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Frankfurter Rundschau 30.03.06

Zukunftsenergien ohne Atomkraft

...Kann eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke den Weg zur Solarenergiewirtschaft ebnen?

Die "gefühlten" Risiken der Kernenergienutzung von der Urangewinnung über die Stromproduktion bis hin zur ungeklärten Entsorgung sowie den Proliferations- und Terrorismusgefahren haben sich in der Wahrnehmung zwar verschoben, sie sind aber objektiv eher größer, als geringer geworden. Die Kernkraftwerke laufen länger und veralten, immer mehr radioaktive Abfälle erschweren und verteuern jede denkbare Lösung der Endlagerung und gewichtige Schwellenländer (wie z. B. Indien oder Iran) fordern immer massiver eine nukleare Gleichberechtigung mit den reichen Atomstaaten. Nur wenn es keine risikoärmeren Alternativen gäbe und eine Risikoabwägung überhaupt notwendig wäre, könnten daher die Argumente für die längere Inkaufnahme dieser Risiken durch Laufzeitverlängerung oder für Neubau zum Tragen kommen.

Ganz im Gegenteil lassen sich gute Argumente für den unveränderten Vollzug des bestehenden Ausstiegsvertrages ableiten: Erstens würde dessen Aufkündigung ohne Not erneut kontraproduktive gesellschaftliche Konflikte auslösen und einen gesellschaftlichen Kompromiss für ein Energieprogramm erschweren. Zweitens würde die Investitions- und Innovationsdynamik der letzten Jahre zu mehr dezentralen und exportfähigen Technologien (Kraft-Wärme-Kopplung, Erneuerbare, Stromeffizienz) gebremst (vgl. auch Andreas Troge, Präsident des Umweltbundesamtes, in der FR vom 14. Juni 2005); die "vier Großen" (E.ON; RWE, EnBW, Vattenfall) hätten einen noch geringeren ökonomischen Anreiz, sich selbst am ökologischen Umbau des Kraftwerksparks zu beteiligen, aber zusätzliche Mittel, um mittelständischen Newcomern den Marktzutritt zu erschweren. Drittens würde auch der Abbau marktbeherrschender Stellungen und die Förderung von Wettbewerbsintensität auf dem Strommarkt durch größere Anbietervielfalt erschwert. Dies ist nicht zuletzt auch eine Frage der realen Durchsetzbarkeit des Primats der Politik und demokratischer Beschlüsse - notfalls auch gegen machtvolle ökonomische Sparteninteressen. Durch die immer wieder genährte Hoffnung auf eine Renaissance der Kernenergie werden viertens Forschungsmittel zu Lasten risikoärmerer Technologien gebunden, obwohl für diese die Exportchancen vor allen in die Entwicklungsländer um Größenordnungen umfangreicher sind. (...)

Energiesparen birgt hohes Potential

Noch immer für viele unbekannt ist: Es ist für die Verbraucher ... bei zahlreichen Anwendungen und gleichem Nutzeffekt erheblich billiger, Energie durch effizientere Technik, Organisation und Verhalten einzusparen als Energie einzukaufen. Strom sparen ist z. B. wirtschaftlicher als Strom kaufen, wenn die spezifischen Einsparkosten (= Mehrkosten von Effizienztechnologien pro Kilowattstunde/kWh) geringer sind als die anlegbaren Strompreise bzw. vermeidbaren Strom(system)kosten. Die EU-Kommission geht davon aus, das es durchschnittlich zwischen 2-4cts/kWh kostet, Strom durch effizientere Gerätetechnik zu sparen. Die durchschnittlichen Strompreise betragen dagegen etwa 16,9 ct/kWh für Haushalte und etwa 7, 3 ct/kWh für die Industrie. (...)

Die Potenziale der effizienten Energienutzung sind enorm:

Die Umrüstung eines 4-Personen-Haushalts mit durchschnittlich 3500 kWh auf marktbeste Geräte könnte den Stromverbrauch auf ein Fünftel senken; hochgerechnet auf alle Haushalte könnten 7000 Megawatt (MW) Stromerzeugungskapazität vermieden werden.

Die sparsamsten Kühl- und Gefriergeräte verbrauchen zwei Drittel weniger Strom als die Durchschnittsgeräte vor 10 Jahren. Das Einsparpotenzial beträgt 7 Terrawattstunden/TWh/Jahr gegenüber dem Trend...

Bei elektrischen Antrieben sind ähnliche Einsparungen möglich. Bei Heizungsumwälzpumpen spart z.B. die neue "Faktor 4-Pumpe" und eine Optimierung des Heizkreislaufs bis zu 90 Prozent. Insgesamt können allein hocheffiziente Umwälzpumpen in Wohngebäuden, Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungsbereichen etwa zwei bis drei Kernkraftwerke wirtschaftlich ersetzen. Dieses enorme Potential ist innerhalb normaler Investitionszyklen von etwa 10 bis 12 Jahren zu realisieren.

Passivhäuser brauchen dank verstärkter Wärmedämmung sowie effizienter Lüftung und Heizung nur 20 Prozent (d.h. 15 kWh/m2/Jahr) der Heizenergie eines Neubaus nach der Energieeinsparverordnung, ohne große Mehrkosten.

Mehrere Hersteller bieten bereits "3-Liter-Autos" an. Mit Leichtbauweise, Hybridantrieb etc. können auch Mittelklassemodelle so niedrige Verbrauchswerte erreichen.

Energieeffizienz spielt auch auf der Angebotsseite eine wichtige Rolle im Sinne verbesserter Kraftwerke oder der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK).

Insgesamt ist es im Rahmen der normalen Erneuerungszyklen für Geräte, Fahrzeuge, Anlagen und Gebäude für Volkswirtschaft und Verbraucher lohnend, zusätzlich bis zu zwei Prozent Energie pro Jahr mehr im Vergleich zum bisherigen Trend einzusparen. Die gesamte volkswirtschaftliche Energierechnung Deutschlands könnte bei gegenwärtigen Energiepreisen und bei vollständiger Umsetzung der Potenziale zur rationellen Energieerzeugung und -umwandlung um 80 Milliarden Euro pro Jahr gesenkt werden. Gleichzeitig würden dadurch die Treibhausgasemissionen um rund 380 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr reduziert.(...)

Aus Gesamtsicht kommt der Energieeffizienz eine besondere und zentrale Bedeutung zu. Zwei Drittel bis drei Viertel der notwendigen CO2-Minderung kann und muss bis 2030 durch effiziente Energieverwendung ("Energiesparen") erbracht werden. Im Jahr 2050 tragen dann die erneuerbaren Energien mit etwa 40 Prozent zum CO2-Minderungsziel von 80 Prozent bei. Dabei können die anfangs erforderlichen Zusatzkosten für die Markteinführung der erneuerbaren Energien durch die Energieeinsparung mindestens kompensiert werden. (...)

Es macht also umwelt- und energiepolitisch mehr denn je Sinn, in

energieeffiziente Technologie zu investieren und erneuerbare Energien zu fördern. Damit ist das notwendige Programm der Energie- und Umweltpolitik auch schon in groben Zügen umrissen. Wie aber kann es konkret aussehen?

Es ist die vorrangige Aufgabe der Energiepolitik in Deutschland, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, Energie durch intelligente Technik und Organisation effizienter zu nutzen. Nötig sind unter anderem mehr Information, zum Beispiel durch Energieberatung, betriebliche Energieanalysen, Energielabel, einen aussagekräftigen Energiepass für Gebäude, Datenbanken sparsamer Geräte und Fahrzeuge, aber auch bessere Aus- und Weiterbildung, mehr finanzielle Förderung für Beratung und/oder Investition zur Energieeinsparung,

schärfere Grenzwerte für den Energieverbrauch von Fahrzeugen, Geräten, Gebäuden und Anlagen - etwa durch die Energieeinsparverordnung (EnEV) und die EcoDe-sign-Richtlinie, die Nutzung des öffentlichen Einkaufs, um sparsame Technik schneller in den Markt zu bringen (hierzu mehr unter www.eceee.org/library_links/prost.lasso )

Vor allem aber müssen die dezentralen Angebote zur Information, Weiterbildung und Förderung jeweils bundesweit gebündelt und finanziert werden. Dazu hat das Wuppertal Institut im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung kürzlich ein Konzept für einen EnergieSparFonds entwickelt. Ein Beitrag von durchschnittlich etwa 0,1 Cent pro Kilowattstunde würde genügen, um die Energierechnungen von Industrie, Handel, Gewerbe und Haushalten deutlich zu senken. Der Betrag könnte auf verschiedenen Wegen aufgebracht werden: zum Beispiel aus der Energiesteuer auf Strom, Gas und Öl; anstelle einer Senkung der Netzgebühren um 0,1 Cent pro kWh - hier bringt die Verwendung für einen EnergieSparFonds das fünf- bis zehnfache an Kostenentlastung! - oder aus den Erlösen einer Versteigerung von Treibhausgas-Emissionsrechten ab 2008.

Zwölf Programme

Das Wuppertal Institut schlägt - gestützt auf evaluierte Programme in anderen europäischen Ländern - ein Portfolio von zwölf konkreten Programmen für den EnergieSpar-Fonds vor. Damit würden von der Industrie bis zu den Haushalten verschiedene Potenziale zur Strom- und Wärmeeinsparung genutzt.

In den nächsten zehn Jahren würde damit eine Energieeinsparung von etwa zwölf Prozent gegenüber dem bisherigen Trend erreicht - das sind 75 Milliarden Kilowattstunden Strom und 102 Milliarden Kilowattstunden Wärmeenergieträger.

Die Emissionen von Treibhausgasen könnten sich um 72 Millionen Tonnen pro Jahr reduzieren.

Für die Verbraucher(innen) wäre der Barwert der eingesparten Energiekosten mit rund 73,3 Milliarden Euro doppelt so hoch wie die Summe der hierfür von ihnen aufgewendeten Investitionen (rund 37 Milliarden Euro).

Außerdem ergäbe sich ein Nettoarbeitsplatzeffekt von ungefähr einer Million Personenjahren bis 2030, mit einem Maximum von 75 000 Personenjahren im Jahr 2015.

(...) Zusätzlich sollte eine halbe Milliarde Euro jährlich für die Förderung der Stromeinsparung bei Lüftung, Beleuchtung, Umwälzpumpen und Geräten in Industrie, Gewerbe und Haushalten verwendet werden. Hier könnte noch rascher Energie eingespart, Kosten und Emissionen gesenkt werden als bei der Wärmedämmung. (...)

Auch die Kraft-Wärme-/Kälte-Kopplung ... bietet große Potenziale zur Energieeinsparung und Kostensenkung. In den oben erwähnten Klimaschutzszenarien mit Atomausstieg steigt der in KWK erzeugte Stromanteil auf 40 Prozent bis zum Jahr 2050 (heute etwa 12 Prozent); die Niederlande, Dänemark und Finnland haben schon heute einen KWK - Anteil von über 35 Prozent. (...)

Mit den skizzierten Maßnahmen lassen sich in Deutschland ambitionierte Klimaschutzziele auch bei gleichzeitigem Atomausstieg mit vertretbaren volkswirtschaftlichen Kosten erreichen. Die volkswirtschaftliche Kostendynamik ... folgt dabei in allen Szenarien einem typischen Muster: Ohne Berücksichtigung der vermiedenen externen Kosten ergibt sich etwa bis 2030 durch den forcierten Einstieg in das Mix der Erneuerbaren Energien ein vertretbarer volkswirtschaftlicher Mehraufwand, wenn gleichzeitig die wesentlich kostengünstigeren Potenziale der rationelleren Energienutzung erschlossen werden. Durch Lernkurveneffekte, Kostendegression durch Massenfertigung und die Ausnutzung aller Vorteile rationellerer Energieumwandlung und -nutzung werden die Kosten eines Referenzpfades durch eine Nachhaltigkeitsstrategie etwa nach 2030 unterschritten. (...)

Es besteht also nicht die Gefahr, dass Deutschland mit einer Vorreiterrolle beim Ausstieg aus der Kernenergie und durch eine ambitionierte Klimapolitik international ins Hintertreffen geraten ... würde. Die vorliegenden Szenarien und Systemanalysen belegen eher das Gegenteil.

Die Autoren

Dr. Manfred Fischedick ist Leiter der Forschungsgruppe "Zukünftige Energie- und Mobilitätsstrukturen" am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Professor Peter Hennicke ist seit 2003 Präsident des Wuppertal-Instituts. Er war u.a. im Vorstand des Öko-Instituts Freiburg und Mitglied der Enquete-Kommissionen zum Schutz der Erdatmosphäre des Bundestages.

Stefan Thomas ist Leiter der Forschungsgruppe "Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik" an dem Institut.

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taz NRW 25.3.2006

FRIEDENSTHERAPEUTIN

Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl erlebte Angelika Claußen (50) in Bielefeld als junge Mutter. Heute ist die niedergelassene Psychiaterin und Psychotherapeutin Vorsitzende der deutschen Sektion der Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW) und damit Teil einer globalen Bewegung gegen Atomindustrie und Rüstungswahn

"Tschernobyl wird verharmlost"

INTERVIEW:

CHRISTOPH SCHURIAN

Frau Claußen, haben Sie den Film, "Am Tag als Bobby Ewing starb" gesehen?

Angelika Claußen: Nein.

Der kreist um Tschernobyl, denn zeitgleich starb Bobby Ewing in der TV-Serie Dallas. Der Film handelt von einer Landkommune, Atomkraftgegnern...

Das kenne ich gut: Ich habe mich Mitte der 1970er Jahre der Antiatombewegung angeschlossen.

Warum Atomkraft?

Angefangen habe ich in der Friedensbewegung. Dann besuchte ich mit einer Freundin eine Landkommune in Dänemark, habe ihr Windradprojekt gesehen. Ich fand toll, dass es ein Alternative gibt. Dass es überflüssig ist, aus Atom Strom zu machen.

Die Filmkommune stellt auch ein Windrad auf...

Sehen Sie, ich habe es selbst erlebt. Daraufhin habe ich an vielen Demonstrationen teilgenommen, 1981 und 1984 meine Kinder gekriegt, mich den Internationalen Ärzten für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) angeschlossen.

Wie haben Sie von der Tschernobylkatastrophe gehört?

Ich hab's im Fernsehen gesehen. Dann habe ich bei Freunden, Bekannten angerufen. Hier in Bielefeld hat sich eine Ärztin eingearbeitet und uns das Einmaleins der Strahlenmedizin nahe gebracht. Wir wollten unbedingt etwas tun. Dann haben wir uns an der Eltern-Kinder-Demonstration beteiligt. Mit groß und klein fuhren wir mit einem Sonderzug nach Bonn.

War es wichtig für ihr Engagement, dass Sie eine junge Mutter waren?

Bei den großen Friedensdemonstrationen hatten wir Ärzte gesagt: In einem Atomkrieg werden wir Euch nicht helfen können. Dann kam das Unglück und die Warnungen waren plötzlich so real: Jetzt musste ich auch etwas für die eigenen Kinder tun. Ich glaube, mein Engagement hat sich stark verinnerlicht.

Glaubt man der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Atomkontrollbehörde (IAEO) war es nicht so schlimm: 50 Tote, ein paar tausend krebserkrankte Kinder, die zu 99 Prozent heilbar seien.

Es gibt auch ein Zitat von Hans Blix, der hat gesagt, die Atomindustrie könnte gut einen solchen Unfall im Jahr verkraften.

Aber ist es nicht schön, wenn die WHO feststellt, es war nicht so schlimm?

Bei der Explosion aus dem Tschernobyl-Reaktor sind mindestens das Äquivalent von 100 Hiroshima-Bomben entwichen. Die radioaktive Wolke hat riesige Flächen in Weißrussland, der Ukraine, Russland, aber auch Europa kontaminiert. Selbst in Südbayern finden sich immer noch verstrahlte Pilze. Neun Millionen Bewohner in Weißrussland, Ukraine und Russland sind betroffen, drei Millionen Kinder. Zusätzlich 600.000 bis eine Millionen Aufräumarbeiter, die Liquidatoren.

Aber weshalb kommt die IAEO zu anderen Ergebnissen?

Die IAEO scheut kritische Studien. In ihrem Statut ist die "Förderung der friedlichen Nutzung der Atomenergie" festgeschrieben. Und die WHO hat 1959 einen Knebelvertrag mit der IAEO abgeschlossen, der ihr die Kontrolle über alle Gesundheitsstudien zu Folgen radioaktiver Strahlung gewährleistet. Die WHO kann also nicht frei forschen. Ein weiteres Problem war die Geheimhaltungspolitik der Ex-Sowjetunion.

Sie werfen der IAEO vor, im Sinne der Atomenergie zu handeln?

Ja, an dieser Tatsache kann man nicht vorbeischauen. Die IAEO unterdrückt Studienergebnisse aus betroffenen Ländern und von unabhängigen Wissenschaftlern.

Warum?

Weil es so brisant ist. Die Ärzte in Weißrussland sagen, jetzt sind 90 Prozent der Kinder krank und zehn Prozent gesund. Vor 1986 waren 80 Prozent gesund und 20 Prozent der Kinder krank. Das sind furchtbare Zahlen!

Aber weshalb sollten diese Informationen unterdrückt werden? Tschernobyl lässt sich nicht ungeschehen machen.

Aber verharmlosen. Die IAEO arbeitet letztlich im Interesse der großen Energieunternehmen. Gegründet wurde die IAEO 1957. Damals verbreitete US-Präsident Eisenhower die Idee der "Atoms for Peace" - Atomwaffen sollen eingedämmt und die Kernspaltung zum Nutzen der Menschheit eingesetzt werden. 18 Stunden nach Hiroshima hat Präsident Truman gesagt, die Wissenschaftler müssen überlegen, wie die Kernspaltung friedlich genutzt werden könne. Als Psychotherapeutin unterstelle ich einen Wiedergutmachungsversuch nach Hiroshima und Nagasaki.

Warum spricht niemand über diese Wirtschaftsförderung der IAEO?

Es gehört sich offenbar nicht. Als die IAEO 2005 den Friedensnobelpreis erhielt, meldeten nur IPPNW und Greenpeace Kritik an wegen der Förderung der Atomenergie. Wohlwissend um die Verdienste von Generaldirektor Mohammed al-Baradei, der seine Stimme gegen den Angriff auf den Irak erhob.

Muss man die Atom-Krise mit dem Iran mit anderen Augen betrachten?

Es geht um die Kontrolle der Ölressourcen, es geht um Weltherrschaft durch die US-Regierung. Aber gleichzeitig wird auch Atomenergie gefördert, gerade von den USA, die auch Interessen ihres Atomkomplexes verfolgen. Deshalb finde ich es so schlimm, dass es von der EU kein Angebot gegeben hat, regenerative Energien anzubieten, was die Unabhängigkeit von fossilen Rohstoffen fördern würde - der Iran will ja unabhängig werden!

Der Iran will die Atombombe!

Das wäre verhängnisvoll. Es ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Die Alternative wäre Sicherheitsbedenken ernst zu nehmen: In Israel sind mindestens 200 Atombomben gelagert, rundherum gibt es US-Waffen. Der Iran braucht Sicherheitsgarantien. Die Lösung ist eine atomwaffenfreie Zone.

Ortswechsel: Im November 2005 fiel im Münsterland nach Schneefällen der Strom aus. Hat sie das beunruhigt?

Es hat mich sehr beunruhigt. Können oder wollen die Energieversorgungsunternehmen nicht dafür sorgen, dass die Masten und das Leitungssystem der Witterung standhalten? Ich unterstelle, das nicht Sicherheit und Schutz der Bevölkerung vorrangig sind, sondern schnelle Profite.

Mit RWE betraf es einen Konzern, der AKWs betreibt.

Genau. Die müssen ihre Kernkraftwerke regelmäßig einer Sicherheitsuntersuchung unterziehen. Aber das Personal arbeitet unter Zeitdruck - auf Kosten der Sicherheit. Auch deshalb möchte ich, dass Atomkraftwerke abgeschaltet werden.

In der Diskussion ist aber eine Laufzeitverlängerung.

Der Renaissance der Atomenergie wird angesichts des knappen Urans schnell der Brennstoff ausgehen. Mich beunruhigt aber, dass in Medien die Atom-Befürworter ausführlich zu Wort kommen. Dagegen ist Eurosolarpräsident Hermann Scheer nur selten zu hören und zu sehen.

Aber es wird ausführlich über Castor-Proteste berichtet.

Das schon. Doch wenn es um die Zukunftssicherheit unserer Energie geht, werden Sprecher von E.on, ENBW, RWE und Vattenfall befragt. Die sind auch eingeladen, wenn Angela Merkel zum Energiegipfel bittet.

Wenn Atomenergie wieder belebt wird, wird auch der Widerstand erstarken?

Wir arbeiten daran. Deshalb veranstalten wir den Kongress in Bonn. Der 20. Jahrestag von Tschernobyl ist eine große Chance, mehr Aufmerksamkeit für das Thema zu bekommen.

Wir groß sind die tatsächlichen Folgen der Reaktorkatastrophe?

Der größte Teil der Folgen steht noch aus: An Schilddrüsenkrebs sind bis jetzt 10.000 Menschen in Russland erkrankt. Einer anderen WHO-Prognose zufolge sollen 50.000 Kinder, die aus dem schwerst verstrahlten Gebiet Gomel kommen, noch an diesem Krebs erkranken. Alle Altersgruppen zusammen genommen, sind das dort 100.000 Fälle. Das russische Umweltministerium hat eine Zahl herausgegeben, dass 1,3 Millionen Menschen erkrankt seien. Und insgesamt 2,7 Millionen aus den belasteten Gebieten. Von den Liquidatoren sollen 15.000 bis 50.000 gestorben seien. Russischen Angaben zu folge sind 90 Prozent von ihnen krank. Auch Kinder- und Jugenddiabetes hat zugenommen. Laut Mainzer Kinderkrebsregister sind allein in Bayern 1.000 bis 3.000 zusätzliche Fehlbildungen auf Tschernobyl zurückzuführen.

Wäre es schwieriger gegen Atomkraft zu argumentieren ohne Tschernobyl ?

Bei ganz vielen hat das einen Schock hervorgerufen. Deswegen ist auch der Kampf um die Deutungshoheit so wichtig. Die Studien der IAEO werden von Wissenschaftlern erstellt, die von ihren Regierungen etwa in die Strahlenschutzkommission berufen wurden. Zumeist sind sie Atombefürworter wie Professor Albrecht Kellerer aus München. Zu Tschernobyl hat er gesagt, das Problem sei die Radiophobie.

Ihre Organisation heißt Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs, gibt es auch Ärzte die dagegen sind?

Ich glaube, es gibt nur Ärzte, die das verhindern wollen, klar. Aber es gibt Ärzte, die das mit dem Strahlenrisiko nicht so tragisch sehen.

Interview CHRISTOPH SCHURIAN

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newsclick.de 24.03.2006

4000 Menschen demonstrieren gegen Endlager

Von Peter Gamauf

SALZGITTER. Mehr als 4000 Beschäftigte des Volkswagenwerks Salzgitter und umliegender Betriebe demonstrierten gestern gegen die Einlagerung von Atommüll in Schacht Konrad &endash; am Tor 1 des Betriebs, in unmittelbarer Nähe der geplanten Deponie.

"Bei einem Unfall verlieren wir unsere Lebensgrundlage und unsere Beschäftigungsperspektive", formulierte der VW-Betriebsratsvorsitzende Andreas Blechner die Sorgen der Demonstranten. Blechner wies darauf hin, dass nach einer Inbetriebnahme vom Einlagerungsschacht auf dem Hüttengelände eine ständige Niedrigstrahlung ausginge und rief zu weiterem Widerstand auf.

Dem niedersächsischen Umweltminister Hans-Heinrich Sander warf Blechner vor, die Gefahren zu verharmlosen. Wenn Sander Atommüll für ungefährlich halte, solle er sich ein Grundstück in der Puszta kaufen und ihn dort vergraben, sagte er.

"Wir werden Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision einlegen", bekräftigte Salzgitters Oberbürgermeister Helmut Knebel. Das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg habe sich bei seiner Urteilsfindung nicht mit den Ängsten der Menschen beschäftigt.

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Verivox 24.03.2006 (12:36)

Stromkennzeichnung: Greenpeace vergleicht Informationen von Energieversorgern

von Thomas Stollberger,

Nach 100 Tagen Stromkennzeichnunghat Greenpeace die Umsetzung des entsprechenden Gesetzes unter die Lupe genommen. Die Umweltschützer haben die Darstellung ausgewählter Energieunternehmen untersucht, aus welchen Energieträgern (fossil, erneuerbar oder atomar) sie ihren Strom herstellen und welche Umweltauswirkungen damit verbunden sind. Das Gesamtergebnis ist nach Ansicht der Umweltschützer enttäuschend: Die derzeitige Form der Stromkennzeichnung verhindere aufgrund der unterschiedlichen Darstellungen, dass der Verbraucher die Angebote einfach vergleichen kann. Greenpeace fordert daher von der Bundesregierung, die Stromkennzeichnung gesetzlich so festzulegen, dass sie dem Verbraucher Transparenz und Vergleichbarkeit bietet.

"Die 100-Tage-Bilanz der Stromkennzeichnung ist ernüchternd. Ziel verfehlt, zurück auf Start. Anstatt eine einheitliche Darstellung vorzugeben wie bei der Verbrauchskennzeichnung von Elektrogeräten, lässt der Gesetzgeber einen viel zu großen Spielraum", sagt Jörg Feddern, Energieexperte bei Greenpeace.

Greenpeace hat die Informationen der beiden größten unabhängigen Ökostromanbieter und der 20 größten herkömmlichen Energieversorger untersucht. Die verwirrende Vielfalt der Darstellungen hat die Organisation in einheitliche Informationsgrafiken übertragen, mit denen Stromkunden das Angebot vergleichen können. Diese Darstellung ist ein Vorschlag, wie eine einheitliche Stromkennzeichnung aussehen könnte.

Die Untersuchung zeigt auch, dass die Unternehmen wegen mangelnder Vorgaben des Gesetzes unterschiedlich detaillierte Informationen veröffentlichen, zum Beispiel zu den fossilen Energiequellen. So erhält der Verbraucher meist keine Informationen darüber, wie groß der Anteil an Kohle oder Erdgas bei der Stromerzeugung ist. "Der Verbraucher muss erfahren können, ob sein Strom überwiegend aus extrem klimaschädlicher Braunkohle oder aus klimafreundlicherem Erdgas hergestellt wird", fordert Feddern.

Seit 15. Dezember 2005 besteht in Deutschland für Energieversorgungsunternehmen nach dem Energiewirtschaftsgesetz die Pflicht der Stromkennzeichnung. Darin wird nicht nur über den Energieträger informiert, sondern auch über die Umweltauswirkungen bei deren Nutzung: So erkennt der Verbraucher, welche Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid ausgestoßen werden und wie viel Atommüll anfällt. Ziel der Stromkennzeichnung ist, mehr Transparenz für denVerbraucher zu schaffen und für mehr Wettbewerb auf dem Strommarkt zu sorgen.

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HANDELSBLATT, Donnerstag, 23. März 2006, 21:00 Uhr

Energiegipfel am 3. April

Neuer Anlauf für die Atomkraft

Von Heinz J. Schürmann und Klaus Stratmann

Die Energiebranche lässt beim Thema Atomkraft nicht locker. Nach den Landtagswahlen am Wochenende sei der Burgfrieden beendet, sagten hochrangige Energiemanager dem Handelsblatt.

DÜSSELDORF/BERLIN. Man werde sich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass die Frage der Laufzeiten von Atomkraftwerken beim Energiegipfel am 3. April zu einem zentralen Thema werde. Dagegen hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch in der vergangenen Woche erklärt, die Kernenergienutzung werde auf dem Gipfel ausgeklammert.

Man wisse sehr wohl, dass man gerade die Union mit dem Thema in eine schwierige Lage bringe. Es mache aber keinen Sinn, einen Energiegipfel zu veranstalten und eine der wichtigsten energiepolitischen Fragen nicht zu behandeln. "Wir können die Realität nicht ausblenden", sagte ein Manager. Der Weltenergierat zeigte Verständnis für die Argumentation der Konzerne: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Fragen der Kernenergie aus der Diskussion um eine konsistente energiepolitische Strategie ausgeklammert werden können", sagte Carsten Rolle, Geschäftsführer des nationalen Komitees des Weltenergierates, dem Handelsblatt. "Die Sachzwänge machen es daher erforderlich, auch über dieses Thema beim Energiegipfel zu sprechen."

Kanzlerin Merkel will auf dem Energiegipfel die Leitlinien der künftigen Energiepolitik festlegen. Die Leitlinien sollen die Basis für ein langfristiges Konzept bilden, das die Bundesregierung im Laufe des nächsten Jahres fertig stellen will. Ein gemeinsam von Umwelt- und Wirtschaftsministerium erarbeitetes Papier definiert als Schwerpunkte des Gipfels die Energienachfrage, die Energiepreise, die Entwicklung der Strom- und Gasmärkte, den Klimaschutz, die Energieeffizienz und die Energieforschung. Neben der Kanzlerin, Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) und Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) werden auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), Forschungsministerin Annette Schavan (CDU), Kanzleramtsminister Thomas de Maizière (CDU) und die Chefs der vier großen Stromkonzerne teilnehmen.

Die Versorger argumentieren, eine sichere und klimaschonende Energieversorgung lasse sich nur mit der Atomenergienutzung gewährleisten. Daher müsse das Thema auf dem Gipfel besprochen werden.

Die Koalition aus Union und SPD ist in der Frage der Atomenergienutzung zerstritten. Die SPD will an der Ausstiegsvereinbarung festhalten, die die rot-grüne Vorgängerregierung mit den Konzernen ausgehandelt hatte. Führende SPD-Politiker, darunter Parteichef Matthias Platzeck und Minister Gabriel, hatten in den vergangenen Wochen immer wieder betont, am Atomausstieg sei nicht zu rütteln. Dagegen fordern Spitzenpolitiker der Union -- etwa Minister Glos, der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) und sein baden-württembergischer Amtskollege Günther Oettinger (CDU) --, die Laufzeiten zu verlängern.

In der Koalitionsvereinbarung von Union und SPD heißt es, hinsichtlich der Nutzung der Kernenergie bestünden zwischen Union und SPD unterschiedliche Auffassungen. Daher gelte die von Rot-Grün ausgehandelte Ausstiegsvereinbarung weiter. In der Vereinbarung werden den Atomkraftwerken bestimmte Strommengen zugeteilt. Sind diese Mengen verbraucht, erlischt die Betriebserlaubnis. Noch in dieser Legislaturperiode stehen drei oder sogar vier Meiler zur Abschaltung an. Die betroffenen Unternehmen, RWE und EnBW, wollen sich damit jedoch nicht abfinden. RWE-Chef Harry Roels hatte Ende Februar angekündigt, sein Unternehmen werde einen Antrag auf Laufzeitverlängerung stellen. Auch EnBW prüft einen entsprechenden Antrag.

Beobachter bewerten die Offensive der Energiebranche vor dem Energiegipfel als Strategiewechsel. In den vergangenen Wochen war kritisiert worden, die Betreiber schickten zwar einige Unionspolitiker vor, um für längere Laufzeiten zu werben. Selbst hielten sie sich jedoch zurück. Branchenvertreter räumten ein, das Interesse daran, Kraftwerke länger laufen zu lassen, sei zwar groß. Zugleich befürchte man jedoch wegen der skeptischen Haltung der Bevölkerung gegenüber der Atomkraft massive Imageprobleme. Offenbar haben sich nun die Stimmen eine Mehrheit verschafft, die für einen offensiveren Umgang mit dem Thema stehen.

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Nachrichten > Politik > Deutschland 23.03.2006

Erneuerbare Energien werden zum Job-Motor in Deutschland

BERLIN -

Mit dem Boom der erneuerbaren Energien wächst auch die Zahl der Arbeitsplätze in der Branche: Inzwischen sind dort Hochrechnungen zufolge 170 000 Menschen beschäftigt, wie Bundesumweltminister Sigmar Gabriel gestern in Berlin berichtete. 2004 waren es noch 157 000. Bis 2020 könnte die Zahl auf 300 000 wachsen, wenn die Nutzung von Wind, Sonne oder Biomasse zur Strom- und Wärmegewinnung wie geplant ausgebaut wird.

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Merkur Online 23.03.2006

Feueralarm in Atomkraftwerk in Japan

"Kein Strahlenleck"

Tokio(dpa) - In Japan ist es erneut zu einem Zwischenfall in einem Atomkraftwerk gekommen. Wie japanische Medien am Mittwoch berichteten, wurde am Abend (Ortszeit) in einer Anlage für radioaktiven Müll im Atomkraftwerk Oi in der westlichen Provinz Fukui Feueralarm ausgelöst. Zwei Arbeiter seien wegen inhaliertem Rauchs ins Krankenhaus gebracht worden. Die Anlage habe sich laut der Polizei mit Qualm gefüllt, doch gebe es nach Angaben der Betreibergesellschaft Kansai Electric Power kein radioaktives Leck. Die Ursache war unklar. Die Umstände würden untersucht, hieß es. In der Vergangenheit war es bereits wiederholt zu Pannen in japanischen Nuklearanlagen gekommen. 2004 waren bei einem Leck vier Mitarbeiter im Mihama-Kraftwerk in Fukui durch heißen Dampf ums Leben gekommen und mehrere andere verletzt worden. 1999 waren zwei Atomarbeiter getötet worden, als in einer Uranverarbeitungsanlage im Dorf Tokaimura nordöstlich von Tokio radioaktive Strahlung austrat. Der bis dahin schwerste Atomunfall in der Geschichte des Inselreiches war das Ergebnis von Kosteneinsparungen und dilettantischer Arbeit.

Dennoch hält das rohstoffarme Land weiter an der Atomenergie fest. Erst vor kurzem wurde der 55. Reaktor in Betrieb genommen. Andererseits sahen sich Betreiberfirmen angesichts starken Widerstands in der örtlichen Bevölkerung sowie geringerer Elektrizitätsnachfrage in jüngster Zeit gezwungen, jahrzehntelange Baupläne für Atomkraftwerke aufzugeben. Die größere Herausforderung sei es heute für die Betreiberfirmen, bestehende Reaktoren zu renovieren, schrieb unlängst Japans Wirtschaftsblatt "Nihon Keizai".

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dpa-Meldung, 20.03.2006 (10:24)

Glos lässt bei Kampf gegen Atomausstieg nicht locker - SPD warnt

Berlin - Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) lässt bei seinem Kampf gegen einen raschen Atomausstieg nicht locker: Trotz des wiederholten Neins der SPD beharrt Glos darauf, die Laufzeiten der Kernkraftwerke zu verlängern. Die SPD-Fraktion pochte am Wochenende erneut auf den Koalitionsvertrag und warnte die Atomwirtschaft vor einem Ausstieg aus dem Ausstieg. Kritik kam auch von den Grünen. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) versuchte die Wogen zu glätten: "Am Atomausstieg wird nicht gerüttelt."

Glos sagte dagegen in der "Leipziger Volkszeitung", angesichts der Lage auf dem Energiemarkt und wegen der hohen Energiepreise "wird es auch bei der SPD nur eine Frage der Zeit sein, bis sie ihre ideologisch begründete Absage an die Kernenergie überdenkt". Er fügte hinzu: "Wir müssen noch das eine oder andere bewerkstelligen, was nicht oder so nicht im Koalitionsvertrag steht."

Unterstützt wird Glos durch ein Positionspapier der CSU- Landesgruppe, in dem eine Verlängerung der Atommeiler-Laufzeit verlangt wird. Bislang gilt der unter Rot-Grün beschlossene Ausstieg aus der Atomkraft bis zum Jahr 2020.

Der Minister hatte bereits angekündigt, das Thema beim Energiegipfel mit Industrie und Verbänden am 3. April im Kanzleramt ansprechen zu wollen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lehnt dies bislang ab. Kauder sagte der "Bild am Sonntag": "Beim anstehenden Energiegipfel wird die Frage gestellt werden: Was muss mittel- und langfristig für die Energieversorgung getan werden?"

SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber sagte in Richtung jener Energiekonzerne, die über längere Laufzeiten ihrer Atomkraftwerke nachdenken - zu ihnen zählen E.ON und EnBW: "Da muss der eine oder andere Energie-Multi sich auch überlegen, wie viel wert sein Wort in Zukunft noch ist." Die Konzerne hätten vertraglich zugesichert, keine Anträge auf eine Verlängerung der Laufzeiten zu stellen, sagte er in einem dpa-Gespräch.

Sinkende Strompreise wie von Glos erwartet hält Kelber als Argument für die Verschiebung des Atomausstiegs für falsch. "Wer Atomkraftwerke länger laufen lassen will, treibt die Verbraucher und die Unternehmen in die Abhängigkeit der Monopolisten", sagte er. "Damit tut er überhaupt nichts gegen die Preisanstiege, sondern er feuert sie nur an."

SPD-Generalsekretär Hubertus Heil wies Glos' Ansinnen zurück: "Da kann Herr Glos sich noch so oft wiederholen - Tatsache ist: Es bleibt beim geordneten Ausstieg aus der Atomkraft. Der Koalitionsvertrag gilt." Ähnlich äußerte sich Grünen-Fraktionschefin Renate Künast: "Mit seinen ständigen Forderungen nach einer Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke blockiert er notwendige Entscheidungen für eine zukunftsorientierte Energieversorgung."

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taz 18.03.2006

Atomstreit: Grüne suchen dritten Weg

Loske bleibt bei Rücktritt und sieht "fundamentalen Unterschied" zu Trittin. Umweltexperten wollen schlichten

BERLIN taz Die Grünen-Spitze in Berlin wirkt nach dem Rücktritt von Reinhard Loske ratlos. Alle Versuche, den für Umwelt zuständigen Fraktionsvize zum Rücktritt vom Rücktritt zu bewegen, sind zunächst gescheitert.

"Der Knall war jetzt so groß, dass der Rauch erst mal verwehen muss", sagte der Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell der taz. Fell hatte zuvor an einem Krisentreffen der Fraktionschefs Fritz Kuhn und Renate Künast mit Loske und den anderen Umweltexperten teilgenommen. Viel scheint dabei nicht erreicht worden zu sein - außer dem allseitigen Bekunden, man wolle sich um einen Kompromiss im Streit um die Endlagersuche bemühen. "Die Umweltpolitiker schlagen der Fraktion vor, die inhaltliche Diskussion zur Atommüllendlagersuche wieder aufzunehmen und zu einem breit getragenen, nach vorne weisenden grünen Vorschlag zu kommen", erklärte Loskes bisherige Stellvertreterin im Arbeitskreis Umwelt, Ulrike Höfken, der taz. Loske aber blieb bei seinem Rücktritt, den er nach seiner Abstimmungsniederlage am Dienstag verkündet hatte - verbunden mit dem drastischen Kommentar, als Ökologe fühle er sich bei den Grünen ziemlich einsam.

Die Fraktionsmehrheit hatte Loskes Konzept zur Endlagersuche abgelehnt, obwohl der gesamte Arbeitskreis Umwelt hinter ihm stand, und für den Vorschlag des früheren Umweltministers Jürgen Trittin votiert.

Die Fraktionschefs stimmten für Loskes Konzept, schätzten aber offenbar sowohl die Mehrheitsverhältnisse als auch Loskes mögliche Reaktion auf eine Niederlage falsch ein. Jedenfalls ließen sie die Situation eskalieren, statt die Abstimmung zu verschieben. Nun half alles Flehen nichts. "Wir bitten dich, überleg es dir noch einmal", schrieben Kuhn und Künast an Loske. "Von Spannungen zwischen dir und Jürgen wussten wir, aber niemand konnte absehen, dass daraus in Bezug auf eine Sachabstimmung solche Konsequenzen gezogen würden."

Loske antwortete darauf in einem Schreiben an Kuhn und Künast, das der taz vorliegt: "Spielt den Sachkonflikt nicht zu einem persönlichen Konflikt zwischen Exminister Trittin und mir herunter. Es ging um den in der Sache durchaus fundamentalen Unterschied zwischen einer öffentlichen und einer privaten Suche nach einem Endlager für Atommüll." Einige seiner Kollegen im Arbeitskreis Umwelt erklärten gestern, sie hofften dennoch, dass man einen "dritten Weg" finden könne. Denkbar sei ein "Mischmodell".

LUKAS WALLRAFF

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Frankfurter Rundschau 16.03.2006

Gipfel ohne Atomdebatte

Ausstieg bei Treffen kein Thema

Berlin · Entgegen den Forderungen von Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) soll der Atomausstieg beim bevorstehenden Energiegipfel ausgeklammert werden. Die seit Monaten in der Koalition strittige Frage der Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke werde bei der Spitzenbegegnung im Kanzleramt "kein Thema" sein, betonte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm am Mittwoch. Der Koalitionsvertrag von Union und SPD enthalte dazu "eindeutige Aussagen".

Das Treffen am 3. April soll Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Kabinettsmitglieder sowie Top-Manager der Energiebranche, Wissenschaftler, Verbraucherschützer und Gewerkschafter zusammenbringen. Als Themen nannte Wilhelm den künftigen Energiemix, die Versorgungssicherheit, die Strompreise und den Klimaschutz. Im Koalitionsvertrag hatten die Regierungsparteien zur Nutzung der Kernenergie "unterschiedliche Auffassungen" konstatiert; sie hatten verabredet, dass der im Jahr 2000 von Rot-Grün beschlossene Fahrplan zum langfristigen Atomausstieg "nicht geändert" werden solle. Rot-Grün hatte vereinbart , die Regellaufzeit der Kraftwerke auf 32 Jahre zu begrenzen. Laufzeiten können aber grundsätzlich zwischen Kraftwerken übertragen werden.

Sollten Unternehmen demnächst Anträge auf Übertragung von Laufzeiten stellen, werde darüber "nach Recht und Gesetz" entschieden, machte Wilhelm klar. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte sich wiederholt dagegen ausgesprochen, älteren Kernkraftwerken per Ausnahmegenehmigung längere Laufzeiten zu gewähren. Dabei verweist er auf das Atomgesetz, das seinem Ministerium im Falle solcher Anträge eine zentrale Stellung einräumt.

Ein Sprecher von Glos machte keinen Hehl daraus, dass der Wirtschaftsminister am 3. April am liebsten "alle Themen" des Energie-Mix diskutieren würde. Allerdings räumte er ein, was die Tagesordnung angehe, habe "die Bundeskanzlerin das Prä". Die Chefs der Energieunternehmen Eon und RWE, Wulf Bernotat und Harry Roels, nannten in Interviews die Regellaufzeit von 32 Jahren für AKWs zu kurz. Michael Bergius

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Münsterlandzeitung 16.03.2006

Erinnerung an Tschernobyl

Ahaus - Mit einem einstimmigen Votum ist der Vorstand der Bürgerinitiative "Kein Atommüll in Ahaus" im Amtbestätigt worden. Ein Schwerpunkt der Aktivitäten im Jahr 2006 ist die Großdemonstration zum 20-jährigen Gedenktag des Tschernobyl-Unglücks

Burkhard Helling ist weiterhin Vorsitzender der Bürgerinitiative "Kein Atommüll in Ahaus". Stellvertretender Vorsitzender und Pressesprecher der BI bleibt Felix Ruwe, Kassenführer ist Gerd Jeschar, Schriftführer und Vertreter beim Münsterlandbündnis bleibt Dietmar Ott. Birgit Lammers, Elke Rott und Heiner Möllers wurden auch wieder in den Vorstand gewählt.

Der gesamte Vorstand wurde von der Mitgliederversammlung in dieser Woche ohne Gegenstimme gewählt. In seinem kurzen Rechenschaftsbericht erinnerte Helling an die viele Arbeit die sich aus den Castortransporten 2005 ergeben hätte. Besonders wurde die "Verfolgung einzelner BI-Mitglieder durch Polizei, Staatsanwaltschaft, Staatsschutz und Gerichte" kritisiert. Viele oft kostspielige Ermittlungsverfahren oder Bußgeldverfahren seien "aufgrund falscher und oft völlig haltloser Beschuldigungen" eingeleitet worden.

Felix Ruwe berichtete über den Stand der Dinge und die geplanten Aktionen zum 20-jährigen Gedenktag des Supergaus in Tschernobyl. Zentrale Veranstaltung wird eine Großdemonstration am Samstag, 29. April, sein, die um 12 Uhr am Ahauser Bahnhof beginnt.

Für den kommenden Sonntagsspaziergang am 19. März werden alle Ahauser zum BZA eingeladen.

Ein weiterer Programmpunkt waren die Planungen zum traditionellen Maifest der Bürgerinitiative.

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ahaus@online.de 15.03.2006

BI-Vorstand bestätigt

Ahaus - 15.03.2006 -Burkhard Helling ist weiterhin Vorsitzender der Bürgerinitiative "Kein Atommüll in Ahaus". Stellvertretender Vorsitzender und Pressesprecher der BI bleibt Felix Ruwe, Kassenführer ist Gerd Jeschar, Schriftführer und Vertreter beim Münsterlandbündnis bleibt Dietmar Ott. Birgit Lammers, Elke Rott und Heiner Möllers wurden auch wieder in den Vorstand gewählt.

Der gesamte Vorstand wurde von der Mitgliederversammlung am 13. März ohne Gegenstimme gewählt. In seinem kurzen Rechenschaftsberich erinnerte Burkhard an die viele Arbeit, die sich aus den Castortransporten 2005 entwickelten. Besonders wurde die Verfolgung einzelner BI-Mitglieder durch Polizei, Staatsanwaltschaft, Staatsschutz und Gerichte kritisiert. Helling dankte allen Aktiven für die gelungene Arbeit innerhalb der BI.

Felix Ruwe berichtete über den Stand der Dinge und die geplanten Aktionen zum 20-jährigen Gedenktag des Supergaus in Tschernobyl. Zentrale Veranstaltung wird eine Großdemonstration am Samstag, den 29. April 2006 sein, die um 12.00 Uhr am Ahauser Bahnhof beginnt. Für den kommenden Sonntagsspaziergang am 19.03. 2006 werden alle Ahauser zum BZA eingeladen.

Ein weiterer Programmpunkt waren die Planungen zum traditionellen Maifest der BI.

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Frankfurter Rundschau 15.03.2006

GASTBEITRAG

Radioaktive Wolken kennen keine Grenzen

Die Gefahr der Atomenergienutzung bleibt real: Weil die Kraftwerke nicht vor Terroranschlägen geschützt sind und weil die Endlagerung nicht geklärt ist, warnt Thomas Breuer von Greenpeace.

VON THOMAS BREUER (Atomexperte Greenpeace)

Am 26. April 1986 geschah der bisher schlimmste Unfall der Atomenergienutzung: In Tschernobyl explodierte ein Reaktor. Ein Großteil der nördlichen Hemisphäre wurde verstrahlt, tausende Menschen starben an den Folgen, viele erkrankten zum Teil schwer. Immer noch leidet die Bevölkerung vor Ort.

Heute, 20 Jahre später, fordern Politiker der Union und die Konzernchefs von RWE, Eon, Vattenfall und EnBW wieder verstärkt die Nutzung von Atomkraft. Dabei wollen sie als erstes, dass die vier ältesten Atommeiler der Republik, Biblis A, Biblis B, Neckarwestheim 1 und Brunsbüttel, länger betrieben werden dürfen und nicht, wie eigentlich im Atomkonsens vereinbart, demnächst abgeschaltet werden.

Diese vier Reaktoren weisen das größte Unfallrisiko in Deutschland auf, sind am schlechtesten gegen Terroranschläge geschützt und haben bedenkliche bauartbedingte Mängel. Trotzdem soll nun ein Weiterbetrieb dieser schrottreifesten Reaktoren Deutschlands salonfähig geredet werden. Es ist zu befürchten, dass das erst der Anfang ist. Ist dann die Ablehnung der Deutschen gegen Atomkraft erst einmal unterminiert, werden sie weitersehen.

Dabei gilt: Keines der 17 jetzt in Deutschland laufenden Atomkraftwerke würde heute noch genehmigt werden. Das Atomgesetz, noch unter der Kohl-Regierung geändert, fordert nämlich, dass sicher gestellt werden muss, dass die Auswirkungen eines schweren Unfalls auf das Kraftwerksgelände beschränkt bleibt. Das kann aber niemand gewährleisten, weshalb die nachfolgende rot-grüne Regierung ein Neubauverbot für Atomkraftwerke ins Gesetz schrieb.

Deutschland muss beim Ausstieg aus der Atomkraft bleiben, denn Atomkraft ist nach wie vor gefährlich. Erstens kann es jederzeit wieder zu einem Super-GAU kommen und dann entfaltet sich eine unglaublich zerstörerische Kraft. Im dicht besiedelten Westeuropa wären die Folgen noch verheerender als in der Ukraine. Denn radioaktive Wolken kennen keine Grenzen.

Zweitens gibt es weltweit keine Lösung, wie hochradioaktiver Atommüll sicher gelagert werden kann. Und drittens können Atomkraftwerke von Terroristen angegriffen werden. Greenpeace hat nachgewiesen, dass kein deutsches Atomkraftwerk dem gezielten Absturz einer Verkehrsmaschine standhalten könnte. Hinzu kommt: Zivile Atomkraft und militärische Nutzung zum Bau einer Atombombe lassen sich nicht voneinander trennen. Der Streit mit Iran ist dafür das beste Beispiel.

Wer Atomkraftwerke zur Energiegewinnung betreibt, wird letztendlich auch in die Lage versetzt, Atombomben bauen zu können. Das ist ein Fakt, an dem niemand vorbei kommt. Wer weltweit die Weiterverbreitung der Atombombentechnologie verhindern will, muss deshalb für einen weltweiten Atomausstieg eintreten.

Ob da die Internationalen Atomenergie Organisation (IAEO), die zur Zeit den Auftrag hat, Atomtechnologie zu verbreiten, die richtige Behörde ist, ist fraglich. Dafür müsste die IAEO nach Vorstellung von Greenpeace ihre Ziele ändern.

Als Argumente führt die Atomindustrie gern Versorgungssicherheit und Klimaschutz ins Feld. Seltsam. Denn in Europa liegen nicht einmal drei Prozent der weltweiten Uranvorkommen und Uran reicht nur noch 65 Jahre. Und Klimaschutz kann anders effektiver betrieben werden. Wer den Energieverbrauch senkt, die Effektivität von Kraftwerken erhöht, wer Strom aus Sonne, Wind und Wasser produziert, der schützt das Klima, und zwar nachhaltig.

Atomkraft hingegen ist unbeherrschbar und gefährlich. Und zwar in allen seinen Facetten und Problemen. Das galt nicht nur im Schock von Tschernobyl, das gilt auch heute noch. Atomkraftwerke dennoch weiter zu betreiben, ist unverantwortlich.

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taz 09.03.2006

Erstes Atomklo genehmigt

Schacht Konrad in Niedersachsen soll nach der Schließung von Morsleben das erste Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle werden

Das erste Atommüllendlager im Westen darf gebaut werden. In dem ehemaligen Eisenerzbergwerk in Salzgitter sollen atomar verseuchte Abfälle vergraben werden. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg wies gestern alle Klagen gegen Schacht Konrad ab. Eine Revision ließ das Gericht nicht zu. Landwirt Walter Traube, einer der Kläger gegen den Atommüll, sagt im taz-Interview: "Irgendwo muss er hin, aber deshalb muss er nicht irgendwohin."

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Frankfurter Rundschau 09.03.2006

Gabriels schwierige Aufgabe

Nach dem Urteil für "Schacht Konrad" sucht der Umweltminister einen atomaren "Entsorgungskonsens" mit den Strom-Konzernen

VON VERA GASEROW

Es gibt alte Fotos von Sigmar Gabriel. Jede Menge. Zwanzig Jahre Widerstand gegen ein "Atomklo" vor der eigenen Haustür bieten reichlich Bildmaterial. Die Fotos zeigen einen Mann mit Transparenten, untergehakt von seinen Mitstreitern gegen den Bau eines nuklearen Endlagers "Schacht Konrad". An diesem Mittwoch gibt es andere Fotos von Sigmar Gabriel, dem Politiker der SPD. Sie zeigen einen Bundesumweltminister im vierten Stock seines Amtssitzes, der sichtlich gequält von einer "für mich fast paradoxen Situation" spricht.

Kurz zuvor, am Morgen, hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg Klagen von Anwohnern und Gemeinden gegen die Inbetriebnahme des alten Bergwerk-Schachts bei Salzgitter verworfen und einen juristischen Persilschein ausgestellt für den Bau des ersten Atommüll-Endlagers in Deutschland. Und Sigmar Gabriel - immer noch strikter Gegner des Vorhabens, aber nunmehr Umweltminister - wird zum wahrscheinlichen Bauherren wider Willen. Der Richterspruch hat ihn als obersten Dienstherrn in eine Lage gebracht, aus der auch kein Galgenhumor rettet. "Das Urteil", sagt der Minister, "bedeutet, neutral formuliert, eine Herausforderung."

Das ist, neutral formuliert,untertrieben. Denn die Herausforderung für den Sozialdemokraten und AKW-Gegner ist eine persönlich-multiple. Gabriel wohnt nur 30 Kilometer von "Konrad" entfernt. Deutschlands erstes "Atomklo" läge mitten in seinem Wahlkreis. Als Sozialdemokrat steht er dort mit "Nein zu Konrad" im Wort. Als Umweltminister muss er nun einstimmen: Mit dem Urteil sei die Errichtung des Endlagers "sehr wahrscheinlich" geworden. Und wenn dieses Urteil rechtskräftig würde, "dann müssen wir mit der Realität umgehen".

Die Realität - das ist das leidige Erbe der 70er und 80er Jahren, als der politische Finger auf der Landkarte recht wahllos auf zwei niedersächsische Orte tippte. Gorleben und Schacht Konrad waren damit, jenseits ausgiebiger fachlicher Prüfungen, zur nationalen Müllkippe für atomare Abfälle erkoren. Erbe Gabriel ist wie sein Vorgänger Jürgen Trittin unfreiwilliger Testamentsvollstrecker der strahlenden Hinterlassenschaft.

Ein politisches Minenfeld für jeden, der es betritt. Gibt der Umweltminister seiner Überzeugung nach und zieht aus politischen Gründen den aus den 80er Jahren stammenden Antrag zum Bau eines Endlagers zurück, drohen dem Bund saftige Schadenersatzklagen der Energieversorger von mehr als einer Milliarde Euro. Die Konzerne haben bisher zwei Drittel der 900 Millionen gezahlt, die bereits in "Konrad" verbuddelt wurden. Sie drängen massiv: Nach dem Urteil müsse die Politik sofort den Bau des ersten Endlagers beginnen. Spätestens 2013 wolle man den Schacht beschicken können.

Spielräume der Energieversorger

Ob die Energieversorger wirklich wollen, was sie da ankündigen? Es gibt Zweifel. Denn die Branche hat noch in den 90er Jahren die Idee vertreten, Deutschland brauche nur ein einziges Endlager. Als alleiniges Lager wäre "Konrad" jedoch nicht geeignet. Dort könnte kein hochradioaktiver Müll eingelagert werden wie der, den Castoren nach Gorleben bringen. Nur schwach- und mittelradioaktiver Abfall, wie er vor allem in der Forschung und beim Abriss von Atommeilern anfällt, könnte dorthin kommen. Und die Menge dieses Mülls ist in den vergangenen Jahren drastisch geringer ausgefallen, als die Planer von "Konrad" vor 20 Jahren kalkuliert haben. Mit dem Atomausstieg dürfte das Müllvolumen künftig kaum wachsen. Das "Atomklo" wäre also deutlich überdimensioniert und nicht ausgelastet. Das wiederum könnte das umstrittene Projekt auch aus Sicht der Stromwirtschaft unrentabel machen. Bei 1,8 Milliarden Euro Baukosten für "Konrad" würden die Preise pro eingelagerten Kubikmeter explodieren.

Auf schlichte wirtschaftliche Vernunft setzt offenbar auch Gabriel, wenn er ankündigt, er wolle mit den Energie-Unternehmen über die Rentabilität reden. Er schlägt der Branche dazu einen "Entsorgungskonsens" vor, analog zur Ausstiegsvereinbarung. Doch ohne Gegenleistung dürften die Stromkonzerne kaum zum Verzicht auf "Konrad" bereit sein. "Der Schacht", meint ein Kenner der Branche, "ist für die willkommener Spielball, mit dem sie hoffen, Gabriel etwa zu längeren AKW-Laufzeiten erpressen zu können."

Der Umweltminister selbst kann vorerst nur auf den Faktor Zeit setzen. Wenn die Kläger die Zulassung der Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht erwirken könnten, gäbe es ein Jahr Aufschub. Zeit, in der der Umweltminister sein Endlager-Konzept vorlegen will. Aber eher eine Gnadenfrist. Gabriel weiß das. Gleich nach dem Urteil ist er am Mittwoch nach Salzgitter gefahren. Rede und Antwort stehen den eigenen "Genossen". Das ist er den "Schacht-Konrad"-Mitstreitern schuldig. Auf einen warmen Empfang konnte er wohl nicht rechnen.

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taz 09.03.2006

Umweltminister unter Druck

KOMMENTAR VON HANNES KOCH

Durch die richterliche Unterstützung für den Bau des atomaren Endlagers Schacht Konrad hat Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) eine Menge zusätzlichen Ärger am Hals - mit seinen Genossen in Niedersachsen, seinen Wählern im heimatlichen Wahlkreis und den Aktivisten in der atomkritischen Bevölkerung. Dieser Ärger - und auch der für die Kläger missliche Ausgang des Verfahrens - könnte aber auch eine gute Seite haben: Er stärkt Gabriels Position gegenüber den Atomkonzernen, sowohl hinsichtlich der AKW-Laufzeiten als auch des Endlagers für Brennelemente in Gorleben.

Zunächst: Mit dem jetzt erzwungenen Weiterbau des Atommüll-Endlagers bei Salzgitter sind Gabriel die Dinge zum Teil aus der Hand genommen. Gegenüber den Anti-AKW-Aktivisten kann der Umweltminister erklären, nichts mehr für sie tun zu können. Die Atomkonzerne hingegen wird der Umweltminister darauf hinweisen, dass sie nun das Endlager bekommen, das sie sich immer so sehr gewünscht haben - und das sie auch brauchen, um den Kraftwerk-Schrott der kommenden Jahrzehnte zu vergraben.

Zugleich aber gilt es, möglichst viel vom rot-grünen Atomkonsens gegen die Betreiber der AKWs durchzusetzen. Zumindest offiziell legt Gabriel Wert darauf, dass analog zum Ausstiegsbeschluss von 2000 in dieser Legislaturperiode vier deutsche Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Die Konzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW dagegen würden am liebsten alle weiterbetreiben. Ist der Umweltminister stark, werden drei oder vier Anlagen stillgelegt, ist er schwach, nur eine oder zwei.

Dies aber ist im Hinblick auf das noch nicht existierende Endlager für stark strahlenden Atommüll von äußerst großer Bedeutung. Eine Lehre aus dem Jahrzehnte dauernden Streit um Schacht Konrad ist, dass keine deutsche Regierung eine derartige Anlage irgendwo in die Landschaft setzen sollte, ohne vorher verschiedene Standorte gegeneinander abgewogen zu haben. Zu Gorleben müssen Alternativen geprüft werden. Aber solange der Atomausstieg nicht politisch stabil ist, wird auch kein Endlager für den stark strahlenden Abfall durchsetzbar sein. Auch wenn inzwischen der Schacht Konrad in Betrieb geht.

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