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dpa 4.12.95:

Streit nach Stromausfall: Viele Masten waren marode

Marode Strommasten sorgten für die tagelangen Stromausfälle im Münsterland.

Essen - Der Energieversorger RWE gerät nach den tagelangen Stromausfällen im Münsterland unter Druck.

Das Unternehmen soll zu wenig gegen Materialmängel an Hochspannungsmasten unternommen haben. RWE wies die Vorwürfe zurück.

Wie der "Spiegel" unter Berufung auf interne Vorstandsberichte schreibt, hätten bis zu 60 Prozent der Hochspannungsmasten von RWE schwerwiegende Materialfehler aufgewiesen. Viele Masten hielten laut internen Risikoanalysen des Unternehmens nicht einmal mehr 40 Prozent der normalen Zugbelastung stand. Dieses Problem sei schon seit dem Jahr 2000 im Konzern bekannt.

Ein RWE-Sprecher bestätigte, dass die bis 1967 hergestellten Strommasten aus so genanntem Thomasstahl "eine potenzielle Versprödungstendenz" aufwiesen. Diese könne bis zu einem Bruch des Stahls führen. Deshalb habe das Unternehmen bereits vor Jahren alle fraglichen Strommasten einer Inspektion unterzogen, erklärte RWE. Hinweise auf flächendeckende Sicherheitsmängel hätten sich nicht ergeben, Schäden seien sofort repariert worden. Von den rund 42 000 Hochspannungsmasten des früheren RWE Net wurden etwa 28 000 aus Thomasstahl produziert.

RWE hat nach eigenen Angaben bislang rund 70 Prozent von 2900 als besonders gefährdet geltenden Strommasten saniert oder ausgetauscht. Die Sanierung der restlichen gut 25 000 Masten aus Thomasstahl sei bis 2015 geplant.

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DER SPIEGEL 49/2005 05. Dezember 2005 ENERGIE:

Brüchige Kolosse

Von Andrea Brandt, Frank Dohmen und Guido Kleinhubbert

Der Energiemulti RWE hatte über Jahre ein gravierendes Sicherheitsproblem mit seinem Hochspannungsnetz. Nach internen Studien waren bis zu 60 Prozent der Masten von einem Materialfehler betroffen. Selbst heute könnten noch etliche knicken.

Das Chaos war gewaltig: Sechs Tage lang lebte das sonst so idyllische Münsterland im Ausnahmezustand. 50 Strommasten des Energiemultis RWE waren unter den ersten Schneefällen des Jahres eingeknickt wie Streichhölzer. Es gab keinen Strom, kein Licht, keine Wärme.

Tausende Menschen campierten in Turnhallen und Notunterkünften. Bundeswehr und Technisches Hilfswerk versorgten die Menschen mit heißen Suppen. Landwirte mussten das Wasser für Kühe und Schweine in Metalleimern heranschleppen, weil die Pumpen streikten. In Fabriken standen Fließbänder still, Restaurants und Supermärkte sortierten angetautes Tiefkühlfleisch aus. "Wer soll das alles bezahlen", fragt Franz-Josef Melis, Bürgermeister der Stadt Ochtrup.

Erst seit Donnerstag vergangener Woche können die Münsterländer wieder zu Hause heizen, kochen und warm duschen - in einigen Außenbezirken noch immer nur per Notstromaggregat.

Während die 250.000 Betroffenen der Region sich von dem Schrecken erholen und zugleich die Wut auf RWE stetig wächst, bietet der Essener Stromversorger eher hilflose Erklärungsversuche für die Katastrophe. Grund für den Zusammenbruch seien weder mangelhafte Netze noch Fehler in der Organisation. Nein, schuld sei das Wetter.

Der unerwartete Wintereinbruch habe dazu geführt, dass die Leitungen so stark vereist gewesen seien, dass sie zum Teil ein vielfach höheres Gewicht zu tragen gehabt hätten, als die gesetzlichen Höchstgrenzen verlangen. Schadensersatzansprüche würden deshalb abgelehnt. Der Blackout sei eine Folge "höherer Gewalt". Gegen die sei man bekanntlich machtlos.

Noch vor knapp zwei Jahren hatte sich das ganz anders angehört. Damals war in weiten Teilen Italiens das Stromnetz zusammengebrochen. Und die RWE-Manager hatten mit großer Überheblichkeit kommentiert, wie das Land jenseits der Alpen im Chaos versank.

Solche großflächigen Stromausfälle seien hierzulande nicht vorstellbar. Immerhin würden kontinuierlich große Summen in die Netztechnik und -sicherheit investiert. Auch deshalb sei Energie hierzulande eben etwas teurer als in den europäischen Nachbarstaaten. Es war der schlappe Versuch, die stetig steigenden Strompreise mal anders zu rechtfertigen.

Doch die Zweifel an solchen Erklärungen wachsen, seit im Münsterland unterm ersten Schnee des Jahres gleich reihenweise RWE-Masten umknickten. Inzwischen fordert die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Christa Thoben "schnelle und detaillierte Antworten" des Konzerns auf die Frage, in welchem Umfang RWE in der Vergangenheit ins Stromnetz investiert habe. Auch die Bundesnetzagentur in Bonn dürfte als zuständige Aufsichtsbehörde kritische Fragen stellen.

Denn offenbar hat RWE der Bevölkerung über Jahre hinweg verschwiegen, dass in ihrem 12 000 Kilometer langen Stromnetz gravierende Sicherheitsprobleme lauern und deshalb unzählige Menschen in der gesamten Republik möglicherweise Risiken für Leib und Leben ausgesetzt wurden. Diesen schwerwiegenden Verdacht zumindest nähren keine Öko-Querulanten, sondern interne RWE-Unterlagen aus dem Jahr 2003, die dem SPIEGEL vorliegen. Aus den brisanten Papieren ergibt sich, dass

* rund 60 Prozent aller Hochspannungsmasten im RWE-Versorgungsgebiet einen schwerwiegenden Materialfehler aufweisen und möglicherweise akut einsturzgefährdet sind;

* viele Masten nicht einmal mehr 40 Prozent der normalen Zuglast standhalten, wobei die gesetzlich vorgeschriebene Norm deutlich unterschritten wird;

* der erste Mann im Unternehmen seit Ende 2003 über die Zustände informiert ist: Konzernchef Harry Roels.

Die RWE-Manager beschreiben in ihren Notizen auch ein "Worst-Case-Szenario", den aus ihrer Sicht schlimmsten Verlauf eines Unfalls mit den gewaltigen Stahlständern. Dagegen nehmen sich die Vorfälle im Münsterland wie kleine Haushaltsunfälle aus. Bei extremen Wetterlagen könnte es aufgrund der vorhandenen Materialfehler zu "flächenhaften Mastumbrüchen" kommen, heißt es RWE-intern. Allein die Wiederherstellung des Netzes würde "rund 350 Millionen Euro" kosten. Auch "strafrechtliche Haftungsrisiken durch Personenschäden" kalkulierten die Manager in ihrer Analyse ein.

Konkret bedeutet das: Menschen könnten durch umfallende Masten und Hochspannungsleitungen verletzt oder sogar getötet werden. Selbst die Wahrscheinlichkeit eines solchen Falls haben die RWE-Ingenieure akkurat bestimmt: "bis zu 10 Prozent". Die Gefahr, dass einzelne Masten selbst schon bei "gewöhnlichen Wetterlagen" umkippen, wird in der Risikoanalyse mit einer Wahrscheinlichkeit von immerhin "bis zu 50 Prozent" angegeben.

Der Grund für den maroden Zustand der RWE-Stromnetze ist offenbar ein simpler Fehler, der in die Gründungsjahre der Bundesrepublik zurückreicht. Um die Stromversorgung im jungen Westdeutschland aufzubauen, bauten die Rheinisch-Westfälischen-Elektrizitätswerke damals zahlreiche neue Hochspannungstrassen.

Überall in der Republik waren Bautrupps unterwegs, um die gewaltigen Masten zu errichten, mit deren Hilfe der Strom von den großen Kraftwerken im Ruhrgebiet und im Rheinland in Städte und Gemeinden geleitet werden sollte.

Verwendet wurde dabei bis zum Jahr 1965 der sogenannte Thomasstahl. Der Baustoff entsprach dem Stand der damaligen Technik. Heute jedoch entpuppt er sich als unkalkulierbares Risiko. Denn Thomasstahl hat einen recht hohen Stickstoffgehalt - und das hat gravierende Langzeitfolgen.

Im Laufe der Jahrzehnte würden die Masten spröde, warnten RWE-Sicherheitsingenieure in Notizen an den RWE-Vorstand bereits in den Jahren 2000 und 2001. Die Folge: Statt sich bei Belastung "plastisch zu verformen", fallen die brüchigen Kolosse einfach in sich zusammen - nicht nur unter Extrembelastungen.

In Vorstandsberichten heißt es: "Versuche mit eigenem Mastmaterial" hätten gezeigt, dass "versprödete Bauteile schon bei 40 Prozent ihrer theoretischen Bruchfestigkeit brechen und somit die Sicherheitsreserve weit unterschritten" würde. Damit werde gegen die einschlägige Bestimmung des Energiewirtschaftsgesetzes verstoßen, urteilten die RWE-Techniker.

Dass Unglücke durch spröden Stahl nicht nur theoretische Möglichkeiten sind, schreiben die Techniker dem damaligen Vorstand der Netzsparte sogar detailliert auf. Seit 1986 seien bei RWE 27 "Mastumbrüche" registriert worden, "allesamt lassen sich auf Versprödung in tragenden Mastbauteilen zurückführen". Anstatt die Risiken schnellstmöglich zu beheben und die erkannten Gefahren umgehend zu beseitigen, ließ sich RWE offenbar erstaunlich viel Zeit.

Ein Jahr nach dem erschreckenden Befund wird dem Vorstand im Juli 2002 ein weiterer, umfangreicher "Risikobericht zur Maststahlversprödung" vorgelegt. Er bestätigt die Befürchtungen nicht nur. Er konkretisiert sie sogar.

Die notwendigen Konsequenzen zieht der Konzern aber auch zu diesem Zeitpunkt nicht. Im Gegenteil: "Eine sofortige Sanierung" aller gefährdeten Masten sei "nicht möglich, da nicht genügend interne und externe Berechnungsressourcen vorhanden sind", heißt es in dem Papier. Außerdem sei "der sofortige Neubau der sprödbruchgefährdeten Masten nicht finanzierbar".

Bis Ende 2003 ändert sich am gefährlich schlechten Zustand des Netzes nichts Grundlegendes. Spätestens zu diesem Zeitpunkt erreichen die Warnungen der Techniker auch den Holdingvorstand des Konzerns und dessen Chef Roels. In einer 25-seitigen Präsentation erläutern die Ingenieure dem Niederländer das Problem. Zu diesem Zeitpunkt sind die Techniker der Netzsparte bereits aufs Höchste alarmiert. Denn erstmals sind in der Presse Hinweise auf mögliche Materialfehler bei Hochspannungsmasten aufgetaucht.

Entsprechend genau wird der RWE-Chef informiert: Der Vorstand sieht zahlreiche Bilder von gebrochenen Strommasten. Die Spezialisten erläutern die Dimension: Rund 25 000 Masten im bundesweiten Versorgungsgebiet der RWE seien bedroht, also 57 Prozent aller Hochspannungsträger von "Sprödbruch gefährdet".

Zwar wurde ein Sanierungsplan besprochen. Doch der sollte wohl vor allem dazu dienen, die Kosten für den Konzern so gering wie möglich zu halten. Anders ist kaum zu erklären, dass in einem ersten Schritt von "drei bis vier Jahren" lediglich die "Masten mit dem höchsten strafrechtlichen Risiko" repariert werden sollten. Das sind laut damaliger Aufstellung nur 2700 Stück. Die Kosten für die Aktion werden in dem Papier auf nur 40 Millionen Euro geschätzt.

In einer "Langfristplanung" sollten dann die nächsten 4500 Masten mit den "höchsten privatrechtlichen Risiken" für weitere 70 Millionen Euro in Ordnung gebracht werden. Die Sanierung des kompletten Netzes - nach damaliger Schätzung rund 1,2 Milliarden Euro teuer - sollte dagegen auf rund 25 Jahre gestreckt werden.

Die geheime Planung ist umso erstaunlicher, weil eine solche Summe für den RWE-Konzern finanziell keine allzu gewaltige Herausforderung dargestellt hätte. Seit Jahren fährt der Konzern durch ständig steigende Strompreise immer neue Rekordgewinne ein. Allein 2004 strich das Essener Unternehmen einen Gewinn vor Steuern von rund 3,7 Milliarden Euro ein.

Warum also ordnete Roels nicht unmittelbar die Sanierung des Gesamtnetzes an? Warum gab der RWE-Chef keine Informationen an Behörden und die Öffentlichkeit über den desolaten Zustand des Stromnetzes? An der Höhe der notwendigen Investitionen könne es kaum gelegen haben, glauben Insider. Roels scheute womöglich eventuelle Kursverluste an den Börsen, die sich aus Meldungen über ein Sicherheitsrisiko wohl fast unvermeidlich eingestellt hätten.

RWE weist solche Überlegungen als völlig "unzutreffend" zurück und bemüht sich gleichzeitig, die brisanten Vorstandspapiere herunterzuspielen. In den vergangenen beiden Jahren sei die Sanierung der betroffenen Masten mit allem Hochdruck vorangetrieben worden. So seien beispielsweise externe Gutachter der Universität Duisburg

eingeschaltet worden, um den Bestand in einem zertifizierten Verfahren genau zu analysieren und in Gefahrenklassen einzuteilen. In diesem Zusammenhang seien auch die Masten im Münsterland untersucht und als unbedenklich eingestuft worden. Immerhin: Auch dort brachen unter anderem Konstruktionen aus den Jahren 1950/51 und 1960 ein.

Außerdem wurden nach Angaben des Konzerns Prioritätenlisten aufgestellt. Dabei wurden 2900 Masten als vorrangig eingeordnet. Bei ihnen handelt es sich um Stahlträger, die zum Beispiel direkt an Häusern oder Straßenkreuzungen stehen.

Nach ursprünglicher Planung sollte diese Gruppe schon bis Ende dieses Jahres ausgewechselt werden. Wegen technischer Probleme musste jedoch ein Rest der Arbeiten in das Jahr 2006 verschoben werden. Dieser "Rest" beläuft sich auf 30 Prozent.

Konkret bedeutet das: Seit den ersten Hinweisen auf eine mögliche Gefahr im Jahr 2000 hat RWE es bis heute nicht einmal geschafft, wenigstens jene Masten komplett zu sanieren, die das höchste Gefährdungspotential aufweisen. Bis alle potentiell brüchigen Stahlriesen ausgewechselt sind, werden selbst nach heutiger Planung noch zehn Jahre vergehen.

Eine Gefährdung für die Bevölkerung habe es trotzdem nicht gegeben, beteuert der Konzern. Durch das neue "Untersuchungskonzept" könne man Risiken frühzeitig erkennen. Insofern habe auch keinerlei Veranlassung bestanden, Bevölkerung oder Behörden aktiv zu informieren. Auf gezielte Anfragen der Presse (siehe SPIEGEL 41/2003) habe man das Thema zumindest nicht verheimlicht.

Und mit Angst vor den Kosten, wie sie in den Vorstandspapieren aus dem Jahr 2003 noch vermerkt werden, habe die schleppende Sanierung ohnehin nichts zu tun. Im Gegenteil: Es gebe sogar eindeutige Vorstandsbeschlüsse, nach denen die Sanierung des Netzes von allen Sparbeschlüssen des Konzerns ausgenommen worden sei. Insgesamt seien inzwischen rund 550 Millionen Euro für die Mastarbeiten bereitgestellt worden.

Andererseits: Nur ein Jahr nachdem Roels die dringenden Warnungen seiner Ingenieure auf den Tisch bekam, stutzte der RWE-Chef die Investitionen in seiner Netzsparte radikal zusammen. Statt wie im Jahr 2003 rund 1,65 Milliarden Euro investierte der Essener Energie-Gigant im Jahr 2004 nur noch eine Milliarde Euro in die wichtige Tochter. Das sind gut 38 Prozent weniger als im Vorjahr.

http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,388269,00.html

ZUM THEMA IN SPIEGEL ONLINE

Stromausfälle: Spröde Riesen [?] (06.10.2003)

SPIEGEL-DOSSIERS>>

Energie: Zurück zum Monopol? [?] (09.09.2004)

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MZ 5.12.05:

Ohne Probleme

Steinfurt - "Gott sei Dank. Es hat geklappt." Als wir gestern Steinfurts Bürgermeister Andreas Hoge am Autotelefon erwischen, hört man seine Erleichterung deutlich heraus.

Die notwendige Strom-Abschaltung von ganz Borghorst für rund acht Stunden in der Nacht zu Sonntag wegen der Mastarbeiten in Leer sei ohne Probleme über die Bühne gegangen. In beiden Feuerwehrgerätehäusern wären Anlaufstellen eingerichtet gewesen. In Borghorst habe man zwei Löschzüge in Bereitschaft und in Burgsteinfurt die Einsatzleitung mit Stadtbrandinspektor Bernhard Pohl stationiert.

"In Burgsteinfurt gab es so gut wie keine Versorgungslücken, weil u.a. der Hygiene-Artikelhersteller Buckeye die Produktion bis fast auf Null heruntergefahren hat. Andere taten das auch", so Hoge. Der Bürgermeister rechnet damit, dass die jetzt noch notwendigen Reparaturarbeiten keine längeren Stromabschaltungen mehr erforderlich machen.

Auch Peter Köster von der RWE Westfalen/Weser-Ems ist zufrieden. "Wir haben am Samstag in beiden Stadtteilen die Bevölkerung an vielen Stellen über die Bauarbeiten und die stromlose Nacht informiert." Und auch ganz schmackhafte Wiedergutmachung hatte der Energiekonzern vorbereitet. Als Dankeschön am Sonntagmorgen gab es überall kostenlos frische Brötchen. - Martin Fahlbusch

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WDR 4.12.05:

Schadenersatz nach Stromausfall?

Vorwürfe gegen Energieversorger RWE

Nach den Stromausfällen im Münsterland sind die Chancen für Verbraucher und Firmen auf Schadenersatz möglicherweise gestiegen. Nach Medienberichten soll der Energiekonzern RWE von Sicherheitsmängeln im Hochspannungsnetz gewusst haben.

Schneechaos in NRW - Aktuelles und Hintergründe

Sicherheitsmängel bekannt?

Neue Vorwürfe gegen RWE (03.12.05)

Der Druck auf RWE wächst. Zunächst hatte das Nachrichtenmagazin "Spiegel" in einem Vorabbericht am Samstag (03.12.05) über Materialfehler bei Hochspannungsmasten berichtet. Demnach wiesen bis zu 60 Prozent aller RWE-Masten Mängel auf. Das Magazin beruft sich dabei auf einen internen RWE-Bericht aus dem Jahr 2003. Das Unternehmen habe von den Materialfehlern gewusst. Auch die "Berliner Zeitung" berichtete am Samstag, Masten aus dem so genannten Thomasstahl könnten verspröden und brechen. Thomasstahl wurde bis Ende der 60er Jahre europaweit verwendet, viele RWE-Masten stammen noch aus dieser Zeit.

Verbraucherschützer sieht Chancen - Waren die Schäden vorhersehbar?

RWE-Kunden könnten dadurch Anspruch auf Schadenersatz erhalten. "Ich glaube nicht, dass RWE sich verweigern kann", sagte Aribert Peters, der Vorsitzende des Bundes der Energieverbraucher, zu wdr.de. Selbst ohne eigenes Verschulden befinde sich das Unternehmen in einer "moralischen Zahlungsverpflichtung". Da nun aber nachgewiesen sei, dass RWE von den morschen Masten wusste, hätten die Verbraucher auch rechtlichen Anspruch auf Schadenersatz. "Unser Rat ist, die Schäden zu dokumentieren und bei RWE geltend zu machen", sagte Peters - das könne formlos geschehen, "und dann die Reaktion abwarten." Der Imageschaden für das Unternehmen wachse in seinen Augen von Tag zu Tag, der von RWE eingerichtete Härtefonds sei ein Zeichen guten Willens, aber letztendlich "ein Witz".

Der Bund der Energieverbraucher wirft RWE vor, seit Jahren zu wenig in die Stromnetze investiert zu haben. "Notwendige Reparaturen werden auf Jahre hinausgeschoben, um den Gewinn zu sichern", so Peters. Während das Schneechaos in den Niederlanden kaum Schaden an den Stromleitungen angerichtet habe, seien die Masten im Münsterland nicht ausreichend belastbar gewesen. "Wir stellen uns außerdem die Frage", sagte Peters weiter, "warum die Leitungen nicht beheizt wurden".

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WDR2 Der Sonntag 04.12.05

RWE weist Vorwürfe zurück

Wieder 10.000 ohne Strom

Kannte RWE das Sicherheitsrisiko?

RWE weist alle Vorwürfe zurück. "RWE kann nicht haften, weil wir die Stromausfälle nicht schuldhaft verursacht haben", sagte Konzernsprecher Bill McAndrews zu wdr.de. Das Unternehmen inspiziere regelmäßig alle Strommasten, dabei seien keine Sicherheitsmängel festgestellt worden. Die Schäden nach dem Schneechaos im Münsterland seien ausschließlich auf die extremen Witterungsbedingungen zurückzuführen. Die an den Stromkabeln zerrende schwere Eislast und die Orkanböen hätten die Strommasten übermäßig belastet.

Der in die Diskussion geratene Thomasstahl könne zwar tatsächlich eine potenzielle Versprödungstendenz aufweisen. RWE habe jedoch ältere Masten in der Nähe von Bebauungsgebieten und Verkehrswegen schon zu 70 Prozent saniert oder ausgetauscht. Alle Masten seien einzeln optisch kontrolliert und erkennbare Mängel sofort behoben worden. "Seit 1992 haben wir überhaupt nur zehn materialverschuldete Schäden an Masten aus Thomasstahl verzeichnet", sagte McAndrews.

Vorläufige Schadensbilanz - Exakte Schadensbilanz steht noch aus

RWE will sich zur Höhe des entstandenen Schadens noch nicht äußern, McAndrews spricht nur von einem Schadenssatz in "zweistelliger Millionenhöhe". Laut interner Statistik seien im Münsterland 60 bis 70 Strommasten "mehr oder weniger beschädigt", darunter befänden sich sowohl Masten aus Thomasstahl als auch Masten neueren Baujahrs. Ein unabhängiger Gutachter erstelle derzeit einen Bericht, der "so schnell wie möglich" der Bundesnetzagentur vorgelegt werden solle.

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