit eigenen Augen den Kern eines Atomreaktors brennen sehen, haben das orangeglühende Uran beobachtet und die Flammen, die aus dem schwarzen Graphitmantel schlugen. Victor Goodwin kann davon erzählen.

Er ist als fünfundsiebzig Jahre alter Pensionär an den Ort zurückgekehrt, an dem vor einem halben Jahrhundert zum ersten Mal nach den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki eine nukleare Katastrophe drohte. Windscale heißt der Platz im Norden Englands an der Irischen See, wo die Briten nach dem Zweiten Weltkrieg eilig zwei Atomreaktoren zusammenbauten, um selber den Stoff für die Bombe zu gewinnen, den die Sowjets zu Beginn der fünfziger Jahre schon hatten und den die Amerikaner ihnen damals vorenthielten.

Radioaktive Wolke durch den Schornstein

Goodwin steht vor dem Reaktorkern, einer fünfzehn Meter hohen Wand, die symmetrisch gemustert ist von den runden Verschlüssen der Brennstab- und Isotopenkanäle. Im Kanal 20/53, rund drei Meter über Goodwins Kopf, brach damals, am 10. Oktober 1957, das Feuer aus. Seit 1951 produzierte der erste britische Atomreaktor Strom, vor allem aber Plutonium. Alle neun Monate musste der Graphitklotz gezielt auf mehr als 300 Grad überhitzt werden, um unkontrolliert aufgespeicherte Energie wegzuheizen. Das neunte derartige Manöver misslang, die Temperaturen in einzelnen Urankanälen gerieten außer Kontrolle.

Anfangs habe er an eine lokale Explosion geglaubt, sagt der pensionierte Physiker, der damals frisch von der Universität in das britische Kernwaffenprogramm kam und seinen Dienst in der Überwachungswarte des Reaktors versah. Er erhielt telefonisch die Erlaubnis, die Luftkühlung des Reaktors aufs äußerste aufzudrehen, eilte in den Reaktorraum vor den Graphitklotz und öffnete den Verschluss des Kanals 20/53.

Da sah er das glühende Uran. Der Aluminiummantel der Uranstäbe habe schon zu schmelzen begonnen. Goodwin und herbeigerufene Arbeiter versuchten, mit langen Eisenstangen die Urankartuschen in den umliegenden Kanälen nach hinten aus dem Graphitblock hinauszuschieben, um das Feuer zu isolieren. Das gelang nur unzureichend, und es half nichts. Die Temperatur im Reaktor stieg weiter, die Luftkühlung blies am Abend eine erste radioaktive Wolke durch den Schornstein aufs Meer hinaus.

"Wie über die Niagarafälle"

Die Reaktormannschaft stocherte weiter das Uran aus den Kanälen, um möglichst viel Brennstoff aus dem Graphitkern zu entfernen. Die Polizei fuhr mit einem Bus in den nächsten Ort, stoppte vor dem Kino, befahl den Männern in den hinteren Reihen, aufzustehen und mitzukommen. Fast alle arbeiteten auf dem Gelände und waren mit der Anlage vertraut. Sie lösten ihre erschöpften und verstrahlten Kollegen ab. Der großgewachsene, schlanke, sich sehr aufrecht haltende Physiker Goodwin sagt: "Panik? Nein, ich erinnere mich nicht, dass hier irgendeine panische Stimmung geherrscht hätte."

Es sei keine Zeit gewesen nachzudenken. Goodwin blickt durch einen Zwicker, dessen Gläser ein goldenes, am Ohr verhaktes Kettchen sichert, und er hält die Andeutung eines Lächelns im Mundwinkel, wie es britische Helden tun, wenn sie von ihren Abenteuern erzählen. Die Geste hat den doppelten Zweck, die eigene Tat weniger heldenhaft erscheinen, aber zugleich die Zuhörer merken zu lassen, sie könnten Gefahr und Kühnheit im Nachhinein gar nicht ermessen.

Vor fünfzig Jahren erhielt der junge Assistent Goodwin in der Nacht zum elften Oktober schließlich den Auftrag, einen Plan zu entwerfen, wie der Brand mit Wasser zu löschen sei. Am nächsten Morgen kam die Feuerwehr, legte Schläuche zur Arbeitsbühne über den Reaktor. "Wie über die Niagarafälle" sei das Wasser durch die Spalten des Graphitgebirges gerauscht. Der aufsteigende Dampf entwich aus dem Schornstein, formte eine zweite radioaktive Wolke. Das Feuer erlosch, nachdem die Luftkühlung des Reaktorkerns abgedreht worden war.

Bis zu 240 Krebstote

Eine neue, kurz vor dem Jahrestag veröffentlichte Studie kommt zu dem Schluss, dass in Folge der entwichenen Radioaktivität bis zu 240 Menschen an Krebs starben. Die Behörden gaben damals nur zögernd Warnhinweise. Lediglich die Kuhmilch durfte in einem Radius von 200 Meilen nicht mehr verkauft werden. Die "Times" meldete in jenen Tagen, es sei in Windscale zwar zu einem radioaktiven Vorfall gekommen, doch hätten die Arbeiter sich von Verstrahlungsspuren mit Wasser und Seife reinigen können.

Der Augenzeuge Goodwin erinnert sich hingegen, es habe schon "ziemlich gute" Schutzmasken und Mess-Sonden für jeden Arbeiter gegeben, die anzeigten, wann Belastungswerte überschritten wurden. Und er berichtet, in einer BBC-Fernsehdokumentation über den Unfall seien kürzlich auch Techniker und Kollegen befragt worden, die wie er damals am Ort des Geschehens waren: "Von denen laufen noch ganz schön viele herum."

Zentrum der britischen Nuklearindustrie

Goodwin selber hat sein gesamtes Berufsleben in der Atomindustrie verbracht, in der Kraftwerkstechnik und im Zentrifugenbau. Am Ende, in den achtziger Jahren, kehrte er in den Norden zurück. Da war mit den beiden ersten Reaktoren der Name "Windscale" längst stillgelegt, der Standort an der Irischen See aber unter der Bezeichnung "Sellafield" zum umstrittenen Zentrum der britischen Nuklearindustrie geworden. Der erste kommerzielle Atomreaktor zur Stromerzeugung (Calder Hall) wurde 1956 auf dem Gelände eingeweiht - die junge Königin Elisabeth II. nahm die Zeremonie persönlich vor. Später entstanden in Sellafield zwei Anlagen zur Aufbereitung abgebrannter Uranbrennstäbe.

Sie bilden jetzt das Herz der Anlage und den zentralen Angriffspunkt der britischen Atomgegner. Goodwin wurde Anfang der achtziger Jahre nach Sellafield gerufen, als das Kühlwasser der Anlagen zu viel Radioaktivität in die Irische See spülte. Das war nur eine der aufsehenerregenden Pannen, die an dem Namen Sellafield hängen. In den neunziger Jahren musste eine der beiden Anlagen zeitweise evakuiert werden. Im Jahr 2005 strömte nach einem Rohrbruch hektoliterweise Salpetersäure in ein Auffangbecken, die mit Plutonium angereichert war.

Zehn neue Kernkraftwerke

Nach der Jahrtausendwende wurde der Calder-Hall-Reaktor abgeschaltet. Es schien eine Zeit lang, als werde die britische Nuklearwirtschaft am Ort ihrer Wiege auch ihr Ende finden - gegenwärtig arbeiten an zwölf Standorten im Vereinigten Königreich noch rund 20 Reaktoren, die ein Fünftel des britischen Stroms erzeugen, in fünfzehn Jahren wird womöglich noch ein letzter Reaktor in Betrieb sein. Doch die Folgen des Klimawandels und der Zwang, Kohlendioxid-Emissionen zu vermindern, haben der Kernenergie auch in Großbritannien neue Aufmerksamkeit verschafft.

Schon der frühere britische Premierminister Blair sprach vor zwei Jahren davon, er könne sich den Bau von zehn neuen Kernkraftwerken vorstellen; im vergangenen Frühjahr hat die Labour-Regierung solche Wunschvorstellungen in ihrer Energieplanung wiederholt. Zur Wirklichkeit reifen sollen die neuen Reaktoren aber ausschließlich durch den Einsatz privater Investoren. Die zeigen sich bislang interessiert, aber zurückhaltend. Sie sehen zwei Hindernisse: Die Kosten und Methoden der nuklearen Abfallbeseitigung und die Rückstellungen für den Abbau abgenutzter Anlagen.

Acker am Ort der Katastrophe

Unterdessen strebt die Regierung danach, die Antwort in beiden Fällen möglichst in Sellafield zu geben. Die Abfallfrage wird vorerst mit dem Hinweis auf die Aufbereitung beschieden, ein Endlager für hoch radioaktive Stoffe gibt es bislang nicht; die Lösung der Abbaufrage soll anhand der stillgelegten Reaktoren auf dem Gelände demonstriert werden. So rückt Windscale 50 Jahre nach dem Unfall wieder in den Blickpunkt. Die staatliche Agentur, der die Unglücksstelle gehört, hat mit einer amerikanischen Privatfirma gemeinsam ein Abbauprogramm entwickelt.

Zwei Ortschaften von Sellafield entfernt, in einer Industrielagerhalle oberhalb der Küste, übt ein eigens konstruierter Roboter, wie sich verkeilte Urankartuschen aus einem Graphitkanal entfernen lassen. In einigen Jahren soll er am Ort des Unfalls installiert werden und den restlichen Brennstoff aus dem Graphitreaktor holen. Schritt um Schritt will die Nuklearbehörde den Ort der Katastrophe in einen Acker zurückverwandeln. Fünfzehn bis zwanzig Jahre könnte das dauern, schätzt Peter Mann, der Chef der stillgelegten Anlage. Er sähe anschließend an dieser Stelle gerne ein modernes Kernkraftwerk wachsen.

Malwettbewerb für Kinder

Die Einwohner der Gegend teilen fast alle seinen Wunsch. 10.000 Mitarbeiter zählen die Anlagen in Sellafield, jede zweite Existenz im Westteil der Grafschaft Cumbria hängt von der Nuklearwirtschaft ab. In dieser Region nimmt niemand Anstoß, wenn die Betreiberfirma anlässlich der Sprengung von vier Kühltürmen des abgeschalteten Kraftwerks Calder Hall einen Malwettbewerb in den Schulen der Umgebung veranstaltet - die Kinder mit den schönsten Skizzen vom Kernkraftwerk dürfen als Preis die Sprengung von einem Ehrenplatz verfolgen.

Die lokale Marketingagentur versucht, die Gegend unter dem Namen "Energieküste" bekannt zu machen. Die Betreiber von Sellafield haben am Rand der Anlage ein Besucherzentrum für Touristen errichtet, an dessen Außenwand als weithin sichtbares Logo eine stilisierte blaue Erdkugel hängt, die in zwei schützenden Händen geborgen ist. Kein Umweltaktivist hat aus diesem anmaßenden Zeichen bislang eine Zielscheibe gemacht.

Derweil misst Greenpeace die steigende radioaktive Belastung der Irischen See und verfolgt anhand der strahlenden Isotope die Meeresströmungen in die Arktis und in die deutsche Bucht hinein. Die Royal Society zählt die steigenden Mengen von Plutonium, das bei der Wiederaufarbeitung entsteht und in Sellafield lagert. Die Summe ergibt inzwischen mehr als 100 Tonnen - ausreichend für eine fünfstellige Zahl von Atomsprengköpfen.

"Unglaubliche Kommandowirtschaft"

Victor Goodwin sagt mit einer Spur von Resignation, die britische Nukleartechnik hinke jedenfalls hinterher, nachdem jahrzehntelang keine neuen Reaktoren in Großbritannien gebaut worden seien. Die technische Führung hätten jetzt ja die Franzosen und deutsche Firmen wie Siemens. Aber er persönlich gebe nicht viel darauf, wer ihn mit Strom versorge - solange es nur genug gebe davon.

Vor fünfzig Jahren sei das anders gewesen. Eine schreckliche Zeit, "eine unglaubliche Kommandowirtschaft"; andauernd habe es Stromsperren gegeben. "Wir waren ein kleines, vom Krieg schwer beschädigtes Land." Aber Goodwin freut sich, dass sein einstiger Arbeitsplatz jetzt behutsam verschwinden soll. Man könne den Reaktor zwar auch noch 100 Jahre so stehen lassen, wie er sei. Aber es sei doch gut, dass es Techniker gebe, die sich so etwas Kompliziertes wie einen Reaktor-Abbau verstünden: "Wenn die das hier einfach liegen ließen und weggingen, dann würden wir vergessen in unserem Land, wie man so was macht."

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Handelsblatt, 11.10.07

Neue Hülle für den Unglücksreaktor

Ein Dom für Tschernobyl

Von Holger Alich

Die Katastrophe von Tschernobyl ist zwar über 20 Jahre her, der Reaktor Nummer vier stellt jedoch immer noch eine Bedrohung für Mensch und Umwelt dar. Nun bauen französische Baukonzerne eine gewaltige Metallhülle um das beschädigte Kernkraftwerk, die nicht nur vor Strahlung schützen soll.

PARIS. Nach dem Supergau am 26. April 1986 im Kernkraftwerk Tschernobyl nahe der ukrainischen Stadt Prypjat, bei dem große Mengen an radioaktiver Materie in die Luft geschleudert wurden, hatten Tausende Helfer einen provisorischen Betonmantel um den explodierten Reaktor errichtet. Inzwischen ist dieser an vielen Stellen gerissen ist und droht einzustürzen. Nun sollen die französischen Bauriesen Vinci und Bouygues eine dauerhafte Lösung für den Reaktor bauen, der Schätzungen zufolge immer noch 190 Tonnen strahlendes Material enthält.

 

"Unser Metallmantel soll nicht nur vor Strahlung schützen, sondern auch eines Tages den Rückbau des Reaktors ermöglichen", sagt Jean-Denys Arnal, Marketing-Direktor von Bouygues Travaux Public. Der Entwurf, mit dem sich die Franzosen gegen den US-Wettbewerber CH2M Hill durchgesetzt haben, hat wahrlich pharaonische Ausmaße: Der Metallmantel soll mit 150 Metern länger als ein Fußballfeld sein und 260 Meter breit. Mit einer Höhe von 105 Metern könnte der Metalldom ohne Probleme die Pariser Kathedrale Notre Dame in sich aufnehmen. Mit einem Gesamtgewicht von 18 000 Tonnen wiegt der neue Schutzmantel drei Mal so viel wie der Eiffel-Turm. Die Kosten belaufen sich auf 432 Mill. Euro und werden aus einem Fonds der Europäischen Entwicklungsbank finanziert, den die G7 und die EU gespeist haben.

"Die größte Sorge gilt der Sicherheit der Arbeiter", erklärt der Bouyges Experte. Um die Strahlenbelastung auf ein akzeptables Minimum beim Bau zu reduzieren, greifen die Franzosen zu einem Trick: Der Schutzmantel wird in rund 200 Metern Entfernung vom strahlenden Reaktor gebaut. Anschließend wird das Metallungetüm auf eigens konstruierten Beton-Schienen über den Reaktor Nummer vier geschoben. "Das Gewicht ist nicht das größte Problem", versichert Arnal. Ähnliche Manöver habe Bouygues schon durchgeführt, beispielsweise um schwere Brückenteile an Ort und Stelle zu hieven.

1. Mit einer Höhe von 105 Metern könnte der Metalldom die Pariser Kathedrale Notre Dame in sich aufnehmen.

2. Der Metallmantel soll mit 150 Metern länger als ein Fußballfeld und rund 260 Meter breit sein.

3. Mit einem Gesamtgewicht von 18 000 Tonnen wiegt die neue Schutzhülle drei Mal so viel wie der Eiffelturm.

Der Metallmantel wird in Teilen gefertigt und zusammengesetzt. Die innere Metallstruktur wird ebenfalls vorproduziert und an die Baustelle angeliefert. Insgesamt 900 ukrainische Bauarbeiter und bis zu 60 entsandte Spezialisten arbeiten an dem Projekt. Zunächst errichten sie abschnittweise die seitlichen Teile, die von speziellen Türmen mit Kabeln aufrecht gehalten werden. Parallel wird das entsprechende Dachsegment gefertigt und auf die fertigen Seitenabschnitte gesetzt. Nach und nach werden so die Abschnitte zum kompletten Metallmantel zusammengefügt. Am Ende wird der fertige Mantel computergesteuert auf den Betonschienen über den Reaktor geschoben.

Um spätere Rückbau-Arbeiten zu ermöglichen, soll die Metallhülle zugänglich sein und innen mit robotergesteuerten Kränen ausgestattet werden. Wie der endgültige Abriss eines Tages geleistet bzw. finanziert werden soll, ist derzeit aber noch unklar. Doch bis dahin bleibt viel Zeit. Die französischen Baumeister versprechen, dass ihre Konstruktion den gefährlichen Reaktor für die nächsten 100 Jahre sicher abschirmt.

Der Baubeginn ist für April 2009 vorgesehen, bis dahin laufen weitere Studien. Die Gesamtbauzeit beträgt den Planungen zufolge 53 Monate. Die Vorbereitungen laufen aber bereits seit Jahren: "Seit 1991 arbeiten wir an dem Projekt", sagt Bouygues-Experte Arnal.

Der medienwirksame Metallsarg für Tschernobyl soll den beteiligten Konzernen auch als Verkaufsvitrine dienen. "Damit können wir unsere Kompetenz im Sektor Kraftwerksrückbau unter Beweis stellen", sagt Pierre Berger, Leiter Großprojekte bei Vinci Construction. Denn der Bereich wird in den kommenden 50 Jahren enorme Absatzmärkte bieten. Allein in Frankreich gibt es derzeit 58 Kernkraftwerke, die in dieser Zeit stillgelegt und rückgebaut werden müssen. Von den zahlreichen Kraftwerken im ehemaligen Ostblock des Typs Tschernobyl ganz abgesehen.

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BBU 06.10.2007

BBU: Internationale Proteste gegen Atommüllverschiffung

Derzeit mindestens zwei Schiffe in Europa mit Atommüll auf Tour: Umweltverbände und Anti-Atomkraft-Initiativen protestieren in diesen Tagen gegen Atommülltransporte innerhalb Europas, die auch mit Schiffen durchgeführt werden.

Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) begrüßt und unterstützt die Proteste. Erforderlich ist die Information der Öffentlichkeit über das ungelöste und unlösbare Atommüllproblem.

Am Donnerstag (4.10.) ist der Frachter "Atlantic Osprey", beladen mit 4,8 Tonnen abgebrannter Brennelemente, einschließlich 1,2 Kilogramm Plutonium, aus dem Hafen der Atomanlage in Studsvik in Schweden ausgelaufen. Der an Bord befindliche Atommüll stammt aus dem Forschungsreaktor R1 der "Königlich Technischen Hochschule" in Stockholm. Ziel des Transportschiffes ist die britische Plutonium-Fabrik in Sellafield. Greenpeace gelang es mit Schlauchbooten am Freitag auf der Ostsee westlich der dänischen Insel Bornholm an das Transportschiff heranzukommen. Es wurde versucht, das Schiff zu einer Umkehr nach Schweden zu drängen. Dabei konnten drei AktivistInnen auf den Atommüll-Frachter klettern.

Währendessen berichtet die niederländische Sektion von Greenpeace, dass Freitag (5.10.) der Frachter "Doggersbank" in Rotterdam ausgelaufen ist. Sein Ziel ist Russland. An Bord hat die Doggersbank erhebliche Mengen des hochgefährlichen Stoffes Uranhexafluorid. Das Material stammt aus der einzigen deutschen Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau. Dort war Donnerstag unter Protest ein Sonderzug mit rund 1000 Tonnen Uranmüll (abgereichertes Uranhexafluorid) Richtung Rotterdam gestartet. Während des Transportes von Gronau nach Rotterdam wurde an mehreren Bahnhöfen protestiert. Die Doggersbank fährt jetzt mit dem Uranmüll an Bord an Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland und Estland vorbei nach St. Petersburg. Von dort geht die radioaktive Fracht per Bahn quer durch Russland zu den geschlossenen Atomstädten am Ural und in Sibirien. Russische Anti-Atomkraft-Organisationen haben in der Vergangenheit wiederholt gegen diese deutsch-niederländisch-russischen Uranmülltransporte, die schon mehrfach stattfanden, demonstriert. Auch gegen den aktuellen Transport soll in Russland demonstriert werden.

Bereits Ende September erfolgte der Abtransport der vier radioaktiven Dampferzeuger aus dem stillgelegten Atomkraftwerk Stade (bei Hamburg) mit dem Spezialfrachter "Sigyn" nach Nyköping in Schweden zu den sogenannten Recyclings- und Einschmelz-Anlagen der Vattenfall-Tochter Studsvik AB. Es wird befürchtet, dass dort bei der Verarbeitung Radioaktivität freigesetzt werden kann und dass sogenanntes "entseuchtes" Metall wieder in den normalen Produktionsprozess gelangen könnte.

Nach Angaben von Udo Buchholz, Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz, stellen alle Atomtransporte, zu Land, auf dem Wasser und in der Luft, ein enormes Gefahrenpotential für die Bevölkerung dar. Außerdem wird deutlich, so Buchholz, dass es keine Lösung für das immer drängendere Atommüllproblem gibt: "Der Müll wird nur hin- und hergeschoben: Von Deutschland nach Schweden, von Deutschland nach Russland, von Schweden nach Großbritannien. Und insgesamt wachsen die Atommüllberge weiter." Damit die internationalen Müllberge nicht immer weiter wachsen, fordert der BBU die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen, in Deutschland, in Schweden, in Russland und anderswo.

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iwr, 02.10.2007

Umweltminister sehen in Atomenergie kein Mittel gegen den Klimawandel

Berlin/Wien - Klimawandel, Energieeffizienz, die Rolle der Kernenergie sowie Alternativen zu dieser Energieform waren Schwerpunkte einer Konferenz der Umweltminister aus Österreich, Deutschland, Irland, Italien, Lettland und Norwegen. Mit ihrem zweitägigen Treffen in Wien setzten sie ihren im März 2007 in Dublin begonnen Dialog über die Sicherheit von Nuklearanlagen, den Energiemix der Zukunft und die Bedeutung von Energiesparen und Energieeffizienz fort. Deutschland wurde auf der Konferenz vom Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Matthias Machnig, vertreten.

Angesichts der grenzüberschreitenden Risiken der Kernenergie, z. B. Unfall- und Prolifirationsrisiken sowie die Abfallproblematik, forderten die Teilnehmer mehr Transparenz und eine verbesserte Einbindung und Beteiligung auch der Nachbarstaaten von Ländern, die sich für die Kernenergieoption entschieden haben. Bei dem Treffen wurden die grundsätzlichen Risiken, die mit dem Betrieb von Atomkraftwerken verbunden sind, hervorgehoben. In einer gemeinsamen Erklärung der Minister zum Abschluss des Treffens bekräftigten sie ihre Sicht, dass Kernenergie und eine nachhaltige Entwicklung nicht miteinander vereinbar sind. Sie sind zudem überzeugt davon, dass Atomenergie kein gangbarer Weg ist, den Klimawandel zu bekämpfen.

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