Presseauswahl ab September 2007

Presseauswahl der BI bis August 2007

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Ökonews, 17.9.07

IPPNW gratuliert Schäuble zur Einsicht hinsichtlich Atomterrorismus

Zivile Atomanlagen sind ebenfalls eine große Bedrohung

Berlin - Die Ärzteorganisation IPPNW gratuliert Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble zu seiner Einsicht hinsichtlich der akuten Gefahr von terroristischen Atomanschlägen. "Wenn Schäuble jetzt konsequent weiterdenkt, haben wir in ihm bald einen weiteren prominenten Atomkraftgegner gewonnen, denn der vielleicht größte Risikofaktor für Atomterror ist die zivile Atomenergie selbst", sagte der IPPNW-Pressesprecher Sven Hessmann. Gestern hatte Schäuble in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vor Terroranschlägen mit nuklearem Material gewarnt. Die IPPNW begründet seit Jahren ihre Forderung nach einem schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomkraft auch mit dem Hinweis auf die Gefahr durch Atomterrorismus. Schäubles Panikmache und sein Überwachungswahn sind allerdings die falsche Antwort auf die Terrorgefahr. Deshalb ruft die IPPNW zusammen mit anderen Ärzteorganisationen zur Demonstration "Freiheit statt Angst - Stoppt den Überwachungswahn" am kommenden Samstag in Berlin auf.

Selbst wenn man die ungeklärte Frage der Atommüll-Entsorgung und das ständige Risiko einer Reaktorkatastrophe außen vor lassen würde, "Jedes neue Kernkraftwerk erhöht die Menge an Uran und nuklearem Material, das abgebaut, weiterverarbeitet, gehandelt, transportiert und gelagert wird. Auf jeder Stufe besteht die Gefahr, dass Material für eine schmutzige Bombe abgezweigt wird. Eine absoluten Schutz bietet nur der schnellstmögliche Ausstieg aus der Atomenergie", sagte Hessmann. Auch im Hinblick auf den mangelhaften Schutz vieler Atomkraftwerke vor terroristischen Angriffen: Bereits im Jahr 2000 wurde regierungsintern zahlreichen deutschen Atomkraftwerken eine mangelnde Auslegung gegen Flugzeugabstürze bescheinigt. Bei den Atomkraftwerken Biblis A und B, Brunsbüttel, Isar-1, Philippsburg-1 und Krümmel heißt es: "fehlende bzw. unzureichende Auslegung gegen Flugzeugabsturz". Auch dem Atomkraftwerk Neckarwestheim-1 wird eine "fehlende Auslegung gegen Flugzeugabsturz" bescheinigt. (Quelle BBU/IPPNW 2000)

Die zivile Nutzung der Atomenergie erhöht auch die Gefahr eines Terroranschlages mit einer tatsächlichen Atombombe. Aufgrund der weltweit begrenzten Vorräte an abbaubaren Uranerz wird, wird die Atomindustrie in der Zukunft auf die Wiederaufbereitung von verbrauchten Uran-Brennelementen zu Mischoxid(Mox)-Brennelementen und reaktorfähigem Plutonium in Wiederaufbereitungsanlagen umsteigen müssen. Heutzutage geschieht dies vereinzelt in Sellafield, England oder in Rokkasho Mura, Japan. IPPNW-Vorsitzende Angelika Claußen: »Mischoxid-Brennelemente und reaktorfähiges Plutonium können relativ leicht zur Herstellung von Atomwaffen verwendet werden. Mehr weltweite Wiederaufbereitung inklusive der damit verbundenen Verarbeitung, Lagerung sowie dem Handel und Transport von reaktorfähigem Plutonium würde die Möglichkeiten für Terroristen und einzelne Staaten, an atomwaffenfähiges Material zu gelangen, vervielfachen.«

Auch bei strengen Sicherheitsvorkehrungen lassen sich in einer modernen Wiederaufbereitungsanlage sichere Aussagen nur über den Verbleib von 99 Prozent des Plutonium-Bestandes treffen. Etwa ein Prozent des Plutoniums kann aus verfahrenstechnischen Gründen nicht genau bestimmt werden und gilt offiziell als »Material Unaccounted For« (MUF). Eine gravierende Sicherheitslücke: Das potentielle MUF der hochmodernen Wiederaufbereitungsanlage Rokkasho Mura wird nach Aussagen britischer Experten etwa auf 50kg Plutonium pro Jahr geschätzt - genug Stoff für etwa sechs bis acht Atomwaffen.

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greenpeace 11.09.2007 

AKW Krümmel - so sicher wie die Titanic

Im AKW Krümmel sind weitere Risse an Armaturen entdeckt worden. Die Kieler Atombehörde sei informiert, so die lapidare Meldung des Betreibers Vattenfall. Tatsächlich sind Risse in Krümmel ein altbekanntes und wiederkehrendes Problem. Ungefährlich sind sie in keinem Fall. Kleine Fehler, große Wirkung.

Zur Geschichte: Im August und September 1993 wurden bei einer planmäßigen Revision 72 Risse im AKW Krümmel entdeckt - zum Teil in wichtigen Bereichen wie dem Speisewassersystem und der Reaktorreinigung. Die Kieler Behörde für Reaktorsicherheit stufte diese Risse damals als gefährlich ein, weil sie während des laufenden Betriebs entstanden sein mussten.

Über ein Jahr lang, vom 14. August 1993 bis 7. Oktober 1994 stand der Reaktor still. Umfassende Prüfungen und Reparaturen wurden durchgeführt. Vier Jahre später, im Juli 1998, stellten die Prüfer erneut Risse im Speisewassersystem fest. Es wurde repariert und nachgebessert. Und jetzt also wieder: Risse an verschiedenen Bauteilen - an Rohrleitungen, an Armaturen. Darunter auch in Bereichen, die als nicht sicherheitsrelevant eingestuft werden. Doch die Gesamtheit macht's.

"Ein Atomkraftwerk ist eine hochkomplexe Anlage. Auch Mängel an Bauteilen, die keine Auswirkungen auf den nuklearen Bereich haben dürften, können genau dort unvorhergesehene Folgen haben," sagt Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital. "Ein Beispiel dafür ist der Transformatorbrand in Krümmel Ende Juni. Er hätte sich nicht auf den Reaktordruckbehälter auswirken dürfen. Trotzdem ist dort in unmittelbarer Folge der Wasserstand gesunken."

Die AKW-Betreiber berufen sich auf die mehrfach ausgelegten Sicherheitssysteme in ihren AKW. Versage eines, so greife das andere, heißt es. Der angebliche Beweis: Es hat doch bisher immer funktioniert. Diese Einstellung ist gefährlich.

Smital: "Die Ingenieure der Titanic waren felsenfest überzeugt, ein unsinkbares Schiff entworfen zu haben. Das Ende kennen wir. Ein Unfall in einem Atomkraftwerk hätte noch ungleich schlimmere Folgen. Die einzige Konsequenz für Krümmel wie für die anderen AKW heißt abschalten."

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Financial Times Deutschland, 11.9.07

Merkel will Atom-Know-How halten

von Peter Ehrlich (Berlin) und Thomas Fromm (München)

Trotz des Atomausstiegs: Bundeskanzlerin Angel Merkel (CDU) will, dass Siemens an der Nuklearsparte des französischen Areva-Konzern beteiligt bleibt. Vom französischen Präsidenten bekam Merkel dazu aber keine Zusage.

Merkel (CDU) will trotz des beschlossenen Atomausstiegs die deutsche Kompetenz für den Bau und Betrieb von Atomkraftwerken erhalten. Sie setzte sich am Montag beim französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy dafür ein, dass Siemens auf Dauer an der Atomkraftsparte des französischen Konzerns Areva beteiligt bleibt. "Wir würden es gerne sehen, wenn die Kooperation fortgeführt werden könnte", sagte Merkel während eines Treffens mit Sarkozy im Regierungsgästehaus Meseberg

Der Atomausstieg ist zwischen Union und SPD umstritten, gilt in der Großen Koalition aber als unantastbar. Führende Unionspolitiker, darunter Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) und Fraktionschef Volker Kauder (CDU) machen allerdings keinen Hehl daraus, dass sie bei der Bundestagswahl 2009 auf eine Mehrheit hoffen, mit der der unter Rot-Grün beschlossene Ausstieg wieder rückgängig gemacht werden kann.

Mit ihrem Einsatz für Siemens macht Merkel auch Druck auf Sarkozy, dem nachgesagt wird, er wolle Siemens aus dem französischen Areva-Konzern herausdrängen, der sich zu fast 90 Prozent in Staatsbesitz befindet. Die Kanzlerin unterstreicht auch ihren Anspruch, aktiv Industriepolitik im deutschen Interesse zu betreiben.

Merkel sagte, Siemens verfüge über großes Know-how. Sarkozy sei "jemand, der ganz stark versuchen wird, die deutschen und die französischen Projekte wo immer möglich zu halten". In der Vergangenheit hatte Sarkozy als Wirtschaftsminister allerdings dafür gesorgt, dass Unternehmen französisch blieben oder wie Sanofi-Aventis französisch wurden.

Sarkozy nahm Merkels Vorstoß zur Kenntnis, machte bei dem Treffen aber keine Zusagen. Vor der Presse sagte er nur allgemein, Frankreich sei bereit, bei Atom und Energie mit anderen Konzernen zusammenzuarbeiten.

Er legte Deutschland nahe, auf den französischen Pro-Atom-Kurs einzuschwenken. Den Energiemix in Europa unter Einschluss der Atomkraft werde er zum Thema der französischen EU-Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2008 machen. "Atomenergie ist die Energie der Zukunft", sagte Sarkozy. Sie müsse genauso wie erneuerbare Energien gefördert werden.

Teil eines sinnvollen Energiemixes?

Siemens möchte seinen 34-Prozent-Anteil an der Atomkraftsparte Areva NP gern behalten. Das vor sechs Jahren gegründete Gemeinschaftsunternehmen bietet Siemens die Möglichkeit, weiterhin in die globalen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten des Konsortiums eingebunden zu sein. "Bei Siemens ist man der Meinung, dass die Kernenergie zu einem sinnvollen Energiemix dazugehört", hieß es aus dem Konzern.

Siemens fürchtet aber, dass die Franzosen 2009 eine vereinbarte Option ziehen und den Siemens-Anteil zum Jahresbeginn 2012 übernehmen. Der Wert wird auf rund 3 Mrd.Euro geschätzt.

Dass sich Siemens im Jahr 2001 auf diese Konstruktion einließ, hatte gute Gründe: Damals glaubte man nicht an eine Renaissance der Atomenergie. Gleichzeitig belasteten Imageprobleme Siemens. Vor allem bei Hauptversammlungen entlud sich die Kritik vieler Aktionäre, die einen Ausstieg aus der Atomforschung forderten. Inzwischen boomt der Markt, und Areva ist mit einem Weltmarktanteil von 25 Prozent führend bei Entwicklung, Bau und Wartung von Kernreaktoren und der Versorgung mit Brennelementen.

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ddp 09.09.2007

Morsleben: Beton gegen Risse im Salzstock

Atommüll im Endlager Morsleben könnte ab 2011 für immer im Berg verschlossen werden

Die innerdeutsche Grenze habe einst eine «magische Anziehungskraft» auf die Endlagerung von Atommüll ausgeübt, sagt der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König. Er zeigt auf eine Karte mit den Endlagerprojekten in Deutschland. Ziemlich dicht beieinander liegen da auf niedersächsischer Seite die Standorte Gorleben sowie Asse und Schacht Konrad bei Salzgitter und Morsleben in Sachsen-Anhalt.

Das Endlager Morsleben, mit insgesamt 36 750 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktiven Abfällen aus der früheren DDR und der Bundesrepublik gefüllt, könnte das bundesweit erste werden, in dem strahlende Hinterlassenschaften aus Energiewirtschaft und Forschung für die Ewigkeit verschlossen werden. Bis es mit der Verabschiedung des dazu erforderlichen Planfeststellungsbeschlusses zur Stilllegung des Endlagers jedoch soweit ist, fließt noch jede Menge Beton in den vom jahrzehntelangen Salzbergbau ausgehöhlten Berg.

Etwa 600 Kubikmeter Salzbeton (30 LKW-Ladungen) seien es derzeit täglich, sagt König. Damit solle zunächst die Standsicherheit des Bergwerks gewährleistet werden. Es müsse nämlich verhindert werden, dass sich in dem arbeitenden Berg Risse bildeten, durch die Wasser eindringen könne und so schließlich Radionuklide wieder an die Oberfläche gelangten. Wasserzutritt in einem Salzberg «wäre der GAU», sagt König. Messungen belegten aber, dass das Verfüllungsverfahren erfolgversprechend ist.

Oberirdisch, nur wenige Kilometer vom früheren Grenzübergang Helmstedt entfernt, karren Lkw Zement, Salz und Steinkohlenfilterasche zu einer Mischstation. Über Rohrleitungen gelangt die Masse in Tiefen von 300 bis 400 Meter. Bis 2010 sollen 24 ausgewählte Abbaukammern, in denen kein Atommüll lagert, mit insgesamt 792 000 Kubikmeter (> 40 000 LKW) Hohlraumvolumen mit dem Gemisch gefüllt sein. In manche der Kammern würde locker ein vierstöckiges Haus hineinpassen. Seit 2003 seien bereits 104 Millionen Euro für das Stabilisierungsvorhaben ausgegeben worden, 150 Millionen Euro seien insgesamt dafür veranschlagt, sagt König.

«Wir wollen zunächst auch Zeit erkaufen, um alle Fragen im Zusammenhang mit der Endlagerung zu klären», sagt der BfS-Präsident. Die Bürger hätten schließlich einen «Anspruch auf Sicherheit». Seine Behörde bewerte die Salzbetonverfüllung aber als eine vertretbare Methode.

Sollte etwa 2011 der Weg zur endgültigen Stilllegung des Morslebener Endlagers frei sein, würden in den folgenden 15 Jahren etwa drei Viertel des weit verzweigten Stollennetzes auf diese Weise mit dem Salzbeton aufgefüllt werden, um eine noch höhere Sicherheit zu erreichen, sagt König. Dann würden auch die Kammern, in denen radioaktiver Müll lagert, so zugegossen, dass zwischen Beton und Salzgebirge kein Spalt mehr bleibt.

Von da an gebe es nicht mehr die Möglichkeit, die eingelagerten Atommüllfässer zurückzuholen und woanders zu lagern. Ziel sei es, das Endlager auf Dauer überwachungsfrei zurückzugeben, ohne dass künftige Generationen in der Pflicht wären, ständige Überprüfungen vornehmen zu müssen, erläutert König.

Theoretisch ließe sich der Müll derzeit noch aus dem Berg schaffen, sagt er. Der lagert beispielsweise im Ostfeld der Grube 506 Meter tief in einer Kammer von 60 Meter Länge, 25 Meter Breite und 32 Meter Höhe. Sichtbar sind drei Schichten übereinandergestapelter gelber Fässer. Von einer Salzschicht bedeckt, befinden sich weitere sechs Schichten darunter. An anderer Stelle wurde Atommüll zu DDR-Zeiten gar flüssig in jetzt verschlossene Kammern verstürzt.

Mehr Müll komme jedenfalls nicht mehr ins Endlager, denn seit 1998 bestehe ein Einlagerungsstopp, sagt König. Und die Genehmigung für die Einlagerung sei «unwiderruflich» zurückgegeben worden. Von der Option einer Wiederauslagerung hält er wenig. Das bringe erneute Belastungen für Mensch und Umwelt mit sich. Ohnehin werde man das Bergwerk nicht mehr völlig kontaminationsfrei bekommen, sagt er.

Heute würde man bei der Atommüllentsorgung sicher andere Wege beschreiten, sagt König. Man müsse aber eine Lösung für eine vorgefundene Situation finden. Morsleben zeige, wie wichtig es sei, mit breiter Bürgerbeteiligung Antworten auf die ungeklärte Frage der Endlagerung hoch radioaktiver Stoffe zu finden.

In Morsleben, sagt König, «machen wir wichtige Erfahrungen». Die dürften gerade angesichts des vergleichbaren Endlagerprojekts in der unweit gelegenen niedersächsischen Schachtanlage Asse, die derzeit täglich mit 12 000 Liter Wasser vollläuft und damit geradezu «absäuft», von Experten, Atomkraftgegnern und Anwohnern mit Interesse zur Kenntnis genommen werden.

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FR-online.de 05.09.2007

Merkel stoppt Gabriel

Kanzlerin im FR-Interview: Alte AKW sicher

VON RICHARD MENG UND VERA GASEROW

Berlin. In der Bundesregierung gibt es einen tiefen Dissens über die Sicherheit der älteren Atomkraftwerke. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geht in einem Interview der Frankfurter Rundschau klar auf Distanz zu der Forderung von Minister Sigmar Gabriel (SPD), die sieben ältesten Meiler bald stillzulegen. Sie sieht dafür keine Rechtsgrundlage und bestreitet, dass ältere Kraftwerke "per se unsicherer" seien. Für alte und neue Meiler gebe es dieselben gesetzlichen Sicherheitsanforderungen.

Gabriel dagegen weist in einem von der FR dokumentierten Text alle Einwände gegen seine Argumentation zurück. Jüngere Atomkraftwerke besäßen "grundsätzlich ein sicherheitstechnisches Grundkonzept mit höheren Sicherheitsreserven". Diese Auffassung werde "von der Fachwelt ganz allgemein geteilt".

Kollisionskurs beim Klima

Die Kanzlerin kündigt in dem Interview an, die Regierung werde beim Klimaschutz "im Einzelfall" auch den Konflikt mit der Wirtschaft nicht scheuen. Das Bundeskabinett habe die Aufgabe, "die gesamtgesellschaftlichen Interessen auszugleichen", und sei nicht die "Regierung einer Gruppe". Allerdings setze sie zunächst auf Unterstützung und Ermutigung der Wirtschaft. Auch würden in die geplante Kosten-Nutzen-Analyse einzelner Klimaschutzmaßnahmen neben der CO2-Reduzierung Faktoren wie Arbeitsplatzwirkung und Exportchancen einbezogen. Merkel räumte ein, dass Klimaschutz zunächst auch ein Kostenfaktor sein könne und sich erst mittelfristig rechne. Sie verwies auf die Einführung des Katalysators, durch den die Autos teurer geworden seien. Aber das habe sich "eingespielt". Dem Umstellungsaufwand müsse man immer gegenüberstellen, "was es das Land kostet, nichts zu tun".

"Stilllegen ohne Engpässe"

Umweltminister Gabriel präzisierte unterdessen seine aus der CDU kritisierten Überlegungen zur vorzeitigen Stilllegung der sieben ältesten Reaktoren. In einem elfseitigen Positions-Papier rechnet er vor, dass Deutschland ohne Versorgungsengpässe und ohne "sichtbare Preiseffekte" auf die sieben Alt-AKWs verzichten könne. Eine Übertragung der freiwerden Reststrommengen auf die dann verbleibenden neun jüngeren Meiler brächte "eine fundamentale Sicherheitsverbesserung mit sich".

Für einen vorgezogenen Atomausstieg zur Minderung des nuklearen Risikos schlägt der Umweltminister zwei Szenarien vor: Szenario 1 sieht die sofortige Abschaltung der sieben Anlagen mit "veraltetem Reaktorkonzept" vor. Das würde die Laufzeit der übrigen Atommeiler um rund 20 Monate auf jeweils circa 34 Betriebsjahre verlängern. Würden die sieben Altanlagen nicht sofort, sondern bis zum Herbst 2009 stillgelegt, dem voraussichtlichen Termin der nächsten Bundestagswahl, würde das Aus für die jüngeren AKWs im Gegenzug um jeweils zehn Monate verzögert, rechnet das Szenario 2 vor.

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FR-online.de 04.09.2007

Die Hitliste der AKW-Pannen

VON VERA GASEROW

Mit seiner Forderung, die sieben ältesten deutschen Atommeiler sollten vorzeitig vom Netz, hat Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) den erwarteten Widerspruch bei Atomlobby und Union provoziert. CDU und CSU machen sich dabei jetzt die Argumentation der Stromkonzerne zu eigen, nicht das Alter eines Atommeilers sei entscheidend für dessen Abschaltdatum, sondern allein dessen Sicherheit. Damit jedoch begibt sich Union auf dünnes Eis.

Denn ein Blick auf die aktuelle Störfallstatistik deutscher AKW zeigt: Alter und Störanfälligkeit der Meiler sind tatsächlich zwei Seiten derselben Medaille. Die sieben dienstältesten Kraftwerke, die Gabriel gern ausknipsen würde, sind mit Abstand diejenigen mit den meisten Pannen. Die Betreiber selbst haben sie als "meldepflichtige Ereignisse" der Atomaufsicht offiziell mitgeteilt.

Störfall-Spitzenreiter ist das 31 Jahre alte AKW Brunsbrüttel mit 113 meldepflichtigen Ereignissen innerhalb der vergangenen zehn Jahre, knapp gefolgt von den beiden ältesten Meilern Biblis B und A mit 112 respektive 99 Störungen. Gleich danach kommen die nur unwesentlich jüngeren AKW Unterweser (91), Philippsburg I (75) und Neckarwestheim (63). Alter und Störfallanfälligkeit haben also eine fast spiegelbildliche Entsprechung. Nur einen Ausreißer hat die Statistik: den Skandalmeiler Krümmel. Der liegt mit 101 Vorkommnissen seit 1997 ganz vorn im Störfall-Register, obwohl der Meiler mit Baujahr 1983 eigentlich nicht zu den Methusalems zählt. Doch auch dieser Ausreißer passt durchaus ins Gesetz der Serie "alt gleich störanfällig", denn Krümmel ist nur eine leicht modernisierte Variante der Reaktor-Oldies und galt schon bei seiner Inbetriebnahme als veraltet.

Aber die offizielle Statistik zeigt nicht nur, dass ältere Reaktor-Bautypen u nsicherer sind. Die Atommeiler werden offenbar auch im Laufe des Betriebs pannenanfälliger. So ereigneten sich von den 113 Störfällen in Brunsbüttel 99 in den vergangenen fünf Jahren. Verstärkt wird die Altersschwäche noch durch einen weiteren Risikofaktor: Die meisten AKW-Oldies sind gar nicht oder weniger gegen Terrorangriffe aus der Luft gewappnet als jüngere Reaktoren.

Die "Älter-gleich-unsicherer"-Gleichung hatten sogar die Energiemanager selbst akzeptiert, als sie im Atomkonsens die Zeitfolge der Abschalttermine ihrer Meiler nach Betriebsdauer unterzeichneten. Mit ihren Anträgen auf Laufzeitverlängerung für die drei ältesten AKW haben sie dieses Einverständnis aber aufgekündigt. Sie wollen die Frage, ob alte Reaktoren unsicherer sind als jüngere, nun von Gerichten entscheiden lassen und nicht von der Politik. Die Pannenserien in Brunsbüttel und Krümmel haben die Aktien für erfolgreiche Klagen jedoch nicht gerade steigen lassen.

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ap 1.9.2007

Umweltminister will Restlaufzeiten auf neuere Kernkraftwerke übertragen

Grüne begrüßen Gabriels Vorstoß bei Atomkraftwerken

Berlin (AP) Der Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer hat den Plan von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel begrüßt, die Reststrommengen älterer Atomkraftwerke auf jüngere zu übertragen und damit die sieben ältesten Kernkraftwerke umgehend abzuschalten. «Der Vorstoß von Minister Gabriel trifft genau den Punkt», erklärte Bütikofer am Samstag in Berlin. «Es ist gut, dass er sich zu dieser Initiative hat überzeugen lassen.

Die ältesten Reaktoren beschleunigt abzuschalten, sei eine im Atomausstiegsgesetz vorgesehene Lösung, erklärte Bütikofer. «Auch jüngere Reaktoren sind gefährlich, aber bei den ältesten häufen sich die Probleme in besonderer Weise.» Eine Frage bleibe bei Gabriels Vorgehen allerdings offen, sagte der Grünen-Politiker. «Welchen Druck wird er gegenüber den Atomkonzernen zum Tragen bringen, wenn diese sich, wie zu erwarten steht, besserer Einsicht aus rücksichtslosem Gewinnstreben verweigern

Nach den Störfällen in den Kernkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel hatte Gabriel die Atomwirtschaft aufgefordert, die sieben ältesten Reaktoren in Deutschland umgehend abzuschalten. Im Gegenzug könnten modernere Atomkraftwerke wie Isar 2 bei Landshut oder Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg länger laufen als bislang geplant, sagte der SPD-Politiker der «Süddeutschen Zeitung».

Nach den Überlegungen des Umweltministers wären dann 2009 nur noch zehn Kernkraftwerke in Betrieb, der letzte Meiler ginge jedoch rechnerisch erst 2023 vom Netz. «Damit ließe sich das nukleare Gesamtrisiko erheblich senken», betonte Gabriel. Nach Berechnungen des Ministeriums müssten fünf Prozent der gesamten Reststrommenge von alten auf neue Reaktoren geschoben werden. Betroffen wären davon die hessischen Reaktoren Biblis A und B, das Vattenfall-Kraftwerk Brunsbüttel, Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 in Baden-Württemberg sowie Unterweser in Niedersachsen. Das Kraftwerk Isar 1 könnte demnach im Juni 2009 außer Betrieb gehen.

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