TAZ v.13.11.2003

"Wir brechen nicht in Jubel aus"

Umweltverbände und Bürgerinitiativen zeigen stark gedämpfte Freude über das Abschalten des AKW Stade: "Vorher hatten wir 19 AKWs, dann haben wir 18. Das ändert nicht viel." Auch die Grünen und die SPD bleiben ganz cool

BERLIN taz Heute lädt Umweltminister Jürgen Trittin zum Empfang in sein Berliner Lieblingsrestaurant. Manfred Krug wird singen und man wird anstoßen auf den ersten deutschen Atommeiler, der dank dem Atomkonsens vom Netz geht. Trittin will all jene um sich scharen, die den "langen und mühsamen Weg des Atomausstiegs mitgegangen sind". Doch vielen ist nicht nach Feiern zumute.

Gerade die Umweltverbände, die über Jahrzehnte mit den Grünen Seite an Seite kämpften, wollen dem Minister heute nicht zuprosten. Greenpeace und der BUND können sich gerade mal dazu durchringen, die Abschaltung vom Akw Stade zu "begrüßen" - um dann auf die Atommüllprobleme hinzuweisen. "Wir brechen nicht in Jubel aus", sagt Walter Jungbauer, Atomexperte beim BUND. "Nach fünf Jahren Rot-Grün geht gerade mal der erste Meiler vom Netz." Sein Fazit: "Freude ja, aber sehr gedämpft."

Auch Susanne Ochse, Leiterin der Atomkampagne von Greenpeace kommt nicht: "Ich will es nicht mies machen, dass Stade vom Netz geht." Doch solle man nicht übertreiben: "Vorher hatten wir 19 AKWs, dann haben wir 18", das ändere nicht viel. "Die große Fete machen wir erst, wenn der letzte Reaktor vom Netz ist." Zudem sei diese Woche keine gute Woche zum Feiern, "wegen des Castor-Transports".

Noch deutlicher wird die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, die den Abschalttermin nahe dem Castor-Transport für abgekartet hält: "Dem Protest im Wendland soll offenbar gezielt der Wind aus den Segeln genommen werden.

" Erstaunlicherweise ist auch die SPD nicht in Feierlaune. "Wir freuen uns", sagt der SPD-Energiepolitiker Axel Berg. "Aber feiern? Das Thema ist emotional nicht so wichtig für uns wie für die Grünen."

Viele Aktivisten wollen den Erfolg ohnehin nicht gelten lassen. Schließlich gab der Betreiber E.on "wirtschaftliche Gründe" für die Schließung von Stade an.

Diese Gründe aber, betont Trittin, sind erst entstanden durch die Begrenzung der Betriebsgenehmigung durch den Atomkonsens. "Der Ausstieg geht Schritt für Schritt weiter: Nächste Station ist Obrigheim."

Dabei ist die Freude selbst bei Grünen nicht gerade überschwänglich. Der kleine Empfang heute von Trittin und eine Party am 20. in Stade - das wars. Mehr als zwei Meiler werden es nicht bis zur nächsten Wahl. Danach, hat CDU-Parteichefin Angela Merkel erklärt, will sie Schluss machen mit dem Ausstieg. Ihre Chancen stehen gut.

MATTHIAS URBACH

 

TAZ v.14.11.2003

Endlich mal abschalten!

Fünf Jahre nach der rot-grünen Regierungsübernahme geht in Stade das erste Atomkraftwerk vom Netz. Minister Trittin lädt ein - doch die Umweltschützer sind nicht recht in Partylaune

BERLIN taz "Grün wirkt", so lautet der Wahlslogan der Grünen. Im Falle des Atomausstiegs dauerte es fünf Jahre: Heute schaltet E.on mit dem niedersächsischen Atomkraftwerk Stade den ersten Meiler im Rahmen des vor zwei Jahren unterzeichneten Atomkonsenses ab. Für den grünen Umweltminister Jürgen Trittin ist das Ende des 31-jährigen Akw-Betriebs an der Elbe ein Grund zum Feiern. Er lädt heute Mitstreiter zum Empfang in sein Berliner Lieblingsrestaurant. "Die Atomenergie hat in Deutschland keine Zukunft mehr", sagte er gestern im Bundestag.

Doch genau das ist die Frage. Oppositionsführerin Angela Merkel (CDU) hat bereits im August angekündigt, den Ausstiegsvertrag im Falle eines Regierungswechsels aufheben zu wollen. Die Stromkonzerne sollten ihre "Kernkraftwerke so lange betreiben, wie sie wollen", meint die Physikerin im Parteiamt. Die Vereinbarung sei nichts als ein "Diktat" der Bundesregierung gewesen, sekundierte der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU). Auch Baden-Württembergs Wirtschaftsminister Walter Döring von der FDP meldete sich zu Wort: "Der Ausstieg aus dem Ausstieg ist notwendig."

Angesichts des historischen Umfragehochs der Union kommt heute bei den Umweltverbänden keine Freude auf. "Die große Fete machen wir erst, wenn der letzte Reaktor vom Netz ist", sagte Atomexpertin Susanne Ochse von Greenpeace gestern der taz. Auch Walter Jungbauer vom BUND wird der Einladung Trittins nicht folgen: "Bis zur Wahl kriegen wir zwei Meiler weg - und die 17 anderen werden weiterlaufen." Und selbst wenn Rot-Grün die nächsten Wahlen gewinne, ergänzt Jungbauer, "bis 2023 wird es mit Sicherheit zu einem Regierungswechsel kommen". Solange wird es laut Rechnung der Umweltverbände mindestens dauern, bis alle Stromkonzerne die 2001 vereinbarten Reststrommengen für ihre Meiler aufgebraucht haben.

Tückisch an der Vereinbarung ist zudem: Wenn ein Atomkraftwerk, wie derzeit Biblis A, wegen sicherheitstechnischer Mängel nicht in Betrieb ist, kann auch die zugewiesene Strommenge nicht abgearbeitet werden. Also bleibt der Meiler länger am Netz. So sollte der hessische Meiler Biblis A eigentlich mit den Atomkraftwerken Obrigheim (Stilllegung 2005) und Stade noch vor der nächsten Bundestagswahl abgeschaltet werden. Doch nach mehr als einem halben Jahr Stillstand wird daraus nichts vor Frühjahr 2007.

Eines aber ist klar: Geht ein alter Meiler wie in Stade erstmal richtig vom Netz, erlischt auch seine Betriebsgenehmigung. Und nach dem Atomrecht hat die Technik der älteren Reaktoren heute keine Chance mehr, genehmigt zu werden. Abgeschaltete Meiler wiederbeleben kann auch Angela Merkel nicht.

MATTHIAS URBACH

 

TAZ v.15.11.2003

Nicht schade um Stade

 

Erstes AKW ging gestern vom Netz. Umweltminister Trittin feierte. Opposition: "Verschwendung von Steuergeldern"

STADE/BERLIN dpa Mit der Stilllegung des Kraftwerkes Stade hat gestern der von der rot-grünen Bundesregierung beschlossene Atomausstieg begonnen. Der E.ON-Konzern schaltete den vor mehr als 31 Jahren in Betrieb genommenen Atommeiler im niedersächsischen Stade ab. "Seit heute morgen, genau 08.32 Uhr, speist die Anlage keinen Strom mehr ins Netz", teilte der Betreiber E.ON mit.

Die Bundesregierung und Energieversorger hatten im Juni 2001 nach langwierigen Verhandlungen den Ausstieg aus der Atomenergie vereinbart. Bundesumweltminister Jürgen Trittin sagte gestern: "2020 ist Schluss." Damit vollziehe Deutschland den "weltweit schnellsten Ausstieg aus der Atomenergie". Trittin erinnerte an den Kampf der Anti-Atomkraft-Bewegung in den 70er- und 80er-Jahren. "Die Anti-AKW-Bewegung hatte große Erfolge." Der Aufsichtsratsvorsitzende von E.ON Kernkraft, Walter Hohlefelder, begründete das Abschalten des Druckwasserreaktors dagegen mit rein wirtschaftlichen Gründen.

Bei einem Empfang im Hamburger Bahnhof von Berlin feierte Trittin mit mehreren hundert Gästen den Ausstieg. Zur musikalischen Begleitung spielte die Band des Schauspielers Manfred Krug. Vor dem Gebäude demonstrierten AKW-Gegner für einen schnelleren Ausstieg. Die SPD, auf dem Empfang kaum vertreten, sprach von einem "guten Tag für unser Land". Die FDP forderte, die Option Kernenergie aus Gründen des Klimaschutzes offen zu halten. CDU/CSU und FDP kritisierten die Feier Trittins als Verschwendung von Steuergeldern.

 

zurück

BUND: Ende des AKWs Stade ist nicht der Beginn des Atomausstiegs

weitere

Google: Stade Ausstieg