Presseauswahl ab Juni 2007

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Verivox 30.06.2007

Internationaler Uranhexafluorid-Tourismus durch Deutschland

Gerhard Piper

Seit Jahren fahren geheime Atomzüge Tonnen von Uranhexafluorid durch Deutschland. Von der Öffentlichkeit bisher übersehen, rührt sich nun in den Städten und Gemeinden entlang der Bahnlinien ängstlicher Protest

Während die halbjährlichen Castor-Transporte vom französischen La Hague nach Gorleben seit Jahren eine massenhafte Protestbewegung aufschrecken, hat sich für die geheimen Atomtransporte vom französischen Pierrelatte zur deutschen Urananreicherungsanlage in Gronau bisher kaum jemand interessiert. Der Atommüll aus abgebrannten Brennelementen scheint die Leute offensichtlich eher zu erregen als der Transport von Uranhexafluorid, aus dem neue Brennstäbe gefertigt werden. Anti-Atominitiativen im Ruhrgebiet und Münsterland wollen nun die Protestaktionen ausweiten. 

Der Zeitpunkt für Proteste scheint günstig. Zwar fahren die Uranhexafluorid-Züge seit Jahren alle zwei Wochen unbemerkt durch Westdeutschland, aber im Dezember 2006 stoppten offensichtlich die Transporte. Wenn es nach den Bürgerinitiativen geht, soll es bei diesem Stopp bleiben; aber zu befürchten ist das Gegenteil: Die Urananreicherungsanlage in Gronau wird z. Zt. ausgebaut; sie soll zukünftig zweieinhalb Mal so groß sein wie bisher. Dann würde auch die Zahl der Eisenbahntransporte entsprechend zunehmen.

Die verbleibende Zeit wird von den Atomgegnern genutzt. Entlang der Fahrstrecke haben sich verschiedene Umweltschutz- und Anti-Atomgruppen gegen die Urantransporte formiert. In Frankreich schlossen sich landesweit rund 700 Anti-Atomgruppen zum Bündis Réseau Sortir du Nucléaire zusammen. Auf deutscher Seite sind u.a. folgende Initiativen aktiv: Anti-Atomgruppe Stop Bure (Trier), Initiative für Atomausstieg (Trier), Greenpeace (Bonn), Bund für Umwelt- und Naturschutz (Bonn), Gruppe Menschen gegen Atomanlagen (Lünen), Bürgerinitiative Umweltschutz (Hamm), Gruppe für den sofortigen Atomausstieg (Münster), Bürgerinitiative "Kein Atommüll" (Ahaus) und schließlich der Arbeitskreis Umwelt in Gronau.

Gruppen aus beiden Ländern haben auf einer gemeinsamen Demonstration am Grenzübergang Perl am 14. Mai 2007 beschlossen, ein bilaterales Beobachtungsnetzwerk aufzubauen, um &endash; ähnlich wie bei den Castor-Transporten &endash; entlang der gesamten Wegstrecke Mahnwachen und Blockaden zu initiieren. In bewegungspolitisch strukturschwachen Gebieten (Rheinland-Pfalz, Bremen etc.) werden noch Leute gesucht, die sich mit Atomtransporten auskennen und ihre Augen offen halten. Die einzelnen Informationen werden dann zu einem gemeinsamen Puzzle zusammengetragen, so dass allmählich ein Gesamtbild der Uranhexafluorid-Transporte entsteht. So setzen die Umwelt- und Anti-Atomgruppen gegen die Atompolitik der Bundesregierung, die angeblich vorrangig die Wirtschaftsinteressen der Stromkonzerne im Visier hat, auf einen "Überwachungsstaat von unten":  

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spiegel-online 28.06.2007

KRÜMMEL UND BRUNSBÜTTEL

Feuer und Kurzschluss - Atomkraftwerke abgeschaltet

In Schleswig-Holstein mussten gleich zwei Atomkraftwerke nach Störfällen heruntergefahren werden. Auf dem Gelände des Kraftwerks Krümmel brach ein Feuer aus, in Brunsbüttel gab es einen Kurzschluss. Die Debatte über Gefahren der Atomkraft ist neu entfacht.

Hamburg - Per Schnellabschaltung wurden beide Atommeiler heruntergefahren. Nur vorsorglich, wie das zuständige Kieler Gesundheitsministerium anschließend mitteilte. "Niemand wurde verletzt, es gab keine Gefahr für die Umwelt", versicherte Ministeriumssprecher Oliver Breuer.

Laut dem AKW-Betreiber Vattenfall lief der Problem-Nachmittag so ab: Um 13.10 kam es in Brunsbüttel zu einem Kurzschluss am Umspannwerk, wo der Strom aus dem Kraftwerk in das Netz übergeben wird. Daraufhin wurde die Schnellabschaltung eingeleitet. In Hamburg kam es zu kurzen Stromausfällen.

Nicht mal zwei Stunden später, um 15.02, kam es dann laut Vattenfall in Krümmel zu einem weiteren Kurzschluss in einem Transformator, der dann zu dem Brand führte. Wieder gab es Stromausfälle in Hamburg: 750 Ampeln fielen aus, die U-Bahnen hatten kurzfristig keinen Strom. Nach Angaben der Deutschen Bahn kam es zu Ausfällen von Stellwerken und Signalanlagen und infolgedessen zu Verspätungen auch im Regional- und Fernverkehr.

Kurz vor 17 Uhr teilte ein Vertreter der Feuerwehr in Geesthacht mit, der Brand sei gelöscht. Ein Feuerwehr-Mitarbeiter vor Ort sagte zu SPIEGEL ONLINE, dass etwa 100 Feuerwehrleute den Brand bekämpft hätten. Die Arbeiten seien schwierig gewesen: "Das ist kein kleines Trafohäuschen am Straßenrand, sondern eine riesige Anlage." Vermutlich hätten im Innern große Mengen Öl Feuer gefangen. Vattenfall erklärte gegenüber SPIEGEL ONLINE: "Die Ursache des Feuers ist bislang unklar." Laut Polizei in Ratzeburg hat keine Gefahr für den Nuklearbereich des Atomkraftwerks bestanden. Eine Messung der Umweltschutzorganisation Greenpeace hat keine erhöhte Radioaktivität in der Umgebung ergeben.

Riesige schwarze Rauchwolken hüllten das Atomkraftwerk ein. Einem Mitarbeiter zufolge lag das daran, dass sich Öl und Isolationsmaterial entzündet hätten. Über die Trafostation wird der Atomstrom in das Netz eingespeist. Wann das Atomkraftwerk wieder ans Netz gehen kann, ist noch offen.

Das Atomkraftwerk wird von der Kernkraftwerk Krümmel GmbH betrieben, die jeweils zur Hälfte Vattenfall Europe und E.on Kernkraft gehört. E.on Kernkraft verwies gegenüber SPIEGEL ONLINE darauf, dass die "Betriebsführung" für das KKW Krümmel bei Vattenfall liege und wollte deshalb keine Angaben machen.

Krümmel an der Spitze der deutschen Pannen-Statistik

Das Kernkraftwerk Krümmel liegt etwa 30 Kilometer südöstlich von Hamburg an der Elbe im Ortsteil Krümmel der Stadt Geesthacht in Schleswig-Holstein. Nach knapp zehn Jahren Bauzeit erfolgte am 14. September 1983 die erste kontrollierte Kernspaltung. Der Siedewasserreaktor mit einer Nettoleistung von 1346 Megawatt produziert jährlich 10,5 Milliarden Kilowattstunden Strom und liefert damit laut Vattenfall etwa 30 Prozent der insgesamt in Schleswig-Holstein erzeugten Strommenge.

Nach dem Jahresbericht des Bundesumweltministeriums hat es im vergangenen Jahr 15 "meldepflichtige Ereignisse" im Kernkraftwerk Krümmel gegeben. Damit liegt Krümmel bundesweit an der Spitze (mehr...). Meldepflichtig sind auch schon kleine Zwischenfälle wie der zeitweilige Ausfall von Pumpen oder Stromsystemen. Immer wieder wurde über einen möglichen Zusammenhang zwischen der Radioaktivität und der in der Umgebung von Geesthacht festgestellten Häufung von Leukämie-Erkrankungen diskutiert.

Bütikofer fordert "sofortige und umfassende Aufklärung"

Grünen-Chef Reinhard Bütikofer forderte eine "sofortige und umfassende Aufklärung" des Brandes. "Der Vorfall darf nicht heruntergespielt werden", sagte er in Berlin und fügte hinzu: "Die Atomlobby erzählt uns jeden Tag, die Gefahr der Atomkraft habe sich erledigt. Die Tatsachen widerlegen diese Propaganda."

Die Sicherheit deutscher Atomkraftwerke war zuletzt im vergangenen Sommer kontrovers diskutiert worden. Vorausgegangen war ein schwerwiegender Störfall am 25. Juli im schwedischen Atomkraftwerk Forsmark (mehr...). Nach einem Blitzschlag in eine Hochspannungsleitung war es dort zu einem Kurzschluss gekommen, nur zwei der vier Notstromaggregate des Kraftwerks waren angesprungen. Die schwedische Atomaufsicht hatte den Vorfall als sehr ernst eingestuft.

Die deutschen AKW-Betreiber hatten daraufhin erklärt, ein Störfall wie in Forsmark sei hierzulande ausgeschlossen. Kernkraftgegner hatten dies jedoch in Frage gestellt. Der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König, erklärte, die Betreiber leisteten ihrem eigenen Anliegen einen Bärendienst (mehr...), wenn sie nach dem gravierenden Störfall reflexartig Entwarnung gäben.

mbe/AP/dpa

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dpa, 22.6.07

Gabriel lehnt Laufzeitverlängerung für AKW Brunsbüttel ab

Berlin/Brunsbüttel - Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) zeigt der Atomindustrie die kalte Schulter: Er will die vom Stromkonzern Vattenfall beantragte Laufzeitverlängerung für das Atomkraftwerk Brunsbüttel (Kreis Dithmarschen) ablehnen. Der Minister beabsichtige, die vom Versorger Vattenfall im März beantragte Übertragung von Strommengen des stillgelegten Atomkraftwerks Mülheim- Kärlich auf den 30 Jahre alten Atommeiler Brunsbüttel (Kreis Dithmarschen) nicht zu genehmigen, teilte das Umweltministerium in Berlin am Freitag mit.

Bereits im Mai wies Gabriel einen vergleichbaren Antrag von RWE für das AKW Biblis A endgültig zurück. Noch nicht entschieden ist der Vorstoß von EnBW für den Meiler Neckarwestheim I. Schleswig-Holsteins Sozialminister Gitta Trauernicht (SPD) begrüßte die Ankündigung, ihr CDU-Kabinettskollege, Verkehrsminister Dietrich Austermann, glaubt, dagegen nicht, dass die Entscheidung aufrechterhalten bleibt.

Nach Angaben des Ministeriums ist Vattenfall ein Ablehnungsbescheid zugestellt worden. Der Versorger ließ in einem ersten Statement verlauten, sein Antrag entspreche der Rechtslage. "Eine Ablehnung wäre rechtswidrig." Das schwedische Unternehmen, im deutschen Strommarkt hinter E.ON, RWE und EnBW die Nummer vier, hat jetzt vier Wochen Zeit für eine Stellungnahme. Danach entscheidet Gabriel endgültig. Formal gibt es auch noch einen Hilfsantrag von Vattenfall. Danach soll eine Strommenge vom jüngeren Atomkraftwerk Krümmel auf Brunsbüttel übertragen werden. Der Minister beruft sich bei seiner Ablehnung auf den vor sieben Jahren im Atomgesetz mit der Branche vereinbarten Ausstieg aus der Kernenergie bis 2020/2022.

Dem Atomkonsens zufolge dürfen Strommengen von Mülheim-Kärlich nur auf bestimmte, im Gesetz aufgeführte Anlagen übertragen werden. Brunsbüttel gehöre nicht dazu: Eine Genehmigung des Vattenfall- Antrags wäre rechtswidrig und "kann deshalb nicht erteilt werden", sagte Gabriel. Die "Interpretationsversuche" von Vattenfall mit Hilfe eines Rechtsgutachtens hätten nicht überzeugt. SPD und Union haben sich in ihrem Koalitionsvertrag zum Atomkonsens bekannt. Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) und die Stromkonzerne fordern aber eine längere Nutzung der Kernenergie. Anders seien die ehrgeizigen deutschen Klimaschutzziele nicht erreichbar, argumentieren sie.

Die für die Reaktorsicherheit in Schleswig-Holstein zuständige Sozialministerin Trauernicht begrüßte die Entscheidung des Bundesumweltministers. Dabei unterstrich sie erneut, dass das Kernkraftwerk Brunsbüttel als ältestes und anfälligstes in Schleswig- Holstein nicht länger am Netz bleiben sollte, als im Atomkonsens vereinbart. "Brunsbüttel war von seinen 30 Jahren Betriebsdauer zehn Jahre wegen teilweise gravierender technischer Probleme nicht am Netz; für eine Verlängerung der Laufzeit ist es in keiner Weise geeignet", sagte die Ministerin.

Austermann rechnet dagegen mit einem Erfolg Vattenfalls: "Ich gehe davon aus, dass Vattenfall Rechtsmittel einlegen und es somit nicht zu einer endgültigen Absage Gabriels kommen wird. Dies halte ich aus ökologischen und ökonomischen sowie im Hinblick auf die betroffenen 1000 Arbeitsplätze auch für unbedingt erforderlich."

Schleswig-Holstein würde zudem auf absehbare Zeit viele Millionen Euro an Steuereinnahmen verlieren, sagte der CDU-Politiker. "Ich vermisse zudem die Einbettung der Energiepolitik Gabriels in ein Gesamtkonzept, das Klimaentwicklung und Energieversorgung gleichermaßen berücksichtigt. Wir im schleswig-holsteinischen Wirtschaftsministerium werden dagegen am Montag in einem Energie- Grünbuch unsere Alternative für eine zukunftsweisende Energiepolitik vorlegen."

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Sonnenseite, 21.6.07

Ökostrom bald nicht mehr teurer

Umweltorganisationen, Verbraucherschutzverbände und Anti-Atomkraftinitiativen rufen Verbraucherinnen und Verbraucher dazu auf, zum 1. Juli ihren Stromversorger zu wechseln.

Die im Aktionsbündnis "Atomausstieg selber machen" zusammengeschlossenen Organisationen reagieren damit auf die Ankündigung von etwa 100 traditionellen Stromversorgern, ihre Preise zur Jahresmitte zum Teil drastisch erhöhen zu wollen.

"Zeigen Sie den Konzernen und ihren Tochterunternehmen, die jetzt zum wiederholten Mal ohne plausible Begründung die Strompreise erhöhen, die rote Karte und wechseln Sie zum Ökostrom", heißt es in einer Erklärung des Aktionsbündnisses.

Die Teilnehmerverbände von "Atomausstieg selber machen" empfehlen den Wechsel zu den vier überregional tätigen und nicht mit den Atomkonzernen Eon, RWE, Vattenfall und EnBW verflochtenen Ökostromanbieter Naturstrom, Greenpeace energy, EWS Schönau und Lichtblick.

Da die Ökostromer im Gegensatz zur Konkurrenz keine Preiserhöhungen planen, steigt ihre Attraktivität. Bereits jetzt sei Ökostrom in vielen Regionen zum gleichen Preis oder sogar günstiger als herkömmlicher Strom zu haben.

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frankfurter Rundschau 20.06.2007

Dem Turnschuh entwachsen

VON JOACHIM WILLE

Am Anfang stand ein großes Nein. Genauer: ein badisches "Nai". "Nai hämmer gsait", schleuderten die Weinbauern vom Kaiserstuhl und ihre Unterstützer dem Stromkonzern Badenwerk entgegen, der in Wyhl am Rhein ein Atomkraftwerk bauen wollte. Es war 1977, die Hochzeit der Anti-AKW-Bewegung. In Wyhl hatten die Widerständler in einer Blockhütte eine "Volkshochschule" eingerichtet. Nur: Sie stellten fest, dass es fast keine Wissenschaftler gab, die "nicht von der Atommafia bezahlt waren".

Was tun? Man gründete das "Öko-Institut" - im selben Jahr im nahen Freiburg. Es sollte die Leerstelle bei der umweltorientierten Forschung ausfüllen. Auftrag: Argumente für die AKW-Gegner und Strukturen einer Energiepolitik "ohne Öl und Atom" entwickeln. 27 Leute starteten das Projekt mit dem Ziel, einen Gegenpol zur "Phalanx der Experten, die Verwaltung und Industrie beraten" zu bilden, so die Gründungserklärung. Sie kamen aus Kreisen der Anti-Wyhl-Anwälte, der evangelischen Kirche in Baden und der blassgrünen Südwest-SPD unter Erhard Eppler. Keiner von ihnen konnte damals ahnen, welche Erfolgsgeschichte sie anstießen.

Die grüne Wissenschaft begann mit zwei Angestellten in einer Mini-Souterrain-Wohnung, zwischen Ikea-Regalen, Schreibmaschinen und Papierstapeln. Heute, 30 Jahre später, hat das Institut drei Geschäftsstellen in Freiburg, Berlin und Darmstadt und zählt 100 Mitarbeiter.

Die "Energiewende"-Visionen der Freiburger Anfangszeit sind in wichtigen Teilen deutsche Regierungspolitik geworden - mit Atomausstieg, Windkraft-Boom, Biosprit-Förderung. Alte Anti-AKW-Kämpen aus dem Institut rückten zwischenzeitlich - unter Rot-Grün - an die Spitze der deutschen Atomgremien, etwa der Reaktorsicherheitskommission und der Gesellschaft für Reaktorsicherheit. Und selbst ein Konservativer wie der frühere Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie und Präsident der Leibniz-Wissenschaftsgemeinschaft, Hans-Olaf Henkel, attestierte dem Institut "solide und gute Arbeit". Will sagen: Am Öko-Institut kommt man kaum vorbei, wenn man zukunftsweisende, anwendungsorientierte Umwelt-Forschung sucht.

Die Phase, in der das Institut sich als integraler Teil der gesellschaftlichen Gegenmacht, einer "kritischen Wissenschaft" verstand, dauerte lange, fast 20 Jahre. Neben der Anti-Atom- "Energiewende" und der Funktion als erste Anlaufstelle für besorgte Bürger nach dem Super-Gau in Tschernobyl 1986 war es vor allem das Konfliktfeld Chemie, dass den "Turnschuhforschern" Profil gab. 1981 wiesen Wissenschaftler des Instituts in einer Studie nach, dass Muttermilch durch einen Cocktail von Umweltgiften belastet war. Das erregte Aufsehen. Es war die Zeit nach dem schweren Dioxin-Unfall in einer Pestizid-Fabrik im italienischen Seveso; der Slogan "Seveso ist überall" hatte die Bürger aufgerüttelt. Eine unheimliche Gift-Mischung nebelte die Industriegesellschaft ein: Ozonkiller aus der Spraydose, DDT auf dem Acker, Dioxine in Holzschutz-Mitteln und im Abgas von Müllverbrennungsanlagen.

Das Buch "Chemie im Haushalt", 1984 von den Freiburger Forschern veröffentlicht, offenbarte dann die Gefahren der von jedermann so selbstverständlich benutzten Chemikalien, von Chlorreinigern bis Phosphat-Waschmitteln. Es erreichte die Bestsellerliste des Spiegel. Noch erfolgreicher war der "Öko-Knigge" des Chemikers Rainer Grießhammer, der 1981 zum Institut stieß, heute Vize-Geschäftsführer ist und Mitglied in einem Umweltbeirat der Bundesregierung. Von der reinen zur praktischen, konstruktiven Kritik: Die Handreichung für den umweltbewussten Zeitgenossen (Verlagswerbung: "Macht Spaß und kein schlechtes Gewissen") war - mit 250 000 Stück Auflage - der erste richtige Öko-Bestseller in Deutschland.

Mitte der 90er Jahre kam dann der Einschnitt in der Geschichte des Instituts, der auch von Mitarbeitern und alten Mitstreitern sehr kritisch beäugt wu rde. Der damalige Weltkonzern Hoechst AG gab den grünen Forschern 1996 den Auftrag, Öko-Audits für Produktlinien zu machen. Ein Dammbruch. Man zählte plötzlich selbst zu den "Experten, die Verwaltung und Industrie beraten". In Freiburg hieß es: "Das alte Weltbild, in der Industrie sitzen nur Betonköpfe, ist überholt." Auf einer Jahrestagung des Instituts zum Thema "Unternehmen Nachhaltigkeit" tauchten auch Vertreter von BASF, Novartis, BP und Telekom auf. Die Kooperationen vertieften sich. Mit dem TV-Hersteller Loewe entwickelte das Institut einen "grünen Fernseher", mit dem weltgrößten Chemiekonzern BASF ein Öko-Effizienz-Programm.

Heute nutzen viele Firmen die vom Institut entwickelte Lebenszyklus-Analyse namens "Prosa", die neben den ökologischen auch die sozialen Auswirkungen von Produkten erfasst. "Bis 2010 werden wir nicht nur faire Bananen kaufen können, sondern auch faire Computer", ist man sich in Freiburg sicher. Ein "Nachhaltigkeitsinstitut" werden - mit interdisziplinärem Ansatz und mehr internationaler Ausrichtung - das ist ist das Ziel im neuen Jahrhundert.

Das 2003 gestartete, von der Bundesregierung mitfinanzierte Instituts-Großprojekt "Eco-Top-Ten" zeigt als praktisches Beispiel, wie da umgedacht werden muss. Ein Team durchforstete wichtige Produktgruppen wie Autos und Haushaltsgeräte, um "rundum gute Produkte" zu finden - Waren, bei denen Preis und Qualität stimmen, die aber auch umwelt- und sozialverträglich sind. Es zeigte sich: Die gibt es tatsächlich. Das Vorurteil, Ökoprodukte seien teuer und unpraktisch, stimmt nicht mehr. Öko-Strom zum Beispiel, ist manchmal schon billiger als Normalstrom. Die Eco-Top-Ten-Produktlisten wollen zeigen: Wer die richtigen Waren wählt, kann schon heute seinen CO2-Ausstoß um 40 Prozent reduzieren - ohne jeden Konsumverzicht. "Die Unternehmen haben die Lektion gelernt, jetzt sind die Konsumenten dran", so die Öko-Forscher.

"Die sitzen nicht im Elfenbeinturm", lobt der Alt-Ökologe, der Berliner Professor Udo Ernst Simonis das Institut zum Jubiläum, das am morgigen Freitag im "Historischen Kaufhaus" in Freiburg gefeiert wird. Das sei Umweltforschung mit gesellschaftlicher Verankerung. Ein anderer Umweltexperte der ersten Stunde, der Miterfinder der "Energiewende" und heutige Chef der Energieagentur des Bundes, Stephan Kohler, indes mischt etwas Wasser in den Wein. "Das Visionäre der Anfangszeit" fehlt ihm, und mehr klare Äußerungen zur "ja nicht geringer gewordenen" Gefahr der Atomkraft wünscht er sich auch. "Nai, hämmer gsait" eben.

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dpa 19.06.2007

Gabriel fordert Prüfung schärferer Grenzwerte für Strahlung

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hat angesichts neuer Erkenntnisse über Strahlung die Prüfung schärferer Grenzwerte gefordert. «Die Schutzstandards dürfen dem Wissensstand nicht hinterhinken», sagte er am Dienstag auf einer Konferenz zum Strahlenschutz im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in Berlin.

Strahlen wirkten möglicherweise stärker auf Menschen ein als angenommen. Wenn die bestehenden Schutzmechanismen nicht mehr auf aktuellem Wissen beruhten, «muss unverzüglich gehandelt werden».

Die Internationale Strahlenschutzkommission gab neue Empfehlungen ab, um auf aktuelle Studien zum radioaktiven Gas Radon zu reagieren. Als Zielwert für Neubauten gab sie eine Strahlung von höchstens 100 Becquerel pro Kubikmeter an. Zwischen 100 und 200 Becquerel pro Kubikmeter werden laut Ministerium bereits zusätzliche Krebserkrankungen beobachtet.

Radon in der Wohnungsluft trägt nach Ministeriumsangaben möglicherweise zu Leukämie von Kindern bei. «Es besteht dringender Handlungsbedarf, die Radonexpositionen zu senken», hieß es laut Ministerium in der Debatte der Wissenschaftler. Das radioaktive Edelgas kommt in Gesteinen und Böden in einigen Regionen Deutschlands vor und kann auch in Häuser gelangen.

Die Forscher hatten laut Ministerium zudem festgestellt, dass die Strahlenempfindlichkeit von Ungeborenen besonders hoch sei, die von Frauen scheine etwa doppelt so hoch wie die von Männern zu sein. Auch die Augenlinse sei empfindlicher als angenommen. Bei Kernkraftwerksarbeitern werde die Wirkung niedriger Strahlenbelastung unterschätzt. Bereits bei Dosen, die mit den geltenden Grenzwerten vereinbar seien, würden erhöhte Krebsraten beobachtet.

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taz 16.06.2007

AKW Grohnde: Reaktoren im Nebel

Im Sommer soll die weltweit erste Vernebelungsanlage von Atomkraftwerken in Grohnde in Betrieb gehen. Sie soll Meiler vor Terrorpiloten schützen. Grüne und Greenpeace kritisieren Schwächen

Ein Atomkraftwerk kann sich nicht bewegen. Weil das als quasi bombensicher gilt, grübeln Experten seit dem 11. September 2001 über einen Schutz für Meiler vor Terrorangriffen. An der französischen Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague sind Raketen installiert, die Deutschen gehen einen eigenen Weg: In diesem Sommer soll die weltweit erste Atomkraftwerk-Vernebelungsanlage am niedersächsischen AKW Grohnde bei Hameln in Betrieb gehen, ein Pilotprojekt für alle anderen Atomkraftwerke in Deutschland.

Binnen 40 Sekunden nach dem Auslösen eines Alarms soll der Meiler im Nebel verschwunden und damit unsichtbar sein. Außerdem werden Störsender installiert, die das Ortungssystem GPS ausschalten sollen. Grüne und Greenpeace halten das Konzept für zumindest nebulös.

"Wir stellen fest: Es gibt keinen Schutz für Atomkraftwerke in Niedersachsen", sagte der grüne Atomexperte Andreas Meihsies am Freitag in Hannover. Deshalb fordert er in einer Erklärung mit Grünen aus anderen Bundesländern die sofortige Stillegung von AKWs, die nur gegen Absturz von Sportflugzeugen oder Starfightern gesichert sind - wie Unterweser nördlich von Bremen. Beim Besuch in Grohnde hat Meihsies herausgefunden, dass die Störsender nicht arbeiten und die Nebelwerfer am AKW noch nicht einmal getestet worden sind.

"Ungewöhnlich" findet das Thomas Breuer von Greenpeace. Er zweifelt, ob genug Zeit vorhanden ist, um Alarm auszulösen. Die nächsten Abfangjäger, die eine gekaperte Maschine vor einem kontrollierten Absturz abdrängen könnten - einen Abschuss hat das Bundesverfassungsgericht verboten - sind 180 Kilometer entfernt stationiert. Sie benötigen 15 Minuten, um das AKW zu erreichen.

Zu lange, meint Breuer, da erst beim unbefugten Eindringen der Maschine in einen Radius von 20 Kilometern um das AKW Terrorgefahr vermutet wird. Auch, dass die Störsender alle Flughäfen im Umkreis lahmlegen dürften, kritisiert Breuer. Extremisten würden das Konzept einfach umgehen. "Sie werden Blindflüge trainieren, Wärmebildkameras benutzen oder einfach die Kühltürme anfliegen", sagt Thomas Breuer.

Das diese nicht vernebelt werden, bestätigt das für die Genehmigung der Anlagen zuständige Umweltministerium. Allerdings schütze die Nebelwand nicht nur die besonders anfällige Reaktorkuppel, sondern auch den 150 Meter hohen Abluftkamin, betont Sprecherin Jutta Kremer-Heye. Und: "Die Vernebelung ist nur ein kleiner Baustein im Sicherheitssystem für die Meiler." Fachleute hielten es nicht nur für "nahezu unmöglich", dass ein Pilot den besonders sensiblen Punkt an der Kuppelspitze eines vernebelten AKWs in einem speziellen Anflugwinkel träfe. Sie betont auch, dass die Nebelmaschinen bereits auf Truppenübungsplätzen getestet wurden. Das reiche.

Der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell sieht das anders. Am kommenden Mittwoch wird im Umweltausschuss sein Antrag zum Thema "getarnte AKWs" beraten. Fell: "Wir vermissen eine Strategie zum Schutz der Bürger."

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Westfälische Nachrichten 16.06.2007

 

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Merkur online, 15.6.07

Unfälle in Kernkraftwerken

Im AKW Windscale (GB) gibt es 1957 bei zwei Unfällen über 1000 Tote . Folge: Der Name des AKW wird in Sellafield geändert um das Bewusstsein der Menschen zu manipulieren. Heute werden dort deutsche Brennstäbe aufbereitet. Im gleichen Jahr werden in Kyschtym (Russland) bei einem Unfall 450 000 Menschen verstrahlt .

1961 sterben 3 Techniker in Idaho beim Putzen der Reaktoren. Ihre Leichen müssen in Bleisärgen in Beton eingegossen werden.

1986 brennt es in der Kernforschungsanlage Geesthacht, Plutoniumkügelchen werden freigesetzt. Wozu diese entwickelt wurden wird verheimlich, Untersuchungen behindert. Der Unfall löst die weltgrößte Häufung von Leukämiefällen bei Kindern aus. 2001 wird dem Umweltministerium eine Kontrolle nach einer Wasserstoffexplosion im AKW Brunsbüttel verweigert . dm

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focus 15.06.2007

G8-Tornado-Einsatz

Ströbele plant Verfassungsbeschwerde

Grünen-Fraktionsvize Hans-Christian Ströbele will die Bundeswehr in ihre Schranken weisen. Wegen des Tornado-Einsatzes in Heiligendamm will er Verfassungsbeschwerde einlegen.

Nach dem Einsatz von Tornados der Bundeswehr zur Überwachung von Gegnern des G-8-Gipfels wollen die Grünen nach den Worten ihres Fraktionsvizes Ströbele "für die Zukunft rechtswidrige Bundeswehreinsätze im Innern" ausschließen. "Die Bundeswehr muss in die Schranken gewiesen werden, die ihr das Grundgesetz vorgeben", sagte Ströbele am Freitag der "Netzeitung". "Was wir in Heiligendamm erlebt haben, ist der Beginn einer Militarisierung von Polizeiaufgaben bei Demonstrationen."

Ströbeles Angaben zufolge prüft die Grünen-Bundestagfraktion derzeit, welche rechtlichen Möglichkeiten es gibt. "Wir verfolgen zwei Ansatzpunkte: Die Fraktion könnte entweder eine Organklage anstrengen oder ich könnte die Verfassungsbeschwerde eines im Camp Betroffenen unterstützen", sagte der Grünen-Politiker.

Ströbele äußerte scharfe Kritik an der Informationspolitik der Bundesregierung. "Ich sehe mich als Parlamentarier reingelegt", sagte der Grünen-Abgeordnete. Zum Bundeswehr-Einsatz in Heiligendamm habe er schon vor Wochen mehrere Anfragen gestellt. In den Antworten seien aber "mit keinem Wort" die Tornados erwähnt worden. Ihm sei lediglich gesagt worden, dass ausschließlich logistische Maßnahmen wie der Transport von Tagungsteilnehmern und Ähnliches vorgesehen sei.

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ots 13.06.2007

Aktionsbündnis "Atomausstieg selber machen" rät vor der neuen

Strompreisrunde zum Versorgerwechsel: Letzte Ausfahrt Ökostrom

Berlin (ots) - Etwa hundert Stromversorger erhöhen Anfang Juli

erneut ihre Preise - Im Gegensatz zur Elektrizität aus Atom- und Kohlestrom bleibt der Preis für Ökostrom stabil - Vielerorts ist Elektrizität aus Sonne, Wind, Wasserkraft und Biomasse dann nicht mehr teurer als Strom aus risikoreichen Atomkraftwerken oder klimaschädlichen Kohlemeilern

15.06.2007: Die wichtigsten Umweltorganisationen, Verbraucherschutzverbände und Anti-Atomkraftinitiativen haben die Verbraucherinnen und Verbraucher, Gewerbetreibende und Unternehmen gemeinsam aufgefordert, zum 1. Juli den Stromversorger zu wechseln. Die im Aktionsbündnis "Atomausstieg selber machen" zusammengeschlossenen Organisationen reagierten damit auf die Ankündigung von etwa 100 traditionellen Stromversorgern, die Preise zur Jahresmitte erneut - zum Teil drastisch - zu erhöhen.

"Zeigen Sie den Konzernen und ihren Tochterunternehmen, die jetzt zum wiederholten Mal ohne plausible Begründung die Strompreise erhöhen, die rote Karte und wechseln Sie zum Ökostrom", heißt es in einer Erklärung des Aktionsbündnisses. "Nutzen Sie Ihre Verbrauchermacht. Machen Sie Politik mit dem Einkaufskorb und fangen Sie beim Strom an. Helfen Sie mit, Atomstrom zu einer immer schwerer verkäuflichen Ware zu machen und fördern sie zukunftsfähige Elektrizität aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse."

Die Teilnehmerverbände von "Atomausstieg selber machen" empfehlen den Wechsel zu den vier überregional tätigen und nicht mit den Atomkonzernen Eon, RWE, Vattenfall und EnBW verflochtenen Ökostromanbieter Naturstrom, Greenpeace energy, EWS Schönau und Lichtblick. Da die Ökostromer im Gegensatz zur Konkurrenz keine Preiserhöhungen planen, steigt ihre Attraktivität - auch unter finanziellen Gesichtspunkten. Bereits jetzt ist Ökostrom in vielen Regionen zum gleichen Preis oder sogar günstiger als herkömmlicher Strom zu haben.

Hintergrund: Zum 1. Juli wird bundesweit die Genehmigungspflicht für Grundversorgungstarife abgeschafft. Das bedeutet, dass die Versorger die Strompreise nicht mehr den Behörden zur Überprüfung vorlegen müssen. Viele Versorgungsunternehmen nutzen dies aus und erhöhen ihre Preise. Die Grundversorgungstarife dieser Lieferanten steigern sich um durchschnittlich acht Prozent, in einem Fall sogar um mehr als 34 Prozent. ________________________________________________________

Das Aktionsbündnis "Atomausstieg-selber-machen" hat sich im Herbst 2006 zusammengeschlossen, nachdem die Atomkonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW die von ihnen oder ihren Vorgängerunternehmen selbst unterzeichnete Vereinbarung über den Atomausstieg faktisch aufgekündigt hatten und für den Weiterbetrieb ausgerechnet der ältesten und gefährlichsten Atomkraftwerke in Deutschland kämpfen.

Teilnehmer und Unterstützer im Aktionsbündnis "Atomausstieg selber machen": Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH, Koordination), Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND), Greenpeace Deutschland e.V., Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/ Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), ROBIN WOOD e.V., NaturFreunde Deutschlands e.V., Bund der Energieverbraucher e.V., Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), Forum Umwelt und Entwicklung, GRÜNE LIGA e.V., Jugendbündnis Zukunftsenergie, Mütter gegen Atomkraft e.V., Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU), urgewald, WWF Deutschland, X-tausendmal quer, Deutscher Naturschutzring e.V. (DNR), Arbeitskreis Leben nach Tschernobyl/Langgöns

Mehr Informationen zum Stromwechsel innerhalb von fünf Minuten finden Sie im Internet unter: www.atomausstieg-selber-machen.de und unter der kostenfreien Ökostrom-Hotline: 0800 762 68 52 (werktags 9:00 - 17:00)

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Frankfurter Rundschau 12.06.2007

Analyse

Die Stunde der Verbraucher

VON BERNWARD JANZING

Die Tage der Strompreisaufsicht sind gezählt: Vom 1. Juli an entfällt für die Stromversorger die Pflicht, ihre Endkundenpreise vom Wirtschaftsminister ihres Bundeslandes genehmigen zu lassen. Die Stromanbieter haben also freie Hand bei der Preisgestaltung - das neue Energiewirtschaftsgesetz vom Juli 2005 will es so. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass in einem liberalisierten Markt, in dem es echte Konkurrenz unter den Anbietern gibt, eine Preisaufsicht ein Systembruch ist, also nicht mehr in die Landschaft passt.

Baden-Württemberg hatte übrigens als einziges Bundesland die Genehmigungspflicht für die Stromtarife schon im Jahr 2000 auf eigene Faust abgeschafft, weil man in Stuttgart schon frühzeitig der Ansicht war, eine Preisgenehmigung passe nicht mehr zu einem liberalisierten Markt.

Seit April 1998 kann sich jeder Stromkunde aussuchen, von welchem Unternehmen er seinen Strom bezieht. Somit ist niemand mehr schutzlos der Preispolitik eines bestimmten Anbieters ausgeliefert.

So gesehen wirken auch die Aktionen von Stromzahlungsboykotteuren, die seit Jahren mit eigenständiger Kürzung ihrer Stromrechnung gegen die Preispolitik ihres Versorgers vorgehen, längst ein wenig skurril: Wem der Preis nicht passt, der kann schließlich zu einem anderen Lieferanten wechseln.

Während die Tarifaufsicht über die Preise für Endverbraucher nun also entfällt, wird zugleich eine andere Preisaufsicht immer wichtiger: die Kontrolle der Durchleitungs-Entgelte. Sie werden durch die Eigentümer der Stromnetze erhoben, wenn andere Unternehmen ihren Strom durch diese Netze transportieren.

Die Stromnetze sind natürliche Monopole, die sich zwangsläufig dem freien Wettbewerb entziehen. Hier ist daher eine Prüfinstanz notwendig, die sicherstellt, dass kein Unternehmen seine Marktmacht wettbewerbswidrig ausnutzt.

Die ehemalige Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation erhielt diese Zuständigkeit übertragen; heute heißt sie Bundesnetzagentur. Ihre Aufsicht jedoch ist eine ganz andere Sache als die bislang praktizierte Tarifkontrolle durch die Länder. Denn diese Preisaufsicht betrifft nur jenes Drittel des Strompreises, das auf die Transportkosten der elektrischen Energie entfällt. Der Gesamtpreis, den Haushaltskunden für die Kilowattstunde zu bezahlen haben, wird sich künftig alleine am Markt bilden.

Die entscheidende Macht liegt somit in Zukunft mehr denn je bei den Stromkunden selbst. Denn nur wenn die Kunden auch tatsächlich zu Anbietern mit günstigeren Preisen oder besserer Stromqualität (etwa Ökostrom) wechseln, wird sich der Wettbewerb - mit allen seinen Vorteilen für die Kunden - entfalten können.

Dazu müssen die Stromkunden jedoch deutlich aufgeschlossener werden: Bislang liegt die Quote der "Stromwechsler" unter den privaten Haushaltskunden bei kaum fünf Prozent. Anders ausgedrückt: Solange 95 Prozent der Haushalte über eine Strompreiserhöhung zwar jammern, aber dennoch bei ihrem angestammten Versorger bleiben, können die etablierten Anbieter trotz großer Vielfalt der Angebote weiterhin Preispolitik machen fast wie zu Monopolzeiten.

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Frankfurter Rundschau 12.06.2007

Strommarkt

Nur der Wechsel hilft gegen hohe Preise

VON BERNWARD JANZING

Politiker und Verbraucherschützer haben angesichts der geplanten Tariferhöhungen die Stromkunden zum Wechsel des Anbieters aufgefordert. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos forderte die Konsumenten dazu auf, die Preise zu vergleichen. "Die jüngste Entwicklung der Strompreise gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und belastet die privaten Haushalte", beklagte der CSU-Politiker. Der Verbraucher könne helfen, den Markt schneller zu beleben.

In die gleiche Richtung gingen Empfehlungen aus der Branche und von Konsumentenschützern. Der Vorsitzende des Bundes der Energieverbraucher, Aribert Peters, empfahl, Angebote zu prüfen. Die Ankündigungen vieler Konzerne, die Preise zu erhöhen, sollten Anlass sein, den Wechsel zu erwägen.

"Man kann durchaus darauf hinweisen, dass der mündige Bürger gefragt ist", sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Elektrizitätswirtschaft (VDEW), Roger Kohlmann, dem TV-Sender N 24.

Stromkunden, die wechseln wollen, müssen ihrem neuen Anbieter eine Kopie der bisherigen Stromrechnung sowie ihre Bankverbindung zukommen lassen - alles Weitere regelt dann der neue Anbieter. Er kündigt auch den Vertrag des Kunden mit dem bisherigen Stromlieferanten. Üblicherweise geht der Wechsel in sechs Wochen über die Bühne.

 

Technisch bringt ein Wechsel keinerlei Veränderungen. Der Kunde hängt nach wie vor am gleichen Netz, und er verfügt damit über die gleiche Versorgungssicherheit wie alle anderen Kunden in der Nachbarschaft.

Der Hintergrund: Weil die Bundesländer künftig die Preise nicht mehr genehmigen müssen, haben die Unternehmen nun freie Hand bei der Gestaltung der Endkundentarife.

Fragwürdige Begründung

Nun nennen Stadtwerke als Grund für die neue Preisrunde gerne einen Anstieg der Großhandelspreise - doch diese Argumentation ist kaum plausibel. Denn schon seit einem Jahr sind die Preise an der Strombörse mit leichten Schwankungen um 5,6 Cent je Kilowattstunde stabil. Zwischen Anfang 2005 und Frühjahr 2006 waren die Preise im Großhandel tatsächlich um rund 50 Prozent gestiegen, doch dieser Schub müsste längst in den Haushaltstarifen eingepreist sein. So liegt es auf der Hand, dass die Stromanbieter schlicht ihre Chance auf höhere Gewinne nutzen, die sich mit dem Wegfall der Preiskontrolle ergibt. Auffällig ist nämlich, dass vor allem kleine Anbieter, die bisher äußerst günstige Tarife hatten, sich mit der Erhöhung dem allgemeinen Marktpreis nähern.

So bot die Elektrizitätsgenossenschaft Ohlstadt in Oberbayern bisher Haushaltsstrom für 14,4 Cent je Kilowattstunde an, und erhöht nun um 23 Prozent. Auch die Stadtwerke Bad Tölz lagen mit 15,14 Cent extrem günstig, und schlugen um gut 18 Prozent auf. Abwanderung von Kunden in großem Stil müssen diese Anbieter jedoch kaum fürchten, da sie noch immer zu den Günstigen zählen.

Aber es gibt auch Anbieter, die künftig deutlich teurer sind als ihre Mitbewerber - die Stadtwerke Weißenfels in Sachsen-Anhalt zum Beispiel. Das Unternehmen verlangt von Juli an rund 23,26 Cent je Kilowattstunde im Grundtarif, und ist damit deutlich teurer als jeder Ökostromanbieter. Die Stadtwerke versuchen den Preis damit zu relativieren, dass dieser nur für rund ein Viertel der Kunden relevant sei - nämlich für jene, die noch nicht aktiv in einen anderen Tarif gewechselt sind.

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Neues Deutschland, 9.6.07

AKW-Gegner wollen Zwischenlager

Atommüll-Verschieberei soll verhindert werden

Von Reimar Paul

Vor zwei Jahren wurde das Atomkraftwerk Obrigheim in Baden-Württemberg für immer stillgelegt. Nun gibt es Streit um die Entsorgung der radioaktiven Brennelemente.

An den meisten AKW-Standorten bekämpfen die Atomgegner den Bau von Zwischenlagern. Nicht so in Obrigheim in Baden-Württemberg. Hier fordert ein Bündnis von Bürgerinitiativen vom Energiekonzern EnBW, auf dem Gelände des stillgelegten Atomkraftwerks ein Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle zu errichten. Die Anlage müsse »internationalen Sicherheitskriterien« entsprechen, heißt es in dem Appell. Welche dies sein sollen, führen sie nicht weiter aus.

Hintergrund des für Umweltschützer ungewöhnlichen Anliegens ist der bislang ungeklärte Verbleib von 342 abgebrannten Brennelementen aus dem Reaktor Obrigheim. Nach einem längeren Abkühlprozess im sogenannten Abklingbecken des Kraftwerks sollen sie jetzt in insgesamt 15 Castorbehälter umgepackt werden.

EnBW, Betreiber von Obrigheim, hat beim Bundesamt für Strahlenschutz die Errichtung eines Zwischenlagers auf dem AKW-Gelände beantragt, in dem die Castoren bis zu 40 Jahre abgestellt werden sollen. Aus Kostengründen soll auf Sicherheitseinrichtungen wie ein Betonfundament und eine Barriere gegen Flugzeugabstürze verzichtet werden. Die mit der Klärung der technischen Details befasste Reaktorsicherheitskommission (RSK) des Bundes hält den Antrag wegen offenkundiger Sicherheitsmängel noch nicht für genehmigungsfähig.

Anstatt EnBW diese Mängel vorzuhalten und sie zu mehr Sicherheit zu zwingen, gibt es nach Information der baden-württembergischen Initiativen in- und außerhalb der RSK Überlegungen, den Atommüll aus Obrigheim in eines der beiden anderen Zwischenlager in dem Bundesland zu bringen: Philippsburg oder Neckarwestheim. »Die Anti-Atom-Initiativen sehen darin den Versuch, Atommüll hin- und herzuschieben, statt sich dem Problem des anwachsenden atomaren Müllberges zu stellen«, heißt es in der Erklärung. Sie betonen, dass sich an diesen Standorten das Risikopotenzial durch den zusätzlichen Atommüll erheblich erhöhen würde. Immerhin entspreche das radioaktive Inventar der 15 Castor-Behälter dem Potenzial mehrerer Hiroshima-Bomben. Zudem hatten die Bürgerinitiativen in Philippsburg und Neckarwestheim durchgesetzt, dass die Zwischenlager nur den radioaktiven Müll aus dem jeweiligen AKW aufnehmen dürften.

In der Sache ist das Anliegen also nachvollziehbar. Mit ihrer Forderung verlassen die Initiativen dennoch eine alte Anti-AKW-Position: sich solange nicht an Debatten zur Entsorgung zubeteiligen, wie weiter Atommüll produziert wird.  

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Welt online, 4.6.07

Internationale Energie-Agentur gegen Atomausstieg

Billig, sicher und gut fürs Klima: Die deutschen Kernkraftwerke sollen länger laufen, rät der Chef der Internationalen Energie-Agentur (IEA). Wirtschaftsminister Michael Glos fühlt sich bestätigt - aber für eine Gesetzesänderung sieht er schwarz.

Der deutsche Atomausstieg habe negative Folgen für den Klimaschutz, die Versorgungssicherheit und eine preisgünstige Stromerzeugung, sagte Chef der Internationalen Energie-Agentur (IEA), Claude Mandil, in Berlin. Wirtschaftsminister Michael Glos stimmte ihm zu und bekräftigte seine Forderung nach einer Abkehr vom Atomausstieg.

Dazu gebe es derzeit jedoch keine Mehrheit im Bundestag, räumte der CSU-Politiker ein. Doch könnte als "Alternative zu einer Gesetzesänderung" zunächst die Stilllegung funktionierender und sicherer Atomkraftwerke verschoben werden. Gemeint sind offenbar die Anträge der Energieversorger, die Laufzeiten von jüngeren auf ältere Kraftwerke zu übertragen. Darüber hat Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) zu entscheiden. Mandil stellte eine IEA-Studie über die deutsche Energiepolitik seit 2002 vor. Darin bemängelt die Organisation neben dem Atomausstieg auch das Fehlen einer zusammenhängenden Klimaschutzstrategie. Zwar sei Deutschland auf gutem Weg, seine Klimaziele nach dem Kyoto-Protokoll zu erreichen. Doch würden die Ziele zum Teil durchkreuzt, etwa durch die "Nutzung des Emissionshandels, um die Kohle in der Stromerzeugung zu schützen und stärker zu verwenden". Auch sei die Förderung der erneuerbaren Energien zum Teil ineffizient, so zum Beispiel bei der Solarenergie, sagte Mandil. Die hohen Einspeisevergütungen nähmen den Anreiz, die Kosten zu senken. Insgesamt summieren sich die Vergütungen nach IEA-Schätzung zwischen 2000 und 2012 auf 68 Milliarden Euro. Glos versprach eine Neujustierung "mit geschärftem Blick für mehr Wirtschaftlichkeit".

IEA-Chef unterstützt Bushs Klima-Initiative

Überraschend deutlich wandte sich IEA-Chef Mandil gegen eine Festschreibung des so genannten Zwei-Grad-Klimaschutzziels, wie es Bundeskanzlerin Angela Merkel für den G-8-Gipfel in Heiligendamm wünscht. Das Ziel, den Anstieg der Durchschnittstemperatur weltweit gegenüber vorindustriellen Zeiten auf zwei Grad zu begrenzen, halte er nicht für sinnvoll, sagte Mandil. Hier stimme er mit US-Präsident George W. Bush überein. Dessen Klimaschutz-Inititiave von vergangener Woche wertete er als "großen Fortschritt" hin zu einem internationalen Ansatz gegen den Klimawandel. Allerdings sollte ein Abkommen unter dem UN-Dach verhandelt werden, sagte Mandil. Einige Entscheidungen der deutschen Energiepolitik fanden Mandils ausdrückliches Lob. Dazu zählt der Start der Bundesnetzagentur zur Regulierung der Energiemärkte nach dem Energiewirtschaftsgesetz 2005. Allerdings bemängelte Mandil, dass die Entflechtung von Stromproduktion und Netzen in Deutschland nur theoretisch vollzogen sei. Hier sei mehr nötig. Glos deutete an, dass er auf EU-Ebene für die Option des "Unabhängigen System-Betreibers" (Independent System Operator) für die Netze plädieren werde.

Zustimmung von der IEA gibt es auch zum Ausstieg aus der Steinkohleförderung 2018. Dies sei eine ebenso schwierige wie notwendige Entscheidung gewesen, meinte Mandil.

Überraschend kommt die Kritik am deutschen Atomausstieg nicht: Die IEA, 1974 im Rahmen der OECD gegründet, ist traditionell atomfreundlich.

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Uranmülltransporte von Gronau (Westf.) nach Russland

06.2007 Filmbericht im ZDF FRONTAL

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Der Standard, 4.6.07

Kernkraft gegen Klimawandel? Oder: Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben

Im dritten Bericht des UN-Klimarates wird ein Ausbau der Kernenergie zur Eindämmung des Klimawandels empfohlen - weder eine nachhaltige noch eine praktikable Lösung

Am 4. Mai präsentierte der UN-Klimarat "Intergovernmental Panel on Climate Change" (IPCC) in Bangkok den dritten Teil seines Klimaberichts. In dem Bericht werden der Politik Maßnahmen vorgeschlagen, mit denen der globale Klimawandel noch abgewendet oder zumindest verlangsamt werden kann.

Der Klimarat betont, dass in den nächsten fünfzehn Jahren die Weichen in die richtige Richtung gestellt werden müssen, um die dramatischen Folgen des Klimawandels abzuwenden. Dies sei laut dem Bericht jedoch nicht alleine durch den Umstieg auf erneuerbare Energien zu bewerkstelligen. Kernkraft wird als eine der Maßnahmen gegen den Klimawandel empfohlen.

Atomkraft: Unnachhaltig und träge

Doch ist Kernkraft wirklich geeignet, in den nächsten fünfzehn Jahren eine Änderung in die richtige Richtung zu bewirken? Durch Genehmigungsverfahren und den Bau der Kraftwerke würde bis zur Inbetriebnahme zu viel Zeit verloren gehen. Mögliche Einsparungen an Treibhausgasen griffen erst zu spät. Damit ist Kernkraft nicht in der Lage, eine Richtungsänderung rasch genug herbeizuführen.

Der Bau von Atomkraftwerken erfordert selbst einen hohen Aufwand an Ressourcen. Und auch Uran ist nicht beliebig verfügbar. Atomkraft stellt darüber hinaus per se keine nachhaltige Lösung des Energieproblems dar, da sie Probleme der Entsorgung radioaktiven Mülls auf zukünftige Generationen überträgt. Die Lehren aus Reaktorunfällen scheinen angesichts der laufenden Diskussion wie vergessen, die Argumente der Anti-Atom-Bewegung ebenso.

Laut Europäischer Umweltagentur entstehen 21 Prozent der CO2-Emissionen in der EU durch den Verkehr. Diese Emissionen des Verkehrs zeigen laut IPCC Bericht - nach der Energieerzeugung - das zweitstärkste Wachstum bei den Emissionen. In diesem Bereich kann Kernenergie keine schnelle Reduktion von Klimagasen ermöglichen.

Was verträgt unsere Erde noch?

Die Lösungen des "Klimaproblems" müssen holistisch und nachhaltig sein. Es ist notwendig, Lösungen zu suchen, die die gesamte Problematik das "globalen Wandels" in Betracht ziehen. Sie müssen sowohl eine weitere Entwicklung in den armen Ländern erlauben als auch die Perspektiven der künftigen Generationen respektieren.

Gesucht sind nicht Lösungen für einzelne Bereiche, die Probleme bloß verlagern, wie im Falle der Kernkraft. Gesucht sind integrative Lösungen, die allen Problemen, wie z.B. auch Wüstenbildung, Artensterben, Bodenerosion, Luft- und Wasserverunreinigung usw. gerecht werden.

Erfolgversprechend und letztlich zielführend ist es daher, mit allen vorhandenen Ressourcen sparsamer umzugehen: "Energie und andere Ressourcen können wesentlich effizienter genutzt werden als dies heute der Fall ist", sagt Jill Jäger, Klimaexpertin in Wien und Autorin des Buchs "Was verträgt unsere Erde noch? Wege in die Nachhaltigkeit". Das Buch verdeutlicht die komplexen Zusammenhänge des globalen Wandels und veranschaulicht die Auswirkungen der gegenwärtigen Ressourcenverschwendung. Vor allem zeigt es aber, dass eine nachhaltige Zukunft möglich ist: ohne Verzicht auf Lebensqualität. Denn: "Wachstum und Energieverbrauch tragen immer weniger zu dem Wohlstand in den Industrieländern bei", so Jäger.

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