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- Offener Brief -

 

An den Bundespräsidenten

der Bundesrepublik Deutschland

Schloss Bellevue, Spreeweg 1

10557 Berlin

Ahaus, 24. Februar 2005

 

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

da viele Menschen in Deutschland langsam und immer mehr an unserer Demokratie verzweifeln und ich Angst habe, dass viele Erwachsene, aber auch viele Jugendliche im Münsterland und im Wendland politikverdrossen werden, deshalb gar nicht mehr wählen oder sich vielleicht sogar radikalen Parteien und Gruppierungen zuwenden, möchte ich Sie mit diesem Brief herzlichst zu einem der nächsten „Sonntagsspaziergänge" nach Ahaus einladen, um die Situation vor Ort kennen zu lernen und um ein positives Zeichen zu setzen.

Zum geschichtlichen Hintergrund:

Ihr Vorgänger im Amt, Johannes Rau, hat einmal als amtierender Ministerpräsident von NRW in Ahaus gesagt, dass kein Atommüll nach Ahaus käme, so lange es kein sicheres Endlager gebe...

1986 hat die SPD beschlossen, innerhalb von 10 Jahren aus der Atomenergie auszusteigen.1999 haben SPD und Grüne u.a. mit dem Wahlversprechen gewonnen, unumkehrbar aus der Atomenergienutzung auszusteigen...

CDU / CSU und FDP wollen inzwischen sogar eine Renaissance der Atomkraft und einen Ausstieg aus dem Ausstieg, verhindern aber mit allen Mitteln Standort-Zwischenlager und eine Endlagersuche in süddeutschen Ländern!

Zu unserem Engagement:

Wir Mitglieder der Bürgerinitiative in Ahaus wehren uns seit mehr als 27 Jahren mit ausschließlich gewaltfreien Mitteln und dem Einsatz von mehr als 70000 ¤ gegen die ständig erweiterten Genehmigungen des Brennelemente Zwischenlagers Ahaus ( BZA ), da wir ein „Endlos-Lager Ahaus" befürchten.

Zusammen mit Atomkraftgegnern aus ganz Deutschland und den benachbarten Niederlanden sind wir uns darin einig, dass diese Kernreaktor-Technik und die „saubere" Entsorgung der Rückstände letztendlich nicht beherrschbar sind, wie auch viele Beinahe- GAUs nach Tschernobyl gezeigt haben...

Staatlich geförderte Betreiber-Konzerne, die mit ihren Atomkraftwerken jetzt sehr profitabel arbeiten, möchten die Laufzeiten der Kernkraftwerke beliebig erweitern, berücksichtigen dabei aber keinesfalls die ungeheuren Probleme mit den zwangsläufig anfallenden, immer größer werdenden Mengen an Atommüll und deren Entsorgung.

Viele Milliarden Euro wurden für den Rückbau der kerntechnischen Anlagen und die Atommüllentsorgung von uns allen über den Strompreis finanziert. Zweckentfremdet werden nun diese gebundenen Rücklagen durch die Energie-Unternehmen in riskante, globalisierte Wirtschaftszweige investiert, eine Aushöhlung der eindeutigen Vorgaben...

Zu uns:

Wir sind keine Träumer oder Chaoten, sondern Familienväter und -mütter aus Ahaus und dem Münsterland, die seit vielen Jahren, teilweise mit ihren Kindern, nicht nur an den monatlichen „Sonntagsspaziergängen" in Ahaus teilnehmen, sondern auch im benachbarten Gronau, im Wendland und anderswo demonstrieren.

Als Dankeschön für unser Engagement und für unsere Zivilcourage werden wir von Politik und Justiz häufig wegen Kleinigkeiten kriminalisiert oder - wie auch in Ahaus geschehen - beruflich benachteiligt!

Zum Teil sind wir - wie ich - Lehrer und fragen uns immer häufiger, welche Antworten wir u.a. unseren Kindern und unseren Schülern auf folgende Fragen geben sollen:

Wieso stehen Gerichtsurteile von Verwaltungsgerichten bezüglich der Einrichtung und Erweiterung kerntechnischer Anlagen häufig schon im Vorfeld fest?

Warum wird Kraftwerksbetreibern nicht die Genehmigung entzogen, wenn die Öffentlichkeit arglistig getäuscht oder gefährdet wird?

Warum werden Krebsregister rund um Atomstandorte unter Verschluss gehalten?

Und:

Auf welchen Gehaltslisten stehen die Politiker, die Lobbyarbeit für die Akzeptanz der Kernenergie machen?

Zum letzten Castortransport nach Ahaus:

Beim Castor-Transport 1998 war Ahaus ein „rechtsfreier" Raum, in dem Demonstrations- und Menschenrechte von der Ordnungsmacht mit Füßen getreten wurden. Es gab hunderte von unrechtmäßigen Ingewahrsamnahmen und viele ältere Mitbürger bezeichneten das Auftreten von Polizei und Bundesgrenzschutz als „Besatzung", es sei schlimmer als im Krieg gewesen.

Bereits bei Vorfeld-Aktionen waren gerade Jugendliche zum Teil gnadenlos verfolgt worden, um ein Abschreckungsszenario aufzubauen.

Die Übergriffe und Ingewahrsamnahmen sind jetzt - mit Ausnahme eines Verfahrens - in allen Fällen durch verschiedene Gerichte zu Gunsten der beschuldigten Demonstranten entschieden worden.

Unsere Erfahrungen aus dem Wendland zeigen aber, dass dennoch Polizei und Bundesgrenzschutz sich weiterhin in ähnlicher Weise rechtswidrig verhalten, was zu einer Aushöhlung der Grund- und Bürgerechte in unserer Republik führt.

Fragen über Fragen:

Wie sollen wir aber die Grundwerte unserer Demokratie unseren Kindern und auch unseren Schülern vermitteln, wenn weiterhin zugelassen wird, dass das Recht auf Gewinnmaximierung vor dem Gesetz höher angesiedelt wird als das Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit?

Meine eigenen Kinder, inzwischen 25, 22 und 21 Jahre alt, waren -freiwillig- nicht nur in Ahaus dabei und unser Sohn Sebastian meinte nach dem Tag X in Ahaus, dass er an diesem einen Tage mehr über „Demokratie" gelernt habe als in all den Jahren zuvor auf dem Gymnasium...

Zum aktuellen Stand:

Wir haben schon im letzten Jahr in Düsseldorf persönliche Gespräche mit dem Innenminister Behrens und der Umweltministerin Höhn geführt und dabei erfahren, dass man alles tun werde, um diese unnötigen Transporte aus Rossendorf zu stoppen, notfalls auf dem Klagewege.

Anfang dieses Jahres wurde uns aber zugetragen, dass man nur noch bis zur Landtagswahl warten wolle und man sich schon lange mit dem Land Sachsen auf ein Transportfenster zwischen dem 30. Mai und 14. Juni geeinigt habe…

Unsere Briefe an den Ministerpräsidenten Steinbrück, den Energieminister Horstmann und den Oppositionsführer in NRW Rüttgers sind indes seit Monaten unbeantwortet geblieben!

Kein Politiker möchte seine Wahlchancen verringern, an alte Versprechungen erinnert oder gefragt werden, wie es mit den ab 2006/2008 geplanten Rücktransporten aus der Wiederaufbereitung in La Hague steht oder mit dem hochangreicherten, waffentauglichem Uran aus dem Forschungsreaktor Garching...

Wir befürchten, dass genauso wie im Wendland wieder die Demonstrationsfreiheit trotz der nach 1998 ergangenen Urteile eingeschränkt wird und wie im Wendland die Demokratie auf der Strecke bleibt...

Unsere Bitte:

Sehr geehrter Herr Köhler,

Sie sind unser Bundespräsident und deshalb möchten wir Sie nach Ahaus einladen, entweder zu einem persönlichen Gespräch oder zu einer Podiumsdiskussion, am liebsten aber zu einem der nächsten „Sonntagsspaziergänge", die an jedem 3. Sonntag im Monat seit über 10 Jahren in Ahaus stattfinden.

Sie würden damit ein Zeichen setzen und sich nicht verstecken wie andere Politiker, die wortbrüchig geworden sind. Auch der Umweltminister Trittin hat im Jahr 2000 einmal öffentlich in Ahaus gesagt, dass der Atommüll aus Rossendorf nicht nach Ahaus kommt.

Aber wie sagte bereits Konrad Adenauer: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern."

 

Hochachtungsvoll

Burkhard Helling, 1. Vorsitzender der Bürgerinitiative

 

P.S.

Wir werden weiterhin nach unserem Motto verfahren:

Wer sich wehrt, kann verlieren. Wer sich nicht wehrt, hat schon verloren!.

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