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nd-online.de 30.08.2005

Rot-grüne Regierungsbilanz: Was ist aus dem Atomausstieg geworden?

Ausstieg ohne Strahlkraft

Halbherzigkeiten und Konzernwiderstand sorgten für bescheidene Regierungsbilanz 

Von Reimar Paul 

»Umfassend und unumkehrbar« sollte der Atomausstieg werden, hatten SPD und Grüne 1998 versprochen. Sieben Jahre später kann von einem umfassenden Ausstieg keine Rede sein.

Mit Stade (2003) und Obrigheim (2005) wurden bisher zwei vergleichsweise kleine Atomkraftwerke vom Netz genommen. 17 Meiler produzieren für viele Jahre weiterhin Strom und Pannen. Und unumkehrbar ist der vorgebliche Ausstieg erst recht nicht. CDU und FDP haben angekündigt, die Laufzeiten der Reaktoren zu verlängern.

Nach längerem Gefeilsche hatten die Bundesregierung sowie die vier großen Stromkonzerne e.on, RWE, Energie Baden-Württemberg und Vattenfall im Sommer 2000 den so genannten Atomkonsens fest gezurrt. Das später auch im Atomgesetz verankerte Abkommen verbot zwar den Bau neuer kommerzieller Atomkraftwerke, schrieb den Weiterbetrieb der laufenden AKW allerdings für lange Zeit fort. Für jede Anlage vereinbarte man ein Reststrom-Kontingent, das einer durchschnittlichen Gesamt-Laufzeit von 32 Jahren entsprach. Frühestens im Jahr 2021 soll nach dem Deal der letzte Meiler abgeschaltet werden. Viel wahrscheinlicher war von Beginn an aber ein deutlich späterer Zeitpunkt, weil die Betreiber die Stromkontingente von alten, früher stillgelegten Kraftwerken auf neuere und leistungsfähigere Reaktoren übertragen dürfen. Die Befristung der Laufzeiten erkaufte sich die Regierung mit dem Verzicht auf Sicherheitsauflagen.

Überhaupt nicht voran gekommen ist Rot-Grün in der brisanten Frage der Endlagerung nuklearer Abfälle. Erst vor wenigen Wochen &endash; und damit viel zu spät für eine parlamentarische Beratung noch vor den Neuwahlen &endash; legte das Umweltministerium einen Gesetzentwurf für ein Atommüllendlager vor. Es soll die Zuständigkeiten und die Verfahrensschritte für die Auswahl eines Standorts regeln. Der Entwurf orientiert sich an Empfehlungen des Arbeitskreises Endlagerstandorte (AK End). Das von Minister Jürgen Trittin (Grüne) berufene Expertengremium hatte 2002 empfohlen, die Suche nach einem Endlager neu aufzurollen.

Dass der Entwurf Makulatur ist, hat Trittin selbst zu verantworten. Denn aus Angst vor Konflikten legte er den Gesetzentwurf immer wieder auf Eis. Damit spricht nun wieder alles für ein Atommüllendlager Gorleben, obwohl der Salzstock als brüchig gilt und Kontakt zum Grundwasser hat. Die AKW-Betreiber haben erklärt, dass sie sich an der Suche nach weiteren Standorten nicht beteiligen wollen. Sie verweisen darauf, dass sie schon 1,3 Milliarden Euro in die Erkundung Gorlebens gesteckt haben. Nicht viel, wenn man bedenkt, dass die Konzerne für die Entsorgung steuerfreie Rücklagen in Höhe von rund 30 Milliarden Euro anhäufen konnten. Für schwach und mittelradioaktive Abfälle ist das Endlager Konrad bei Salzgitter genehmigt.

Immerhin hat die Bundesregierung die skandalträchtige Wiederaufarbeitung deutschen Atommülls beendet. Die Fabriken in Frankreich und England werden seit dem 1. Juli 2005 nicht mehr mit abgebrannten Brennstäben aus deutschen AKW beliefert. Stattdessen sind an allen AKW-Standorten so genannte »dezentrale« Zwischenlager im Bau oder schon in Betrieb. Doch die Verschieberei von strahlenden Abfällen ist damit nicht gestoppt. Noch viele Jahre werden die so genannten »Rücktransporte« aus den Wiederaufarbeitungsanlagen La Hague und Sellafield nach Gorleben rollen. Im innerdeutschen Atommüll-Verkehr sorgten kürzlich die völlig überflüssigen Castortransporte vom sächsischen Atomforschungszentrum Rossendorf ins westfälische Zwischenlager Ahaus für Aufsehen und Proteste.

Die rot-grüne Landesregierung in Düsseldorf genehmigte zu Jahresbeginn den Ausbau der Urananreicherungsanlage in Gronau. Dort wird in hintereinander geschalteten Gaszentrifugen Uran für die Nutzung in Atomkraftwerken angereichert. Derzeit hat die Fabrik eine Kapazität von 1800 Tonnen Urantrennarbeit pro Jahr &endash; das reicht für etwa 15 große Atomkraftwerke. Mit der erweiterten Kapazität können 35 AKW und damit Kunden im Ausland versorgt werden.

Nicht zu vergessen: Die Genehmigung des Forschungsreaktors FRM in München und der Pilotkonditionierungsanlage in Gorleben fielen ebenfalls in die rot-grüne Regierungszeit. Und auch im internationalen Atomgeschäft mischte Deutschland kräftig mit. Der von Kanzler Gerhard Schröder verfolgte Export der Hanauer Plutoniumschmiede nach China und Regierungsbürgschaften für den Bau von Reaktoren in Finnland markieren nur die Spitze des Eisbergs. Das mit Steuergeldern finanzierte Forschungszentrum Jülich in Nordrhein-Westfalen arbeitet mit dem südafrikanischen Energieunternehmen ESKOM an der Weiterentwicklung von Hochtemperaturreaktoren (HTR), die ab 2007 in Südafrika in Serie gebaut und weiterexportiert werden sollen. Das Forschungszentrum gehört zu 90 Prozent dem Bund, es wurde allein 2002 mit 262 Millionen Euro bezuschusst.

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Die Welt 20.08.2005

Polizisten sollen bei Castor-Einsätzen weniger verdienen

Hannover - Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) will Polizisten bei Castor-Einsätzen einem Zeitungsbericht zufolge künftig finanziell erheblich schlechter stellen. Die Beamten sollen nur noch den tatsächlichen Einsatz bei der Sicherung von Atommüll-Transporten voll angerechnet bekommen, berichtete die "Hannoversche Allgemeine Zeitung". Das Land habe rund 18 Millionen Euro unter anderem in die Verbesserung von Unterkünften und sanitären Einrichtungen investiert, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Daher sei es gerechtfertigt, die Bezahlung von Bereitschaftszeiten nun der Praxis bei anderen Großeinsätzen anzugleichen.

Die bisherige Regelung sieht vor, den Beamten die gesamte Dauer ihres Einsatzes im Wendland anzurechnen. Dazu gehört auch die Bereitschaftszeit der Polizisten in ihren Quartieren. Überstunden wurden anschließend mit Freizeit vergütet. Die Bereitschaftszeit will Schünemann jetzt aber nicht mehr generell mit hundert Prozent, sondern wie bei anderen Großeinsätzen nach einem gestaffelten System entlohnen, um pro Castor-Transport rund 3,5 Millionen Euro zu sparen.

Von der Neuregelung betroffen sind nicht nur rund 5000 Polizisten in Niedersachsen, sondern auch die Einsatzkräfte aus anderen Bundesländern. Die Gewerkschaft der Polizei protestierte und warnte vor sinkender Motivation der Beamten. "Das ist eine erneute Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für unsere Polizistinnen und Polizisten", sagte auch der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Heiner Bartling. Die Sicherung der Castor-Transporte gehöre zu den am meisten belastenden Einsätzen überhaupt. Nach den Kürzungen bei Weihnachts- und Urlaubsgeld, der Erhöhung der Lebensarbeitszeit und Problemen bei der Ausstattung sei dies "ein weiterer Schlag gegen die Polizei", sagte Bartling. lni

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Graswurzel August 2005

>> 301 sommer 2005

Renaissance der Anti-Atom-Bewegung?

Tausende demonstrierten gegen den Dresden-Ahaus-Castor

Ahaus. Nach einer mehr als 15-stündigen Fahrt rollten am 14. Juni 2005 gegen 2.30 Uhr die letzten sechs der insgesamt 18 Castor-Behälter aus dem ehemaligen Forschungsreaktor bei Dresden durch den Hintereingang des Atommülllagers im westfälischen Ahaus. Auf der über 600 Kilometer langen Strecke kam es zu Protesten und direkten gewaltfreien Aktionen (siehe Kommentar auf Seite 2 und Artikel auf Seite 1, 6 f.).

Um die 951 abgebrannten Brennelemente mit zwei Kilogramm Plutonium an den DemonstrantInnen vorbeizuschleusen, schreckte die Polizei vor lebensgefährlichen Manövern nicht zurück. Während der erste Transport, ohne die betroffene Bevölkerung zu informieren, durch die engen Gassen der an Ahaus angrenzenden Gemeinde Heek geschleust wurde, fuhr der dritte Konvoi mit ausgeschalteten Scheinwerfern zuletzt über einen Feldweg zu einem Hintereingang des Brennelementezwischenlagers (BEZ).

Am 13. Juni demonstrierten rund 3.000 AktivistInnen in Ahaus.

"Angesichts der täglichen Gefahr einer Kernschmelzkatastrophe, angesichts der heute schon massiven Folgen des Uranabbaus, angesichts der wachsenden Atommüllberge gibt es nur einen einzigen verantwortbaren Weg: Wir brauchen einen Ausstieg, der diesen Namen wirklich verdient. Die AKWs müssen jetzt vom Netz, denn jeder Tag länger kann ein Tag zuviel sein", so Jochen Stay von X-tausendmalquer. Der ehemalige GWR-Redakteur konstatierte: "Ahaus im Sommer 2005. Dieses Datum wird vielleicht später in den Geschichtsbüchern als der Beginn der Wiedergeburt der Anti-Atom-Bewegung auftauchen."

Eine Übertreibung. 1998 hatten sich an den Demonstrationen und direkten gewaltfreien Aktionen gegen die damaligen Castortransporte ins BEZ zeitweise mehr als 12.000 Leute beteiligt. (1)

Andererseits: An der Ahauser "Großdemonstration" gegen den ersten von drei Atommülltransporten von Dresden ins BEZ hatten am 30. Mai 2005, bei strömendem Regen, nur 600 Leute teilgenommen.

Die Zahl der DemonstrantInnen hat sich also innerhalb von zwei Wochen verfünffacht.

Wie schon am 6. Juni 2005, als 2.000 Leute in Ahaus gegen die unsinnige und gefährliche Atommüll-Verschiebung protestierten, war die Stimmung der AtomgegnerInnen während der Demonstrationen am 13. und 14. Juni ausgelassen. Dazu trugen mitreißende Reden und die Livemusik von Salossi und Klaus dem Geiger bei.

Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen zog eine positive Bilanz: "Uns ist es gelungen, die Castortransporte im Vorfeld 18 Monate zu verzögern. Für uns war es eine kleine Renaissance: die größte Anti-Atom-Demo im Münsterland seit sieben Jahren."

DIE WELT: "Kaum Proteste"

Anders fiel das Resümee (nicht nur) der Springerpresse aus: "Kaum Proteste bei letztem Castor-Transport", so titelte am 14. Juni die Welt. Und die Polizei redete von nur "1.500 Teilnehmern". Dabei hat sie die ca. 1.500 Demonstrantinnen (ohne großes Binnen-I) offensichtlich "übersehen".

Nun stehen nicht nur in Gronau und Ahaus weitere Aktionen der Anti-Atom-Bewegung an.

Gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit will die neue oder/und alte Bundesregierung im November 2005 Castortransporte nach Gorleben durchsetzen.

Widerstand dagegen ist nötig. Spucken wir der Atomlobby und ihren Regierungen in die strahlende Plutoniumsuppe, die sie uns und den kommenden Generationen hinterlassen wollen.

Immer und überall: für den sofortigen Atomausstieg!

Bernd Drücke

http://www.graswurzel.net/301/ahaus.shtml

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Münstersche Zeitung 12.08.2005

"Castoren zu Halfpipes"

Ahaus - Besonderen Wert legt er darauf, dass die Skulptur auch nutzbar ist und nicht ausschließlich eine ästhetische Form darstellt: "Castoren zu Halfpipes" nennt der Installations-Künstler Thomas Kilpper sein Werk, das im Rahmen der Skulptur-Biennale zurzeit am Berufsorientierungzentrum (BOZ) an der Weidenstraße entsteht.

Ursprünglich war dafür vom Künstler der Schlossgarten als Standort ins Auge gefasst worden " nach schwierigen Verhandlungen zwischen ihm, der Stadt Ahaus und dem Kreis Borken habe man sich schließlich auf die Fläche vor dem BOZ einigen können " ein für die Installation mit einer Größe von neuneinhalb mal vier Metern allerdings eher beengter Raum, wie Kilp- per bedauert. Auch habe der zeitliche Verzug eine Umsetzung des Vorhabens durch BOZ-Jugendliche nicht mehr ermöglicht, denn zur offiziellen Eröffnung der Skulptur-Biennale am 28. August in Ahaus muss die einem im Längsschnitt halbierten Castor-Behälter nachempfundene "Halfpipe" fertig sein " inklusive TÜV-Abnahme für die Benutzung durch Skater. Daher ist nun eine Firma mit der Erstellung beschäftigt.

Künstler Kilpper aus Berlin will mit seinem Werk ein "gesellschaftliches Problem" aufgreifen, das zeitgeschichtlich und doch aktuell, offensichtlich und für jeden greifbar ist " und auch mit seiner persönlichen Geschichte eng verbunden: Bereits als Jugendlicher habe er sich intensiv mit der Atomproblematik beschäftigt, aktiv in Bürgerinitiativen engagiert und an Kundgebungen etwa in Gorleben beteiligt.

Die Verarbeitung dieses Konflikts im Kunstwerk sollte allerdings nicht "oberlehrerhaft" und mit mahnendem Zeigefinger geschehen, sondern durch die befahrbare "Halfpipe" auf eine spielerische Ebene gehoben werden. Der Titel "Castoren zu Halfpipes" erinnere dabei an das biblische Wort "Schwerter zu Pflugscharen" " Ahaus erschien ihm dafür als Standort ideal geeignet. - mel

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Münstersche Zeitung 10.08.2005

Fazit: "Die nukleare Bedrohung bleibt"

Münster - Ein gleißender Blitz und eine Stadt, so groß wie Münster, ist dem Erdboden gleichgemacht: Hiroshima am 6.August 1945. Mit erschütternden Filmdokumenten über den amerikanischen Atombombenabwurf vor 60 Jahren eröffnete das Aktionsbündnis gegen den Krieg am Dienstag im Schloss die vierstündige Podiumsdiskussion unter dem Motto "Für eine Welt ohne nukleare Bedrohung" " mitveranstaltet vom attac campus münster und dem AStA. Die gezeigten Bilder " sie hinterließen bei den 100 Besucher rasch Wirkung. Gleiches galt für die detaillierten Schilderungen der Referenten. So veranschaulichte Strahlenbiologe Dr. Wolfgang Köhnlein, wie die atomare Hochrüstung anno 2005 weiter forciert werde und bereits das 6000-fache der Explosionsmenge des Zweiten Weltkrieges betrage.

"Unheilvoll"

Theologiestudent Jan Lintzen machte deutlich, wie Atomkatastrophen, Stör- und Zwischenfälle langfristig in Nahrungsmittel nachzuweisen sind. Er mahnte eindringlich, dass heute " auch unter dem Deckmantel friedlicher Forschung " die Atomenergie "unheilvoll" vorangetrieben werde. "Ungeachtet der Folgen für die Menschheit", wie Pfarrer Burkhard Homeyer, 1.Vorsitzender der BAG "Den Kindern von Tschernobyl in Deutschland", ergänzte. Homeyer belegte anhand streng vertraulicher Dokumente, wie auch 20 Jahre nach Tschernobyl unzählige Kinder in Minsk an spezifischen postradioaktiven Krankheitssymptomen litten.

Kernphysiker Heinz-Günter Franke erläuterte die Entstehung der Atombombe " "und was Nobelpreisträger Albert Einstein damit zu tun hatte".

Anfeindungen

Tetsuya Nagamoto, Geschichtsstudent aus Hiroshima, löste im Auditorium das ein oder andere verständnislose Kopfschütteln aus, als er von Diskriminierungen und Anfeindungen gegenüber den Überlebenden des Atombombenabwurfs berichtete, deren Leben noch heute von Angst und Schuldbewusstsein geprägt sei. Manche fühlten sich ob ihres radioaktiven Stigmas sogar "als Sünder".

Juristische Einblicke in den gewaltfreien Anti-Atom-Widerstand gab Jurist Prof. Erich Küchenhoff, der von seinen persönlichen Demo-Erfahrungen berichtete. Bei der Podiumsdiskussion waren sich Redner und Zuschauer einig, dass das Schweigen und Verdrängungsmechanismen über die nukleare Bedrohung nachhaltig aufgebrochen werden müssten, in Hiroshima ebenso wie in Ahaus oder Gronau. - Peter Sauer

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Westfälische Nachrichten 06.08.2005

Gedenken an Hiroshima

Münster. Zum 60. Jahrestag der Atombombenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki lädt die ausländische Studierendenvertretung am Dienstag (9. August) ab 19 Uhr in die Aula des Schlosses ein. Unter dem Motto ,,Hiroshima, Nagasaki, Tschernobyl, Ahaus: Für eine Welt ohne nukleare Bedrohung! Stoppt den Atomtod!" diskutieren unter an-deren Mustafa Arslan (Jurist, Verein für politische Flüchtlinge), Dr. Heinz-Günther Franke (Kernphysiker), Burkhard Homeyer (Pfarrer, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft ,,Den Kindern von Tschernobyl"), Prof. Dr. Wolfgang Köhnlein (Strahlenbiologe), Prof. Dr. Erich Küchenhoff (Universitätsprofessor für Öffentliches Recht und Politische Wissenschaft) sowie die Studenten Jan Lintzen aus Münster und Tetsuya Nagamoto aus Hiroshima.

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ngo-0nline.de 03.08.2005

"Unrast"

Atomkraftgegner trauern um Traute Kirsch

Nach langer schwerer Krankheit verstarb am 29. Juli die über Jahrzehnte bekannte und engagierte Atomkraftgegnerin Traute Kirsch. "Unsere Bürgerinitiative konnte seit ihrer Gründung im Jahr 1977 immer wieder aus ihren Anregungen und ihrer Unterstützung Gewinn ziehen", schreibt der Atomkraftgegner Hartmut Liebermann in einer Rundmail an seine Mitstreiter. "Traute hat an vielen Demonstrationen, Erörterungsterminen und anderen Aktionen in Ahaus teil genommen, nicht zuletzt in den Tagen des Castor-Transportes 1998. Ihr größter Erfolg im Rahmen des Widerstandes gegen Atomanlagen war wohl die Stillegung des Reaktors in Würgassen, für die sie sich im Rahmen der örtlichen Initiative 'UNRAST' viele Jahre eingesetzt hat."

"Unrast" sei es auch gewesen, was ihre langjährige Arbeit kennzeichnete: "Sie ließ nie locker, aus ihren gewonnenen Einsichten die ihr notwendig erscheinenden Konsequenzen zu ziehen und andere damit zu konfrontieren." Dies sei manches mal unbequem gewesen, "hat aber immer wieder viele von uns zum Nachdenken gezwungen und dazu animiert, aus der eigenen Bequemlichkeit und Lethargie heraus zu kommen."

Jahrelang hatte Traute Kirsch auch auf ein ihrer Ansicht nach garantiertes Recht auf Stilllegung gepocht. Beharrlich verwies sie auf das "Kalkar-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts, das der Nutzung der Atomenergie enge Grenzen setzte. Mit viel Nachdruck versuchte sie Mitstreiter aufzurütteln und in die Geheimnisse des Atomrechts einzuweisen, um die Stilllegung der Atomkraftwerke zu erwirken.

"Wir alle werden Traute schmerzlich vermissen", schrieb Liebermann. "Möge ihr jetzt nach Jahrzehnten der Unrast Ruhe und Frieden beschieden sein."

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Hamburger Abendblatt 02.08.05

Castorprotest soll Anti-Atom-Bewegung wiederbeleben -

Im November 2004 hat der Widerstand gegen die Castor-Transporte nach

Gorleben zum ersten Mal ein Todesopfer gefordert.

 

Hannover - Der 21jährige französische Umweltaktivist Sebastien Briat starb, als er bei

Avricourt vom Luftzug unter den Atommüll-Zug gezogen wurde. Ein Umdenken

aber hat das bei den Atomkraftgegnern nicht ausgelöst: Sie rüsten für den

nächsten Transport, weil sie sich von dem Termin Anfang November eine

deutliche Wiederbelebung der Anti-AKW-Bewegung erhoffen.

 

Basis ist der erwartete Regierungswechsel. CDU und FDP wollen die Erkundung

des Salzstockes auf Eignung als Endlager wiederaufnehmen. Die Initiative

x-1000malquer mobilisiert deshalb schon für die Auftaktkundgebung am 5.

November. "Sie kann zum Gradmesser für das Comeback der Anti-AKW-Bewegung

werden", heißt es. Francis Althoff, Sprecher der Bürgerinitiative

Lüchow-Dannenberg, ist ebenfalls fest davon überzeugt, "daß ein

Regierungswechsel mobilisiert". Eine aktuelle Umfrage der

Umweltschutzorganisation Greenpeace weist in die gleiche Richtung: Danach,

so das Meinungsforschungsinstitut Emnid, lehnen 58 Prozent der Deutschen ein

Atommüll-Endlager in Gorleben ab. Da soll der Tod des jungen Franzosen

neuerliche Proteste nicht stören. BI-Sprecher Althoff nennt ihn einen

"Unfall, der bei jeder Demo passieren kann".

 

Für die wendländischen Aktivisten geht es um viel. In den vergangenen Jahren

ist der Anti-AKW-Widerstand kontinuierlich weniger geworden. Der Frust

richtet sich auch gegen die amtierende Bundesregierung. "Bitter" nennt die

grüne Europa-Parlamentarierin Rebecca Harms die Bilanz der

Regierungsbeteiligung ihrer Partei. Die versprochene neue Endlagersuche

wurde nicht realisiert, der Standort Gorleben damit zementiert. Ob die

Castor-Gegner die von Harms empfohlene Zurückhaltung bei Schienenprotesten

beherzigen, ist zweifelhaft. Denn nur spektakuläre Aktionen liefern auch

Fernsehbilder, die es in die Nachrichtensendungen schaffen.

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Berliner Zeitung 01.08. 2005

"Atomkraftwerke sollten nicht länger laufen"

UBA-Chef Troge über die Umweltpolitik der Union, den Atomausstieg und die Strompreise

 

Herr Troge, Sie sind seit Jahren Mitglied der CDU. Sie wurden von der

damaligen Bundesumweltministerin Angela Merkel ernannt. Wie gefällt Ihnen

denn das Wahlprogramm Ihrer Partei beim Umweltschutz?

 

Zunächst bin ich froh, dass es überhaupt Aussagen zur Umwelt gibt. Positiv

ist auch, dass sich die Union um eine Fortschreibung des Kyoto-Protokolls

zum Klimaschutz und die Lärmbekämpfung kümmern will. Ansonsten ist das

Umweltkapitel ziemlich unkonkret und interpretationsbedürftig. Wie bei

anderen Parteien auch wird die Umweltpolitik in der Union oft als Beiwerk

gesehen, das sich anderen Aufgaben unterordnen muss.

 

Die Union betont den Vorrang von Wachstum vor der Umwelt. Macht das

angesichts von vielen Millionen Arbeitslosen nicht Sinn?

 

So pauschal nicht. Sicher, man kann für einige Jahre andere Prioritäten

setzen. Wir dürfen dabei aber nicht nach dem Motto verfahren: Erst werden

wir reich, dann räumen wir auf, machen Umweltschutz. Wir müssen Umweltschutz

als Investition in unsere natürlichen Lebensgrundlagen sehen. Da können auch

viele Jobs entstehen. Ich nenne hier die erneuerbaren Energien oder die

Kraftwerkstechnik. Oder, wie es die Union selber im Regierungsprogramm

formuliert: Nicht kurzfristige Gewinnmaximierung sondern langfristige

Unternehmenssicherung sollte das Interesse sein.

 

In NRW hat die Union den Schutz des Feldhamsters als Wachstumshemmnis

gebrandmarkt. Blockieren unsere Umweltauflagen tatsächlich den

Wirtschaftsaufschwung?

 

Hätte man mich um Rat gefragt, dann hätte ich von einem derartigen Wahlkampf

abgeraten. Umweltschutz kann Wertschöpfung schaffen. Man muss es aber

richtig machen. Denken Sie nur an die Entschwefelung von Industrieabgasen

vor vielen Jahren. Die Technik wurde hier erfunden. Irgendwann haben wir sie

nach Japan verkauft. Als später das Waldsterben akut wurde, mussten wir das

technische Wissen von dort zurückimportieren.

 

Was könnte die Union bei Umweltauflagen sinnvoll tun?

 

Angela Merkel hat als Umweltministerin ein Umweltgesetzbuch vorgelegt mit

dem Ziel, viele Umweltauflagen zu bündeln. Leider ist dieses sinnvolle

Vorhaben nie in Kraft getreten. Auch nicht unter Rot-Grün. Da gab es zu

viele Widerstände. Es ist bedauerlich, dass die Union das Thema heute

ausspart.

 

Ihre Partei will die Laufzeiten von Kernkraftwerken verlängern. Halten Sie

das für sinnvoll?

 

Davon rate ich ab. Wir sollten Atomkraftwerke nicht länger laufen lassen.

Warum? Die Entsorgungsfrage ist völlig ungeklärt, die Risiken beim

Kraftwerksbetrieb darf man nicht vergessen. Außerdem würden längere

Laufzeiten die dringend nötige Modernisierung von Kraftwerken verzögern. Wir

würden den Versorgern den Druck und Anreiz zur Innovation nehmen.

 

Die Union argumentiert aber, dies sei besser für den Klimaschutz.

 

Das stimmt so nicht. Sieht man sich die gesamte Prozesskette bei der

Kernkraft an, also Herstellung, Aufbereitung, Betrieb, Verwahrung und

Transporte, dann hat auch die Atomenergie einen beachtlichen

Kohlendioxid-Ausstoß.

 

Kanzlerkandidatin Angela Merkel will mit längeren Laufzeiten niedrigere

Strompreise durchsetzen. Das klingt doch vernünftig.

 

Wie soll das funktionieren? Die Kernkraftwerke sind schon heute am Netz.

Warum soll dieser Strom auf einmal billiger werden? Als Ökonom halte ich

Preissenkungen beim Strom bei längeren Laufzeiten für Atomkraftwerke für

unrealistisch. Man könnte höchstens vereinbaren, künftige

Strompreiserhöhungen zu dämpfen. Doch warum sollten sich marktorientierte

Energieunternehmen, wie sie sich heute nennen, darauf einlassen? Der

Strompreis bildet sich aus Angebot und Nachfrage. Wir leben nicht in der

Staatswirtschaft. Da wundere ich mich, dass marktwirtschaftlich geprägte

Parteien wie CDU und CSU darüber nachdenken.

 

Wie kann Strom überhaupt wieder billiger werden?

 

Ich sehe wenig Spielraum für günstigen Strom. Sicherlich bietet ein

funktionierender Wettbewerb gewisse Chancen. Aber wir müssen uns insgesamt

darauf einstellen, dass Energie zukünftig nicht mehr so billig sein wird.

Die Antwort darauf ist: Energie besser nutzen, Energie sparen.

 

Wenn wir auf Atomstrom weiter verzichten: Wie soll die Energieversorgung der

Zukunft aussehen?

 

Wir müssen die Energie, die wir haben, besser nutzen. Dazu müssen wir auf

neue Kraftwerks-Techniken setzen. Moderne Gas- und Kohlekraftwerke spielen

dabei eine Rolle. Die Energieversorgung muss dezentraler werden mit

Schwerpunkt Kraft-Wärme-Kopplung und erneuerbare Energien. Wichtig ist auch

Energiesparen - ohne Verlust an Lebensqualität. Nur wenn wir insgesamt

weniger Energie verbrauchen, wird der Anteil des sauber erzeugten Stroms aus

Wind, Sonne, Biomasse, Wasser auch schnell und deutlich größer.

 

Die Union will den Ausbau erneuerbarer Energien aber bremsen.

 

Erneuerbare Energien werden immer wichtiger zur Stromerzeugung. Der Ausbau

muss weiter gehen. Ich rate der Union vor vorschnellen Entscheidungen ab.

Ich denke, dass dazu auch Bereitschaft besteht. Wir dürfen niemand

verunsichern, der heute in erneuerbare Energien investieren will.

 

Angela Merkel hält das Ziel der Bundesregierung, den Anteil von Ökostrom bis

2020 auf 20 Prozent zu erhöhen für unrealistisch.

 

Ziele sind nie selbstverständlich. Ich halte das Ziel für technisch und

wirtschaftlich aber machbar.

 

Welches Wahlprogramm gefällt Ihnen bei der Umwelt- und Energiepolitik

eigentlich am besten?

 

Die Grünen haben in der Umwelt- und Energiepolitik das anspruchsvollste

Programm. Da steckt viel drin, was bei Umweltexperten und Wissenschaftlern

heute Konsens ist. Ich teile beileibe nicht alle Auffassungen. Doch in

seiner gesamten Stoßrichtung ist es mir fachlich am sympathischsten.

 

Das Gespräch führte Jörg Michel.

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